Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus in Anhalt bilanzieren das erste Halbjahr 2011

Rechte Ereignislagen nach wie vor auf einem hohen Niveau  // Dessau-Roßlau und Landkreis Anhalt-Bitterfeld Schwerpunkte neonazistischer Aktivitäten in der Region // Wahlkampf der NPD stand im Mittelpunkt

Die Zahlen und Analysen der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (OBS) und des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus (Projekt gegenPart) beschreiben ein deutliches Bild: In der Region Anhalt (Dessau-Roßlau, Landkreis Wittenberg, Landkreis Anhalt-Bitterfeld) gehören rechtsextreme und demokratiefeindliche Bestrebungen zur Realität auf den Straßen und öffentlichen Plätzen. Zwischen Elbe und Saale haben statistisch gesehen fast  alle zwei Tage Rechtsextremisten Menschen bedroht, Aufmärsche organisiert, Propagandadelikte verübt und zugeschlagen. In der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau konnten erneut die meisten Meldungen festgestellt werden, wobei der Abstand zum Landkreis Anhalt-Bitterfeld kaum noch ins Gewicht fällt. So entfielen in den ersten beiden Quartalen in diesem Jahr insgesamt 45% der Einträge in der gegenPart-Chronik (mehr dazu hier...), in der Straf- und Gewalttaten, Propagandadelikte und Ereignislagen verzeichnet sind, auf die Doppelstadt.

Zudem ist in einigen Gebieten des Zuständigkeitsbereiches der Beratungsprojekte der Trend zu beobachten, dass der jugendkulturell verfasste Rechtsextremismus, der oftmals nicht an organisierte Strukturen gebunden ist, an Bedeutung gewinnt. Diese Entwicklung korreliert außerdem mit einem zusehends stärker werdenden Handlungs- und Bedeutungsverlust der NPD, auch und gerade in den Wochen und Monaten nach der Landtagswahl.  


Chronik des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus

Im ersten Halbjahr 2011 hat die gegenPart-Chronik insgesamt 60 Einträge ausgewiesen, die zusammen 70 Delikten und Ereignislagen entsprachen. Im Vorjahreszeitraum standen 69 Einträge bei 77 Ereignislagen zu Buche (mehr dazu hier...). Trotz des leichten Rückgangs lässt sich ein konstant hohes Niveau an Meldungen konstatierten. Wesentlicher Schwerpunkt blieb bei allen Ereignislagen die Stadt Dessau-Roßlau, auf die allein 45 % aller festgestellten Chronikeinträge entfielen. Ein wesentlicher Schwerpunkt - anders als in den Vorjahren - bestand in Aktivitäten die die NPD im Landtagswahlkampf entfaltet hat. Dieser Bereich machte fast ein Viertel aller Treffer (17) aus.


Quelle/Graphik: MBT Anhalt


Statistik der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt 1. Halbjahr 2010

Die Opferberatungsstelle (OBS) registrierte im Berichtzeitraum insgesamt 12 Straf- und Gewalttaten mit einer rechtsextremen Motivation. Damit sind die festgestellten Delikte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (2010: 15) leicht rückläufig (mehr dazu hier...).

Auf den Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle verteilen sich die 12 Fälle wie folgt:


Quelle: OBS Dessau; Graphik: MBT Anhalt

Rund 70 Prozent aller Fälle im Halbjahr 2010 haben in der Doppelstadt Dessau-Roßlau stattgefunden.

Die Zuordnung der Fälle nach Straftatbeständen und Opfergruppen ergibt folgendes Bild:


Quelle: OBS Dessau; Graphik: MBT Anhalt


Bilanz des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus

Das Mobile Beratungsteam (Projekt gegenPart) hat von Januar bis Juni 2011 insgesamt 19 Verwaltungen, Vereine, Institutionen, Bildungseinrichtungen und Bürgerinitiativen bei der Bewältigung rechtsextremer Ereignislagen begleitend und unterstützt. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Aufwuchs um drei Beratungsprozesse (1. Halbjahr 2010: 16). Die Analyse der Beratungsfälle zeigt zudem, dass der Beratungsbedarf mit einem Gesamtanteil von 60 % (11 Fälle) in Dessau-Roßlau erneut am größten war. Obwohl im Landkreis Anhalt-Bitterfeld fast genau so viele rechte Ereignislagen zu verzeichnen waren wie in der Doppelstadt an Elbe und Mulde, schlägt sich dies bislang nicht in entsprechende Prozesse nieder.

Die wichtigsten Beratungsanlässe waren rechtsextreme Ereignislagen in Vereinen und Verbänden (5) und Bedrohungsszenarien (4) im Zusammenhang mit Strategien der Gefahrenabwehr. 



Quelle/Graphik: MBT Anhalt

Bei der Klient_innen-Zuordnung  sind insbesondere die Aufwüchse in den Bereichen Bildungseinrichtungen (von 0 auf 5 Fälle) und Wirtschaftsunternhemen (von 0 auf 3 Fälle) auffällig. Hinzu kommt, das mehr Akteur_innen aus der Kommunalpolitik beraten werden konnten. 


Quelle/Graphik: MBT Anhalt


Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt

Neonazikameradschaften

In der Region Anhalt sind im ersten Halbjahr Jahr 2010 drei rechtsextreme Personenzusammenschlüsse (Neonazikameradschaft) öffentlich wahrnehmbar in Erscheinung getreten. Im Vorjahreszeitraum waren es noch fünf extrem rechte Gruppierungen (mehr dazu hier...). Als deutungsmächtigste unter ihnen können dabei die „Freien Nationalisten Dessau“ angesehen werden. Dieser Zusammenschluss von Neonaziaktivisten um die im Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt namentlich ausgewiesenen Führungspersönlichkeit Alexander Weinert, zeichtet für die regionale und überregionale Vernetzung verantwortlich und sichert die strategische Handlungsfähigkeit ab. Mit den " Freien Nationalisten Anhalt-Bitterfeld" gibt es dabei nicht nur eine operative Kooperation, sondern eine enge personelle Verflechtung. Beide Zusammenschlüsse lassen sich demnach kaum noch voneinander trennen, treten fast nur noch gemeinsam auf. Auch Neonazis aus dem Raum Köthen, die noch im vergangenen Jahr als eigene Kameradschaft wahrgenommen werden konnten, sind verstärkt im Umfeld der Personenzusammenschlüsse aus Dessau und Bitterfeld auszumachen.

Das regional bedeutsamste Ereignis, der sogenannte Trauermarsch anlässlich der Bombardierung Dessaus alljährlich im März, weist im Vergleich zu den Vorjahren eine sinkende überregionale Bedeutung auf. Der Aufmarsch bleibt jedoch gleichzeitig der wichtigste regionale Szenehöhepunkt (mehr dazu hier...).
 

Neonaziaktivist Alexander Weinert (im Vordergrund) gemeinsam mit der ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Carola Holz (Freie Nationalisten Anhalt-Bitterfeld) beim rechtsextremen Aufmarsch am 12. März 2011 in Dessau-Roßlau

Insbesondere im Landkreis Wittenberg ist eine starke Tendenz zum subkulturellen Rechtsextremismus – ohne kameradschaftliche Struktur – zu verzeichnen. Deshalb sind die Aktivitäten der "Kameradschaft Landkreis Wittenberg" zurückgegangen. Gerade dieser Trend, der zum Teil auch in anderen Gebieten der Region Anhalt zu beobachten ist, birgt zusätzliche Gefahren. Sind es doch vor allem erlebnisorientierte Rechtsextremisten aus dem jugendkulturellen Sektor, die für zahlreiche Gewaltstraftaten verantwortlich sind.


Foto: infothek-dessau.de
Neonazis aus dem Landkreis Wittenberg (u.a. der Aktivist Henry B. aus Gräfenhainichen; 2.v.l. mehr dazu hier...) auf einem rechtsextremen Aufmarsch am 01. Mai 2011 in Halle/Saale

Die neonazistische NPD

Trotz ihres aufwändigen und teuren Wahlkampfes verfehlt die NPD den Einzug in den Landtag – wenn auch nur knapp. Nach dem Scheitern und dem Schassen der vormaligen Landesspitze um Matthias Heyder scheint die Partei zunächst nicht sonderlich aktions- und handlungsfähig zu sein. In der Region Anhalt war sie ohnehin nie besonders stark und musste ihre Bedeutungshoheit stets mit den Kameradschaften austarieren. Daran hat auch die Gründung des neuen Kreisverbandes Anhalt-Bitterfeld (mehr dazu hier...) und der Umstand, dass mit dem ehemaligen DVU-Mitglied Andreas Klar aus Wolfen nun ein Aktivist aus der Region im NPD-Landesvorstand sitzt (mehr dazu hier...), vorerst nichts geändert.


Quelle: Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt; Graphik: MBT Anhalt

Fazit & Ausblick

Die Anzahl der rechtsextremen Angriffe und Ereignislagen in der Region bleibt weiterhin sehr hoch. Im Bereich der Propaganda und ähnlicher „leichter“ Vergehen muss in einigen Gebieten von einer äußerst hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.

Die Tendenz zu hohen Deliktzahlen bei gleichzeitig sinkendem (öffentlichen) Organisationsgrad der Szene (siehe Köthen und Wittenberg) lässt vermuten, dass der Trend zu noch einem noch loseren und subkulturell organisierten Rechtsextremismus weiter steigt.

Ob die Schwächung der Landes-NPD zur Renaissance rechtsextremer Personenzusammenschlüsse und Neonazikameradschaften in Anhalt, wie andernorts bereits zu beobachten, führen wird, bleibt abzuwarten.


Infos/Kontakt:

 

   

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt