„Aus einem ungeliebten Kind ist ein angesehener Mitstreiter geworden.“


Bürgerbündnisse gegen Rechtsextremismus professionalisieren sich selbst und diskutieren Handlungsstrategien


I
n der letzten Zeit haben sich in Sachsen-Anhalt viele Initiativen gegründet, die sich für wirksame Strategien zur Demokratienetwicklung stark machen und sich dabei explizit der Zurückdrängung rechtsextremer und fremdenfeindlicher Denk- und Handlungsmuster verschrieben haben. Doch nicht immer wird dieses ehrenamtliche Engagement ausreichend und im wünschenswerten Maße gewürdigt. Oftmals tritt zudem das Problem auf, dass es diesen Zusammenschlüsse nur unzureichend gelingt, im lokalen Diskurs eine Wirkungsmächtigkeit zu erzielen und die BürgerInnen einer Stadt oder eines Landkreises nur schwer für Kampagnen und Aktionen von der Fernseh-Couch zu locken sind.

Offensichtlich genau deshalb, beschäftigte sich der 3. Workshop für Bürgerbündnisse und lokale Akteure gegen Rechtsextremismus am 30. Mai 2008 im Dessauer NH-Hotel mit dem zentralen Thema: „Vor Ort aktiv gegen Rechtsextremismus – gemeinsam oder einsam?“


40 Teilnehmer beteiligten sich intensiv an der Debatte

Die Veranstalter um das landesweite Netzwerk für Demokratie und Toleranz, dem Dessau-Roßlauer Bündnis gegen Rechtsextremismus (BgR) und dem DGB debattierten in Worksshops zahlreiche Fragen. Wie kann es Demokratiebündnissen gelingen, eine qualifizierte und professionelle Öffentlichkeitsarbeit auf die Beine zu stellen? Wie bekommt man einen funktionierenden und nachhaltigen Dialog mit Politik und Verwaltung hin? Wie und mit welchen Aktionsformen reagiert das demokratische Spektrum angemessen auf rechtsextreme Ereignislagen?

Um es gleich vorwegzunehmen, alle Problemlagen und strukturellen Defizite konnte die Veranstaltung nicht lösen. Allerdings hatte man das im Vorfeld natürlich auch nicht avisiert. Was wichtig war, da waren sich die 40 Gäste und Teilnehmer einig, war die Debatte und vor allem der Erfahrungsaustausch in den Workshops. Hier führten nämlich nicht etwa Overhead-Experten eine Fachdiskussion, sondern es fand ein praxisnaher und zielführender Dialog zwischen den Leuten statt, die sich auch tatsächlich dafür interessieren. Die Menschen also, die in Dessau-Roßlau, Sangerhausen, Magdeburg und Bernburg die oftmals bunt zusammen gewürfelten Bürgervereinigungen ausmachen. Es ging um strategische Fehler, die das eine Bündnis in der Vergangenheit gemacht hat und ein anderes diese deshalb nicht zu wiederholen braucht: also ein klassischer best practice-Ansatz. Und es ging darum auszuloten, in wie weit positive und bewährte Erfahrungen, Handlungsstrategien und konzeptionelle Ansätze einer Initiative, auf andere lokale Akteure und deren Arbeit übertragbar sein könnten.


gerade in den Pausen bot sich die Gelegenheit für einen tiefgehenderen Erfahrungsaustausch

Ein Bündnis, dass in den vergangenen 10 Jahren die Höhen und Tiefen zivilgesellschaftlichen Wirkens er- und durchlebt hat, ist das in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...). Dr. Stefan Exner (CDU) würdigt in seinem Grußwort deshalb die Kampagnen und Aktionen der Initiative und bedankt sich zugleich bei den Machern: „So ein Bündnis lebt von Aktivitäten.“ Der Vorsitzende des Dessau-Roßlauer Stadtrates nennt Beispiele, die exemplarisch für das umtriebige Engagement der Akteure in der Muldestadt stehen: Die Aktion Noteingang (mehr dazu hier...), die Errichtung des Info- und Mahnpunktes Zyklon B (mehr dazu hier...) und die Kundgebung „Bunt statt Braun“ am 08. März diesen Jahres (mehr dazu hier...) die maßgeblich dazu beigetragen habe, einen „noch größeren Neonaziaufmarsch in unser Stadt“ zu verhindern. Der CDU-Politiker weis, dass die konsequente Umsetzung solcher Aktivitäten gerade in Zeiten, in denen wenig Interesse an demokratischer Mit- und Ausgestaltung bestehe nicht immer leicht sei: „Dazu werden kreative Ideen und viele Mitstreiter benötigt.“ Deshalb sei es wichtig, bestehende Konzepte zu überdenken und immer wieder nach neuen Wegen zu suchen.


Dr. Stefan Exner würdigt das Engagement des Dessau-Roßlauer Bündnisses gegen Rechtsextremismus



"Bunt statt Braun" - auch die vorherrschende Taschenmode scheint sich diesem Motto verpflichtet zu fühlen

Udo Gebhardt begleitet das BgR seit Jahren und stellt selbstbewusst fest: „Da wo DGB drauf steht, war immer viel Udo Gebhardt drin.“. Für den DGB-Landesvorsitzenden, der im Stadtrat Dessau-Roßlaus sitzt, ist die kleine Geschichte dieser Initiative eine „Erfolgsstory“. Der Gewerkschafter konstatiert zudem in der letzten Zeit eine gesteigerte Sensibilisierung für das Themenfeld Rechtsextremismus: „Mehr Politiker bringen sich in unsere Bündnisse ein, dass war vorher nicht so.“ Gleichzeitig mahnt er an, dass eine solche zivilgesellschaftliche Bewegung, wenn sie den wirklich gewollt ist, nicht nur mit politischen Willensbekundungen zu unterstützen sei. Dann müsse man auch über finanzielle und personelle Ausstattung reden. Gebhardt erhebt noch eine weitere Forderung: „Wir erwarten natürlich, dass solche Bündnisse im rechtlichen Rahmen Vorrang haben.“ Damit meint er dass es versammlungsrechtlich möglich sein müsse, dass der demokratischen Protest gegen Neonazisaufmärsche auch von den Ordnungsbehörden aktiv unterstützt werden könne. Die polizeilichen Ermittlungspannen bei der Aufklärung eines rechten Überfall auf eine Theaterensemble in Halberstadt nennt er „skandalös“. Hier und bei anderen Fällen sei es das mindeste, dass sich die Polizei bei den Geschädigten und Opfern entschuldige.


der DGB-Landesvorsitzende Udo Gebhardt fordert integrierte Strategien beim Umgang mit Rechtsextremisten in den Kommunalparlamenten

Als Kommunalpolitiker treibt Gebhardt vor allem der Umgang mit rechtsextremen Parlamentariern um: „Hier ist ein einheitlicher Kodex notwendig“. Es gelte, dass sich die demokratischen Parteien auf gemeinsame Standards einigen. Es könne nicht angehen, das im Kreistag Mansfeld-Südharz ein NPD-Alterspräsident nicht zu verhindern gewesen wäre. Gebhardts eigener Umgang mit der rechtsextremen DVU im Stadtrat Dessau-Roßlaus, könnte dabei ein Vorbild sein (mehr dazu hier...) und (hier...). Schließlich fordert er für den Beirat des landesweiten Netzwerkes für Demokratie und Toleranz, in dem er selbst sitzt, eine aktiverer Rolle und mehr Befugnisse ein: „Der Beirat darf kein Feigenblatt sein.“

Da passt es gut, dass die Geschäftsführerin des Netzwerkes nach dem Gewerkschafter spricht. Cornelia Habisch freut sich darüber, dass die Kampagne „Hingucken“ verstetigt werden konnte (mehr dazu hier...). Das wäre zukünftig gerade für die Region Anhalt wichtig, da sich hier rechtsextreme Strukturen um die neonazistische NPD und ihrer Jugendorganisation verfestigt hätten (mehr dazu hier...). „Das sind neue Entwicklungen, denen wir uns stellen müssen“, ermutigt Habisch alle Gäste. Als neues Gefahrenpotential macht die Mitarbeiterin der Landeszentrale für politische Bildung insbesondere die so genannten „Autonomen Nationalisten“ im rechtsextremen Kameradschaftsspektrum aus. Diese gewaltbereite und militante Strömung würden sich von ihrer jugendkulturellen Verfasstheit her - bei allen inhaltlichen Unterschieden- sehr stark am Konzept der Linksautonomen orientieren. Dieses klandestine Agieren mache es zusehens schwieriger, diese Szene zu beobachten und überhaupt erst als solche zu erkennen.


Cornelia Habisch ermutigt die lokalen Akteure



Alfred Krüger ist nicht nur ein rüstiger Rentner, sondern auch Gründungsmitglied des Dessau-Roßlauer Bündnisses gegen Rechtsextremismus (BgR). Er erzählt, dass die Aktivisten 1998 selbst davon überrascht waren, dass innerhalb weniger Wochen über 1000 BürgerInnen der Stadt den BgR-Gründungsaufruf unterzeichneten. Krüger spart die Vorbehalte, die es gegen das Gremium gab nicht aus. So hätten sich nicht alle demokratischen Parteien eingebracht. „Das ist bis heute so geblieben, leider“, sagt er zur Weigerung der örtlichen CDU, sich aktiv in das Bündnis einzubringen. Doch Krüger ist auch optimistisch und auch ein wenig stolz. Heute würde dem Bündnis im lokalen Diskurs eine viel größere Rolle zugestanden und auch deutungsmächtige lokale Akteure fühlten sich den Aktivitäten jetzt eng verbunden: „Von einem engagierten Pfarrer zum Kirchenpräsidenten und auch der Oberbürgermeister besucht und jetzt.“ Er bringt die aus Sicht des Bündnisses erfreuliche Entwicklung auf den Punkt, wenn er sagt: „Aus einem ungeliebten Kind ist ein angesehener Mitstreiter geworden.“


Alfred Krüger vom Dessau-Roßlauer Bündnis gegen Rechtsextremismus

Krüger ist es besonders wichtig, die basisdemokratische Arbeit und Organisation des pluralistischen Zusammenschlusses hervorzuheben. So werde konsequent auf einen Vorsitzenden oder Sprecher verzichtet: „Konsens wird gesucht, eine Abstimmung findet nicht statt“, umreißt er zudem die oftmals komplizierten Debatten. Am Sinn dieser Veranstaltung lässt das Gründungsmitglied indes keinen Zweifel aufkommen: „Der Erfahrungsaustausch ist die billigste Investition.“

Und während die meisten Teilnehmer des Workshops sich danach in den Arbeitsgruppen zu intensiveren Gesprächen zurückziehen, holt einige Akteure die rechtsextreme Wirklichkeit ein: Die NPD hat für den kommenden Tag ein Aufzug in der Dessauer Innenstadt angemeldet (mehr dazu hier…).

verantwortlich für den Artikel:



 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt