„Wir brauchen eine ehrliche und offene Auseinandersetzung mit unserer Stadtgeschichte und nicht das, was die Nazis hier machen.“

Gelungenes Bekenntnis für Demokratie und Weltoffenheit // 700 Menschen demonstrierten am 13. März 2010  mit vielfältigen Aktionen gegen brauen Ungeist in Dessau-Roßlau // Neonaziaufmarsch wird friedlich blockiert

Und Dessau-Roßlau bewegt sich doch! Mit dieser trotzigen Entgegnung an die Adresse der ewigen Zweifler und Nörgler kann die Reaktion nicht weniger Menschen beschrieben werden, die sich am Protest gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten beteiligten. Damit hat wohl auch das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE, das zusammen mit der Stadtverwaltung, Parteien und Vereinen zur Aktion „Bunte Vielfalt statt brauner Ungeist“ aufgerufen hatte (gegenPart berichtete), seine Gesellenprüfung erfolgreich bestanden. Dafür sprechen auch die Tatsachen, dass lokale Unternehmen die Aktionen mit Spenden unterstützten, die Feuerwehr diesmal zum Löschen ideologischer Brände ausrückte und für wenige Tage ein entschlossenes Grundrauschen in der Stadt an Elbe und Mulde zu vernehmen war. Der engagierte Teil der hiesigen Bürgergesellschaft hat dabei durchaus Kreativität und Humor bewiesen.


Die zentrale Protestkundgebung auf dem Marktplatz war gut besucht


Das Rathaus bunt und demokratisch verschönert

Da wurden die Teletubbie-Kostüme aus dem letzten Jahr entstaubt (mehr dazu hier…), braune Schnittchen verteilt, Kehrmaschinen angeschmissen, Luftballons in den Himmel geschickt und die Dark-Rocker „Down Below“ auf die Bühne geholt. Aber ein mutiges - und zu mindestens für Dessau-Roßlau neues Element der Protestkultur - kam besonders gut an, sorgte aber gleichzeitig auch für Erstaunen und offene Münder. Fast 100 Menschen, darunter KommunalpolitikerInnen, Selbstständige und Kirchenleute, stellten sich den Nazis friedlich in den Weg und blockierten deren Marschroute gleich zweimal. Dieser Mut und Ausdruck zivilen Ungehorsams wird auch in den kommenden Jahren gefragt sein, haben die Neonazis doch bereits bis 2015 ihre „Trauermärsche“ in der Stadt angemeldet.







Das Stadtbild Dessau-Roßlaus gleicht am späten Vormittag des 13. März 2010 eher einer anachronistisch-surrealen Momentaufnahme, denn einer 80.000 Einwohner zählenden Kommune im Herzen Sachsen-Anhalts. Die Straßenbahnen fahren nicht, die Gehwege sind zunächst wie leergefegt, am Hauptbahnhof und auf dem Marktplatz stehen Dutzende Polizeifahrzeuge und einige Banner bewerben immer noch das kürzlich zu Ende gegangene international renommierte Kurt-Weill-Fest.



Zahlreiche Transparente an öffentlichen Gebäuden, lädierte Aufhänger auf denen in großen Lettern die Botschaft „WELTOFFENHEIT“ steht (mehr dazu hier…), lautstark schallende Klänge aus dem Schwabehaus in der Johannisstraße und geflaggte Regenbogenfahnen deuten jedoch schon auf das Spektakel hin, das die Stadt nicht wollte und sich deshalb zu Wehr setzt.


Aus dem Schwabehaus bekamen die Nazis später mächtig was auf die Ohren




Klare Botschaft am Sozialamt der Stadt...


... in der Poststraße...


...und an der Stadtbibliothek



Nach und nach versammeln sich am Bahnhof 230 Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Niedersachsen, um mit einem so genannten Trauermarsch an die Bombardierung der Stadt im 2. Weltkrieg zu erinnern. Angeheizt durch bombastische Richard Wagner-Klängen stellen sich die zumeist in schwarz gekleideten und martialisch wirkenden jungen Männer und Frauen in Reih und Glied auf. Schon eine oberflächliche Analyse der mitgeführten Plakate zeigt, dass eine ausgewogene historische Betrachtung hier nicht gewollt ist. In geschichtsverfälschender und zugleich infantiler Logik, die die Verbrechen des Nationalsozialismus leugnet und damit die NS-Opfer verhöhnt, ist man sicher den „alliierten Bombenterror“ entschlossen verurteilen zu müssen. Wenig später sollten die extrem rechten Brandredner noch deutlicher werden.


Rechtsextremisten werden in der Zerbster Straße mit lautstarken Protesten empfangen

DemonstrantInnen gestalten die Ankunft der Nazis in der Bauhausstadt indes auf ihre ganz eigene Art. Diese werden mit der Filmmusik des Gassenhauers „Ghostbusters“ oder dem „Knallroten Gummiboot“ ebenso begrüßt, wie durch das Bläserquintett des Anhaltischen Theaters und der Teletubbie-Fraktion der Bündnisgrünen. Da droht Richard Wagner schon einmal akustisch unterzugehen. Nach nicht einmal 100 Metern geht zunächst nichts mehr. Der Naziaufmarsch gerät ins Stocken. Über 100 Menschen unterschiedlichster Provenienz – vom Rentner bis zur Angestellten, von der Kommunalpolitikerin bis zum alternativen Jugendlichen - haben sich untergehakt und die Bahnhofskreuzung blockiert. Fast eine Stunde kann der braune Zug so aufgehalten werden. Der Aufforderung der Polizei, den Weg freizumachen, folgen indes nur wenige: Ziviler Ungehorsam ist angesagt. Schließlich setzen die Beamten das Versammlungsrecht der Neonazis durch. Die ProtestlerInnen werden eingekesselt und für die Rechten wird eine Gasse gebildet. Bei der Auflösung der Blockade soll es derweil auch zu  einem rüden und unverhältnismäßigen Auftreten einzelner BeamtInnen der Bereitschaftspolizei gekommen sein, wie auch die Kommune später kritisierte (mehr dazu hier…).


Die Blockade auf der Bahnhofskreuzung 

Szenenwechsel. Auf dem Marktplatz im Stadtzentrum bekommen die Menschen von der dynamischen Entwicklung am Hauptbahnhof zunächst nichts mit. Hier haben sich zur zentralen Protestkundgebung 600 BürgerInnen und Gäste der Stadt versammelt, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Neben Erbsensuppe und alkoholfreien Trenddrinks stellen zahlreiche Projekte ihr Engagement für Demokratie und Toleranz vor. Am Stand des Lokalen Aktionsplanes (mehr dazu hier…) kann sich so der geneigte Besucher über die bunte und vielfältige Projekt- und Initiativenlandschaft der Stadt informieren. Die Servicestelle SCHULE OHNE RASSISMUS – SCHULE MIT COURAGE (mehr dazu hier…)  wirbt nicht nur für das größte Schulnetzwerk in Europa, sondern hat auch den Aufruf des Netzwerkes GELEBTE DEMOKRATIE auf einem großen Stoffballen festgehalten und bittet fleißig um Unterschriften. Gewerkschaften und einige Stadtratsfraktionen zeigen, dass ihnen das Engagement für eine weltoffene Stadt nicht egal ist. Die ÖSA-Versicherung verteilt Tee und als spezielles Schmankerl Schokoladenschnitten: denn ein brauner Brotaufstrich sei allemal besser als brauner Spuk auf der Straße. Besonders umringt wird die Aktion der St. Johannis GmbH. Hier können Postkarte mit ganz persönlichen Botschaften versehen werden: „Ich bin weltoffen, weil...“ Anschließend kommen die Grüße dann an einen bunten Luftballon, der im wolkenverhangenen Märzhimmel davon fliegt. Vor allem für die Kids ein großer Spaß.


Braune Schnitten gab`s gratis am ÖSA-Stand


Der überdimensionierte Aufruf des Netzwerkes GELEBTE DEMOKRATIE...


...der später von vielen Menschen unterzeichnet wurde




Die Servicestelle SCHULE OHNE RASSISMUS wirbt für die europaweite Kampagne


Die Aktion der St. Johannis GmbH stieß auf große Resonanz...



...an der nicht nur die Kids großen Spaß hatten...


...

Aus den Boxen schallt schon eine ganze Zeit ein musikalischer Schüttelmix von den „Ärzten“ bis Kurt-Weill, als Oberbürgermeister Klemens Koschig die Bühne betritt. „Ein Tag wie heute beweist, wir müssen die Demokratie zu verteidigen wissen“, sagt das parteilose Stadtoberhaupt und vergisst dabei nicht, den engagierten Menschen, Vereinen und Unternehmen genau dafür zu danken. Der 2. Weltkrieg habe in Dessau Wunden hinterlassen, die noch zu sehen seien. „Wir brauchen eine ehrliche und offene Auseinandersetzung mit unserer Stadtgeschichte und nicht das, was die Nazis hier machen“, stellt Koschig klar. Gerade Rechtsextremisten würden aus ideologischem Kalkül und in einem in sich geschlossenen Verblendungszusammenhang geschichtliche Ursachen und Wirkungen nicht benennen. Aber zur historischen Wahrheit gehören eben auch die Rüstungsbetriebe die für die Wehrmacht Kriegsmaterial herstellten und die Produktion des Schädlingsbekämpfungsmittels Zyklon B in der Stadt (mehr dazu hier...). Dennoch wehrt sich Koschig gegen den erhobenen Vorwurf, Dessau sei eine Täterstadt: „War der Arbeiter ein Täter, der Abteilungsleiter oder der Direktor?“


Oberbürgermeister Klemens Koschig




Aufmerksame ZuhörerInnen verfolgen die Statements von der Bühne
                
Innenminister Holger Hövelmann (SPD) ist sich mit Blick auf den 13. März in Dessau-Roßlau sicher: „Die Demokratie muss viel ertragen“. Auch wenn die Mehrheit der Menschen eine ganz andere Meinung habe, gelte das hohe Gut der Versammlungsfreiheit nun einmal auch für Neonazis. Das hieße aber noch lange nicht, den Rechtsextremisten die Straßen und Plätze zu überlassen: „Die gehören den Menschen, die hier leben.“ Der SPD-Politiker betont, dass auf rechten „Trauermärschen“ wie dem in Dessau-Roßlau ganz bewusst Geschichtsklitterung propagiert und damit Ursache und Wirkung vertauscht werde: „Die Angriffe auf deutsche Städte waren der Schlusspunkt eines Krieges, der von Deutschland ausging.“ Die extrem rechte Deutung dürfe nicht unwidersprochen bleiben. Wohl auch deshalb freut sich der oberste Dienstherr der Polizei im Land darüber, dass sich so viele an den Protesten beteiligen. Man muss sicherlich kein Prophet sein um zu vermuten, dass der Innenministers Sachsen-Anhalts zu diesem Zeitpunkt schon über die 1. Blockade des Aufmarsches informiert war. Holger Hövelmann ist dafür bekannt, dass er sich vehement für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren einsetzt. Das ist auf dem Dessauer Marktplatz nicht anders: „Ich finde die NPD ist verfassungsfeindlich und gehört verboten.“ Doch Verbote seien eben kein Allheilmittel, denn schließlich könne man die Ideologie nicht sanktionieren und den „Leuten in den Kopf schauen“. Genau deshalb plädiert er dafür, an präventiven Projekten und Programmen festzuhalten. Auch in noch mehr Bildung setzt er Hoffnungen. Vor allem deshalb, weil die heutigen Nazis eben nicht vom Himmel gefallen seien: „Das sind unsere Kinder, Enkel und Urenkel.“ Zum Schluss packt Hövelmann noch eine unmissverständliche Botschaft aus: „Wir brauchen keine Neonazis in dieser Stadt und in diesem Land.“ Der Szenenapplaus ist ihm damit sicher.


Innenminister Holger Hövelmann (SPD)



  

Der Auftritt von Joachim Liebig ist genau so kurz wie originell. Für den Kirchenpräsidenten besteht kein Zweifel daran, dass Dessau-Roßlau weltoffen ist. Schließlich fingert er in seiner Jackentasche herum, zieht ein Schokoladenstückchen heraus und schiebt es sich genüsslich in den Mund: „Braunes mag ich gar nicht, mit einer Ausnahme“. Das sei dem Kirchenmann selbst in der Fastenzeit verziehen.


Kirchenpräsident Joachim Liebig steht auf Schokolade

Und während die Wittenberger Band „Nostalgie“ mit ihren Klezmer-Klängen vereinzelte Tanzbeine zum Mitwippen animiert, geistert ein Gerücht über den Marktplatz, dass später zur Gewissheit werden sollte. Moderator Ralf Schüler verkündet die Blockade am Bahnhof und bittet gleichzeitig um Verständnis dafür, dass es später sehr laut werden wird: „Da starten wir hier einen richtigen Braten“. Dieses akustische Nachladen lässt dann auch nicht lange auf sich warten. Als die Nachricht eintrifft, dass die Nazis weitermarschieren und gleich in die Nähe des Marktplatzes kommen, werden die Regler gnadenlos nach oben gedreht. Was dann auf der Bühne passiert, interessiert zunächst nicht mehr. Die Menschen laufen die wenigen Meter den Boulevard herunter und wollen sich den Aufzug der Ewiggestrigen mit eigenen Augen anschauen.


Die Sängerin der Klezmer-Band "Nostalgie" aus Wittenberg...


...motivierte so einige Tanzbeine


Moderator Ralf Schüler führte durch das Programm


Die Kindertanzgruppe "Holiday" mit ihrem "tierisch gutem" Auftritt

Die haben sich neben der Wissenschaftlichen Bibliothek und dem Palais Dietrich, Gebäuden die mit ihrer Geschichte für Aufklärung und Toleranz stehen, in Reih und Glied zu einer Zwischenkundgebung aufgebaut. Wieder schallt Wagner aus den Boxen und mit geifernden Stimmen versuchen die rechten Redner das Pfeifkonzert zu übertönen. Frank Nowak vom Dessauer Bund der Vertriebenen (mehr dazu hier...) begrüßte mit krächzender Stimme die „so zahlreich Angetretenen … zum Ehrenappell des Gedenkens der gefallenen Bombenopfer der Heimatfront vor 65 Jahren“. Die „junge Generation“, so Nowak, sei aufgerufen, „die historische Wahrheit zu erforschen und zu erkennen und den Mut zu haben, zu unserer Geschichte ‚Ja‘ zu sagen. Die Geschichte muss frei von der Geschichtsschreibung der Sieger sein“, forderte der Dessau-Roßlauer im Namen der „Heimatvertriebenen Mitglieder vom Dessauer Kultur- und Heimatkreisarchiv“. In Anspielung auf die Unterzeichnung der Kapitulation Nazideutschlands betonte der Dessauer BdV-Vertreter: „Wir gedenken und trauern – wir feiern nicht!“

Wer bisher noch den leisesten Zweifel an den menschenfeindlichen Motiven der Geschichtsklitterer gehabt hat, wird spätestens hier eines Besseren belehrt. Völlig unverblümt und demaskierend werden dort Huldigungen an die Nazisoldaten ausgesprochen und mit voller Überzeugung behauptet, dass Deutschland den 2. Weltkrieg nicht angefangen habe. Nicht nur einmal wird in dieser Situation der Ruf nach der Staatsanwaltschaft laut.


„Die Geschichte muss alle 50 Jahre neu geschrieben werden“, beginnt der Hildesheimer Neonazi Dieter Riefling seine Rede und wähnt diese Frist längst überfällig: „Seit dem Ende des zweiten großen Völkerringens im letzten Jahrhundert“, wie er den Weltkrieg verharmlost, der von deutschem Boden ausging, „sind nunmehr weit mehr als 50 Jahre vergangen. Und die Umerziehung, die neue Geschichtsschreibung der damaligen alliierten Sieger bedarf nunmehr endgültig der Korrektur“, so Riefling. „Korrektur dahingehend, dass nun wieder die Wahrheit in die Geschichtsbücher Einzug halten muss. Die Wahrheit insofern, dass es erstens Fakt ist, dass nicht Deutschland den Krieg begonnen hat, sondern die alliierte Hochfinanz, dessen Marionetten Churchill, Roosevelt und Stalin waren“, konstatiert der ehemalige Kader der verbotenen FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) als „erste Wahrheit“. Als „zweite Wahrheit, die in den Geschichtsbüchern wieder Einzug halten muss“, wähnt Riefling, „dass wir nicht befreit worden sind, sondern dass lediglich unsere Wehrmacht ehrenvoll die Waffen in einem Waffenstillstand niedergelegt hat. Wir sind nicht besiegt worden, wir haben nur eine längere Pause in diesem Völkerringen eingelegt.“ 

„Jeder wehrhafte Deutsche“, sei dem Neonazi zufolge, „auch heute noch dazu aufgerufen …, sein Volk und seine Heimat zu verteidigen. Und wir haben das Recht, ja die verdammte Schuldigkeit, die Feinde unseres Volkes anzugreifen“, hetzt Riefling weiter. Als Feinde hat der Neonazi die „Marionetten der internationalen Hochfinanz“ genauso auserkoren wie die Gegendemonstranten, die „dort drüben stehen und pöbeln und sich im eigenen Dreck suhlen, der ihnen von den eigenen Siegern hier hin gekarrt wurde“. „Wenn der Tag einst gekommen ist“, so Riefling weiter, „dass wir diese vorrübergehende Organisationsform BRD endlich in den Lokus der Geschichte schicken können, dann werden wir ihnen die Hand reichen und sagen: Volksgenosse, leiste mit uns Aufbauarbeit, bring dich ein in die Volksgemeinschaft.“ Wer dem Weg nicht zu folgen bereit sei, dem werde man sich handgreiflich widmen müssen.


Der Protest in der Zerbster Straße formiert sich...


...um wenig später zu einer Menschenkette anzuwachsen

Für viele Bürger und Bürgerinnen ist das Maß des Erträglichen damit überschritten. Kurzer Hand finden sich erneut KommunalpolitikerInnen, Kirchenvertreter und Mitglieder Dessauer Vereine zusammen, die sich unterhaken und sich dem Aufmarsch mehrreihig entgegenstellen. Andere setzen sich einfach auf die Straße. Die zweite Blockade steht. Anderen Blockadewilligen versperrt die Polizei mit Einsatzfahrzeugen den Zugang. Als den Aufforderungen zur Räumung nicht nachgekommen wird und daran auch die als Konfliktmanager ausgewiesenen BeamtInnen nichts ändern können, werden die Menschen schließlich weggetragen.



Unter lautstarken Protestrufen setzt sich der braune Aufzug wieder in Bewegung. Bereits an der nächsten Straßenecke warten Musiker des Kirchenkreises auf die Rechtsextremen und blasen ihnen gehörig den Marsch. Zuvor bekamen sie schon aus dem Schwabehaus so richtig was auf die Ohren. Dort hatten sich Liedermacher zu einem Live-Jam getroffen und die Wegstrecke mit Friedensliedern beschallt.


Musiker des Dessauer Kirchenkreises Trompeten für Toleranz

Zurück auf dem Marktplatz. Dort entern gerade die Dark Rocker von „Down Below“ die Kundgebungsbretter und begeistern mit ihrem 30minütigen Semi-Unplugged-Auftritt, Gastmusikerin inklusive, ihre vorwiegend jugendlichen Fans. Die sind von Liedern wie „Weißt du noch?“ hellauf begeistert und zücken unentwegt Handykameras und alles, mit dem irgendwie Fotos zu machen sind. Frontman Neo Scope hat aber nicht nur Songs am Start, sondern eine Position im Gepäck, mit der er durchaus in der Tiefe überrascht. Die Forderung „Nazis raus?“ sei immer mit der Frage: „Ja wohin denn eigentlich?“ verbunden. Die rechtsextreme Ideologie sei es, die aus den Köpfen gehöre. Um das zu ermöglichen, ist für ihn eine Stärkung des Selbstbewusstseins junger Menschen unerlässlich. Für Neo Scope gehören vor allem attraktive kulturelle Angebote dabei unbedingt dazu. Wohl mehr als ein versteckter Seitenhieb, auf die jüngst bekanntgewordenen Sparpläne der Kommune in diesem Sektor.


Down Below-Frontman Neo Scope rockt den Marktplatz und begeistert...


..damit vor allem jugendlichen Publikum





Als die Kundgebung auf dem Markt schon längst beendet ist, ziehen die Nazis noch durch die Stadt. Immer wieder vom Protest-Transporter begleitet, der den Lautstärke-Battle mit Richard Wagner ein ums andere mal für sich entscheiden kann. Ein Gedenkzeremoniell vor dem Friedhof III in der Heidestraße, wie in den vergangenen Jahren, bleibt den Neonazis zumindest an diesem Tag verwehrt. Mitglieder und SympathisantInnen der VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) hatten sich den Platz für diesen Nachmittag mit einer Mahnwache für die im Nationalsozialismus ermordeten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter reserviert.

Den Seitenausgang des Friedhofs nehmen die Neonazis als Ausweichort für ihr Gedenkzeremoniell im Fackelschein. Der Dresdner Neonazi des „Aktionsbündnisses gegen das Vergessen“ Maik Müller referiert hier über die Bombardierungen, die Dessau im Zuge des zweiten Weltkrieges zu verzeichnen hatte. „Heute“, so Müller, „65 Jahre danach, müssen wir erleben, wie die Demokraten und die von ihnen finanzierte Antifaschistische Aktion immer wieder versuchen, das ehrenhafte Gedenken an die Toten unseres Volkes zu unterbinden“, echauffiert er sich.

Die letzten Worte hält der Hildesheimer Dieter Riefling zur zweiten Zwischenkundgebung. „Der Ruf an die deutsche Jugend gilt: Ewig lebt der Toten Tatenruhm“, so der Niedersachse. Mit der Anweisung: „Die Fahnen senkt!“ leitete der Neonazi eine Schweigeminute und das Ablegen des Kranzes ein. „Die Fahne hebt!“ erschallte es kurz darauf. Die laut eigener Auflagen der Organisationsleitung einzig zugelassenen schwarzen Fahnen, so Riefling, seien die „Fahnen der Trauer und der Not für die Toten des vergangenen Krieges und für die Gegenwart, die wir erdulden müssen.“ Der Neonaziredner schloss das Gedenkzeremoniell am Friedhof III ab mit: „Hoffen wir, dass wir die Fahnen bald gegen andere eintauschen dürfen.“ Danach setzten sie ihren Weg bis zum Bahnhof Süd fort. 



Das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE wird sich in den nächsten Tagen übrigens zusammenfinden, um ein Resümee zu ziehen und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Denn auch im nächsten Jahr werden die Nazis wieder in die Stadt kommen. Eine Idee, so war hinter vorgehaltener Hand zu hören, gibt es schon: Ein professionelles Blockadetraining. Kein Witz.

verantwortlich für den Artikel:



           

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt