„Kommt her ihr Scheiß Antifa-Schweine! Demnächst seid ihr tot!“

Gerichtsverhandlung um Angriff auf alternatives Pärchen in Bitterfeld // drei Angeklagte zu zehn Monate Haft auf Bewährung verurteilt // mangelhafte Polizeiarbeit erschwert Wahrheitsfindung


Am Amtsgericht Bitterfeld urteilte der Vorsitzende Richter Grätz am 04. Mai 2010 nach fünf Verhandlungstagen gegen drei Angeklagte wegen des Angriffs auf ein alternatives junges Paar am 06. September 2008 vor einem Bitterfelder Lokal (mehr dazu hier…). Nachdem sich in den Morgenstunden im Lokal ein Streit zwischen dem Angeklagten Jens B. (29) und dem späteren Geschädigten (28) aufgrund eines rechtsextremen T-Shirt-Aufdruckes entfachte, warteten wenige Minuten später der Täter mit Unterstützung vor dem Lokal. „Kommt her ihr Scheiß Antifa-Schweine“, soll Jens B. gerufen haben und den beiden Alternativen gedroht haben: „Demnächst seid ihr tot!“ Während dann mindestens die beiden Mitangeklagten Manuel K. (26) und Daniel Sch. (27) den jungen Mann attackiert haben sollen, sei Jens B. damit befasst gewesen, die Freundin des Angegriffenen in Schach zu halten. Als sie mit ihrem Handy versucht hätte die Polizei zu rufen, soll B. ihr dieses aus der Hand getreten haben. Der Angegriffene aus der alternativen Szene erlitt bei der Auseinandersetzung ein gebrochenes Handgelenk.


Amtsgericht Bitterfeld

Dass sich der 28-jährige Geschädigte bei diesem gemeinschaftlichen Angriff anfangs noch verteidigen konnte, Schläge und Tritte erfolgreich abzuwehren wusste und letztlich in Notwehr Reizgas gegen die Angreifer einsetzte, versuchten die Verteidiger der drei Angeklagten bis in die Abschlussplädoyers hinein als Angriff auf ihre Mandanten zu werten. Der bekannte Neonazi Jens B. sei im Lokal „angemacht“ worden und hätte später draußen mit seinen Äußerungen nur in „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gehandelt, da das spätere Opfer ihn zuvor verbal provoziert hatte. Ein gemeinschaftliches Handeln der Angeklagten sei aus Sicht ihrer Verteidiger auch zum Ende des Verfahrens nicht erkennbar gewesen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hingegen attestierte dem Angeklagten ein „arbeitsteiliges Handeln“ am Tatort. Auf einen „Schlachtruf“ des Angeklagten Jens B. hin seien die anderen auf ihr Opfer los gegangen. „Es wurde geschlagen und getreten, was ich abwehren konnte“, sagte der Geschädigte im Verfahren zu den Attacken der zwei sich abwechselnden Angreifer.

Nach mehreren erfolgreich abgewehrten Schlägen und Tritten hätte der Angeklagte Manuel K. den Geschädigten dann zu Fall gebracht. Auch aufgrund der augenscheinlichen kräftigeren Statur des Angeklagten will die Vertreterin der Anklagebehörde den Thesen der verdrehten Opfer-Täter-Konstellation seitens nicht folgen. Richter Hubert Grätz zeigte sich abschließend überzeugt davon: „Es hat hier ein gemeinschaftliches Auftreten gegeben“. Zudem reiche die Solidarisierung mit dem Handeln aus, um ein gemeinschaftliches Handeln bei der Tat festzustellen. Weitere Anwesende, die an den Attacken mutmaßlich beteiligt gewesen seien, konnten nicht ausfindig gemacht werden. Auch mit den widersprüchlichen Angaben zum Tatablauf taten sich die Angeklagten in puncto Glaubwürdigkeit keinen Gefallen.

Das Handeln auf Ansage von B. als Indiz, dass sich die Täter kennen und sich im Handeln vertraut sind sowie ein Foto, was die Angeklagten bei einer Trauerfeier gemeinsam mit anderen Personen der regionalen rechten Szene zeigt, hielten in diesem Verfahren her, um eine gemeinsame ideologische Anbindung der Angeklagten zu untermauern. Währende Jens B. in dem Verfahren keinen Hehl aus seine Nähe zur Neonaziszene machte, erklärte der Verteidiger von Daniel Sch. für seinen Mandanten wiederum, dass dieser erschüttert gewesen sei, zur rechten Szene gerechnet zu werden und sich von dieser distanziere. Für den Vorsitzenden Richter war indes klar, dass sich die politische Motivation aus dem T-Shirt-Aufdruck des Angeklagten Jens B. („Hasta la vista Antifascista“) ergeben hätte und die Angeklagten sich infolge des verbalen Streits gemeinsam wegen der Kritik daran revanchieren wollten.



Die Arbeit der per Notruf alarmierten Polizei bewertete nicht nur die Verteidigerin des Angeklagten Daniel Sch. als „erschütternd“. Der anwaltliche Vertreter des Angeklagten Jens B. resultierte: „Das was wir hier gehört haben, lässt mich darauf schließen, dass hier nicht einmal Dienst nach Vorschrift gemacht wurde.“ Kritisch kommentiert wurde u.a., dass vor Ort keine Tatortabsuche stattgefunden hätte, um Reizgasdosen und ähnliches sicherzustellen. Auch konnten keine Beamten ausfindig gemacht werden, die sich konkreter mit der Aufnahme des Sachverhaltes befasst hätten. Dem Verfahren mangelte es an Zeugen des direkten Geschehens, weil deren Personalien vor Ort nicht aufgenommen worden seien. „Wir sind da nur als Sicherungskräfte eingesetzt gewesen“, so ein Polizeibeamter im Zeugenstand und ergänzte: „Um alles andere kümmere ich mich nicht.“ „Irgendjemand muss ja mal etwas aufgeschrieben haben, aber niemand weiß wer“, kommentierte der Verteidiger des Angeklagten B. im Nachhinein. „Es tun sich ja Abgründe auf“, schlussfolgerte Richter Grätz zur Aufnahme der tatumstände durch Polizeibeamte. Grätz machte deutlich sich lieber ersparen zu wollen, diese Problematik tiefer zu ergründen.

Während ein Beamter im Zeugenstand beteuerte, dass Beamte vom Revier Köthen zur Unterstützung eingetroffen waren, die Absicherung übernahmen und er sich mit diesen unterhalten hätte, musste Richter Grätz dem Beamten entgegenhalten: „Die Köthener wollen heute nichts mehr davon wissen, dass sie vor Ort waren.“ Dem Journaleinträge des Polizeireviers, indem die einsatzrelevanten Informationen dokumentiert werden, sei laut Richter Grätz zu entnehmen, dass die angeforderten Einsatzkräfte aus Köthen auf halber Strecke umgekehrt seien. Wer die Zuteilung der unterschiedlichen Aufgaben bei solchen Einsätzen vornehme, wer den sprichwörtlichen „Hut“ aufhabe oder im Nachhinein den Bericht schreiben würde, blieb auch auf drängende Nachfragen der Prozessbeteiligten hin im Unklaren.

Alle drei Verteidiger forderten abschließend Freisprüche für ihre Mandanten, weil diese sich als Opfer eines  Angriffs durch den Geschädigten wähnten und die abgewehrten Schläge und Tritte ihrer Auffassung nach keine Körperverletzung darstellen würden, da sie ja nicht trafen. Der Vorsitzende Richter Grätz folgte in seinem Urteil aber weitgehend den Forderungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage und verurteilte die Angeklagten zu je zehn Monaten Freiheitsstrafe auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt. Jens B. (29) und Manuel K. (26) wird zudem auferlegt, 500 Euro Geldstrafe an den Weißen Ring zu zahlen. Mangels Einkommen soll der Angeklagte Daniel Sch. (27) hingegen 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Die Reaktionen auf der Anklagebank ließen erahnen, dass in diesem Fall Rechtsmittel folgen könnten und die nächste Instanz sich nochmals mit dem Fall befassen könnte.


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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt