„Ich bin kein Nazi!“ – „Aber wir sind welche!“

extrem rechte Black-Metaller schlagen Jugendlichen zusammen // Bewährungsstrafen und Freizeitarrest // Alkohol als Freizeitgestaltung, NS-Parolen und Volksverhetzung als Provokation


Am 25. Mai 2009 wurde am Amtsgericht Dessau-Roßlau Körperverletzungen und andere Straftaten gegen drei Heranwachsende verhandelt, die sich selbst als „NSBM`er“ (NSBM = National Socialist Black Metal) bezeichnen. Den Heranwachsenden zwischen 17 und 20 Jahren ist zur Last gelegt worden, dass sie am 08. November 2008 im Bereich des Dessauer Hauptbahnhofes einen Jugendlichen zunächst als „Scheiß Nazi“ bezeichnet hätten. Nachdem der Jugendliche äußerte, kein Nazi zu sein, gaben ihm die Täter zu verstehen: „Wir sind aber welche.“ Infolgedessen hätten die Täter ihn zusammengeschlagen, auch als er bereits am Boden gelegen habe. Freizeitarrest und Bewährungsstrafen verhängte das Gericht für die jungen Männer, gegen die in Vergangenheit bereits wegen Straftaten wie das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen (§86a StGB), Volksverhetzung (§130 StGB) u.a. ermittelt und geurteilt worden ist.


NSBM – National Socialist Black Metal

NSBM – National Socialist Black Metal ist eine neonazistische Minderheit in der Subkultur des Black Metal, die die Black Metal-typische Terminologie von Zerstörung, Apokalypse und Krieg in einen pronazistischen Kontext stellt. In diesem Bereich der Subkultur gehen Verherrlichung des Holocaust und eines extremen Neonazismus einher mit der Ablehnung des selbst definierten „Widernatürlichen“ und „Schwachen“. Oft werden von den Anhängern Gewaltakte gegen vermeintlich „lebensunwerte“ Menschen begangen. Zweifelhaften Kultstatus haben in dieser Szene Mitglieder inne, die ihre Menschenverachtung in die Tat umsetzten. So zum Beispiel der als „Satansmörder“ Berühmtheit erlangte Hendrik Möbus, der 1994 mit zwei weiteren Mitglied der thüringschen Band „Absurd“ wegen Mordes an einem Mitschüler verurteilt worden ist. In den letzten Jahren ist eine Öffnung des Rechtsrockspektrums gegenüber dem Black Metal vielerorts zu beobachten.

Viel ist von den Aussagen der Angeklagten vor Gericht nicht zu verstehen gewesen. Entgegen ihres sonstigen Artikulationsverhaltens während der häufig mit Alkohol gestalteten Freizeit, gaben sie sich im Gerichtssaal sehr wortkarg, geradezu als wollten sie vermeiden, dass man sie bis auf die Zuschauerplätz verstehen könnte. Auch am Abend des 08. Novembers 2008 seien die drei Freunde alkoholisiert gewesen und hätten sich im Bereich des Hauptbahnhofs aufgehalten. Der spätere Geschädigte Sven N.* sagt aus, auf seinen Zug gewartet zu haben, als er, vermutlich wegen seiner Bundeswehrjacke, von den drei Heranwachsenden angefeindet worden sei. Der eher schmächtig wirkende Sven N.* soll die drei alkoholisierten Heranwachsenden „dumm gemacht“ haben, sagt der 19jährige Angeklagte Marcel D. aus. U.a. als „Schwuchtel“ soll der Jugendliche sie beleidigt haben, sagt der Angeklagte Marcel D. aus.

„Ich hab ihm eine geknallt.“

Nachdem seine Kumpanen mit dem später Geschädigten geredet haben sollen, sei Marcel D. zu diesem hin und habe ihn einmal mit der Faust auf die Nase geschlagen, gibt er zu Protokoll. Dass Sven N.* von den beiden Mittätern noch weitere Schläge und auch Tritte erhalten habe, will er nicht wahrgenommen haben. Björn K. könne sich heute überhaupt nicht mehr erinnern, den Geschädigten geschlagen zu haben. Sein jüngerer Bruder Lars K. gibt hingegen zu Protokoll: „Ich hab ihm eine geknallt.“ Auch dass er den Geschädigten gegen den Oberschenkel getreten haben soll, bestätigt er. „Ich glaube nicht.“, antwortet Lars K. auf die Frage, ob seiner Meinung nach von dem Geschädigten irgendwelche Aggressionen ausgegangen seien.

„Ich bin kein Nazi!“ – „Aber wir sind welche!“

Der Zeuge Sven N.* sagt aus, dass er an diesem Abend gegen 22.15 Uhr auf seinen Zug gewartet hätte, als erst Björn K. zu ihm gekommen sei, ihn sogleich gegriffen habe und ihn als „Nazi“ betitelt hätte, weil er zu diesem Zeitpunkt eine Bundeswehrjacke getragen hätte. „Ich bin kein Nazi!“ habe der Zeuge N.* zu den selbst bezichtigenden NS-Black-Metallern gesagt. „Aber wir sind welche!“, hätten diese ihm daraufhin entgegnet. Der Geschädigte gibt zu Protokoll, im Vorfeld nichts zu den Angeklagten gesagt zu haben und auch anderweitig keine Anlass für solch einen Angriff geliefert zu haben. Zudem sei er nüchtern gewesen an diesem Abend.

Björn K. habe ihn „am Schlawittchen gepackt“. Dann habe er Schläge und auch Tritte abbekommen. Tritte und Schmerzen auch am Kopf habe er gespürt, als er schon am Boden lag. Vielleicht fünf Minuten, denkt der Geschädigte, könnten die Misshandlungen gegen ihn gedauert haben, wegen denen er sich anschließend auch ins Krankenhaus begeben habe. Ein Lokführer haben sich den Geschehnissen genähert. Laut Vernehmungsakte habe dieser ausgesagt, jemanden mit Spitzbart gesehen zu haben, der eine andere Person ins Gesicht geschlagen hätte. In diesem Zuge habe er auch Anfeindungen wie „Zecke“ vernommen. Der Lokführer Harald H. sagt aus, dass er die Täter aufgefordert habe, aufzuhören, was diese zunächst auch taten. Der Lokführer habe den Geschädigten zunächst mit in einen Aufenthaltsraum im Bahnhof genommen, um ihn vor den Angreifern zu schützen.

„Kapierst du es nicht? Aber wir sind welche!“

Als sie diesen Raum wenige Zeit später wieder verließen, um auf die gerufenen Polizeibeamten zu warten, hätten die Täter abermals versucht Sven N.* zu attackieren. Nachdem erfolgten Rückzug in den Aufenthaltsraum habe Björn K. gegen die Tür getreten. Der Geschädigte äußerte sich ob der Anfeindungen wiederholt zu den Täter mit: „Ich bin kein Nazi!“ Die Angreifer stellten infolgedessen nochmals klar: „Kapierst du es nicht? Aber wir sind welche!“ Nach dem Eintreffen der Polizei solle einer der Täter versucht haben, sich mit einem Polizeibeamten weiter zu schlagen, will der Lokführer Harald H. noch beobachtet haben.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sowas gemacht habe.“

Ferner soll in dieser Verhandlung noch eine weiter Straftat zu Lasten von Björn K. verhandelt werden. Am 14. Juni 2008 soll dieser einen Jugendlichen im Bahnhofsbereich „abzuziehen“.  Zigaretten, Geld und dessen Handy soll er gefordert haben. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sowas gemacht habe.“, gibt der Angeklagte zu Protokoll. Alkohol, sein schlechtes Gedächtnis und einen vermeintlichen Schock wegen der eintreffenden Polizei, gibt Björn K. selbst als Grund für seine mangelnden Erinnerungen an. Die 40jährige Zeugin Britta K. habe den Vorfall von ihrem Arbeitsplatz – der nahen Taxizentrale – aus beobachten können. Jemand mit langen Haaren und jemand mit kurzen Haaren hätten sich gestritten, gibt sie an. Der Langhaarige habe den anderen am Schlawittchen gepackt und ihn angeschrien, so die Zeugin.

„Er war auch wirklich eingeschüchtert und hat Angst gehabt.“

Der Geschädigte sei anschließend zu ihr in die Taxizentrale gekommen und hätte den Notruf der Polizei verständigen wollen. „Er war auch wirklich eingeschüchtert und hat Angst gehabt.“, gibt Britta K. zu Protokoll. In Anwesenheit der Polizei habe sie Björn K. damals einwandfrei wieder erkannt. Der eigentliche Geschädigte dieser Straftat erscheint zunächst nicht zur Vernehmung, wird daher von Polizeibeamten abgeholt und vorgeführt. Da der 19Jährige aber trotz mehrmaliger Aktenvorhalten wiederholt, auffällig konsequent angibt: „Ich kann dazu heute nichts mehr sagen.“, wird dieser Sachverhalt wegen mangelnder Erhellungsmöglichkeiten eingestellt.

„Sieg Heil“ – „Ich bin unter Alkohol nicht wirklich ich selbst.“

Marcel D. hat sich laut Bundeszentralregisterauszug in der Vergangenheit bereist Diebstahl und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu Schulden kommen lassen. Auferlegte Drogenberatung und erzieherische Gespräche hätten nur kurzzeitig etwas gebracht, gibt er selbst an. Bei Björn K. ist die Liste der Straftaten durchaus schon länger. Diebstahl, Sachbeschädigung, zweimal Körperverletzung und einmal Verstoß gegen §86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) sei ihm bereits anhängig. Bei letzterem hat er am 23. Mai 2008 vor einem Club in Dessau-Roßlau infolge einer verbalen Auseinandersetzung eine Person als „dreckiges Antifaschistenschwein“ betitelt und die NS-Parole „Sieg Heil“ gerufen. Die NS-Parole will Björn K. nur geäußert haben, um zu provozieren, gibt er heute an. Ein „bisschen antifaschistisch“ sei er schon eingestellt, gibt er zu Protokoll, aber „ich will mit beiden Seiten nichts zu tun haben.“ „Ich bin unter Alkohol nicht wirklich ich selbst.“, so der Heranwachsende. Alle Straftaten will er unter Alkoholeinfluss begangen haben, zudem sagt meint er, bis vor kurzem noch Kontakte gehabt zu haben, die einen schlechten Einfluss auf ihn ausgewirkt hätten. Diese will er nach eigenem Bekunden selbst abgebrochen haben.

„Alles Kanacken hier […] müsste man alle vergasen.“

Lars K. nimmt sich seinen Bruder offensichtlich zum Vorbild. Neben Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz sei ihm bereits Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Falschaussage anhängig. Zur eigenen Rechtfertigung gibt er an, dass ein Polizeibeamter ihn nach dem Anlegen von Handschellen mit der Faust dreimal ins Gesicht geschlagen hätte und ein anderes Mal sei er von einem Polizeibeamten ko geschlagen worden, gibt er zu Protokoll. Nach einer aktuellen Anzeige, die gegenwärtig bei der Staatsanwaltschaft vorliegt, ist er wegen Volksverhetzung beschuldigt, bringt der Staatsanwalt in die Verhandlung ein. Lars K. soll am 16. Januar 2009 im „Dönerimbiss“ im Dessauer Hauptbahnhof anwesenden Gästen und dem Betreiber gegenüber gesagt haben: „Alles Kanacken hier […] müsste man alle vergasen.“

„Wenn man jemanden tritt, der am Boden liegt, ist das nicht nur erbärmlich, sondern kann auch lebensgefährlich sein.“

Die Vorsitzende Richterin Haferland schließt sich mit ihrem Urteil weitestgehend dem Plädoyer des Staatsanwaltes an. Marcel D. erhält 50 Stunden gemeinnützige Arbeit auferlegt und muss an einem Wochenende einen Freizeitarrest in einer Strafvollzugseinrichtung in Halle absitzen. Björn K. bekommt acht Monate Haftstrafe auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt, muss 60 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten und eine einjährige ambulante Suchttherapie absolvieren. Lars K. erhält sechs Monate Haftstrafe auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt und muss 75 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. „Das find ich übelst übertrieben.“, kommentieren die Angeklagten das auferlegte Strafmaß. „Wenn man jemanden tritt, der am Boden liegt, ist das nicht nur erbärmlich, sondern kann auch lebensgefährlich sein.“, führt Richterin Haferland in ihrer Urteilsbegründung abschließend aus.

*Name geändert

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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt