Hohe Haftstrafen nach Bahnhofsmord in Dessau


Beratungsprojekte fordern Aufnahme des abscheulichen Verbrechens in die Statistik rechtsextremer Gewaltdelikte

Nach achttägiger Hauptverhandlung hat am 17. April 2009 die 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau den 24-jährigen Sebastian K. aus Güterglück sowie den 34-jährigen Thomas F. aus Dessau wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niederen Beweggründen verurteilt. Nach Auffassung des Gerichts haben K. und F. in der Nacht zum 1. August 2008 ohne Anlass den damals 50-jährigen Hans-Joachim S. so brutal zusammengetreten, dass dieser noch am Tatort an „Herz- und Lungenquetschungen“ verstarb. Gegen K. hat das Gericht eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Der Mittäter F. wurde zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren einschließlich Alkoholtherapie verurteilt. Dem alkoholkranken 34-jährigen Thomas F. wurde vom Gericht verminderte Schuldfähigkeit attestiert, weil er tagsüber so viel Bier getrunken hatte, dass er zur Tatzeit mehr als drei Promille im Blut hatte.

Wegen der „komplizierten Gesetze“ könnte F. nach erfolgreicher Therapie und „guter Führung“ schon nach sechs Jahren Haft auf freiem Fuß sein, so der Kammervorsitzende Manfred Steinhoff, der diesen Umstand in seiner Urteilsbegründung als „unerträglich“ bezeichnet hatte. Das Strafmaß entspricht weitestgehend den Anträgen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage. Die Verteidigerin von Sebastian K. hatte eine Verurteilung zu 6 Jahren Haft wegen Todschlags in ihrem Plädoyer gefordert.



Nach einem Tag, den Sebastian K. und Thomas F. vor allem Bier trinkend verbracht haben, trafen sie in den Nachtstunden des 1. August 2008 in der Parkanlage vor dem Dessauer Hauptbahnhof auf ihr Opfer. Sie waren betrunken, so hatte K. zwei und F. drei Promille im Blut. Hans-Joachim S. war behindert, lebte in Halle/Saale in einer Einrichtung für betreutes Wohnen und übernachtete damals auf einer Parkbank vor dem Bahnhof. „Und die beiden Angeklagten begannen grundlos“, so Oberstaatsanwalt Christian Preissner in seinem Plädoyer, „brutal auf ihr Opfer einzuschlagen und einzutreten.“ Außerdem prügelte der 24-jährige K. mit einen neben der Parkbank aufgestellten fünf Kilo schweren Metall-Papierkorb mehrmals mit voller Wucht auf Kopf und Oberkörper von Hans-Joachim S. ein. „Ihnen war bewusst, dass das Opfer erhebliche Schmerzen erleiden, Todesangst empfinden und sterben würde.“, so Preissner zu Sebastian K. Die alkoholisierten Täter hätten erst von Hans-Joachim S. abgelassen, als sie sicher waren, das er tot ist, so der Oberstaatsanwalt weiter. Die herbeigerufene Polizei nahm Sebastian K. und Thomas F. in unmittelbarer Nähe des Tatortes fest, ihre Kleidung ist blutbefleckt. Sie erklärten den aufgetauchten Polizisten, „sie wollten nur erste Hilfe leisten.“

Sebastian K. und Thomas F. misshandelten Hans-Joachim S. so brutal, dass selbst der Gerichtsmediziner Prof. Dr. Manfred Kleiber (67) Verletzungen am Opfer fand, die er bei Gewalttaten während seiner 40-jährigen Berufserfahrung noch nie gesehen hatte: „Der Bandhalteapparat des Kopfes war zwischen dem ersten und zweiten sowie zwischen dem dritten und vierten Halswirbel völlig zerstört. Sie müssen gegen den Kopf des Opfers getreten haben, wie gegen einen Fußball, mit voller Kraft.“ In diesem Zusammenhang gibt Kleiber zu Protokoll, dass bei der Sektion am 1. August 2008 Schuhsolenspuren beider Täter am Kopf des Toten S. gefunden worden. Ergänzend zu den Verletzungen des Getöteten S. gibt Kleiber bekannt: „Das Gesicht war unkenntlich und am gesamten Körper konnten Knochenbrüche festgestellt werden.“

Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff sprach in der Urteilsbegründung von einem „ausgesprochenen widerwärtigen“ Verbrechen und fügt hinzu, dass die beiden Männer ihr Opfer nicht nur verletzten, sondern „vernichten“ wollten. Mit „diabolischer“ Freunde habe der 24-jährige K. mit einem Papierkorb aus Metall auf sein Opfer eingeschlagen, so Steinhoff zu K. und fügt hinzu: „Möge er möglichst lange im Gefängnis sitzen.“ Ferner strapazierte Sebastian K. die Geduld der Prozessbeteiligten durch sein ungebührliches Verhalten am Tag der Urteilsverkündung erheblich. So verfolgte der 24-jährige das Plädoyer von Oberstaatsanwalt Christian Preissner mal kopfschüttelnd, mal einen „Vogel“ zeigend oder oft sogar grinsend.

Die Frage nach dem Motiv für diesen Gewaltexzess führt zu rechtsextremen Einstellungen der Täter. Im seinem Plädoyer attestiert Oberstaatsanwalt Christian Preissner Sebastian K. und Thomas F. eine „tiefe innere Miss- und Verachtung“ für ihr Opfer und ein „Gefühl der Überlegenheit“ über den Mann, der in ihren Augen so ein „Penner“ oder „Asozialer“ sei.

Ferner verweist Preissner auf deutliche Indizien für die braune Gesinnung von K. und F. So hatte ein Beamter vor Gericht am dritten Prozesstag bezeugt, das auf den Handys der beiden Angeklagten Hakenkreuze, die Parole „Juden sind unser Unglück“, Lieder der neonazistischen Bands „Sturmwehr“ und „Zillertaler Türkenjäger“ gefunden hatte. So kombinieren z.B. die „Zillertaler Türkenjäger“ bekannte Schlagermelodien mit rassistischen Texten. Die in der rechten Szene populäre CD ist in Deutschland verboten. Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat wegen der rechtsextremen Inhalte auf den Handys gesonderte Ermittlungen eingeleitet.

Der Polizeihauptmeister Jürgen E. (50) erinnert sich am dritten Prozesstag vor Gericht, dass der festgenommene Sebastian K. mit seiner Thor-Steiner-Kleidung geprahlt und zudem getönt habe, dass „diese sehr teuer sei und ihr euch das nicht leisten könnt.“ Thor Steinar ist eine Modemarke, die in der Neonaziszene äußerst beliebt ist. Dieser Trend kommt nicht von ungefähr. Im Gegensatz zu Marken wie Lonsdale oder Fred Perry, die aus normalen Sportgeschäften stammen und von Rechtsextremen vereinnahmt wurden, gab es Thor Steinar anfangs fast ausschließlich bei einschlägigen Naziläden- und Versänden zu kaufen. Am zweiten Prozesstag hat die Mutter von K. über rechtsextreme Aktivitäten ihres Sohnes berichtet. Die 48-jährige Christian K. gibt zu Protokoll, als K. noch bei ihr gelebt habe, gab es in seinem Zimmer „Bilder“ und „eine Fahne“ der rechten Szene. Die 48-jährige Mutter habe sich dies verbeten, worauf K. die Utensilien abnehmen musste. Die Freundin von Sebastian K. sagt am zweiten Prozesstag, dass er im Sommer 2008 aus der Szene habe aussteigen wollen.

Sebastian K. wurde außerdem am zweiten Verhandlungstag von einem Zeugen schwer belastet. Cornelius R., ein ehemaliger Mithäftling der Vollzugsanstalt Dessau, in der K. in Untersuchungshaft einsaß, will gehört haben, wie K. mit der Tat prahlte. „Der war doch asozial. Der hat´s nicht anders verdient.“, soll K. demnach gegenüber R. in der Haft gesagt haben. Er habe es jedem erzählt, „der es hören wollte“.

Auf seine rechtsextremen Aktivitäten angesprochen, gibt der 34-Jährige Thomas F. zu Protokoll, dass er Anfang der 90er Jahre aktiv in der Szene gewesen sei, es ihm aber nichts gebracht habe, „weshalb er sich lösen wollte.“ Nur weil das Oberverwaltungsgericht Naumburg das Verbot des Tragens des alten Thor- Steinar-Logos am 20. Mai 2008 aufgehoben hatte, kam es am 22. Mai 2008 vor dem Amtsgericht Dessau-Roßlau nicht zu einem Prozess gegen Thomas F. wegen des Verwendens von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen. F. trug am 6. Dezember 2007 eine Jacke mit mehreren einschlägigen Applikationen. Vor dem Amtsgericht gab der Angeklagte Thomas F. damals an, das er die Jacke vor ihrer Beschlagnahmung drei Jahre besessen und in Leipzig gekauft habe. Sachsen-Anhalt war damals eines der letzten Bundesländer, in dem das alte Thor-Seinar-Logo verboten war.

Die Aussagen der beiden Angeklagten während der Verhandlung, sie hätten sich von der rechten Szene distanziert, halten Prozessbeobachter indes für unglaubwürdig.

Was sich in den Köpfen von Sebastian S. und Thomas F. abgespielt haben muss, formulierte Rechtsanwalt Dieter Keller, Verteidiger von F., in seinem Plädoyer zutreffend: „Zwei, die fast am untersten Rand der Gesellschaft stehen, trafen auf einen, der ihrer Meinung nach noch tiefer steht.“ Sie hätten „Macht über ihn“ gespürt und diese brutal ausgelebt. Das Opfer wäre in den Augen der beiden Täter ein vermeintlicher „Penner“ gewesen und damit minderwertig. Eine Einstellung, wie sie aus der rechten Szene bekannt sei. „Wir kennen dies alle aus der Literatur.“, so Keller.

Der Hass auf Menschen, die durch das soziale Netz gefallen sind, gehört zum Kernbestand rechter Ideologie. Hans-Joachim S., den Sebastian K. und Thomas F. schlafend auf der Parkbank fanden, sei eben „asozial“ gewesen, rechtfertigte K. seinen tödlichen Gewaltexzess.

Die Grünen in Sachsen-Anhalt fordern das Innenministerium auf, den Mord an Hans-Joachim S. in die Statistik rechtsextremer Gewaltdelikte aufzunehmen. Dies wird von der Dessauer Opferberatungsstelle unterstützt.

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt