„Jetzt kriegen die auch mal einen dran.“

Untersuchungsausschuss befasst sich mit polizeilichen Ermittlungen gegen Leiter einer Netzwerkstelle gegen Rechts

Der 10. Parlamentarische Untersuchungsausschuss im Magdeburger Landtag (mehr dazu hier...) befasste sich in seinen Sitzungen vor der Sommerpause erneut mit polizeilichen Verfehlungen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Diesmal verhandelte das Gremium den Fall des ehemaligen Leiters der Civitas-Netzwerkstelle in Dessau. Steffen Andersch hatte am 14. September 2006 im Rahmen eines Aktionstages  in der Gemeinde Bergwitz (Landkreis Wittenberg) einen Vortrag gehalten und in diesem  auch Akteure der lokalen rechten Szene  benannt (mehr dazu hier...). Als im Nachgang der Veranstaltung gegen Andersch anfänglich wegen des Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz ermittelt wurde, ging dieser zunächst davon aus, dies sei auf Betreiben von Rechtsextremisten erfolgt. Nachdem sich abzeichnete, dass die zuständige Polizeibehörde von Amtswegen die Strafanzeige auf den Weg gebracht hatte, wurde scharfe Kritik laut. Auch deshalb weil der Vorwurf im Raum stand, Polizeibeamte hätten Neonazis im weiteren Verlauf regelrecht ermutigt,  Anzeige gegen eine mit Bundes- und Landesmitteln finanzierte demokratische Initiative zu erstatten. In den Sitzungen des Gremiums kam schließlich zu Tage, dass einer der von Andersch gekennzeichneten Rechtsextremisten der Sohn eines Polizeibeamten ist. Schließlich erklärte sich das Land Sachsen-Anhalt in Vergleichsverhandlungen bereit, dem Projektleiter ein Schmerzensgeld zu zahlen und für dessen Anwaltskosten aufzukommen.



Als erster Zeuge in diesem Fall betritt Polizeioberrat Kühn am 18. Mai 2009 den Saal im Landtag von Sachsen-Anhalt. Der damalige Dezernatsleiter der Präventionsabteilung in der Polizeidirektion Dessau ist einer der Beamten in Zivil, die den Vortrag in Bergwitz verfolgt haben. Er merkt eingangs seiner Vernehmung an, dass er „von der Art des Vortrages unangenehm berührt war. Zudem gibt er zu Protokoll: „Strafrechtlich habe ich es nicht bewertet“. Auf Nachfragen beteuert er nochmals , dass der Vortrag aus seiner Sicht kein strafbares Verhalten habe erkennen lassen. Erst einige Wochen später, im November 2006, sei Kühn dann auf dem Dienstweg zu einer Vernehmung zu diesem Sachverhalt vorgeladen worden.

Sein Kollege Kriminaloberkommissar Hannes Werner, langjähriger Mitarbeiter der Abteilung Staatsschutz, der ebenfalls der Veranstaltung beiwohnte, ist nach seiner Auffassung ein „engagierter einsatzfreudiger Beamter“, der die rechte Szene gut kenne.  

Er selbst habe die im Vortrag gezeigten mutmaßlichen Rechtsextremen zu diesem Zeitpunkt nicht gekannt. Kühn äußert vor dem Ausschuss, dass er es nicht richtig gefunden habe, dass Fotos des damaligen NPD-Bundestagskandidaten Christian Klimpel und des Betreiber eines „Thor Steinar“-Ladens in der Wittenberger Innenstadt von Andersch abgebildet worden seien. Auch dass der Referent diese als Rechtsextremisten bezeichnete, betrachtet der Polizeioberrat auch heute noch als Fehler. Zudem, so ist sich der Beamte sicher, habe Andersch auf Bildern das Wohnhaus der betreffenden Rechten gezeigt. Dies, so Kühn weiter, könne er nicht gutheißen.

Deshalb den Kontakt zur zuständigen Staatsanwaltschaft oder in der eigenen Behörde hinein zu suchen, um eine Anzeige diesbezüglich zu erstatten, habe er damals keine Veranlassung gesehen. Heute vermutet der Polizeioberrat Kühn, dass seine und die Aussagen des Kollegen Werner bei der folgenden Dienstberatung ausgenutzt worden sein könnten, um eine Anzeige von Amtswegen gegen den Referenten zu erstatten. Auch auf Nachfragen des Ausschussvorsitzenden Jens Kolze (CDU) bestätigt er, dass er keine strafrechtliche Brisanz aufgrund des Vortrages habe erkennen können. Ihm sei lediglich erinnerlich, dass sich am Veranstaltungstag in Bergwitz im Umfeld des Gemeindezentrums mehrere mutmaßliche Rechte aufgehalten hätten und es im Vorfeld der Veranstaltung bereits zu Drohungen  gekommen sei.

Ausschussmitglied Gudrun Tiedge (Linke) macht dem Zeugen Kühn abschließend noch einen Vorhalt aus den Akten, wonach dieser bei der Dienstberatung, entgegen seiner heutigen Ausführungen, sehr ausführlich über die Veranstaltung und den Vortrag von Andersch berichtet habe und auch explizit den Aspekt des gezeigten „Wohnhauses“ betont habe.

Der 40-jährige Kriminaloberkommissar Hannes Werner betritt als Nächster den Saal. Der Beamte, der sich nach eigenen Angaben gegenwärtig im Studium zum Höheren Dienst befindet, sei aus rein privaten Gründen bei der Veranstaltung vor Ort gewesen, weil er sich für das Thema interessiere. Privates und Dienstliches müsse man im Leben „ab und zu“ trennen können, so der Zeuge.



Aus Sicht Werners sei der sinnvolle Ansatz der Veranstaltung dadurch geschmälert worden, dass er selbst einige Passagen des Vortrages nicht habe nachvollziehen können. Er hätte es schade gefunden, wenn sich nach einer Prüfung der dargebotenen Informationen herausgestellt hätte, dass manches nicht richtig  sei. So zum Beispiel mögliche Zusammenhänge zwischen der NPD-Personalie Klimpel und der regionalen Kameradschaft. Auf Nachfragen von Gudrun Tiedge bestätigt Werner, dass der genannte Rechtsextremist aus Sicht des Staatsschutzes keine bedeutende Rolle gespielt habe. Zudem, so räumt Werner ein, sei den damaligen Staatsschutzbeamten die NPD-Kandidatur Klimpels zur Bundestagswahl 2005 gar nicht bekannt gewesen.

Werner gibt an, dass es zu dieser Zeit kaum Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz gegeben habe. Daher seien sich die beiden anwesenden Polizeibeamten nicht sicher gewesen, ob das zeigen der Fotos rechtens sei. „Ich weiß nicht, ob das zulässig ist“, meint der Zeuge heute dazu und gibt zu Protokoll, sich „ehrlicherweise“ nur aus privatem Interesse ein Exemplar der Handreichungen zum Vortrag mitgenommen zu haben. Als er dann Wochen später zur Vernehmung geladen worden sei ,wäre ihm eingefallen, dass er dieses Dossier noch habe. Daraufhin habe er dieses als Beweismittel pflichtgemäß zur Verfügung gestellt.

„Ich glaube eher, dass ich Anstoß dieser Sache war“, meint der Kriminaloberkommissar Werner heute vor dem Untersuchungsausschuss auf Nachfrage, wie diese Anzeige gegen Projektleiter Andersch zustande gekommen sei. Später äußert der 40-Jährige: „dass es über Herrn Kühn eine Anzeige von Amtswegen her gab“, sei ihm bei seiner Vernehmung durch einen Kollegen mitgeteilt worden. Zur Entlastung des kriminalisierten Referenten gibt Werner, auf den Aspekt mutmaßlich gezeigten Wohnhäuser hin befragt, unmissverständlich zu Protokoll: „Das würde ich auch unterschreiben, dass es definitiv nicht so war.“
Nach der Entlassung des Zeugen KOK Werner wird Polizeioberrat Kühn nochmals angehört, um offenbare Divergenzen beider Aussagen, vor allem den Aspekt des angeblich im Vortrag gezeigten Wohnhauses, näher zu beleuchten. „Dann habe ich daran eine ganz andere Erinnerung“, so der Zeuge Kühn. Später meint der Polizeibeamte dennoch unbeirrt: „Dass das Wohnhaus gezeigt worden ist, da bin ich überzeugt von.“ Auf die Frage, dass die Anzeige von Amtswegen von ihm in die Wege geleitet worden sein solle, entgegnet er: „Nein, das ist falsch.“

„Ich glaube eher, dass ich Anstoß dieser Sache war“
Kriminaloberkommissar Werner

„Dass das Wohnhaus gezeigt worden ist, da bin ich überzeugt von.“

Kriminaloberkommissar Werner

Dritter Zeuge der 21. Sitzung vor dem zehnten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist wiederholt der heute pensionierte (mehr dazu hier...)  57-jährige Vize-Polizeichef der damaligen Polizeidirektion Dessau. Hans-Christoph Glombitza fasst eingangs seiner Ausführungen nochmals zusammen, dass es im September 2006 in Bergwitz im Rahmen des Thementages zu Bedrohungen von mutmaßlichen Rechtsextremen gegenüber der Ortsbürgermeisterin gekommen sei. Dabei sei es nicht ausgeschlossen gewesen, dass es auch zu Sachbeschädigungen am Veranstaltungsort selbst hätte kommen können, da die lokale rechte Szene massiv gegen die Durchführung der Diskussionsrunde Sturm gelaufen sei. Zu tatsächlichen Störungen, so Glombitzas Wahrnehmung damals, sei es dann jedoch nicht gekommen.


der pensionierte Polizeibeamte Hans-Christoph Glombitza steht dem Ausschuss Rede und Antwort (Foto: Archiv)

Einen Tag nach der Veranstaltung in Bergwitz, erinnert sich der Ex-Polizeivize, habe der Polizeioberrat Kühn in einer Dienstbesprechung berichtet, das Bürgerhearing zusammen mit dem Kollegen Hannes Werner besucht zu haben. Dabei habe Kühn berichtet, dass Bilder von Rechtsextremisten sowie deren Wohnhäuser gezeigt worden wären. Aufgrund dieser Erkenntnisse habe er dann das Wittenberger Polizeirevier in Kenntnis gesetzt, um mögliche n Angriffen gegen den „Thor Steinar“-Laden vorzubeugen.  Zudem, so Glombitza vor dem Ausschuss,  habe er den damaligen Chef der Staatsschutzabteilung in der Direktion, Sven Gratzik, angehalten diesbezüglich eine Prüfung nach Straftatbeständen durchzuführen. Nach Auffassung des pensionierten Polizeichefs hätte der Staatsschutzmitarbeiter Christian Kappert dann eine Anzeige von Amtswegen erstellt und der Polizeibeamte Tippe diese dann im weiteren Verlauf bearbeitet. Erst Monate später, so Glombitza im Zeugenstand, habe er dann von der Dienstaufsichtsbeschwerde und dem Antrag auf Staatshaftung durch Steffen Andersch und dessen Anwalt erfahren.

Der Polizeioberrat Kühn sei es nicht gewesen, da ist sich der 57-jährige Zeuge sicher, der die Prüfung möglicher strafbarer Handlungen durch den Referenten in die Behörde getragen habe. Vielmehr ist Glombitza davon überzeugt, dass ein Gespräch zwischen ihm und Sven Gratzik diese Möglichkeit erhärtet habe: „Danach habe ich geschlussfolgert, dass es strafbar sein könnte.“ Der Aspekt des Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz, „ist ganz sicher von mir ins Gespräch gebracht worden“, stellt der Zeuge zudem unmissverständlich fest. Gratzik hätte sich dann über den Beamten Werner ein genaueres Bild zu der Veranstaltung verschaffen sollen. Zum Verhalt, ob ihm bekannt gewesen sei, dass der Rechtsextremist Christian Klimpel als Bundestagskandidat für die neonazistische NPD kandidiert habe, entgegnete der Zeuge: „Das hör ich jetzt zum ersten Mal.“ Über den weiteren Verlauf der Ermittlungen, habe er sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht noch einmal erkundigt.

„Danach habe ich geschlussfolgert, dass es strafbar sein könnte.“
Hans-Christoph Glombitza

„Das hör ich jetzt zum ersten Mal.“
Hans-Christoph Glombitza

Die Beamten Werner und Kühn seien „sicherlich dienstlich, aber nicht im Sinne des Versammlungsrechts“ bei der genannten Veranstaltung gewesen. Auf weitere Nachfragen erläutert er, dass die spätere Einstellung des Ermittlungsverfahrens seines Erachtens auf Versäumnisse des Kollegen Gratzik zurückzuführen wäre. Die „Abverfügung“ der Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft, trage die Unterschrift Gratziks. Dieser Beamte habe in letzter Konsequenz die Korrektheit der Ermittlungsarbeit zu verantworten. Steffen Andersch, so Glombitza abschließend, habe er nie persönlich kennen gelernt.

Als letzter Zeuge am 18. Mai 2009 betritt Steffen Andersch den Saal im Magdeburger Landtag. Der 38-jährige gibt zunächst an, dass er seit 2002 die Civitas-Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geleitet habe, seit Juli 2007 dem Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt vorstehe und zudem für die Koordination des Lokalen Aktionsplans für Demokratie und Toleranz der Stadt Dessau-Roßlau zuständig sei.

Zum Beweisbeschluss umreißt Andersch, dass dem Thementag in Bergwitz eine rechtsextreme Gewalttat vorausging, bei der ein 22-Jähriger am 08. Juli 2006 in der Ortschaft von mehreren Neonazis geschlagen, getreten und beraubt worden ist. In der erfolgten Berichterstattung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), so erwähnt Andersch, sei just das Bild des Rechtsextremisten Klimpel gezeigt worden, wegen dem die Polizeidirektion Dessau Ermittlungen gegen ihn eingeleitet habe.

Die Initiative zu der Veranstaltung sei damals von der Ortsbürgermeisterin ausgegangen. Diese habe die Netzwerkstelle angesprochen und dann in Zusammenarbeit mit der Opferberatungsstelle in Dessau die Diskussionsrunde angeregt, um einen „Aufklärungs- und Sensibilisierungsprozess im lokalen Diskurs“ anzustoßen.

„Hierbei ist mir wichtig zu berichten, dass die Veranstaltung fast ins Wasser gefalle wäre, da im Vorfeld Rechtsextremisten die Oberbürgermeisterin einschüchterten und offen damit drohten, den Veranstaltungsort anzugreifen“, gibt der Zeuge zu Protokoll. Der Intervention durch die involvierten Beratungsprojekte und das Innenministerium sei es schließlich zu verdanken gewesen, dass sich dem offensichtlichen Bedrohungsszenario von Rechts damals nicht gebeugt worden sei und die Veranstaltung letztendlich stattfand. Vor Ort hätten etwa 20 Rechtsextreme versucht, Gäste der Veranstaltung einzuschüchtern: „Den Rechtsextremen wurde schließlich der Zugang zur Veranstaltung mit Verweis auf das Hausrecht verwehrt.“

In dem Vortrag „Rechtsextreme Strukturen im Landkreis Wittenberg – Zahlen, Fakten und Informationen““ habe er u.a. den Rechtsextremisten Klimpel als „personifiziertes Bindeglied zwischen den rechtsextremen Parteien und den Kameradschaftsstrukturen“ bezeichnet. Zeugenaussagen hätten damals auch belegt, dass Klimpel im Anschluss an die rechtsextreme Gewalttat am selben Abend zusammen mit anderen Neonazis nach dem zuvor Geschädigten in einem örtlichen Jugendclub gesucht habe. Das „Thor Steinar“-Geschäft in Wittenberg, so Andersch, habe er in seinem Impulsreferat als „informellen Treffpunkt der Szene im Landkreis“ bezeichnet.

Datiert auf den 09. November 2006, so der ehemalige Civitas-Netzwerkstellenleiter, sei ihm dann eine Vorladung als Beschuldigtem wegen des Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz und übler Nachrede ins Haus geflattert. „Meine Überraschung war dann groß, als ich nach der Akteneinsicht durch meinen Rechtsbeistand erfuhr, dass offenbar ein Polizeibeamter, nämlich der Polizeioberrat Kühn, damals Leiter des Präventionsdezernats  in der Polizeidirektion Dessau-Roßlau, den Vorgang in die PD brachte“, sagt Andersch aus.  „Dass sich Polizeibeamte in Zivil in der Veranstaltung befanden“, habe der Referent nicht gewusst. Zu einem späteren Zeitpunkt habe er erfahren, dass die zwei Rechtsextremisten infolge ihrer Vernehmungen Strafanzeige gegen ihn erstattet hätten. „Dabei entstand bei mir und bei meinem Rechtsbeistand der Eindruck, dass diese zu dieser Anzeigenerstattung regelrecht ermutigt worden sein könnten“, schildert der Zeuge. Sein Anwalt habe es später treffend formuliert: „Die Beamten ermittelten nicht objektiv und unabhängig, sondern agierten mehr als Rechtsbeistand der Rechtsextremisten.“
Die scheinbar von einem Praktikanten geführten Ermittlungen seien schließlich im Mai 2007 von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Infolge dessen, so der Zeuge, habe er in Abstimmung mit seinem Anwalt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die involvierten Beamten eingereicht. Vor allem deshalb, weil es aus seiner Sicht nicht hinnehmbar gewesen wäre, dass von Amtswegen gegen ihn ermittelt wurde, obwohl es sich bei den vermeintlichen Straftatbeständen um Antragsdelikte handele. Außerdem, so Andersch vor dem Ausschuss,  hätten Polizeibeamte Rechtsextremisten regelrecht ermutigt, Strafantrag gegen ihn zu erstatten. Dass Polizeibeamte es als Üble Nachrede ansehen, wenn Rechtsextremisten als solche bezeichnet werden, sei nicht nachvollziehbar.

„Dabei entstand bei mir und bei meinem Rechtsbeistand der Eindruck, dass diese zu dieser Anzeigenerstattung regelrecht ermutigt worden sein könnten.“
Steffen Andersch


"Die Beamten ermittelten nicht objektiv und unabhängig, sondern agierten mehr als Rechtsbeistand der Rechtsextremisten.“

Am 19. Juli 2007, so der Zeuge, habe er dann von der damaligen Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt ein Antwortschreiben auf seine Dienstaufsichtsbeschwerde erhalten. Aus dem Schreiben sei hervorgegangen, dass POR Kühn damals seinem Vorgesetzten über einen möglichen Verstoß gegen das Kunsturheberrechtsgesetz in Kenntnis gesetzt habe. Die Polizeidirektion habe darin zudem geschlussfolgert, dass es sich bei dem ehemaligen NPD-Bundestagkandidaten Christian Klimpel um eine „relative Person der Zeitgeschichte“ handele. Dieser habe in seiner Vernehmung Kontakte zu dem bekannten rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke eingeräumt. Fotos, die u.a. den Betreiber des „Thor Steinar“- Geschäftes Enrico S. zeigten, habe Scherber-Schmidt als „Privilegierung von Bildern von Versammlungen im weiteren Sinne“ gewürdigt.  Die Polizeipräsidentin habe darüber hinaus kritisiert, dass es der ermittelnde Polizeibeamte Klick versäumt habe, in der Analyse die Internetauftritte der inkriminierten Rechtsextremisten als mögliche entlastende Momente mit einzubeziehen.

Scherber-Schmidt, so zitiert Andersch aus dem Schreiben, sei letztlich zu dem Schluss gekommen: „Die PD Dessau-Roßlau bedauert es ausdrücklich, dass bei Ihnen der Eindruck entstanden ist, demokratisches Engagement gegen Rechts werde als kriminell stigmatisiert, während Rechtsextreme als schutzwürdige Opfer angesehen werden (…). Ich entschuldige mich bei Ihrem  Mandanten ausdrücklich“.
Nach dem eingereichten Antrag auf „Staats- bzw. Amtshaftung“, den die Polizeidirektion zunächst abwies, sei Zivilklage beim zuständigen Landgericht eingereicht worden. Die Klage ruhte nachdem die Parteien in Vergleichsverhandlungen getreten wären: „Am 27. Juli 2009 stimmte das Land Sachsen-Anhalt schließlich einem Vergleich zu und zahlte ohne Anerkennung jedweder Rechtspflicht an den Kläger, also meine Person, insgesamt  800 €.“

"Die PD Dessau-Roßlau bedauert es ausdrücklich, dass bei Ihnen der Eindruck entstanden ist, demokratisches Engagement gegen Rechts werde als kriminell stigmatisiert, während Rechtsextreme als schutzwürdige Opfer angesehen werden (…). Ich entschuldige mich bei Ihrem  Mandanten ausdrücklich“.

„Auch wir als Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus betrachten die Polizei als einen dringend notwendigen Akteur, um […] der Zurückdrängung des organisiert verfassten Rechtsextremismus ein Stück näher zu kommen“, so Andersch. Abschließend führte er aus: „Wenn jedoch das zivilgesellschaftliche Engagement für Demokratie und gegen Rechtsextremismus behindert wird, ist das nicht nur für die Initiativen und Beratungsprojekte ein entmutigendes Zeichen, sondern vor allem ein fatales Signal, dass von der extrem rechten Szene als Genugtuung aufgenommen wird“.

„Wenn jedoch das zivilgesellschaftliche Engagement für Demokratie und gegen Rechtsextremismus behindert wird, ist das nicht nur für die Initiativen und Beratungsprojekte ein entmutigendes Zeichen, sondern vor allem ein fatales Signal, dass von der extrem rechten Szene als Genugtuung aufgenommen wird“.

Auf Nachfragen kann der Zeuge bei der heutigen Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss sich nicht mehr mit letzter Wahrscheinlichkeit erinnern, ob sich der Polizeibeamte Kühn bei seiner Wortmeldung als Polizeibeamter vorgestellt habe. Zum Einwurf, dass er in seinem Vortrag Fotos von Wohnhäusern der Rechtsextremisten gezeigt haben soll, sagt Andersch aus: „Das schließe ich kategorisch aus.“ Er habe lediglich die in der Handreichung beinhalteten Bilder von der Ladeneröffnung des „Thor Steinar“-Geschäfts und ein von Klimpel selbst im Internet veröffentlichtes Bild gezeigt  Dass der Polizeibeamte Werner die von ihm mitgenommene Handreichung als Beweismittel im Ermittlungsverfahren zur Verfügung stellte und diese den vorgeladenen Rechtsextremen vorgelegt habe, sei ihm erst nach dem Abschluss der Ermittlungen bekannt geworden.

Unmittelbare Reaktionen aus der rechten Szene auf die polizeilichen Ermittlungen gegen seine Person, wären ihm nicht erinnerlich. Allerdings wären Führungspersönlichkeiten des organisierten Rechtsextremismus, vermutlich nach der Medienberichterstattung über den Fall, auf „den Trichter gekommen“,  gegen die Netzwerkstelle  und deren Internetpräsenz Strafanzeigen wegen des etwaigen Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz zu erstatten. Die von KOK Werner zuvor im Zeugenstand geäußerten mutmaßlichen Mängel, der Vortrag könne womöglich fehlerhaftes Zahlenmaterial enthalten, wären von Beamten der Direktion nie persönlich an ihn herangetragen worden, schließt Andersch seine Zeugenaussage ab.


 Am 18. Juni 2009 behandelt der Ausschuss in zweiter Sitzung die Causa Bergwitz. Den Zeugenstand betritt zunächst der ehemalige Leiter der Staatsschutzabteilung. Sven Gratzik äußert anfänglich, dass er sich gewünscht habe, die „Qualitäts- und Endkontrolle“ über die Ermittlungsverfahren in seinem Verantwortungsbereich  inne zu haben. Im Herbst 2006 sei dies allerdings nicht mehr der Fall gewesen. Gegen diese Einschränkung seiner Kompetenzen, habe er damals bei seinen Vorgesetzten demonstriert. Er, so sei ihm erinnerlich, habe dafür plädiert, dass das Verfahren gegen Steffen Andersch im Fachkommissariat Staatsschutz verbleibe. Sein Ansinnen sei allerdings abgelehnt worden, als der bearbeitende Polizeibeamte Klick die Abteilung verlassen habe: „Die Fach- und Dienstaufsicht ist mit dem Verfahren abgegeben worden“.


der ehemalige Staatsschutzleiter Sven Gratzik vor dem Gremium (Foto: Archiv)

Zu dem Vorwurf, den Polizeibeamten Klick wie in Medienberichten erfolgt als „Kommissar Praktikant“ zu bezeichnen, äußert sich Gratzik ausführlich. Eine solche Interpretation wäre unzutreffend. Klick habe eine fundierte polizeiliche Ausbildung genossen und hätte sich zu diesem Zeitpunkt bereits lange im Polizeidienst befunden. Er sei als Sachbearbeiter, nicht als Praktikant, in das Fachkommissariat Staatsschutz gewechselt und habe zudem in seinem Dienstzimmer auf einen „lebenserfahrenen“ Kollegen zurückgreifen können. Zudem habe Klick die Laufbahn zum Höheren Dienst angestrebt. Aufgrund dieser Voraussetzungen, äußert Gratzik ironisch, könne man in dieser Logik ja gleich den aktuellen Polizeipräsidenten Karl-Heinz Willberg als Praktikanten titulieren.

Die Bearbeitung eines möglichen Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz, so Gratzik, sei entgegen der geäußerten Meinung des Direktionsjustiziars Georg Findeisen, „nicht besonders kompliziert“. Zudem sei die Person Christian Klimpel öfters Thema in den Lagebesprechungen im Polizeipräsidium gewesen, u.a. weil dieser Sohn eines im Zentralen Polizeidienst arbeitenden Beamten sei. An diesen Besprechungen habe auch der Polizeibeamte Klick teilgenommen. Ferner berichtet der Zeuge, dass es mit dem Beamten Klick mehrfach zwischenmenschliche Schwierigkeiten gegeben hätte.

Auf Nachfragen des SPD-Politikers Borgwart gibt der Zeuge zu Protokoll, dass Verfahren bei der Abverfügung an die Staatsanwaltschaft nur noch statistisch abgezeichnet zu haben, da er zu diesem Zeitpunkt die Fachaufsicht über die Arbeit des Beamten nicht mehr inne hatte. Für Klick und dessen Arbeit, sei  vielmehr dessen Vorgesetzte Frau Heusmann zuständig gewesen. Nachdem der Rechtsanwalt des Herrn Andersch diesbezüglich interveniert hätte, habe Gratzik das Verfahren nochmals wegen einer nötigen Stellungnahme zur Hand genommen. Erst da habe er fundamentale Fehler in der Ermittlungsarbeit festgestellt.

„Ich dachte, dass es da einen guten Partner gibt, wenn man etwas gegen Rechtsextremismus tun will“, so Gratzik auf Nachfrage zur Einschätzung der Arbeit der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Dessau. Dieser Auffassung sei der Beamte auch heute noch, wie er vor dem Gremium bestätigt. Mängel am Vortrag des Referenten Andersch hätte ihm gegenüber keiner der Beamten geäußert, so Gratzik.

„Ich dachte, dass es da einen guten Partner gibt, wenn man etwas gegen Rechtsextremismus tun will“
Sven Gratzik

„Das mit dem Urheberrecht kam erst durch Glombitza rein“, bestätigt der damalige Abteilungsleiter. „In der Regel werden dienstliche Weisungen als Bitte formuliert“, äußert Gratzik im Zeugenstand zu der Situation, als sein Vorgesetzter Glombitza ihm als Leiter des Fachkommissariats aufgetragen habe, eine mögliche strafrechtliche Relevanz des Vortrages zu prüfen. Er habe es dann als normalen Vorgang verstanden, das an die Mitarbeiter seiner Abteilung zu delegieren. Glombitza habe in dem Zusammenhang geäußert: „Jetzt kriegen die auch mal einen dran.“ Auch der Pressesprecher und Führungskräfte der Direktion seien in diesem Moment zugegen gewesen: „Das könnten mehrere gehört haben“. Auf die Weisung des Vorgesetzten mit einer ablehnenden Haltung zu reagieren, sei nicht möglich gewesen: „Dann hätte ich mich der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht.“

„Jetzt kriegen die auch mal einen dran.“
Sven Gratzik

„Dann hätte ich mich der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht.“
Sven Gratzik

Regelmäßig  den Ermittlungsstand von Verfahren dem zuständigen Abteilungsleiter vorzulegen, sei Herr Klick nicht nachgekommen. Bei seiner Versetzung in eine andere Abteilung habe er den Vorgang mitgenommen, was die Vorgesetzte Heusmann mündlich so verfügt hätte.

Der damalige Stellvertreter des Abteilungsleiters Staatsschutz, Swen Ennulatt, betritt als zweiter Zeuge für wenige Minuten zur Vernehmung den Saal. Das Verfahren gegen Steffen Andersch habe er nach der Zuteilung an den Beamten Klick nie wieder zu Gesicht bekommen. Die Widervorlagefrist sei von Klick nicht eingehalten worden, bestätigt der Zeuge die Darstellung von Sven Gratzik.

„Nicht nur als jemand der etwas lernen sollte, sondern auch als jemand der uns unterstützen sollte“, habe er die Zuteilung des Beamten Klick damals aufgefasst. Er hätte, so Ennullats Erinnerungen, innerhalb der Behörde in verschiedenen Abteilungen Erfahrungen sammeln sollen, weil seine Ausbildung zu dieser Zeit noch nicht lange zurücklag. Zudem hätten sich die Mitarbeiter gewünscht, dass eine zusätzliche Arbeitskraft der Arbeitsüberlastung entgegen wirken solle. Der Beamte Klick habe nach Auffassung Ennulatts nie einen Kollegen nach Hilfe gefragt, vielmehr sei ihm in Erinnerung, dass Klick sinngemäß geäußert habe: „Solche Verfahren habe ich in Magdeburg schon gemacht.“

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt