„Dort hinten stehen die Täter“

Mehrere hundert Menschen protestieren unter dem Motto BUNT STATT BRAUN friedlich gegen Neonaziaufmarsch in Dessau-Roßlau

In diesem Jahr hat Dessau-Roßlau inzwischen Erfahrung mit dem ganzen Spuk, zum wiederholten Male mit einem braunen. Vor dem Hauptbahnhof ist das enorme Polizeiaufgebot ebenso unübersehbar, wie die obligatorischen Absperrgitter und zahlreiche Protestelemente des Netzwerkes GELEBTE DEMOKRATIE (mehr dazu hier…). Von der Fassade des Rathauses prangte da schon seit 48 Stunden ein Großtransparent mit ein deutlichen Botschaft: NAZIS NEIN DANKE! Gegen 12 Uhr mittags an jenem 13. Oktober 2012 sammeln sich dann die ersten Menschen, mit kreativen oder eher plakativen Ansteckern, Plakaten, Transparenten, Regenbogenfahnen und parteipolitischen Statements eindeutig markiert als Nazigegner. Keine 50 Meter davon entfernt, hintern den Gittern, treffen derweil die ersten Rechtsextremisten ein. Schnell wird zur Gewissheit, dass es diesmal wohl mehr werden als im Januar (mehr dazu hier…), Februar (mehr dazu hier…), März (mehr dazu hier…) und (hier…) oder August (mehr dazu hier…).


Die Demonstrat_innen erinnert auch daran, dass in Dessau das Giftgas Zyklon B produzierte wurde, mit dem die Nazis Millionen von Menschen in den deutschen Vernichtungslagern ermordeten.

Zu diesem Zeitpunkt sind nur vereinzelte Pfiffe des Unmuts zu hören, akustisch dominiert wird die Szenerie von interkultureller Musik die lautstark aus den Protestboxen schallt. Immerhin zeigen mehr Stadträte als sonst bei solchen Anlässen üblich Flagge, ein Offener Brief des hiesigen Bündnisses gegen Rechtsextremismus hatte zuvor eine stärkere Beteiligung der Kommunalpolitik eingefordert. 


Der Stadtratsvorsitzende Dr. Stefan Exner (CDU) bekannte sich zum demokratischen Protest vor der MDR-Kamera.


Protestteilnehmer vor dem Hauptbahnhof






Kamen zunächst nur spärlich zum Einsatz: die Protest-Trillerpfeifen.

Uwe Schmitter greift schließlich zum Mikrophon, dreht sich zu den Nazis um und konstatiert trocken und dennoch zutreffend: „Da hinten stehen die Täter“. Für Schmitter ist die extrem rechte Inszenierung an diesem Tag nicht mehr als ein Versteckspiel, ein plumpes Ablenkungsmanöver: „Begrüßen die Neonazis die Morde an 10 Ausländern durch den ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) und die weiteren Tötungsdelikte, die seit der deutschen Wiedervereinigung von Neonazis oder ihren Gesinnungsgenossen begangen wurden? Der Demonstrationsaufruf der rechtsextremen Kameradschaften enthält dazu kein einziges Wort des Bedauerns!“ Damit spielt das engagierte Mitglied von GELEBTE DEMOKRATIE auf das Demonstrationsmotto der Nazis an, die unter der Losung „FREMDE TÄTER – DEUTSCHE OPFER“ durch die Stadt ziehen wollen. Diese rassistisch konnotierte Parole haben die rechtsextremen Aktivisten indes nicht zufällig gewählt, wollen sie doch damit bewusst irrationale Ängste schüren und diese verstärken. Unter dem altbewährten Schlagwort der „Ausländerkriminalität“, das auch die rechtsextreme NPD in Wahlkämpfen immer wieder in Stellung bringt, soll dabei an bestehende Vorurteile und Stereotype – auch und gerade in der Mitte der Gesellschaft- angeknüpft werden. Im Naziaufruf ist dann auch von „ausländischen Schlägerbanden“ die das Straßenbild vieler deutscher Städte prägen würden, die Rede. Die Realität, dass kann jeder der willens und nicht in den eigenen Verschwörungstheorien gefangen ist, schnell nachrecherchieren, sieht selbstredend anders aus. Der Leitende Oberstaatsanwalt Dessau-Roßlaus, Folker Bittmann, der es schon aus seiner Profession heraus wissen muss, hat die Behauptung einer überbordenden Ausländerkriminalität kürzlich erst öffentlich (mehr dazu hier…) als das zurückgewiesen, was sie offensichtlich ist: neonazistische Propaganda.


Uwe Schmitter (Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE) demaskiert den rassistischen Gehalt des Neonaziaufrufes.


Deutliche Botschaft gegen die rassistische Kampagne der Neonazis.


Auch die Freiwillige Feuerwehr und zahlreiche...


Gewerkschaftsvertreter_innen beteiligten sich an der Auftaktkundgebung.



Dass die Nazis mit dieser Kampagne just zu diesem Zeitpunkt und just in Dessau-Roßlau auftauchen, hat indes Methode. Im Januar dieses Jahres wurde ein Jugendfußballtrainer im Stadtzentrum von einem psychisch kranken Asylbewerber aus dem Senegal lebendbedrohlich mit einem Messer verletzt. Der Täter wurde vom zuständigen Gericht in eine Fachklinik eingewiesen. In der Folge konstituierte sich eine Facebook-Protestbewegung, die in Teilen rassistisch aufgeladenen war und an der sich auch Rechtsextremisten und Neonazis beteiligten.


Die anreisenden Neonazis versammeln sich am Hauptbahnhof unter den Protestplakaten.

Das Opfer der Messerattacke hatte sich indes mehrmals gegen die neonazistische Instrumentalisierung des Angriffs verwahrt. Auch am 13. Oktober steht er kopfschüttelnd am Bahnhof und muss mit ansehen, wie die braunen Populisten sich langsam in ihre Marschaufstellung begeben.

Schließlich machen sich die Protest-Teletubbies aus dem demokratischen Spektrum mit allerlei infantilen Bewegungen warm und die Auftaktkundgebung BUNT STATT BRAUN ist nach einer dreiviertel Stunde schon fast wieder vorbei, hatte sich doch die Organisatoren bewusst gegen ein umfängliches Bühnenprogramm entschieden, um den Protest mobil zu halten. Doch zuvor wird vom Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE noch ein Transparent ausgepackt, das auf große Beachtung stieß und zugleich exemplarisch für eine inhaltlisch-argumentative Auseinandersetzung mit den Nazis steht. Darauf sind insgesamt 182 Namen zu lesen, manche in fetter Schrift, andere nicht. Namen wie „Hans Werner Gärtner“, „Matthias S.“ oder „Nsuzana Bunga“ und „Christelle Mokadila“. Die Auswahl scheint wahllos, sie ist es aber nicht. Aufgelistet sind die 182 Menschen mit und ohne Migrationsbiografie, die seit 1990 nach einer Zählung der renommierten Amadeu Antonio Stiftung (mehr dazu hier…) Opfer rechter und rassistischer Gewalt wurden. Das Transparent begleitet die Nazis schließlich keine 30 Meter vor ihrem Aufzug bis ins Stadtzentrum, damit auch alle wissen wer dahinter durch die Straßen zieht.


Infatil aber wirksam: die Protest-Teletubbies in action.







Die erste Station des demokratischen Stadtspaziergangs ist die Kavalierstraße, direkt vor der Mc`Donalds-Filiale. Hier haben sich die Parteien mit ihren Infoständen positioniert um vor allem jenen Platz demokratisch zu besetzen, an dem der Messerangriff im Januar stattfand.





Die Dessauer Kirchengemeinden sind indes mit ihrer Kundgebung DER REGENBOGEN KENNT KEIN BRAUN an der Friedensglocke gleich neben dem Rathaus präsent und können sich über den Zulauf nicht beklagen. In seinem Statement spannt Günter Donath von der Werkstatt Gedenkkultur (mehr dazu hier…) einen Bogen zwischen der Verantwortung die aus dem NS-Terror  erwachse und aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus: „Und genau wegen dieser Geschichte stehen wir heute hier und sagen: ´Das lassen wir uns nicht länger bieten.`“  Dietrich Bungeroth, seines Zeichens Pfarrer im Ruhestand, bringt derweil seine Empörung über die Nazis, die zur gleichen Zeit auf dem nur 200 Meter entfernten Schlossplatz ihre Zwischenkundgebung abhalten, zum Ausdruck: „Zur Zeit stehen die braunen Kameraden unter dem Leopolddenkmal und unter dem Transparent `Anhalt 800 International`, wenn sie doch nur lesen könnten.“


Neonazis auf dem Schlossplatz zu Füßen des Leopolddenkmals.

Apropos Schlossplatz, dort fand die erste von zwei Zwischenkundgebungen der Neonazis statt. Als Hauptredner trat neben anderen Agitatoren der Hamburger Neonazi-Aktivist Thomas Wulff auf und beschwor die Gefahren, die angeblich durch Einwanderer drohen würden. Das besonders gestörte Verhältnis der Neonazis zur Realität wurde nicht zuletzt an der Stelle seiner Rede deutlich, als Wulff komplett wahrheitswidrig behauptete, der im Januar in Dessau-Roßlau schwerverletzte Jugendtrainer sei heute querschnittsgelähmt.

Rund 280 Neonazis, aus Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Niedersachsen hatten sich für die fremdenfeindliche Demonstration unter dem Motto „Deutsche Opfer – fremde Täter“ in Dessau-Roßlau versammelt. Vom Hauptbahnhof war der Aufmarsch zunächst durch die Innenstadt über den Martk bis zum Schlossplatz gezogen. Neben den üblichen schwarzen Fahnen und einigen Transparenten, die mitgeführt wurden, brüllten die Demonstrationsteilnehmer zahlreiche fremdenfeindliche Parolen. So wurde auch mehrfach die seit den pogromartigen Ausschreitung der frühen 90iger-Jahre bekannte Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandiert. Ein engagierter Bürger erstatte daraufhin Anzeige aufgrund des Verdachtes der Volksverhetzung bei der Polizei.

Als Anmelder der Demonstration fungierte einmal mehr Alexander Weinert (mehr hier...). Nach der Kundgebung auf dem Schlossplatz lief der Aufmarsch über die Museumskreuzung und anschließend weiter in Richtung Dessau-Süd. Auf dem Weg zum angekündigten Endpunkt des braunen Spukes hielten die Neonazis noch eine zweite Zwischenkundgebung ab. Thomas Wulff nutze auch hier die Gelegenheit, sich als Agitator zu versuchen.


Haupredner Thomas Wulff (r.) mit Anmelder Alexander Weinert (M.)

Ein Hauch von Proteststimmung, inklusive lautstarken Unmutsäußerungen, Trillerpfeifenkanonaden und eindeutigen Fingergesten, schlägt den Neonazis dann auf der Museumskreuzung entgegen. An diesem Punkt ist das dezentrale Konzept aufgegangen, an anderen Orten eher weniger.


Lautstarker Protest auf der Museumskreuzung





Im Nachgang hätten sich die Veranstalter um GELEBTE DEMOKRATIE  mehr Menschen gewünscht, die an diesem Tag deutlich Kante zeigen.  

Der Symbolwert des Protestes ist dennoch nicht zu unterschätzen, steht er doch am Ende für die handlungsleitende Prämisse, den braunen Demagogen mit ihrer unsäglichen Klaviatur aus Rassismus, Menschenverachtung und Gewaltaffinität nicht unwidersprochen die öffentlichen Straßen und Plätze zu überlassen.

Doch nach dem Protest ist vor dem nächsten Naziaufmarsch. Der wirft für den 09. März 2013 seine braunen Schatten bereits voraus. Das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE steht hier bereits in den Startlöchern, mit Sicherheit.



verantwortlich für den Artikel:



 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt