„Und wir alle wissen: Mord ist für Nazis kein Betriebsunfall.“

"Woche der Erinnerung" in Gedenken an Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark


Die Stühle sind dafür da, sich zu setzen“, bittet Moderator Joachim Landgraf die rund 100 Gäste, die zum Auftakt der „Woche der Erinnerung“ am 11. Juni in den Dessauer Stadtpark gekommen sind, Platz zu nehmen. Die Anwesenden schauen dabei immer wieder in den Himmel der Muldestadt, dort grummelt und donnert es. Doch das herannahende Gewitter zieht weiter und es bleibt trocken.

Eine nahezu stürmische Erweiterung hat in diesem Jahr auch das Gedenken an Alberto Adriano genommen. Erstmals hat sich der Vorbereitungskreis unter Federführung des Multikulturellen Zentrums (mehr dazu hier…), dem darüber hinaus u. a. das Anhaltische Theater, die Stiftung Bauhaus, das Dessau-Roßlauer Bündnis gegen Rechtsextremismus, der Evangelische Kirchenkreis und das Polizeirevier angehören, dazu entschlossen, mit einer „Woche der Erinnerung“ die Ermordung des Mosambikaners vor acht Jahren zurück ins Gedächtnis der Stadt zu rufen. Das Projekt, vom Lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz unterstützt (mehr dazu hier…), ist dabei mehr als eine konzeptionelle Erweiterung des bisher alljährlich auf die Beine gestellten Begegnungstages (mehr dazu hier…) und.



Durch andere Präsentationsformen, künstlerische Elemente und einer verstärkten Kooperation mit hiesigen Kulturinstitutionen, sollen andere Zugänge gefunden werden um damit nicht zuletzt die Wirkungsmächtigkeit des Gedenkens im lokalen Diskurs erhöht werden. Es geht den Organisatoren auch darum, die Debatte um Alltagsrassismus und rechte Gewalt weiter zu führen, auch und gerade in einem lokalen Bezugsrahmen. Denn diese Phänomene sind der anhaltischen Wirklichkeit nach wie vor immanent (mehr dazu hier…) und leider keine Entwicklungen, die um die Jahrtausendwende zum Stillstand gekommen wären.

Das schätzt offensichtlich auch der Verwaltungsdirektor des Anhaltischen Theaters so ein. „Die Brutalität rechter Gewalt nimmt zu und unsere Zivilgesellschaft gerät in Gefahr.“, sagt Joachim Landgraf, der sich von Anfang an für die Initiative stark gemacht hat. Er ruft dazu auf, „im kleinen Kreis wie im Großen nicht zu zulassen“, dass rechtes Gedankengut weiter hoffähig wird. Bei der geplanten Umgestaltung des Stadtparkes müsse zudem darüber nachgedacht werden, wie man sich im Rahmen einer Erinnerungs- und Gedenkkultur mit dem Mord an Alberto Adriano auseinandersetzte. Landgraf versteht die Anwesenheit des Innenministers Holger Hövelmann ausdrücklich als Würdigung der Veranstaltung.


Joachim Landgraf führt durch das Programm der Auftaktveranstaltung

Doch bevor der SPD-Landesvorsitzende ans Mikro tritt, rappt die Hip Hop-Crew „G-Records“ in selbiges. Die interethnische Band, die sich aus Schülern mit und ohne Migrationshintergrund des Dessauer Philantropinums zusammensetzt, hat einen jugendkulturellen Zugang zum Thema, in der Sprache manchmal derb, aber dennoch erfrischend offen: „Wir wissen alle warum wir hier sind, es war feige ihn umzubringen.“


Rappen gegen Fremdenfeindlichkei: die Dessauer Hip Hop-Crew "G-Records"

Das war ein Schock für diese Stadt und dieses Land und ist es immer noch.“, beginnt Holger Hövelmann seinen Beitrag. Der Innenminister hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus öffentlich zur Chefsache erklärt und lässt auch heute an dieser Prämisse keinen Zweifel: „Es strafft alle die Lügen, die den Rechtsextremismus immer noch als aufgebauschtes Problem ansehen.“ Wenig später wird er neu deutlicher: „Und wir alle wissen: Mord ist für Nazis kein Betriebsunfall.“ Hövelmann fordert eine Ächtung des Rassismus und im Umkehrschluss zugleich einen Integrationsprozess ein, an dem alle – nicht nur die Politik- aktiv mitarbeiten müssten.

Der Fall Adriano zeige aber auch, dass nicht immer weggeschaut werde. Mehrere Bürger hätten so in der Tatnacht unabhängig voneinander die Polizei verständigt. Auf eine „Bereitschaft hinzugucken und auszusagen“ komme es an. Hövelmann sagt auch, dass die Polizei im Fall Alberto Adriano nichts falsch gemacht habe. Damit spielt der oberste Dienstherr aller Polizisten im Land augenscheinlich auf Ermittlungspannen und Versäumnisse bei der Bekämpfung rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in Sachsen-Anhalt an, die in den letzten Monaten für eine breite öffentliche Debatte sorgten und mit denen sich im Landtag mittlerweile ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss befasst (mehr dazu hier…).


Innenminister Holger Hövelmann will im Kampf gegen Rechts nicht nachlassen

Der SPD-Politiker spart ein heikles Thema, gerade in Dessau-Roßlau, nicht aus: „Ich hoffe, dass ein Rechtsfrieden auch vom Urteil im Fall Oury Jalloh ausgeht.“ Seit März letzten Jahres sitzen vor dem Landgericht zwei Polizeibeamte auf der Anklagebank den vorgeworfen wird, durch Unterlassung für den Tod Oury Jallohs in einer Dessauer Polizeizelle mitverantwortlich zu sein. Der Asylbewerber verbrannte im Januar 2005 unter bisher ungeklärten Umständen, war an Händen und Füssen gefesselt und soll dabei mit einem Feuerzeug den Brand selbst entfacht haben (mehr dazu hier…). „Eins Strafbonus für Polizeibeamte darf es ebenso wenig nicht geben, wie eine Vorverurteilung.“, mahnt Hövelmann an.

Sind den alle dummen Leute Rassisten?“, fragt May Minhel den Schauspieler Rainer Böhm der antwortet: „Nein, aber alle Rassisten sind dumm!“ Dieser Dialog gehört zur szenischen Lesung aus dem Buch „Papa, was ist ein Fremder?“ des preisgekrönten Autors Thar Ben Jellun. Die Adaption dieses antirassistischen Jugendbuches wird den Stadtpark noch bis zum Ende der „Woche der Erinnerung“ beschallen.


May Minhel und Rainer Böhm lesen aus dem Buch "Papa, was ist ein Fremder?"

Zum Schluss der Auftaktveranstaltung kommt eine Freundin Alberto Adrianos aus der afrikanischen Community zu Wort: „Wir, deine Freunde vermissen dich. Genau so wie deine Kinder und deine Frau.“ Der größte Wunsch Albertos sei es immer gewesen, einen eigenen Verein zu gründen um sich damit um die Belange der Afrikaner in der Stadt kümmern zu können. Dieser Wunsch sei nun mit der Initiative „Mosangalo e. V.“ in Erfüllung gegangen.

Und Migrantenselbstorganisationen sind, nicht nur in Dessau-Roßlau, wahrlich bitte nötig.

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt