20 rechtsextreme Angriffe in der Region Anhalt im 1. Halbjahr 2008 / Chronik verzeichnet dramatischen Zuwachs bei Propagandadelikten

rechte Gewalt auf gleichbleibend hohen Niveau//neonazistische NPD hat Kampagnenfähigkiet ausgebaut

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ie Entwicklungen in der Region Anhalt sind nach wie vor besorgniserregend. So wurden in den ersten sechs Monaten diesen Jahres insgesamt 20 rechtsextrem motivierte Gewalttaten bekannt (1. Halbjahr 2007: 23). Damit bewegen sich die registrierten Angriffe auf einem unverändert hohen Niveau. Von einer Entwarnung oder gar einer spürbaren Senkung der Fallzahlen kann also keine Rede sein. Bei den vom Projekt gegenPart erfassten Chronikmeldungen ist noch ein negativerer Trend zu konstatieren (mehr dazu hier...). Die Statistik des Mobilen Beratungsteams erfasste im Berichtszeitraum insgesamt 155 rechtsextreme Ereignislagen (2007: 82). Diese Zahl stellt dabei seit Einführung der Chronik erneut ein absolutes Allzeithoch dar.


Statistik der Angriffe für das 1. Halbjahr 2008


Von Januar bis Juni 2008 sind der Dessauer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalttaten für die Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg 20 Angriffe mit einem rechten Hintergrund bekannt geworden.

Auf den Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle verteilen sich die 20 Angriffe wie folgt:


Quelle/Grafik: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt


Von den 20 Angriffen waren mindestens 30 Personen direkt betroffen, wobei 27 männlichen und 3 weiblichen Geschlechts waren. Den 30 Opfern jeweils einen Straftatbestand zugeordnet, ergibt folgendes Bild:


Quelle/Grafik: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt

Die Einteilung der 30 Personen nach Opfergruppen und vermuteter Tatmotivation ergibt folgende grafische Darstellung:


Rechtsextremismus-Monitoring für die Region Anhalt


Die vom Mobilen Beratungsteam erstellte Chronik rechter Straftaten, Propagandadelikte und Ereignislagen weist für die ersten sechs Monate diesen Jahres insgesamt 155* Meldungen auf (Vergleichszeitraum 2007: 82). Das entspricht fast einer Verdoppelung der registrierten Einträge und stellt zudem ein absolutes Allzeithoch seit Bestehen der Zählung dar. Dieser spürbare Anstieg geht vor allem auf den Bereich der Propagandadelikte zurück, korreliert aber auch mit dem gestiegenen Anzeigenverhalten.


* Erstmals hat das Projekt gegenPart Propagandadelikte in die Chronik aufgenommen, die von der Landesregierung im Ergebnis einer kleinen Anfrage für das erste Quartal 2008 veröffentlicht wurden. Da diese Zahlen nur Delikte bis einschließlich 31. März 2008 berücksichtigen, ist von einem weit höheren Straftataufkommen auszugehen.

Die NPD und ihre Jugendorganisation (JN) als operativ Dreh- und Angelpunkt der Szene

Die bereits enge Zusammenarbeit zwischen den Kameradschaften der Region und der NPD/JN hat sich nochmals verstärkt und professionalisiert.
Dabei gelingt es rechtsextreme Jungfunktionär neuen Typs, wie bespielsweise dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD-Jugend (JN), Philipp Valenta (mehr dazu hier...), zusehens junge Aktivisten aus den örtlichen Kameradschaften an sich zu binden und für die Parteiarbeit der NPD/JN zu interessieren. Offensichtlich hat sich bei den NPD-Kadern die Erkenntnis durchgesetzt, dass der rechtsextreme Nachwuchs durch erlebnisorientierte Angebote (rechtsextreme Erlebniswelt), Eventcharakter und Anlassbezogenheit viel leichter zu erreichen ist, als mit klassischen Politikangeboten. Ganz bewusst wird hier auf das Bauchgefühl, auf ein emotionales Politikverständnis, abgezielt.


Neonazi Enrico Marx (l.), die NPD-Landesvorsitzende Carola Holz (m.) und der Kameradschaftsaktivist Henry B. (2 v.r.) bei einer Kundgebung am 03. Mai 2008 in Gräfenhainichen

Eine nicht zu unterschätzende strategische und operative Bedeutung kommt der Bundesgeschäftsstelle der JN in der Bernburger Innenstadt zu (mehr dazu hier...). Die NPD-Jugendorganisation hat ihre Zentrale im letzten Herbst von Sachsen in die Region Anhalt verlegt, um hier wirkungs- und deutungsmächtiger zu agieren.

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) muss daher als Sperrspitze und Sammelbecken des organisierten Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt bezeichnet werden. Dieser Führungsanspruch, der mit einer prozesshaften Verstetigung der Binnenidentität in der rechten Szene einhergeht, wird ihr mittlerweile – wie noch vor einiger Zeit – von niemanden mehr streitig gemacht.

Ein Resümee

Es ist zu konstatieren, dass sich rechtsextreme Strukturen in der Region Anhalt / Dessau / Wittenberg nicht nur verfestigt haben, sondern es den Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum im Schulterschluss mit der NPD zugleich gelungen ist, ihre Kampagnenfähigkeit auszubauen.

Dass belegen nicht nur die gestiegenen Zahlen und Statistiken rechtsextremem Straf- und Gewalttaten bzw.- Propagandadelikte, sondern vor allem die Unverfrorenheit, mit dem sich die Szene wieder traut, öffentlich in Erscheinung zu treten und dabei auch Landespolitiker in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld versucht einzuschüchtern (mehr dazu hier...).


Neonazis marschieren am 14. Juni 2008 in Zerbst auch am Haus des Innenministers Holger Hövelmann vorbei

In zahlreichen Kommunen reagieren Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung mittlerweile sensibilisierter auf rechtsextreme Ereignislagen, wie eine breitgetragene Kampagne gegen die JN-Bundeszentrale in Bernburg oder der kürzliche Protest gegen einen Neonaziaufmarsch in Zerbst gezeigt haben (mehr dazu hier...) und (hier...).

Trotzdem gibt es immer noch „weiße Flecken“ bei der öffentlichen Wahrnehmung, gibt es immer noch Orte, wo ein deutungsmächtiger Diskurs kaum oder nur schleppend in Gang kommt. Hier ist es vor allem wichtig, das die lokale Akteure hinsichtlich der Strategie- und Paradigmawechsel innerhalb der rechten Szene qualifiziert werden. Ein erfolgversprechender Ansatz ist dabei der Gleichklang von Intervention und Prävention, der in vielen Gemeinden und Gebietskörperschaften noch ausbaufähig erscheint.

Infos/Kontakt:

 

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt