„Ein mulmiges Gefühl bleibt dennoch.“- jetzt erst recht...

Alternatives Jugendzentrum Dessau e.V. wehrt sich gegen Überwachung des Vereinsobjektes // Polizei bietet Einblick in die Überwachungsanlage und zieht Angebot der Transparenz wieder zurück

Seit dem 16. Dezember 2008 hat die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost mittlerweile zwei hochwertige Überwachungskameras im Bereich der Schlachthofstraße 25 in Dessau-Nord installiert (mehr dazu hier…). Nach mehreren Neonaziangriffen auf  den hier ansässige Verein(mehr dazu hier…) (und hier…), das Alternative Jugendzentrum e.V. (mehr dazu hier…), stelle diese Maßnahme die letzte Möglichkeit dar, die Nutzer des Hauses vor gewalttätigen Angriffen schützen zu können. Durch die Überwachung sieht das Alternative Jugendzentrum sich in seiner Vereinsarbeit massiv eingeschränkt. Nach konstruktiven Gesprächen mit der Behördenleitung wurde Vertretern des Vereins am 22. Dezember 2008 die Möglichkeit eingeräumt, die Überwachungsanlage im Dessau-Roßlauer Polizeirevier in Augenschein zu nehmen und sich über die technischen Möglichkeiten und die geplante Nutzung zu informieren. Der Wille, Transparenz zu schaffen, um Vorurteile abzubauen, war vorhanden – nun hat die Polizeidirektion dieses Angebot wieder zurückgezogen.


Installation der Überwachungskameras am 16. Dezember 2008

Am 22. Dezember 2008 wurde Vereinsvertretern die technischen Möglichkeiten der Anlage in dem Einsatzbereich des Reviers in der Wolfgangstraße vorgeführt: Zwei Monitore zeigen in Liveübertragung Bilder beider Straßenzüge, die das Vereinsgebäude tangieren. Per Joystick können die Beamten die Kameras schwenken, Infrarotfunktion zuschalten oder den bis zu 36-fachen Zoom der Kameras ausreizen. Zudem haben die Kameras eine „Privatzonenfunktion“, die es ermöglicht, einprogrammierte Bereiche mit einem grauen Feld zu überblenden. Laut Aussagen der Polizeibehörde seien diese Felder nur durch Spezialisten des Technischen Polizeiamtes, an den Kameras direkte zu programmieren oder zu verändern – nicht aber durch Beamte am Pult der Einsatzzentrale im Revier – so beteuern es die Vertreter der überwachenden Behörde.


Überwachungskamera vor dem AJZ Dessau stehen in der Kritik

„Ein mulmiges Gefühl bleibt dennoch.“, so beschreibt es die anwesende Bewohnerin des Vereins, schließlich war klar zu sehen, dass Fußweg und die untere Fassade des Hauses, welches u.a. ihren privaten Wohnbereich darstellt, rund um die Uhr von der Kamera aufgezeichnet werden kann. Den Zugang zum eigenen Wohnraum zu betreten oder zu verlassen scheint nun nur noch möglich unter den Augen von Polizeibeamten und auf Film dokumentiert. Projekte des Vereins, wie z.B. das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus/Anhalt – Projekt Gegenpart, die auf Wunsch eine anonyme Beratung vorhalten, können diese nun nicht mehr hier vor Ort gewährleisten. Bestünden Beratungssuchende auf Anonymität müssten diese fortan an einem anderen Ort aufgesucht werden.


Monitore in der Einsatzzentrale des Polizeireviers

Im weiteren Gespräch offerierten die Vertreter der Polizei das Angebot, dass der Verein drei Personen benennen könne, die zukünftig unangekündigt Einsicht in die Überwachungsanlage nehmen dürften. Dieses Angebot zeugte von großen Entgegenkommen seitens der Behörde, um Transparenz zu schaffen und um das vorliegende Misstrauen abzubauen. Der Verein nahm das Angebot gerne an.


Monitore in der Einsatzzentrale des Polizeireviers

Die Polizeiführung lenkte jedoch schnell wieder ein. Zunächst sollten die Besuche im Revier nur mit Voranmeldung möglich sein, was der Verein seinerseits kritisierte. Die Skepsis und das Misstrauen der Mitglieder und Gäste des AJZ bestehen, u.a. da nicht eingeschätzt werden könne, inwiefern die Privatzonenfunktion der Kameras beliebig ein und aus geschalten werden könnten, um, von AJZ-Nutzern ungeahnt, weiteren Einblick in das Vereinsleben zu nehmen. Die Forderung einer vorherigen Anmeldung zur Inaugenscheinnahme der Überwachungsanlage widerspricht der Intension, Misstrauen und Vorurteile bezüglich eines möglichen Missbrauchs der Überwachungsanlage abzubauen. Gemäß den Gedanken der Skeptiker der Überwachungsmaßnahme, wäre infolge einer Anmeldung natürlich stets sichergestellt, dass bei Anwesenheit der Vereinsvertreter ausschließlich die öffentlichen Bereiche seitens der Behörde eingesehen werden können und jeglicher Missbrauch ausgeschlossen sei.


Polizeirevier Dessau-Roßlau

„Da Sie darüber hinaus von einer „rechtlich bedenklichen“ Videobeobachtung ausgehen, sehe ich mich veranlasst, mein Angebot zurückzuziehen.“, so die Antwort der Polizeiführung. Die Beteuerungen der Polizeibeamten bei der Vor-Ort-Besichtigung hätten genügen müssen, um das Misstrauen abzubauen. Das vormals offerierte Angebot unangekündigter Inaugenscheinnahmen der Anlage im Revier, um Transparenz zu schaffen, ist somit zurück genommen worden. Verein und Bewohner stützen nun ihre Bemühungen auf eine mögliche Klage gegen die Überwachungsmaßnahme, um u.a. ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltend zu machen.


Im Folgendem dokumentieren wir die Position des Alternativen Jugendzentrum e.V. zur Überwachung des Vereinsobjektes:


Dessau-Roßlau, 21. Dezember 2008


Kameraüberwachung vor dem AJZ Dessau e.V. / Schlachthofstraße 25


Seit dem 16. Dezember 2008 hat die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost Kameras zur Videoüberwachung im Bereich der Schlachthofstraße 25, dem Vereinsobjekt des Alternativen Jugendzentrum Dessau e.V., installiert. Infolge mehrerer rechtsextremer Übergriffe auf das Objekt in den zurückliegenden Monaten, hat die Ordnungsbehörde nun die technischen Voraussetzungen geschaffen, um jeglichen Publikumsverkehr im Bereich der Schlachthofstraße 25 präventiv zu dokumentieren. Zwei Kameras zeichnen nun in siebentägiger Dauerschleife jede Regung auf den zwei angrenzenden Straßenzügen auf. 

Diese Maßnahme bedeutet für uns als Verein eine massive Einschränkung der zukünftigen Arbeit, persönlicher Rechte, des politischen Engagements und des kulturellen Lebens im Verein. Die polizeiliche Argumentation nach dem Sachsen-Anhaltinischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz steht hier der Wahrung von Grundrechten entgegen.  Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedes Bürgers wird nun in grober Weise beschnitten. „Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.“ (Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Seit 1983 ist das „Recht der informationellen Selbstbestimmung“ Im Rahmen der „Allgemeinen Persönlichkeitsrechte“ im Grundgesetz Deutschlands verankert.

Die Installation von Überwachungskameras im öffentlichen Raum ermöglicht grundsätzlich zunächst eine Beobachtung möglicher Straftaten und ihrer TäterInnen, genauso wird aber der Überwachung und Beobachtung jedweder unbescholtener BürgerInnen in diesem Bereich Vorschub geleistet. Was sich hinter den Monitoren, zu denen die Bilder geliefert werden, abspielt, ist für PassantInnen nicht einschätzbar, was mit dem gespeicherten Material weiter passieren wird, ist nicht überprüfbar und eine Löschung des aufgezeichneten Videomaterials ist erfahrungsgemäß, trotz Bekunden der Behörde, meist nicht zu erwirken. Die vergangenen Monate und Jahre zeigen genügend Gründe auf, weshalb ein Misstrauen in hiesige PolizeibeamtInnen gerechtfertigt zu sein scheint.

Das Alternative Jugendzentrum ist in der Region ein wichtiger Anlaufpunkt für Engagement gegen Rechtsextremismus und für Toleranzentwicklung, zur Vernetzung und Förderung kultureller Strukturen und hält zudem ein Angebot der Freizeitgestaltung für Jugendliche vor, bei denen diese, oft zum Eigenschutz, eine Anwesenheit von Rechtsextremen per Satzung ausschließen können. Diese Gewähr ist in kaum einer anderen Einrichtung der Region zu erfahren. Eine Kameraüberwachung des Vereinsobjektes in der Schlachthofstraße wird sich sehr abträglich auf das Leben und die Frequentierung der hier ansässigen Vereine, Projekte und Initiativen auswirken.

Das Objekt des AJZ e.V. Dessau beinhaltet in seinen Räumen auch einen privaten Wohnbereich. MieterInnen dieser Wohnungen sehen sich in ihren persönlichen Freiheiten eingeschränkt, wenn sie im Zugangsbereich ihrer Privatsphäre ununterbrochen einer nicht einschätzbaren Beobachtung durch staatliche Institutionen ausgesetzt sind. AnwohnerInnen werden hier ihr Recht geltend machen und Klage gegen die Videografie einreichen, um die Überwachung ihrer Privatsphäre abzuwenden.

Unter anderem als Träger des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus/Anhalt und der Koordinierungsstelle des Lokalen Aktionsplans für Demokratie und Toleranz der Stadt Dessau-Roßlau ist die Schlachthofstraße 25 eine wichtige Anlaufstelle für bürgerschaftliches Engagement zu unterschiedlichen Themen in der Region. Zudem dienen diese Projekte häufig als Erstkontakt für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten und leiten diese folglich an die zuständige Beratungsstelle weiter. Aus unterschiedlichsten Beweggründen heraus sind nicht alle dieser Beratungssuchenden oder Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten bereit, offen mit ihrem Anliegen umzugehen. Da sowohl das Beratungsangebot des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus/Anhalt – Projekt Gegenpart wie auch jenes für Opfer rechter Gewalt auf Wunsch anonym bereit stehen, steht eine Überwachung des genannten Bereiches den Interessen dieser staatlich geförderten Projekte entgegen. Eine Kameraüberwachung in diesem Bereich verunmöglicht somit in einigen Fällen, dass Menschen sich Rat bei rechtsextremen Ereignislagen suchen oder Geschädigte zu einer angemessenen Beratung und Betreuung durch die Opferberatungsstelle gelangen.

Aufgrund dessen, dass eine Videografie im öffentlichen Raum ausgewiesen werden muss, somit öffentlich wahrgenommen wird und bekannt ist, zeigen empirische Studien zumeist eine Verlagerung der Kriminalität bzw. einfach das Bewusstsein bei TäterInnen, ihre Erkennbarkeit vor dem Auge der Kamera zu verunmöglichen. Da sich mögliche StraftäterInnen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vermummen würden, wäre an dieser Stelle der Einsatz der Videografie quasi nutzlos in Hinblick auf Sachbeschädigungen und ähnliche Straftaten potentieller Rechtsextremer gegen das Alternative Jugendzentrum. Glücklicherweise ist die Zivilcourage gegen rechtsextreme Straftäter bei Teilen des Vereinspublikums positiv gelebte Praxis, wodurch in zurückliegenden Einzelfällen die Ergreifung jener StraftäterInnen bereits möglich war.

Videoüberwachung schafft die Möglichkeit einer permanenten Beobachtung des Publikumsverkehrs des AJZ` und wird so in erheblichem Maße die Wahrnehmung und das Engagement der unterschiedlichen Angebote beeinträchtigen. Nach reichlicher Diskussion und Abwägung des Für und Wider einer Kameraüberwachung im Bereich der Schlachthofstraße 25 sind wir, auch vor den Hintergründen der zurückliegenden Sachbeschädigungen, gegen diese massiven Eingriffe in die freiheitlichen Grundrechte. Die kontinuierliche Möglichkeit des Missbrauchs und der Verstoß gegen das Recht der informationellen Selbstbestimmung sind für uns schwerwiegender als mögliche Beschädigungen an materiellen Gütern.

Wir werden uns dieser Maßnahme nicht dauerhaft beugen und werden politisch als auch juristisch dagegen vorgehen.


verantwortlich für den Artikel:

 

 

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt