„Wir sind eine Stadt die international ist, wir reichen jedem die Hand.“

Bitterfeld-Wolfen demonstriert am 03. Oktober 2009 gegen Rechts

Gleich neben einer Kirmes mit allerlei Schaustellern, bunten Buden und lecker Zuckerwatte trifft sich am sonnigen Samstagmittag eine überschaubare Schar Bürger und Bürgerinnen. Doch nach einem zünftigen Rummelbesuch ist den GewerkschafterInnen, KommunalpolitikerInnen, Vereinsmitgliedern und alternativen Jugendlichen nicht zu Mute. Sie sind in das Bitterfelder Stadtzentrum gekommen, um  gegen ein ganz anderes Spektakel zu demonstrieren. Am Bahnhof haben sich zeitgleich 110 Rechtsextreme versammelt, um ausgerechnet an diesem geschichtsträchtigem Datum „Für ein neues Deutschland“ durch die Straßen zu marschieren. Ein großes Polizeiaufgebot sichert den Tag in der sachsen-anhaltinischen Stadt indes ab. Ein Sprecher des  Aktionsbündnisses gegen den Naziaufmarsch kritisiert zudem polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld der Demonstration harsch und spricht von einer „skandalösen“ Vorgehensweise.


100 Menschen demonstrierten in der Doppelstadt gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremen


GewerkschafterInnen unterstützten die Aktion


Zentrale Forderung der DemonstrantInnen: Die NPD und andere rechtsextreme Parteien zu verbieten

„Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“, schallt es aus den Boxen in der Röhrenstrasse in Bitterfeld. Klaus Fuchs, ein Sprecher des Aktionsbündnisses gegen den Naziaufmarsch, zitiert Kurt Tucholsky und motiviert die Teilnehmer der Bündnisdemonstration „Courage zeigen – keinen Platz für Nazis, nicht in Bitterfeld und anderswo“ gleich zu Beginn. Zu der von Gewerkschaften, Parteien und dem hiesigen Multikulturellen Jugendcentrum organisierten Aktion sind nicht viele Menschen gekommen. Und das trotz prominenter Unterstützung. So hatten die Oberbürgermeisterin Bitterfeld-Wolfens, Petra Wust (parteilos), den Aufruf ebenso unterstützt, wie der Ortsbürgermeister Horst Tischer (SPD).



Die ca. 100 aufrechten NazigegnerInnen, die gekommen sind, sind vor allem darüber erbost, dass ein solcher brauner Aufzug in ihrer Stadt überhaupt stattfinden kann. „Der Anmelder ist ein verurteilter Gewaltverbrecher“, echauffiert sich Klaus Fuchs am Mikrofon und spielt damit auf die Tatsache an, dass Per M. (mehr dazu),  der als Versammlungsleiter der rechten Demo fungiert, vor einigen Jahren für einen Brandanschlag auf ein Wohn- und Geschäftshaus einer vietnamesischen Familie rechtskräftig verurteilt wurde.  Wohl auch deshalb ist der Protest an diesem Tag mit klaren Botschaften versetzt: „Wir fordern, dass solche Aufmärsche unterbleiben.“



„Wir wollen friedlich, bunt und laut gegen den Naziaufmarsch demonstrieren“, machen sich die Teilnehmer wenig später selbst Mut. Allzu laut geht es zunächst nicht zu, hin und wieder ist ein Trommelwirbel und der Ansatz eines Pfeifkonzertes zu vernehmen. Und während abwechselnd „Ton Steine Scherben“ und „Crazy“ von Eurythmics aus den Lautsprechern dröhnt, ergeht immer wieder die Aufforderung, sich dem Protest anzuschließen.


ein großes Polizeiaufgebot begleitete den demokratischen Protest

Auf einer Zwischenkundgebung wird dann harsche Kritik an polizeilichen Maßnahmen laut. „Wir fordern sie auf, selbst aktiv zu werden. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass die ehemalige NPD-Landesvorsitzende Carola Holz hier durch die Stadt ziehen kann.“, ergeht ein  Appell an Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD). Zudem beschwert sich ein Sprecher über das Aufgebot an Sicherheitskräften, das die Bündnisdemo begleitet und spricht von einem „Überangebot an Polizeibeamten“. Auch das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren und die Rolle der für den Verfassungsschutzes arbeitenden V-Leute in der rechtsextremen Partei kommt kritisch zur Sprache: „Da weiß man nicht mehr, wer  da wen kontrolliert.“ Als „skandalös“ wird eine Polizei-Aktion im Vorfeld des 3. Oktober bezeichnet. Der Redebeitrag stellt hier vor allem auf eine so genannte „Gefährderansprache“  ab. Polizeibeamte der Staatsschutzabteilung, so der Vorwurf, sollen die Stadträtin Ina Kontreff  zu Hause aufgesucht haben und sie auf ihre „Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ in der Vergangenheit hingewiesen haben. Aktivisten des Aktionsbündnisses sprachen in diesem Zusammenhang von „völlig überzogenen Maßnahmen“ und forderten zugleich, das eingeleitete Verfahren gegen Kontreff einzustellen.


Wurde nicht nur in Redebeiträgen eingefordert: Ein Verbot der neonazistischen NPD


Stadträtin Ina Kontreff spricht zu den Teilnehmern

Lauter wird es erst wieder, als die Demo just eine Straßenkreuzung erreicht, von der der Naziaufmarsch unmittelbar  zusehen ist. Kurz droht die Situation aus dem Ruder zu laufen. Doch die Polizei verhindert jeden Versuch, zur Route der Rechtsextremisten zu gelangen.
 
„Ich glaube das ist ein richtiges und wichtiges Zeichen“, sagt dann Ina Kontreff und moderiert damit das Kurzstatement der Oberbürgermeisterin an. Petra Wust ist sich sicher: „Wir sind eine Stadt, die international ist, wir reichen jedem die Hand.“ Auch sie ist empört, dass Nazis am 03. Oktober durch Bitterfeld-Wolfen ziehen. Dazu, ob der braune Spuk von einer demokratischen Gesellschaft im Sinne der Meinungsfreiheit ertragen werden müsse, bezieht die Kommunalpolitikerin eine durchaus ambivalente Position. Die Stadt jedenfalls habe keine Mühen gescheut, um den Aufmarsch womöglich untersagen zu können: „Wir haben alles versucht, um es zu verhindern.“


Oberbürgermeisterin Petra Wust setzt durch ihre Teilnahme ein Zeichen

Und während die kleiner werdende Demo sich zum Abschluss auf dem Marktplatz - gleich neben dem Rummelplatz -  versammelt, marschieren die Nazis der NPD und Kameradschaften weiter. Ihr Ziel: Das Denkmal für den von den Nationalsozialisten ermordeten KPD-Führer Ernst Thälmann.



Dort angekommen sehen sich die etwa 110 Rechtsextremen wenigen Gegendemonstranten gegenüber. Die Versuche von Nazigegnern, dem braunen Treiben mit bunten Konfetti beizukommen und mit Sprechchören der menschenfeindlichen Ideologie eine Abfuhr zu erteilen, wird von Polizeibeamten Einhalt geboten. Auf der einzigen Zwischenkundgebung des Aufzuges sprechen die extrem rechten Kreistagsmitglieder Carola Holz und Andreas Köhler, sowie der „parteifreie Aktivist“ Maik Müller aus Dresden.


Gegendemonstranten versuchen zur Zwischenkundgebung der Neonazis vorzudringen


Neonazis mit Polizeiaufgebot

„…ein neuer Staat braucht auch wieder neue Ordnungshüter.“

Was folgt ist ein brauner Schüttelnmix aus revolutionsverträumter Lyrik „gegen das System“ und Hetze gegen Politiker des deutsche Bundestages und der Wirtschaft. Die ehemalige NPD-Landesvorsitzende Carola Holz wendet sich dann in einem Akt aus Siegesgewissheit und visionärer Verblendung mit einem Appell an Polizeibeamte, der wohl auch als Aufruf zu Straftaten verstanden werden kann: „Meine Damen und Herren Polizeibeamten, ein neuer Staat braucht auch wieder neue Ordnungshüter. Empfehlen sie sich schon jetzt dafür, indem sie aktiv werden gegen ein System das intolerant gegen das eigene Volk ist, während es seine Beamten in den Straßen der Großstädte von fremdvölkischen Menschen verprügeln lässt. Wir warten auf sie!“


Neonazis der Region am Transparent der "Freien Nationalisten Dessau" ("FND")

„…dort ist BRD und damit wollen wir nichts zu tun haben.“

Maik Müller muss die Kameraden zunächst zur Besinnung zitieren: „Keiner von uns heute hier sollte sich von diesen Gegendemonstranten provozieren lassen, denn hier in unsrer Mitte, in unseren Herzen ist Deutschland, aber das liebe Freunde ist nicht Deutschland – dort ist BRD und damit wollen wir nichts zu tun haben“. In seiner kurzen Rede bringt er die Erwartungshaltung an die Kameradinnen und Kameraden  unmissverständlich zum Ausdruck: „Nicht der nationale Widerstand darf bitte schön froh sein, dass sich der eine oder andere irgendwie innerhalb des selben bewegt, sondern jeder einzelne hat sein Tun und Handeln an den Notwendigkeiten des Widerstandes auszurichten.“ Jeder, so die ureigenste rechtsextreme Verblendungslogik, hat sich den Zielen der Volksgemeinschaft unterzuordnen. Die Bedürfnisse des Individuums stören da nur und spielen in diesem ideologischen Konstrukt offenkundig keine Rolle: „Jeder muss aktiv seinen Beitrag leisten und im einzelnen das Ganze stärken. Denn erst wenn wir nach innen diese Ordnung geschaffen haben, wird es uns gelingen diese Ordnung nach außen zu tragen und für eine Veränderung zu sorgen, die so notwendig ist wie noch nie zuvor."


Transparent mit dem Demomotto der extrem Rechten

„Der Staat ist am Ende, wir sind die Wende.“

Mit Parolen wie „Hier marschiert der nationale Widerstand“, „frei, sozial, national“, „Nie wieder Israel“, den immer wieder kehrenden Forderungen nach einem „Nationalen Sozialismus“, „Bitterfeld erwache!“ oder auch „Neun Millimeter für linkes Gezeter“ setzt sich der Aufzug in Richtung Bahnhof in Bewegung. Der Aufforderung: „Bürger lasst das Glotzen sein – auf die Straße, reiht euch ein!“, will in Bitterfeld aber wohl kein Anwohner Folge leisten.

Neben versuchten Einschüchterungen gegenüber kritischen Fotografen und einer versuchter Körperverletzung durch einen Kopfstoss bereits vor Beginn der rechten Demo, fertigt die Polizei an diesem Tage noch Anzeigen wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Ferner eine Anzeige wegen Körperverletzung gab ein Behördensprecher im Nachgang bekannt. Ein Protestierender soll einen Polizeibeamten getreten haben. Der ganz normale Ausnahmezustand am Rande eines Naziaufmarsches (mehr dazu hier...).


verantwortlich für den Artikel:    

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt