der antirassistische newsletter für
dessau und umgebung

<home><17.02.2003>

Hassgruppen - Studie

„Hassgruppen in der deutschen Gesellschaft - Negativ wahrge-nommene Personen im Bild der öffentlichen Meinung“

Erste Ergebnisse einer empirischen Studie des FOKUS-Institutes Halle
(Erhebungszeitraum: 07. bis 19.Oktober 2002, Stichprobe n = 1.846)


______________________________________________________________________________________________


(1)


Die Daten der hier vorgelegten Studie werfen ein interessantes, in mancher Beziehung aber auch schockierendes Schlaglicht auf Teile der „deutschen Seelen- landschaft“. Es zeigt sich, dass in breiterem Umfang deutlich negative Wahr- nehmungsmuster gegenüber Personengruppen bestehen, die dem vorgeprägten Bild einer von vielen Menschen verinnerlichten bzw. gewünschten „Normalität“ nicht ent- sprechen. Einstellungen dieser Art, die theoretisch vor allem durch Erkenntnisse der sozialpsychologischen Stereotyp- und Vorurteilsforschung beleuchtet werden, können den Boden für diskriminierendes, ausgrenzendes und aggressives Verhalten bilden. Ihr Vorhandensein in der „Mitte der Gesellschaft“ ist deshalb sehr ernst zu nehmen und stellt in gewisser Hinsicht sogar ein alarmierendes Signal dar.


(2)

Vgl. u. a.: Lorenz Fischer/Günter Wiswede: Grundlagen der Sozialpsychologie. Soziale Ein-stellungen. Das Vorurteil. München 1997, S. 257ff; Peter Altvater/Maren Stamer: Alltägliche Fremden- feindlichkeit. Interpretationen sozialer Deutungsmuster. Münster 2000.


In den letzten Monaten veröffentlichte Studien zu fremdenfeindlichen und/oder antisemitischen Positionen haben auf die doch relativ weite Verbreitung solcher Negativreflexionen hingewiesen. Zur Vertiefung bereits bestehender Problemsichten wurde bei der hier präsentierten Untersuchung ein besonderer methodischer Ansatz gewählt: Auf der Grundlage der schriftlich-anonymen Befragung einer sorgfältig getesteten repräsentativen Stichprobe aus der wahlberechtigten Bevölkerung unter- suchte man sowohl mögliche Negativwahrnehmungen von verschiedenen „auf- fälligen“ Gruppen als auch „persönliche Gründe“ für die entsprechenden Meinungen (siehe Anhang: Auszug Erhebungsbogen, Fragestellungen im Original). Auf dieser Basis war eine klare Strukturierung der Aussagen und der Zuordnungen möglich. Wohl wissend um den Ernst der zur Diskussion gestellten Thesen, bemühte sich dabei das Forschungsteam um nachprüfbare methodische Sorgfalt. Alle hier vorge- legten Daten können innerhalb geringer, vertretbarer Fehlergrenzen als gesichert gelten.


(3)


Betrachtet man die Wahrnehmungen aller untersuchten Gruppen im Überblick (siehe Tabelle 1), fällt ins Auge: Die Beurteilung verschiedener Gruppierungen weist eine recht klare Rangfolge mehrerer Einzelnennungen bzw. Nennungskomplexe auf. Deutliche Mehrheiten zeigen in Hinblick auf „Rechtsradikale“, aber auch in Bezug auf „Drogenabhängige“ negative Reaktionen (siehe Markierungen I und II).

Vgl. u. a. Elisabeth Noelle-Neumann/Thomas Petersen: Alle, nicht jeder. Einführung in die Metho- den der Demoskopie. München 1996, S. 210ff.

 

Tabelle 1: Negativ wahrgenommene Gruppen
Habe negative Wahrnehmung... Ost   West
(Bruttostimmen = Mit Einbeziehung „Keine Antwort“; Angaben in Prozent, gerundet.)
Ja
Teils
Ja+Teils
Ja
Teils
Ja+Teils
I.
Menschen mit rechtsradikalem Outfit
64
20
84
64
18
82
II.
Drogenabhängige
32
38
70
33
38
71
III.
Einwandernde aus Osteuropa
20
29
49
19
28
47
Haftentlassene
6
39
45
8
38
46
Menschen arabischer Herkunft
18
26
44
23
20
43
Personen türkischer Herkunft.
16
27
43
18
18
36
Menschen, die reich aussehen
11
27
38
9
23
31
Obdachlose
6
29
35
13
25
38
Menschen mit HIV-Infektion
7
25
32
10
24
34
Straßenkinder
5
26
31
5
25
30
Ausländer allgemein
7
22
29
10
13
23
Schwule/Lesben
10
18
28
14
16
30
IV.
Menschen mit dunkler Hautfarbe
3
15
18
6
11
17
Menschen asiatischer Abstammung
4
12
16
4
10
14
Menschen jüdischer Herkunft
5
10
15
6
11
17
Menschen, denen man Armut ansieht
2
12
14
3
12
15
V.
Arbeitslose
1
5
6
2
12
14
Junge Menschen
1
4
5
2
6
8
Menschen mit Behinderungen
1
3
4
0
7
7
Alte Menschen
1
2
3
1
6
7

Auf einer dritten Rangstufe, die von etwa 30 bis 50% der Befragten benannt wird, ist ein interessanter „Mix“ verschiedener Gruppen vertreten: „Ausländer“ und Haftent- lassene, aber ebenso „Reiche“ (fast gleichauf mit Obdachlosen), Straßenkinder oder Schwule und Lesben. Vor allem die nachweisbaren Haltungen gegenüber Ein- wanderenden aus dem Osten müssen - nicht zuletzt angesichts des künftigen Ver- hältnisses zu Osteuropa - als sehr problematisch angesehen werden. Ebenso gilt es zu betonen: Kritische Sichten auf „rechte Personen“ und auf „Ausländer“ überschneiden sich allem Anschein nach beträchtlich. Die vereinfachenden, mitunter von Formen einer political correctness geprägten Denkmuster „Hie Ausländerfeinde - da klare Gegner des Rechtsradikalismus!“ entsprechen empirisch nicht der Realität.
Wie auf dem Rangplatz IV ersichtlich, werden durch Bevölkerungsanteile in der Größenordnung von 15 bis 20% Ablehnungen gegenüber weiteren „Ausländer-gruppen“, aber auch in Hinsicht auf Menschen jüdischer Herkunft und in Bezug auf „Arme“ formuliert. Die im V. Komplex angeführten Personengruppen betrachtet man in geringerem Maße kritisch. Dies betrifft auch „Arbeitslose“, die im Westen allerdings erkennbar distanzierter angesehen werden als es in Ostdeutschland der Fall ist.

In der Tabelle 2 sind die von den Befragten benannten Gründe für Negativ- wahrnehmungen dargestellt - hier noch ohne die jeweilige Zuordnung zu den einzelnen Gruppen. Zum einen fällt dabei auf, dass in nachvollziehbarer Weise „Gefährlichkeit" einen erstrangigen Faktor bildet, zum anderen aber, dass die

Tabelle 2: Gründe für Abneigung
(Jeweils in Bezug auf eine besonders benannte Gruppe. Angaben in Prozent, gerundet.) Ost West
I.
Sie sind gefährlich. 56 54
II.
Sie passen sich nicht der Allgemeinheit an. 46 43
Es sind zu viele in diesem Land. 44 52
Sie haben ein schlechtes Benehmen. 39 49
Sie breiten sich mit ihrer Kultur zu stark aus. 35 40
III.
Ich habe persönlich negative Erlebnisse mit ihnen gehabt. 28 36
Ich mag sie einfach nicht. 24 28
Ihr Äußeres gefällt mir nicht. 23 33
Sie leben wie Parasiten. 23 26
Sie sind mir irgendwie zu fremd. 20 22
IV.
Sie nehmen uns Arbeitsplätze weg. 16 17
Etwas anderes. 12 11

gleichsam zweitwichtigsten Gründe durch solche Begriffe wie „fehlende Anpassung“, „Überzahl und schlechtes Benehmen“ sowie „Kulturausbreitung“ charakterisiert sind. Nur rund 30% der Befragten nennen persönliche Erfahrungen als Hintergrund ihrer Antworten; ebenso fällt der (ja durchaus verständliche) Faktor „Fremdheit“ nicht allzu stark ins Gewicht. Die oft diskutierte bzw. vordergründig benannte „Arbeitsplatz- konkurrenz“ nimmt einen der letzten Plätze ein.


(4)


Weiter führende Aussagen sind dann zu gewinnen, wenn man die exakte Zuordnung der jeweiligen Gruppen zu den angeführten Gründen einer problematischen Wahrnehmungen realisiert. In den folgenden Tabellen (siehe 3a bis 3d) wurden die „Negativ-Gruppen“ nach mehreren theoretisch untersetzbaren Dimensionen zusam- mengestellt:

a) Gruppen mit vorwiegend „ethnisch-kulturellen Merkmalen“;
b) Gruppen mit Auffälligkeiten „biologisch geprägter“ Merkmale;
c) Gruppen mit unterschiedlicher „sozialer Positionierung“;
d) Gruppen mit bestimmten „Verhaltensmerkmalen“.

Die Aufzählung der Gründe für die entsprechende Bewertung erfasste zunächst die jeweils drei am häufigsten genannten Faktoren. Ferner wurde auch die Ausprägung solcher für die Interpretation bedeutsamen Motive wie „Hatte mit Personen persönlich negative Erlebnisse“ und „Personen nehmen Arbeitsplätze weg“ hinzu gezogen.

Bereits die Fakten der Tabelle 3a, in der die ethnisch-kulturell geprägten Gruppen erfasst sind, belegen einen übergreifenden Beziehungszusammenhang, der alarmierend wirken muss. In keinem Fall sind es eigene unmittelbare Erlebnisse, die als Hauptgrund negativer Aussagen figurieren. Ebenso wenig stellt die „Arbeits- platzkonkurrenz“ ein dominierendes Element dar. Beide Faktoren rangieren mit Abstand hinter Begründungen wie „Sind zu viele“, „Breiten sich mit ihrer Kultur aus“ oder „Passen sich nicht an“. Einige dieser „Argumente“ - wie z. B. das scheinbare Vorhandensein einer „Überzahl“ von Ausländern in Ostdeutschland - tragen gewissermaßen irrationale Züge, die eines Irrationalismus allerdings, der gefährlich sein kann. Dies wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn man die Meinungen derer betrachtet, die von antijüdischen Vorbehalten ausgehen (siehe Tabelle 3a, letzte Zeile).

Tabelle 3a: Hauptgründe für negative Empfindungen direkt auf Gruppen bezogen: Gruppen mit der Gesamtcharakteristik „Ethnisch-kulturelle Merkmale“
Personengruppe/Anteile Rangplatz des Grundes und benannte Häufigkeit (Angabe nur von den Probanden, welche die jeweilige Gruppe aufführten! Lies 1. Zeile: Von den jeweiligen Befragten im Osten, die Einwandernden aus Osteuropa ablehnend gegenüber stehen, nannten 82% als Grund: „Sie passen sich nicht der Allgemeinheit an.“ usf.)
(Angaben in Prozent, gerundet) Ost West
Einwandernde aus Osteuropa(O = 20-49٭, W = 19-47) 1. Passen sich nicht an (82), 2. Breiten sich mit Kultur aus (60), 3. Sind zu viele (56) 1. Sind zu viele (77), 2. Breiten sich mit Kultur aus (68)/Passen sich nicht an (68)
Hatte negative Erlebnisse (35), Arbeitsplätze weg (27) Hatte negative Erlebnisse (41), Arbeitsplätze weg (34)
Menschen arabischer Herkunft(O = 18-44, W = 23-43) 1. Passen sich nicht an (75), 2.Breiten sich mit Kultur aus (67), 3. Sind zu viele (55) 1. Sind zu viele (65), 2. Passen sich nicht an (63), 3. Breiten sich mit Kultur aus (62)
Hatte negative Erlebnisse (40), Arbeitsplätze weg (22) Hatte negative Erlebnisse (55), Arbeitsplätze weg (38)
Personen türkischer Herkunft(O = 16-43, W = 18-36) 1. Passen sich nicht an (81), 2. Breiten sich mit Kultur aus (71), 3. Sind zu viele (56) 1. Sind zu viele (81), 2. Breiten sich mit Kultur aus (80),3. Passen sich nicht an (68)
Hatte negative Erlebnisse (40), Arbeitsplätze weg (27) Hatte negative Erlebnisse (65), Arbeitsplätze weg (38)
Ausländer allgemein(O = 7-29, W = 10-23) 1. Sind zu viele (79), 2. Passen sich nicht an (71), 3. Breiten sich mit Kultur aus (61) 1. Sind zu viele (95), 2. Breiten sich mit Kultur aus (89), 3. Passen sich nicht an (82)
Arbeitsplätze weg (50), Hatte negative Erlebnisse (35) Hatte negative Erlebnisse (68), Arbeitsplätze weg (57)
Menschen mit dunkler Hautfarbe(O = 3-18, W = 6-17) 1. Sind zu viele (84), 2. Breiten sich mit Kultur aus (77), 3. Leben wie Parasiten (74) /Passen sich nicht an (74) 1. Breiten sich mit Kultur aus (96)/Passen sich nicht an (96),2. Sind zu viele (94), 3. Haben schlechtes Benehmen (81)
Hatte negative Erlebnisse (53), Arbeitsplätze weg (49) Hatte negative Erlebnisse (74), Arbeitsplätze weg (56)
Menschen asiatischer Abstammung(O = 4-16, W = 4-14) 1. Passen sich nicht an (85), 2. Sind zu viele (84), 3. Breiten sich mit Kultur aus (82) 1. Breiten sich mit Kultur aus (93), 2. Sind zu viele (88), 3. Hatte negative Erlebnisse (68)
Arbeitsplätze weg (60), Hatte negative Erlebnisse (49) Arbeitsplätze weg (43)
Menschen jüdischer Herkunft(O = 5-15, W = 6-17) 1. Sind gefährlich (64), 2. Passen sich nicht an (60), 3. Breiten sich mit Kultur aus (56) 1. Breiten sich mit Kultur aus (66), 2. Sind zu viele (64), 3. Passen sich nicht an (61)
Hatte negative Erlebnisse (38), Arbeitsplätze weg (24) Hatte negative Erlebnisse (55), Arbeitsplätze weg (38)
O = Ost, W = West. Die Zahlenspanne verdeutlicht den Anteil im „engen“ und im „weiten“ Sinne (klare Ab- neigung bzw. klare und mittlere Abneigung - siehe Tabelle 1). Aussagen im Original siehe Tabelle 2.

Der hier angesprochene vorurteilsgeprägte Irrationalismus von gewichtigen Teilen der Bevölkerung tritt auch bei der Bewertung von Gruppen mit besonderen „biolo- gischen Merkmalen“ zu Tage (siehe Tabelle 3b). Die Anzahl und die Meinungen derer, die beispielsweise im aufgeklärten Deutschland unserer Tage Personen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung ablehnen, wirkt schockierend. „Alte Menschen“ werden in Westdeutschland auffallend kritischer wahrgenommen als im Osten; ein Umstand, der auf Besonderheiten eines hier besonders ausgeprägten „Generationenkonflikts“ hinzuweisen scheint (siehe dazu auch Anhang, Tabelle A: Konflikt „Alt vs. Jung“).

Tabelle 3b: Hauptgründe für negative Empfindungen direkt auf Gruppen bezogen: Gruppen mit der Gesamtcharakteristik „Eher biologische Merkmale“
Personengruppe/Anteile Rangplatz des Grundes und benannte Häufigkeit
(Angaben in Prozent, gerundet) Ost West
Schwule/Lesben(O = 10-28, W = 14-30) 1. Sind gefährlich (55), 2. Passen sich nicht an (52), 3. Mag sie einfach nicht (46) 1. Passen sich nicht an (70),2. Sind zu viele (68), 3. Habenschlechtes Benehmen (61)
Arbeitsplätze weg (26), Hatte negative Erlebnisse (17) Hatte negative Erlebnisse (48), Arbeitsplätze weg (36)
Junge Menschen(O = 1-5, W = 2-8) 1. Passen sich nicht an (67),2. Sind zu viele (61), 3. Sind gefährlich (55) 1. Sind gefährlich (63), 2. Haben schlechtes Benehmen (57), 3. Mag sie einfach nicht (52)
Arbeitsplätze weg (40), Hatte negative Erlebnisse (39) Hatte negative Erlebnisse (51), Arbeitsplätze weg (22)
Menschen mit Behinderungen(O = 1-4, W = Bis 7) 1. Haben schlechtes Benehmen (58), 2. Passen sich nicht an (57), 3. Sind gefährlich (45) 1. Sind gefährlich (66), 2. Sind zu viele (61), 3. Haben schlechtes Benehmen (58)
Hatte negative Erlebnisse (28), Arbeitsplätze weg (23) Hatte negative Erlebnisse (41), Arbeitsplätze weg (29)
Alte Menschen(O = 1-3, W = 1-7) 1. Sind zu viele (61), 2. Haben schlechtes Benehmen (58), 3. Hatte negative Erlebnisse (47) 1. Haben schlechtes Benehmen (82), 2. Sind zu viele (68), 3. Sind gefährlich (55)
  Hatte negative Erlebnisse (41)

 

In Hinblick auf die Bewertung von Menschen in unterschiedlichen sozialen Positionen bzw. Schichtungen ist zu betonen (siehe Tabelle 3c): Rund ein Drittel der befragten Wahlberechtigten artikuliert Ablehnung von „Reichen“ - dies im Osten stärker als in den westlichen Bundesländern, in denen allerdings die Gründe der Ablehnung klar konturierter hervor treten.

Tabelle 3c: Hauptgründe für negative Empfindungen direkt auf Gruppen bezogen: Gruppen mit der Gesamtcharakteristik „Soziale Positionierung“
Personengruppe/Anteile Rangplatz des Grundes und benannte Häufigkeit
(Angaben in Prozent, gerundet) Ost West
Menschen, die reich aussehen(O = 11-38, W = 9-31) 1. Mag sie einfach nicht (56), 2. Passen sich nicht an (44), 3. Sind zu fremd (42) 1. Haben schlechtes Benehmen (75), 2. Hatte negative Erleb-nisse (60), 3. Sind zu viele (54)
Hatte negative Erlebnisse (39), Arbeitsplätze weg (14) Arbeitsplätze weg (33)
Menschen, denen man Armut ansieht(O = 2-14, W = 3-15) 1. Sind gefährlich (64), 2. Passen sich nicht an (56), 3. Sind zu viele (54) 1. Sind zu viele (73), 2. Haben schlechtes Benehmen (66),3. Passen sich nicht an (59)
Hatte negative Erlebnisse (38), Arbeitsplätze weg (22) Hatte negative Erlebnisse (41), Arbeitsplätze weg (25)
Arbeitslose(O = 1-6, W = 2-14) 1. Sind gefährlich (59), 2. Haben schlechtes Benehmen (55), 3. Passen sich nicht an (54) 1. Sind zu viele (62), 2. Sind gefährlich (60), 3. Passen sich nicht an (59)
Hatte negative Erlebnisse (33) Hatte negative Erlebnisse (54)

 

Beide Faktoren können als Argument zur Begründung der Hypothese gelten, dass Deutschland künftig aller Wahrscheinlichkeit nach in größerem Maße von „Sozialkonkurrenz“ (einschließlich „Sozialneid“) geprägt sein wird. Dafür sprechen auch die empirischen Fakten aktueller Konfliktmessungen (siehe Anhang, Tabelle A). Der Konflikt zwischen „Arm“ und „Reich“ steht mit Abstand an der Spitze zahlreicher untersuchter Widerspruchspaare.

Bei der Wahrnehmung von Gruppen mit „negativen Verhaltensmerkmalen“ (siehe Tabelle 3d) fällt zunächst die deutlich ablehnende Bewertung von „Rechtsradikalen" aufgrund ihrer Gefährlichkeit und ihres Benehmens ins Auge. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung bekundet kritische Sichten aber auch gegenüber solchen Gruppierungen (Drogenabhängige, HIV-Infizierte, Obdachlose usf.), bei denen im Grunde an Stelle von Angst oder Zurückweisung eher Toleranz und Solidarität angebracht wären. Hier spricht wenig dafür, dass die Integration von Benachteiligten zu einem übergreifend wirkenden Wert geworden ist.

Tabelle 3d: Hauptgründe für negative Empfindungen direkt auf Gruppen bezogen: Gruppen mit der Gesamtcharakteristik „Negative Verhaltensmerkmale“
Personengruppe/Anteile Rangplatz des Grundes und benannte Häufigkeit
(Angaben in Prozent, gerundet) Ost West
Menschen mit rechtsradikalem Outfit(O = 64-84, W = 64-82) 1. Sind gefährlich (83), 2. Haben schlechtes Benehmen (48), 3. Sind zu viele (44) 1. Sind gefährlich (78), 2. Haben schlechtes Benehmen (55),3. Sind zu viele (45)
Hatte negative Erlebnisse (29), Arbeitsplätze weg (7) Hatte negative Erlebnisse (21), Arbeitsplätze weg (3)
Drogenabhängige(O = 32-70, W = 33-71) 1. Sind gefährlich (60), 2. Sind zu viele (47), 3. Haben schlechtes Benehmen (41) 1. Haben schlechtes Benehmen (67), 2. Sind gefährlich (57), 3. Sind zu viele (46)
Hatte negative Erlebnisse (28), Arbeitsplätze weg (16) Hatte negative Erlebnisse (37), Arbeitsplätze weg (4)
Haftentlassene(O = 6-45, W = 8-46) 1. Sind gefährlich (68), 2. Passen sich nicht an (46), 3. Hatte negative Erlebnisse (37) 1. Sind gefährlich (72), 2. Ha-ben schlechtes Benehmen (68), 3. Passen sich nicht an (67),
Arbeitsplätze weg (10) Hatte negative Erlebnisse (56), Arbeitsplätze weg (41)
Obdachlose(O = 6-35, W = 13-38) 1. Haben schlechtes Benehmen (45), 2. Sind gefährlich (45), 3. Mag sie einfach nicht (42) 1. Sind gefährlich (68), 2. Ha-ben schlechtes Benehmen (64),3. Sind zu viele (57)
Hatte negative Erlebnisse (33), Arbeitsplätze weg (12) Hatte negative Erlebnisse (56), Arbeitsplätze weg (31)
Menschen mit HIV-Infektion(O = 7-32, W = 10-34) 1. Passen sich nicht an (68), 2. Sind gefährlich (61), 3. Sind zu viele (58) 1. Passen sich nicht an (68),2. Haben schlechtes Benehmen (62), 3. Sind zu viele (59)
Arbeitsplätze weg (38), Hatte negative Erlebnisse (36) Hatte negative Erlebnisse (44), Arbeitsplätze weg (34
Straßenkinder(O = 5-31, W = 5-30) 1. Haben schlechtes Benehmen (83), 2. Sind gefährlich (76), 3. Sind zu viele (60) 1. Breiten sich mit Kultur aus (67), 2. Hatte negative Erleb-nisse (66), 3. Passen sich nicht an (52)
Hatte negative Erlebnisse (15), Arbeitsplätze weg (18)

(5)

In einer kurzen zusammenfassenden Interpretation der gewonnene Daten kann festgehalten werden:

a)

In beachtlichen Größenordungen sind Negativbekundungen gegenüber den verschiedenartigsten Personengruppen mit „abweichenden Merkmalen“ empirisch nachweisbar. Die dabei als Gründe heran gezogenen Argumente beinhalten in nicht geringem Maße Anschauungen, die eher durch „Logiken des Vorurteils“ als durch humanistisch-rationale Überlegungen erklärt werden können. Vor allem in Bezug auf Menschen anderer Ethnien oder anderer kultureller Hintergründe treten Forderungen nach „Anpassung“, gepaart mit mehr oder weniger deutlicher kultureller Gegner- schaft und „Überfremdungsängsten“, zu Tage. Dem Anschein nach handelt es sich bei den Begründungsversuchen um in sich widersprüchliche, emotional gefärbte Einstellungs-Mischungen, die aber auch für ein gleichsam nur schlafendes Aggres- sionspotenzial stehen. Insofern müssen die empirisch gewonnenen Fakten als klare politische Warnung verstanden werden. Schlagen die hier umrissenen „Seelenzu-stände“ unter bestimmten Bedingungen in Handeln um, dann sind verstärkte Diskri-minierungen, Übergriffe oder Gewalttaten nicht auszuschließen.

b)

Die anhand zugänglicher Daten formulierbaren Erklärungsmuster für die diskutierten Einstellungen bilden selbstverständlich einen Komplex von Kausal- beziehungen. Differenzierte Einzelanalysen verweisen darauf, dass die oft vermutete „materielle Benachteiligung“ nur in geringem Maße als Basis von Vorurteilsbildungen wirkt, dass aber die Faktoren „Bildung“ und „Zukunftsangst“ einen nachweisbaren Einfluss auf die Entstehung von Negativurteilen, vor allem bei der Bewertung ethnisch-kultureller Gruppen, haben. Die in den Tabellen A und B des Anhangs dargestellten Fakten verweisen in der Tat darauf, dass die deutlich wahrgenom- menen gesellschaftlichen Konflikte und die kritischen Zukunftssichten für zahlreiche Menschen zur Quelle von Frustration und Verunsicherung geworden sind. Auf diese Weise bedrohte (soziale) Selbstbilder können Abwehrmechanismen produzieren, die mit der Negativbewertung von Fremdgruppen einher gehen. Die Fakten der Untersuchung sprechen dafür, dass in diese Zusammenhänge Probleme kultureller Werte und Identitäten stärker als vermutet einbezogen sind. Es muss dabei zu denken geben, wenn in breiterem Umfang die Wahrnehmung „fremder“ Kulturen eher als Bedrohung denn als Bereicherung aufgefasst wird.

c)

Die mit den Daten der Studie ermittelten Negativurteile über Personengruppen mit „andersartigen“ Merkmalen weisen eine deutliche Emotionsgebundenheit auf. Dies könnte als Bestätigung für folgende seit einiger Zeit diskutierte sozialwissen- schaftliche Überlegungen gelten: Wenn man davon ausgeht, dass die meisten Menschen gegenwärtig mit einem Reiz- und Informationsüberschuss von komplexer und in sich widersprüchlicher Natur konfrontiert werden, dann sind zur Bewältigung dessen beachtliche kognitive Leistungen und Kompetenzen nötig. In einer solchen Situation liegt es für viele Personen nahe, „sich vom Gefühl leiten zu lassen“, d. h. vorrangig auf emotionale Bewertungsschemata zurück zu greifen. Eine zunehmende „Umweltbewertung per Emotion“ muss jedoch als zweischneidig bezeichnet werden. Sie kann sowohl der Manipulation der Bevölkerung als auch der Ausbreitung dumpf-spontaner Denk- und Handlungsweisen Tür und Tor öffnen. Ohne jede Romanti-sierung einer „neuen Aufklärung“ sollen deshalb die Resultate der hier vorgelegten Untersuchung als Appell verstanden werden, gerade in Zeiten von Rezession und Krise um eine Urteilsfähigkeit zu ringen, bei der die Logik der Argumente und die menschliche Solidarität erhalten bleiben.

Vgl. u. a. Ansgar Klein/Frank Nullmeier: Masse-Macht-Emotionen. Zu einer politischen Soziologie der Emotionen. Opladen 1999; Michael Chrapa: Mediennutzung und Problembewusstsein der Bevölkerung in modernisierten Gesellschaften. Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin 2000.
In Hinsicht auf mediale Berichterstattung betont dazu H.-B. Brosius „Emotionale Bilder haben das Potential, die Thematisierung eines Sachverhaltes und seine wahrgenommene Wichtigkeit zu beein- flussen. Emotionale Bilder geben dem berichteten Sachverhalt einen anderen thematischen Schwer- punkt und lassen ihn bedeutsamer erscheinen.“ In: Hans-Bernd Brosius: Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption. Opladen 1995, S. 314-315.

Anhang:


I. Weitere ausgewählte empirische Fakten

Tabelle A: Wahrnehmung von Konflikten in der deutschen Gesellschaft (Okt. 2002)
(Angaben in Prozent, gerundet) Ost West
Konflikt ist...
Konflikt wird...
Konflikt ist...
Konflikt wird...
Konflikt...
Sehr stark/Stark
Ge-ring
An-wachsen
Ab-nehmen
Sehr stark/Stark
Ge-ring
An-wachsen
Ab-nehmen
I.
Arm - Reich
80
1
84
1
70
4
70
6
Arbeitgeber - Arbeitnehmer
69
5
61
3
64
8
50
8
Oben - Unten
66
6
58
4
62
11
50
7
Umweltschutz - Wirtschaftsinteressen
66
4
57
5
69
4
59
8
II.
Ost - West
57
6
24
32
46
13
18
41
Wert 1998
57
7
38
19
/
/
/
/
Ausländer - Deutsche
56
5
53
7
53
8
52
12
Links - Rechts
52
8
39
7
50
15
34
13
III.
Jung - Alt
37
18
39
7
48
20
46
11
Familien mit Kindern - Singles
34
26
30
10
43
24
42
11
Männer - Frauen
16
46
11
16
20
48
10
29

 

Tabelle B: Meinungen zur Gesellschaft und zur politischen Aktivität (Oktober 2002)
(Antworten: Trifft zu..: 1+2: Ganz genau+Überwiegend, 4+5: Eher nicht+ Überhaupt nicht. Angaben in Prozent, gerundet)
Ost
West
 
1+2
4+5
1+2
4+5
Dimension: „Gesellschaft“
(1) Ich glaube, die Gesellschaft muss sich in Zukunft grundlegend ändern.
77
6
72
10
Werte Mitte 2001
73
5
59
14
(2) Ich glaube, wenn alles so weitergeht wie bisher, steuern wir auf eine Katastrophe zu.
53
22
60
21
Werte Mitte 2001
54
18
43
30
(3) In der Gesellschaft regiert das Prinzip der Chancengleichheit, nicht das „Recht der Stärkeren“.
13
70
22
53
Werte Mitte 2001
18
62
21
53
Dimension: „Möglichkeiten im politischen System“
(4) Es gibt doch eine Menge Möglichkeiten, sich politisch einzubringen und etwas zu verändern.
25
38
32
38
(5) In der Gesellschaft etwas verändern zu wollen, ist sowieso zwecklos.
26
47
24
52
(6) Ich kenne Politikerinnen/Politiker, denen ich vertraue.
23
49
21
52
Dimension: „Persönliche Aktivität“
(7) Ich würde mich schon politisch engagieren, aber nur dort, wo ich weiß, dass es sich lohnt.
35
37
45
31
(8) Entsprechend meinen Möglichkeiten bin ich politisch aktiv.
14
64
14
67
(9) Ich lebe mein Leben, alles andere ist mir egal.
6
77
11
75

II. Auszug aus dem verwendeten Erhebungsbogen: Fragestellungen im Original

12. Die nächste Frage ist mit einigen der oben genannten Konflikte in der Gesellschaft verbunden. Kommt es in Ihrem Leben vor, dass Sie bei Begegnungen eine spürbare Abneigung gegenüber Personen aus einigen der nachfolgend genannten Gruppen empfinden? Wenn ja, bei welchen Gruppen ist dies der Fall? (Bitte Zutreffendes ankreuzen!)Empfinde Abneigung...
  Ja Etwas Nein   Ja Etwas Nein
1. Menschen arabischer Herkunft (    ) (    ) (    ) 11. Menschen asiatischer Abstammung (    ) (    ) (    )
2. Obdachlose (    ) (    ) (    ) 12. Alte Menschen (    ) (    ) (    )
3. Menschen mit dunkler Hautfarbe (    ) (    ) (    ) 13. Drogenabhängige (    ) (    ) (    )
4. Menschen jüdischer Herkunft (    ) (    ) (    ) 14. Junge Menschen (    ) (    ) (    )
5. Ausländer allgemein (    ) (    ) (    ) 15. Einwandernde aus Osteuropa (    ) (    ) (    )
6. Menschen mit HIV-Infektion (    ) (    ) (    ) 16. Menschen mit Behinderungen (    ) (    ) (    )
7. Menschen mit rechtsradikalem Outfit (    ) (    ) (    ) 17. Haftentlassene (    ) (    ) (    )
8. Schwule/Lesben (    ) (    ) (    ) 18. Arbeitslose (    ) (    ) (    )
9. Straßenkinder  (    ) (    ) (    ) 19. Menschen, die reich aussehen (    ) (    ) (    )
10. Menschen, denen man Armut ansieht (    ) (    ) (    ) 20. Personen türkischer Herkunft. (    ) (    ) (    )
13. Falls Ihnen Personen einer Gruppe unangenehm sind: Wenn Sie die Gruppe mit der stärksten Abneigung betrachten, welche Gründe gibt es bei Ihnen für negative Empfindungen?(Mehrfachantworten möglich, bitte ankreuzen!)
Für Personen dieser Gruppe (Bitte Ziffer der Gruppe aus Frage 12 einsetzen .......... !) trifft zu:
Es sind zu viele in diesem Land.
(    )
Sie sind gefährlich.
(    )
Sie haben ein schlechtes Benehmen.
(    )
Ich mag sie einfach nicht.
(    )
Ich habe persönlich negative Erlebnisse mit ihnen gehabt.
(    )
Sie nehmen uns Arbeitsplätze weg.
(    )
Sie sind mir irgendwie zu fremd.
(    )
Sie leben wie Parasiten.
(    )
Ihr Äußeres gefällt mir nicht.
(    )
Sie breiten sich mit ihrer Kultur zu stark aus.
(    )
 
Sie passen sich nicht der Allgemeinheit an.
(    )
Etwas anderes (Eventuell kurz ein Stichwort notieren!)

 

Autor: Dr. Michael Chrapa
Soziologe, Jugend- und Parteienforscher, Vorsitzender des FOKUS-Institutes Halle
Leiter des Projektes der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Analysen zur politischen Meinungsbildung“
Fon: +49-172-3548059

e-mail: chrapa@aol.com

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Die Redaktion bedankt sich ausdrücklich bei Dr. Michael Chrapa vom Fokus-Institut Halle für die freundliche Überlassung dieses Vorabdruckes.

 


  Jahrgang 2003 | Ausgabe 01 | 17. Februar 2003