„Das ist uns ja noch nie passiert…“

400 Menschen protestieren gegen rassistische GIDA-Regional Demo am 28.08.2015 in Dessau-Roßlau/ Geplanter „Abendspaziergang“ konnte erfolgreich verhindert werden

Die Stimmung am Dessauer Rathaus ist noch ruhig, als dort nur unweit der GIDA-Kundgebung ein knallgelber Infotisch aufgebaut wird. Erste engagierte Menschen und interessierte Bürger_innen kommen vorbei, informieren sich über die Gegenaktivitäten des Netzwerkes und die Situation von Flüchtlingen in Deutschland. Ein freundliches Beisammensein stellt sich ein, die ersten Protestutensilien wie Trillerpfeifen und Willkommensbeutel werden mitgenommen und langsam füllt sich der Platz.


Infostand des Netzwerkes Gelebte Demokratie am 28.08.2015 am Dessauer Rathaus


Protestutensilien: Trillerpfeifen, Willkommensbeutel und Buttons

Die Szenerie sollte sich nur wenig später drastisch ändern, insbesondere was die Geräuschkulisse anbelangt. Am 28. August 2015 sind es am Ende rund 400 Menschen, die friedlich und lautstark im gesamten Stadtgebiet gegen die rassistische GIDA-Regional-Inszenierung demonstrieren. Mit insgesamt fünf Kundgebungsorten und einer Protestdemonstration traten ab 18 Uhr zahlreiche Vereine, Initiativen, Kirchgemeinden und engagierte Einzelpersonen für eine offene und demokratische Gesellschaft  und eine menschenrechtsorientierte Willkommenskultur ein. Aufgerufen zu den Protesten hatte das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE unter dem Motto „Dessau-Roßlau für Vielfalt und Weltoffenheit“ (mehr dazu hier…).

Los geht’s an diesem ereignisreichen Tag mit einer Demonstration, die Schlag 18.00 Uhr vor dem Multikulturellen Zentrum der Stadt in der Parkstraße startet. Insgesamt 80 Flüchtlinge und Migrant_innen, sind gekommen, die in Sachen Persiflage und Entlarvung der kruden PEGIDA-Thesen zu einer vielbeachteten Form auflaufen und dabei auch nicht mit humoristischen Qualitäten geizen. So sind auf den bunten Schildern grimmepreisverdächtige Elaborate wie „Esst Ihr heimlich Döner?“, „Gegen die Idiotisierung des Anhaltlandes!“ und „Helfen statt Hetzen!“ zu lesen.


Demonstrationszug des Multikulutrellen Zentrums, ganz nach dem Motto: "Astronauts against Racism"


Demonstrationszug des Multikulutrellen Zentrums


Demonstrationszug des Multikulutrellen Zentrums: mit Humor gegen einen ernstzunehmenden Anlass

Vom Multikulturellen Zentrum führte die Demoroute dann weiter zum Dessauer Stadtpark, wo die Demonstrant_innen herzlich mit Getränken und gegrillten Snacks versorgt wurden. Nach einem weiteren kurzen Zwischenstopp am Denkmal für die Opfer des Faschismus lief der Demonstrationszug zu seinem Zielort, dem Rathaus Dessau.

Mit Trillerpfeifen, einer Trommelgruppe und diversen Protestschildern dort angekommen wurde gegen menschenverachtende Ideologien und für das Menschenrecht auf Asyl protestiert. Schwer fiel das nicht, standen doch die ewiggestrigen GIDA-Rassisten und Nazis nur durch ein Absperrgitter getrennt der Wand an pfeifenden Protestler_innen gegenüber die für einen solchen Lärm sorgten, dass selbst die GIDA-Redner ihre eigenen Worte nicht verstanden – von ihrem Anhang ganz zu schweigen.

Zeitgleich finden indes vier weitere Gegenkundgebungen des Netzwerkes an der Ratsgasse/Ecke Kavalierstraße, am OdF-Denkmal im Stadtpark, in der Askanischen Straße und an der Gedenkstele (Ecke Askanische Str./Kantorstraße) statt. Die GIDA-Kundgebung und mit ihr die versammelten Nazis und Rassist_innen sind sprichwörtlich demokratisch eingekesselt.

Apropos Nazis und Rassist_innen. Seit etwa 19 Uhr sind ca. 70 Menschen dem Aufruf der Bewegung „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“ gefolgt, sich an der Friedensglocke zu versammeln. Thematisch ging es den „besorgten Bürgern“ der GIDA-Regional-Demo nach eigenen Angaben um Armut, „Kriegstreiberei“ und  die Unterbringung von Flüchtlingen. In den antidemokratischen Beiträgen wurden komplexe gesamtgesellschaftliche Probleme populistisch kommentiert.


Am Mikro der GIDA-Kundgebung: Silvio Rösler (LEGIDA-Aktivist und –Redner)
Foto: St. Heide


Am Mikro der GIDA-Kundgebung: Thomas Festerling
Foto: St. Heide


Am Mikro der GIDA-Kundgebung: Erhard Kaiser
Foto: St. Heide

In typischer rassistischer, antiamerikanischer, verschwörungstheoretischer und (strukturell) antisemitischer Manier wurde unter anderem von den Rednern Thomas Festerling, Silvio Rösler und Erhard Kaiser gegen „gelenkte“ Medien und Politik, gegen die USA, „Genderisierung bis in die Kindergärten“ und Flüchtlinge gehetzt. Diese Beiträge verdeutlichen nicht nur eine menschenverachtende Ideologie genährt von Antisemitismus, Rassismus und Verschwörungstheorie, sondern verharmlosen darüber hinaus rassistische Gewalt und verhöhnen die von Ihr Betroffenen.


Auszug des Redebeitrags von Erhard Kaiser

In diesem Zusammenhang wurde im Nachgang der rassistischen und stark von Neonazis frequentierten GIDA-Regional-Demonstration Strafantrag und Strafanzeige wegen des Anfangsverdachts der Volksverhetzung (§130 StGB) erstattet (mehr dazu hier…) .

Die GIDA-Demonstrationen können mittlerweile klar als Versuch der rechtsextremen Szene gesehen werden unter verschiedenen, scheinbar harmlosen Labels, mehrheits- und anschlussfähige Anknüpfungspunkte für ihre menschenfeindliche Ideologie zu setzen. Anders als die Außen- und Selbstdarstellung suggeriert, mobilisiert zu GIDA-Demonstrationen mittlerweile vornehmlich das rechte und neonazistische Klientel (mehr dazu hier…).


Neonaziaktivisten aus der Region bei der GIDA-Kundgebung; unter ihnen der rechtsextreme Liedermacher Mario A. aus Wittenberg (Bildvordergrund rechts mit Sonnenbrille auf Stirn), der rechtsextreme Intensivtäter Robert Z. (1.Reihe ganz rechts mit Sonnenbrille und schwarzem Cap) und der stadtbekannte Neonazi Alexander Weinert (1. Reihe mit verschränkten Armen und gelb-schwarzen T-Shirt)
Foto: St. Heide

So verwundert es auch nicht, dass rund 30 Nazis bei der GIDA-Kundgebung vor Ort waren. „Wir sind für alle offen“, kommentierte Festerling deren Teilnahme. Nachdem die Teilnehmenden keinen Meter der geplanten Route laufen konnten und die Kundgebung gegen 20 Uhr offiziell mit den Worten „Das ist uns noch nie passiert“ aufgelöst wurde, hatten rund 30 Nazis dies genutzt, um eine Spontan-Demo anzumelden und fast ungehindert bis in die Franzstraße zu laufen. Dabei skandierten sie ungeniert immer wieder neonazistische Parolen wie „Lügenpresse“, „Nationaler Sozialismus jetzt“ und „frei, sozial und national“. Darunter u.a. die bekannten Neonazi-Aktivisten Alexander Weinert , Robert und Siegmar Z., Steffen M. und Mario A. (mehr dazu hier…) (und hier…).

„Spätestens seit Freitag muss jedem „besorgten Bürger“ klar sein, mit wem er sich gemein macht. Mit Fahnen und Sprechchören und durch eine eigene Demoanmeldung, nachdem Gida aufgegeben hatte, zeigten die örtliche NPD und die Kameradschaften, dass sie hinter dem Ganzen stehen“, so Cornelia Lüddemann, Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und engagiertes Mitglied im Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE.

Als die nur noch wenig versprengten Rassisten ob der ohrenbetäubenden Protestkulisse gegen 20.30 Uhr schließlich aufgeben, tritt Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister Peter Kuras vor die Rathaustreppe und findet deutliche Worte. Neben seinem Unverständnis darüber, dass die völlig unappetitliche GIDA-Inszenierung gerade an einem solchen historischen Ort wie der Dessauer Friedensglocke stattfindet, ist er sich indes sicher, dass mit solchen kruden Thesen „kein einziges Problem“ gelöst werden kann. Das Stadtoberhaupt mahnt dazu, die Debatte um die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen mit Vernunft zu führen:  „Diese Sorgen die hier zum Teil herbeigeredet werden, sind wirklich unberechtigt. Wir lassen niemanden im Stich. Weder die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, noch die Flüchtlinge die zu uns kommen.“ Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demographischen Wandels hat Peter Kuras noch eine andere Wahrheit im Gepäck: „Wir müssen Zuwanderung als Chance für Dessau-Roßlau begreifen.“


Oberbürgermeister Peter Kuras spricht zum demokratischen Protest gegen einen Neonaziaufmarsch am 07. März 2015 am Dessauer Hauptbahnhof
Foto: Archiv

Das Fazit dieses bunten Protestabends in der Doppelstadt an Elbe und Mulde fällt eindeutig aus: JA - DESSAU KANN AUCH SPONTAN. Schließlich ist es mit einer Vorlaufzeit von nur  knapp einer Woche gelungen, 400 Menschen auf die Beine zu stellen, die am Rathaus, mit einer Demo, im Dessauer Stadtpark, in der Ratsgasse und mit den zwei Kundgebungen in der Askanischen Straße den menschenverachtenden "Stadtspaziergang" der GIDA-Rassisten und Nazis verhindert haben.

Dafür verteilt das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE (mehr dazu hier…) an alle Engagierten einen virtuellen BLUMENSTRAUSS und ein großes DANKESCHÖN: „Euer Protest war LAUTSTARK, KREATIV und vor allem EFFEKTIV!“ Danke auch dafür, dass in der Spendenbox des Netzwerks an diesem Tag fast 120 Euro landeten. Das Bündnis betrachtet diesen Erfolg indes als Aufforderung und Ansporn zugleich, in seinem Bemühen gegen rassistische Mobilisierungen aller Art nicht nachzulassen und klar KANTE zu zeigen. GARANTIERT!

Denn die Notwendigkeit des Eintretens für Menschenrechte und demokratische Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben ist vor dem Hintergrund immer stärker auftretender neonazistischer und rassistischer Hetze gegen und einer Vielzahl an Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, geflüchtete und asylsuchende Menschen und deren Unterstützer_innen offensichtlich.

verantwortlich für den Artikel:


 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt