Pressemitteilung vom 17.12.2015 der Bürgerinitiative „offen. bunt. anders.“ zum Anschlag auf das Schleifergebäude, geplante Sammelunterkunft für Asylbewerber, Gräfenhainichen

Rechtsradikaler Terror in Gräfenhainichen - Emotionale Reaktionen und rationale Bestandsaufnahme


Klare rechtsextreme Botschaft vor der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Gräfenhainichen:
"Flüchtlinge nicht willkommen"

Mit Erschrecken, Abscheu und großer Sorge um unser Gemeinwesen nehmen wir die Nachricht vom aktuellen gewaltsamen Übergriff auf das sogenannte Schleifergebäude in Gräfenhainichen zur Kenntnis, dass derzeit unter dem Druck des nahenden Winters zu einer Sammelunterkunft für 80 von Krieg und Terror vertriebene Menschen umgebaut werden sollte. Insbesondere der entstandene Wasserschaden hat wohl einen erheblichen Sanierungsbedarf erzeugt und das Projekt finanziell wie im Zeitplan stark zurückgeworfen. Wie jeder durchschnittlich begabte Mensch schon vorher hätte vorausahnen können, hat der Anschlag jedoch weder den Umbau des Schleifergebäudes noch die Umsiedlung von 80 Flüchtlingen nach Gräfenhainichen dauerhaft aufgehalten.


Die geplante Flüchtlingsunterkunft in Gräfenhainichen ist vorerst unbewohnbar. Alternativen sind aber schon im Gespräch.

Was bleibt also nach dem Anschlag an Auswirkungen übrig?

Als Bürgerinitiative „offen. bunt. anders.“ haben wir es uns als Bürger Gräfenhainichens zur Aufgabe gemacht dem aus unserer Sicht überproportional lauten und ablehnenden Anteil der lokalen Bevölkerung („besorgte Bürger“) entgegenzutreten und den vertriebenen Menschen zu helfen, hier anzukommen. Wir wollen aber nicht nur konkrete Integrations- und Hilfsarbeit leisten, sondern auch Begegnungen zwischen Flüchtlingen und Deutschen ermöglichen, gegenseitige Ängste und Missverständnisse abbauen und so insgesamt einen Gegenentwurf zu Hass, Angst und Ausgrenzung und für ein offenes und gastfreundliches Deutschland hier vor Ort anbieten. Der aktuelle Anschlag zeigt uns vor allem wieder wie notwendig unsere Arbeit ist und bestärkt uns darin. Gleichgesinnte möchten wir einladen ebenfalls für Ihre Werte aufzustehen und sich Gewalt gegen Menschen in jeder Art entgegen zu stellen. Auch gerne bei uns.

Über die Ängste der Flüchtlinge, die gerade erst dem Hass und Terror entkommen, hier bei uns wieder auf ihn treffen und unsere Scham als demokratische Deutsche über solche Taten in unserer Gemeinschaft soll es hier nicht gehen. Beides sitzt tief genug und bedarf vieler Worte nicht. Erschrecken und Bestürzung erfüllt uns angesichts dieser Tat vor allem aufgrund eines offensichtlichen Verfalls an Menschlichkeit, da die Täter in Kauf nehmen, dass Erwachsene, Kinder und eventuell auch erkrankte Menschen weiter in Notunterkünften (z.B. Turnhalle Griebo) untergebracht werden müssen. Ihnen wird jetzt verwehrt menschenwürdig, im Gefühl von Sicherheit und mit einem Mindestmaß an Privatsphäre durch die kalte Zeit dieses Jahres zu kommen. Die Weihnachtszeit ist ja auch die Zeit, die uns im christlichen Abendland als die heiligste und die Gemeinschaft betonende Zeit des Jahres gilt. Da stellt sich auch uns erstmals die Frage, ob und vor wem das Abendland und seine Werte geschützt werden müssen.

Bestürzung muss man als normal-begabter Mensch auch wegen der in dieser Tat offenbarten Dummheit empfinden, zu denken Aggression und Sachbeschädigung würden die politisch-gesellschaftliche Linie der Willkommenspolitik gegenüber Flüchtlingen verändern. Wird Gewalt wirklich eine Politik von Ablehnung und Zurückweisung vom Staat als Reaktion erzwingen, wie bestimmte Bevölkerungskreise dies leider nur zu sehnlichst herbeiwünschen? Sparen wir als deutsches Volk jetzt viel mehr Geld, weil die Flüchtlinge jetzt doch wegbleiben? Haben die Täter sich selbst einen Dienst erwiesen oder nur ihre Hilflosigkeit demonstriert und eine Gegenwelle von Sympathie ausgelöst? Das liegt wohl an unserer Reaktion als Gesellschaft auf Übergriffe dieser Art und muss sich noch zeigen.


Beweis für die Gewalt als "logische" Konsequenz menschenverachtender Einstellungen und Ideologien

Hier offenbart sich die alte undemokratische Logik der Aggression als Mittel des Diskurses und des Staates als von Extremisten leicht erpressbare Geisel. Politischideologische Aggressionen, wie der Angriff auf das Schleifergebäude haben eine klare offizielle Bezeichnung: Man nennt sie terroristische Anschläge. Wer dies übertrieben oder gar polemisch findet, mag sich ernsthaft fragen was Terrorismus denn auszeichnet. Es gibt einige klare Kriterien hierfür. Diese sind: Gewalt als Mittel, eine politische Ideologie und entsprechende Botschaft, ein Opfer, das aber nicht Adressat der Botschaft ist, das Bekenntnis zur Tat und eine asymmetrische Form der Auseinandersetzung als Ausdruck der Schwäche gegenüber dem Gegner (unserem demokratischen Staat). Eine rechte Ideologie als Hintergrund und die Botschaft „Ausländer raus!“ sind wohl nicht schwer zu entdecken. Dennoch geht die Botschaft nicht nur an die Flüchtlinge. Es handelt sich auch um eine Kampfansage an die demokratische Gesellschaft „Wir sind jetzt wieder stark. Wir werden auch gegen die Regierung unsere Ziele durchsetzen. Wir behalten uns Gewalt vor.“ Auf ein Bekennerschreiben darf man vielleicht noch gespannt sein, vielleicht auch nicht. Als „besorgte Bürger“ wird man sich wohl nicht outen, da man ja noch einen offenen Kampf um die Herzen der konservativen Bevölkerung führt.

Wer aber glaubt, dass Sachbeschädigung und Gewalt gegen die Heimstatt von flüchtenden Menschen noch demokratischer Diskurs unter „besorgten Bürgern“ ist, irrt sich sehr. Wer rechtsradikale Äußerungen und Handlungen als Teil einer legitimen politischen Anteilnahme „besorgter Bürger“ wertet, belügt sich selbst und muss sich fragen lassen warum? Wer glaubt, dass Nazi nur ein Ausdruck für eine konservative Grundhaltung ist, der irrt sich gefährlich. Oder er täuscht andere, die sich tatsächlich einfach Sorgen machen und Ängste haben über seine Motive. Wollen wir uns wirklich weiter täuschen lassen? Wir wiederholen hier nochmals ganz klar: Mag man von der Flüchtlingsdebatte halten was man will, gestern ist der Terrorismus in unserer Mitte angekommen. Er steht klar in der Tradition der Rechtsradikalität. Die rechten undemokratischen Kräfte fühlen sich sicher und unangreifbar. Wollen wir diesen Angriff auf unsere Demokratie wirklich weiter verleugnen und hinnehmen?

In großer Sorge schließlich schreiben wir diese Zeilen daher, gerade als Zusammenschluss von Bürgern die sich für gelebte Demokratie, Dialog und Austausch mit allen Menschen stark machen, und warnen vor einer zunehmenden Aggressivität, die sich allmählich und unterschätzt in den öffentlichen Diskurs eingeschlichen hat.


Gartenstraße Gräfenhainichen: Eine Art Ankündigung des Anschlags?

Was ist der nächste Schritt der Gewalt? Eine Jagd auf Flüchtlinge und Andersdenkende? Haben wir schon vergessen wie gefährdet unsere Demokratie ist?

Welche Lehren müssen gezogen und welche Maßnahmen ergriffen werden?

Wir warnen eindringlich vor einem Kuschelkurs gegenüber undemokratischen und radikalen Meinungen und Taten. Wer vor islamistischem Terror Angst hat sollte auch vor rechtsradikalem Terror Angst haben und sich genauso klar gegen ihn abgrenzen.

Im Alltag heißt das, dass undemokratisches Gedankengut zu benennen und abzulehnen ist.

Wir wünschen uns klare Signale von allen demokratischen Kräften gegen rechtsradikalen Terror. Dies ist kein Rechts-Links-Grabenkampf, sondern ein Aufruf die Errungenschaften unserer Demokratie zu verteidigen.

Wir alle müssen positive Beispiele für eine konstruktive und lösungsorientierte Auseinandersetzung um strittige Fragen geben.

Wir müssen uns darum Bemühen lokale Plattformen für friedliche Auseinandersetzung und Begegnungen zu schaffen.

Wir müssen den rechtsradikalen Hasspredigern ihr Publikum entziehen, indem wir andere Möglichkeiten bieten eigene Ängste vor dem Fremden zu beruhigen.

Wir müssen ganz konkret Möglichkeiten finden gezielte Desinformation zu unterbinden und den Menschen verlässliche Informationen über Flucht, Vertreibung und Integration anzubieten.

Die Deutungshoheit muss den Menschen zurückgegeben werden über die Ermöglichung eigener Erfahrungen.

Wir brauchen eine groß angelegte breite demokratische Anstrengung, um uns die Köpfe und Herzen der Menschen zurück zu holen, die für Angst- und Hassmache anfällig geworden sind. Wir brauchen diese Anstrengung jetzt und hier.

Wir laden daher in einem ersten Schritt und als starkes öffentliches Zeichen alle demokratischen Bürger, egal welcher Überzeugungen ein mit uns am 19.12.2015 auf dem Kirchplatz gegen Rechts, gegen Hass, gegen Terror und gegen Ausgrenzung anzutreten und Flagge zu zeigen für unsere Bürgerrechte, für eine offene und bunte Gesellschaft und für ein anderes, demokratisches Deutschland.

Bürgerinitiative offen. bunt. anders.
Gräfenhainichen, 17.12.2015
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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt