„Es ist kein Delikt unter den sogenannten Teppich gefallen, es ist lediglich eine Bewertungsfrage.“

Ex-LKA-Chef erhebt schwere Vorwürfe gegen Innenministerium // Swen Ennullat führt brisantes Protokoll ein // Staatsschützer bekräftigen Vorwürfe gegen leitenden Polizeidirektor // Hans-Christoph Glombitza weist Anschuldigen erneut zurück

Die insgesamt sechste Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsaus-schusses im Magdeburger Landtag am 11. Februar 2008 befasst sich erneut ausschließlich mit der so genannten Dessauer Staatsschutzaffäre.

Als erster Zeuge wird der ehemaligen Leiter des Landeskriminalamtes (LKA), Frank Hüttemann, vom Gremium gehört. Der Jurist trat infolge eines Skandals um womöglich geschönte Statistiken bei der politisch motivierten Kriminalität in Sachsen-Anhalt im November 2007 von seinem Posten zurück.


„Diese erfolgt bundeseinheitlich durch Richtlinien, die das Bundesinnenministerium erstellt.“
Frank Hüttemann

Der Zeuge gibt an, nach seinem Rücktritt nun im Justizministerium beschäftigt zu sein und dort ein Referat zu leiten. Bevor Hüttemann auf konkrete Fragen der Ausschussmitglieder antwortet, macht er im Zusammenhang mit dem Beweisthema umfangreiche Aussagen und beginnt dabei mit einer grundsätzlichen Darstellung im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK). Hüttemann sagt aus, von der veränderten Zählweise in diesem Bereich erst kurz vor der öffentlichen Debatte im November letzten Jahres erfahren zu haben. Außerdem könne er dem Gremium zur Arbeit des LKA`s nur Angaben bis zum 30. November 2007 machen, da er dann ins Justizministerium gewechselt sei. „Diese erfolgt bundeseinheitlich durch Richtlinien, die das Bundesinnenministerium erstellt.“, sagt er zur standardisierten PMK-Zählung. Dabei gebe es einen Definitionskatalog der festlege, welche Straftaten als politisch motiviert einzuordnen wären. Dabei würden u. a. Kriterien wie Tatumstand, der Tatort und die Person des Straftäters berücksichtigt. Ausdrücklich erfasse die PMK-Statistik auch „abstrakte Gefährdungsdelikte“, die die Staatsschutzgesetze berühren würden. Dies wären zum Beispiel so genannte Propagandadelikte nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuches (Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen; Anm. d. Red.). Er fügt hinzu: „Auch diese werden als echte Staatsschutzdelikte erfasst – statistisch.“ Die PMK-relevanten Delikte würden dabei von den zuständigen Polizeidienststellen erfasst und nicht etwa durch das LKA. Diese Meldungen würden in einem klar geregelten Verfahren, den Kriminaltaktischen Anfragen (KTA), von den Polizeidirektionen an das Landeskriminalamt in festgelegten Abständen an das LKA weitergeleitet. Das LKA habe dabei die Aufgabe, die eingegangenen Meldungen auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen und diese dann an das Bundeskriminalamt weiterzureichen. In dieser Plausibilitätsprüfung ginge es vor allem darum zu eruieren, ob die Tatumstände und die Motivlage der Delikte von den bearbeitenden Beamten der Polizeidienststellen richtig erfasst worden seien. Somit habe das LKA im Rahmen der Qualitätssicherung einen mittelbaren Einfluss auf die KTA-Meldungen.



„Die Qualitätsprüfung entsprach nicht immer den Anforderungen, die sie eigentlich erfüllen müsste.“
Frank Hüttemann

Es sei schon vorgekommen, dass „die KTA mangelhaft oder nicht richtig ausgefüllt“ im LKA angekommen seien. Hüttemann räumt auch ein: „Die Qualitätsprüfung entsprach nicht immer den Anforderungen, die sie eigentlich erfüllen müsste.“ Er bestätigt zudem, dass es in diesem Kontext im Jahr 2006 eine Schulung der zuständigen Beamten gegeben habe, um hier Abhilfe zu schaffen und den Polizisten „Auslegungshilfen“ an die Hand zu geben. Diese hätten sich vor allem auf das Erkennen und Einordnen der politischen Motivlage bezogen. Delikte, bei denen sich angesichts Tat oder Täter keine eindeutige Zuordnung erkennen lassen seien als „unklar“ einzustufen, als strafbar würden diese trotzdessen in jedem Fall gelten. „Dies bewegt sich im Rahmen der bundeseinheitlichen Richtlinien.“, so der EX-LKA-Chef dazu und ergänzt ferner: „Es ist kein Delikt unter den sogenannten Teppich gefallen, es ist lediglich eine Bewertungsfrage.“ Eine Auswertung im Zuge der öffentlichen Debatte im Oktober/November letzten Jahres hätte zudem ergeben, dass die Auslegungshilfen nicht in allen Polizeidirektionen im gleichen Maße angewendet worden seien, vielmehr habe es „erhebliche Unterschiede“ gegeben.

„Das ist nicht richtig, dass ist die Unwahrheit.“
Frank Hüttemann

Für das gesamte Jahr 2006 wären in der PMK-Statistik insgesamt 90 bis 120 solche unklaren Delikte registriert worden. Bis September 2007 allerdings, habe man für das vergangene Jahr bereits 244 nicht eindeutig zu zuordnende Straftaten festgestellt. Seit November 2007 gebe es in Sachsen-Anhalt einen Erlass, der regele das alle unklaren Delikte als politisch motiviert zu gelten habe, bis dass Gegenteil bewiesen sei. Hüttemann stellt im Ausschuss nochmals klar, dass die Vorwürfe gegen seine Person, eine Anweisung gegeben zu haben, rechtsextreme Delikte in die unklare Kategorie einzuordnen und damit die Fallzahlen in der ausgewiesenen Statistik des Landes zu senken, falsch seien: „Das ist nicht richtig, dass ist die Unwahrheit.“

„Es gibt da also einen breiten Spielraum.“
Frank Hüttemann

Der Ausschussvorsitzende Jens Kolze (CDU) eröffnet nun die Befragung des Zeugen und möchte wissen, wie verbindlich die Bundesrichtlinien für die PMK-Statistik seien. Hüttemann antwortet, dass diese „im Prinzip für alle Länder und somit auch für Sachsen-Anhalt verbindlich“ seien. Allerdings gebe es bei den Bestimmungen Interpretationsspielräume, „wie der Sacharbeiter vor Ort“ diese auslege. „Es gibt da also einen breiten Spielraum.“, so der Ex-LKA-Chef weiter dazu. Deshalb gebe es letztlich bundesweit eine „nicht ganz einheitliche“ Zählweise. In Sachsen-Anhalt habe erst der Erlass vom 09. November 2007 Klarheit geschaffen. Vorher habe es hier im Land keine Regelung zur ergänzenden Auslegung gegeben. Auf die Frage des CDU-Politikers, wie denn vor dem Novembererlass gezählt worden sei, antwortet der Zeuge: „Es ist nicht feststellbar, wie vorher erfasst wurden ist.“

„Das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen ist per se strafbar.“ / „Die Frage der Motivation stellt sich im Gesetzbuch nicht.“
Frank Hüttemann

Gudrun Tiedge (Linke) fragt Hüttemann zunächst, welche Aufgaben ihm als Leiter des LKA bei der Erfassung der Statistik zugekommen seien. Das LKA stelle die Zahlen auf Grundlage der KTA-Meldungen aus den Direktionen zusammen und leite diese u. a. an die „politischen Verantwortungsträger“ weiter. „Einen direkten Einfluss in meiner Funktion als LKA-Leiter habe ich generell nicht gehabt.“, so der Zeuge dazu. Der Jurist gibt außerdem an, dass seit 2002 vom LKA ein monatliches Lagebild zur Kriminalstatistik erstellt worden sei. Nun kommt die Staatsschutzkriminalität ohne explizite politische Motivation (StoepM-Delikte) zur Sprache. Gerade die Bewertung und Zuordnung dieser Delikte war es, die im November letzten Jahres die Debatte um die Zählweise rechtsextremer Straftaten auslöste und letztlich zum Rücktritt Hüttemanns führte. Das Ausschussmitglied interessiert sich besonders für rechtsextreme Propagandadelikte näher: „Das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole, ist das mal so und mal so gesehen worden?“ Hüttemann sagt aus, „Das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen ist per se strafbar.“ und würde auch als solches erfasst werden. „Die Frage der Motivation stellt sich im Gesetzbuch nicht.“, erläutert Hüttemann hinsichtlich einer möglichen Einordnung in die StoepM-Kategorie. Hierbei werde nicht so sehr die Strafbarkeit berührt, sondern es gehe um die Tatumstände, die Täter und vor allem die politische Motivation. Dies sei dann für die Polizeistatistik und die PMK-Richtlinien relevant. Hüttemann nennt ein anschauliches Beispiel: So sei die Polizei bei einem Einsatz in Magdeburg von einer Gruppe Punkern aus provokativer Absicht mit „Sieg Heil-Rufen begrüßt worden. In diesem Fall sei nicht davon auszugehen, dass hier eine rechtsextreme Motivlage vorliegen könne. Deshalb sei dieser Vorgang hinsichtlich der Motivation in die StoepM-Kategorie unter „unklar“ abgelegt worden.

„Offensichtlich ist der Auslegungsspielraum unterschiedlich genutzt wurden.“

Frank Hüttemann

„Das kann ich nicht sagen, dass ist bisher nicht hinterfragt wurden.“, sagt Hüttemann zur Frage der Abgeordneten, wie denn in den Jahren 2004 und 2005 mit der Zählweise hinsichtlich der StoepM-Delikte verfahren worden sei. „Das müssen Sie das Innenministerium fragen.“, so Hüttemann zu Tiedges Nachhaken, warum den im November 2007 überhaupt eine Konkretisierung der Zuordnung von StoepM-Delikten erfolgt sei. Der Zeuge führt aus, dass es im Land Polizeidirektionen gebe, die eine hohe Anzahl von StoepM-Delikten gemeldet hätten. Als Beispiel nennt er die ehemalige Direktion Merseburg, da seien ihm 50 Vorgänge für das letzte Jahr erinnerlich, in Halberstadt dagegen nur 11. Es habe aber auch Dienststellen gegeben, wo dieser Anteil nicht so hoch gewesen sei: „Offensichtlich ist der Auslegungsspielraum unterschiedlich genutzt wurden.“ Aus seiner Sicht wollte das Innenministerium mit dem Novembererlass hier „ein für alle mal“ Klarheit schaffen. Jedenfalls sei im 1. Halbjahr 2007 mit 462 Delikten ein drastischer Rückgang rechtsextremer Straftaten zu verzeichnen gewesen. Dabei sei der StoepM-Anteil mit 135 Fällen relativ hoch gewesen. Gudrun Tiedge möchte wissen, warum es nun bei der Zählung und Bewertung der StoepM-Delikte im letzten Jahr Unsicherheiten gegeben habe und vorher nicht. Dies begründet der Zeuge vor allem mit Qualitätsverbesserungen, die von der „Staatsschutzabteilung in meinem Haus“ umgesetzt worden sei. Dies wäre auch vor dem Hintergrund einer stärkeren Debatte um die Bekämpfung des Rechtsextremismus erfolgt. „Qualitätssicherung ist eigentlich eine Daueraufgabe.“, sagt Hüttemann weiter dazu. Er wolle jedoch nicht ausschließen, dass die Debatte und die öffentliche Wahrnehmung für den Bereich Rechtsextremismus hier eine entscheidende Rolle gespielt haben könnte.

„Man hätte diese Information weitergeben müssen, das ist eine Panne.“
Frank Hüttemann

„Man ist auf das angewiesen, was einem der Apparat mitteilt.“
Frank Hüttemann

„Das ist eine politische Bewertung.“
Frank Hüttemann

So hätten seine Mitarbeiter in diesem Zusammenhang Schulungen für die Staatsschutzbeamten in den Direktionen angeboten, bei denen die Auslegungshilfen für das Ausfüllen der KTA-Meldebögen im Vordergrund gestanden hätten. „Auch das ist vorgekommen“, sagt der Ex-LKA-Chef und meint damit, dass Delikte bei denen die Motivlage laut Richtlinien eigentlich klar gewesen sei, in die StoepM-Kategorie eingeordnet worden seien. „Man hätte diese Information weitergeben müssen, das ist eine Panne.“, so Hüttemann zur nicht erfolgten öffentlichen Transparenz dieser Schulungsmaßnahmen. Er selbst habe dazu zwar keinen „persönlichen Beitrag“ geleistet, aber letztlich die Verantwortung übernommen. Tiedge möchte wissen, warum er dann eigentlich zurückgetreten sei, wenn er sich nichts vorzuwerfen habe. „Das sehe ich heute auch so.“, so der Ex-LKA-Chef. Wenn man bundesweit als „Statistikfälscher“ da stehe, wäre das für das weitere Ausfüllen seines Amtes schwierig. Es sei nicht leicht seinem 6jährigen Sohn zu erklären, warum der Vater plötzlich wie ein „Verbrecher“ behandelt würde. Er habe ein „beschädigtes Vertrauensverhältnis“ gesehen, da das Innenministerium einen „unrichtigen“ Medienbericht in der Süddeutschen Zeitung einfach bestätigt habe. Die Journalistin, so Hüttemann weiter, sei über dies nie im LKA gewesen und habe sich im Detail über die Zählweise informiert. „Ja“, sagt der Zeuge zur Frage der Linken-Abgeordneten, ob das Vertrauen zwischen ihm und Innenminister Holger Hövelmann gestört gewesen sei. „Das ist eine politische Bewertung.“, so Hüttemann zum Einwand Tiedges, ob er angesichts zahlreicher öffentlicher Auftritte Hövelmanns, in denen dieser den erfreulichen Rückgang der rechtsextremen Straftaten angesprochen habe, das Ministerium nicht über den hohen Anstieg der StoepM-Delikte hätte informieren müssen. Zudem gibt er zu Protokoll, dass er selbst den Dienstweg pflichtgemäß eingehalten habe und dem Leiter der Abteilung Polizei im Innenministerium Klaus-Dieter Liebau Bericht erstattet habe. „Man ist auf das angewiesen, was einem der Apparat mitteilt.“, meint der Ex-LKA-Chef bezüglich der Äußerungen Holger Hövelmanns. Hüttemann gibt zudem an, dass es im Dezember 2006 in der Polizeihundeführerschule in Pretzsch eine Schulung aller Leiter der Zentralen Kriminaldienste (ZKD) zu den KTA-Meldungen gegeben habe. Dabei sei den Beamten nahe gelegt worden, das beim Ausfüllen der Bögen „ein hohes Maß an Sorgfalt notwendig“ sei. Dabei wären zudem „objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale“ definiert worden und die entsprechenden Auslegungshilfen zur Sprache gekommen. Seit dem Novembererlass sei klar, dass alle StoepM-Delikte zunächst als rechtsextrem motiviert zu gelten hätten, da es Propagandadelikte nach Paragraph 86a StGB (Verwenden von Symbolen verfassungswidriger Organisationen; Anm. d. Red.) mit einer linken Motivlage nicht gebe.

„Im Jahr 2007 wurde deutlich mehr dazu übergegangen, überhaupt keine politische Motivation festzustellen.“
Guido Kosmehl

„Ich muss von der sorgfältigen Arbeit ausgehen, beziehungsweis das Amt muss davon ausgehen.“
Frank Hüttemann

Guido Kosmehl (FDP) spricht den Zeugen zunächst auf eine Pressemitteilung des Innenministeriums vom Mai 2007 an erwähnt in diesem Kontext nochmals die StoepM-Delikte, die von 131 im gesamten Jahr 2006, auf 161 im ersten Halbjahr 2007 angestiegen wären. Außerdem stellt der FDP-Politiker fest, dass es innerhalb der StoepM-Delikte eine Verschiebung gegeben habe. Gerade im Jahr 2007 wären vielmehr Delikte registriert worden, denen überhaupt keine politische Motivation zugeordnet worden sei. Im Gegensatz dazu hätten die als „unklar“ deklarierten Vorgänge erheblich abgenommen. „Im Jahr 2007 wurde deutlich mehr dazu übergegangen, überhaupt keine politische Motivation festzustellen.“, so Kosmehl. Hüttemann sagt dazu, dass er sich diese Entwicklung nicht erklären könne, da letztlich die Direktionen für die KTA-Meldungen zuständig wären. „Ich muss von der sorgfältigen Arbeit ausgehen, beziehungsweis das Amt muss davon ausgehen.“, so der Zeuge. Dies sei ohne hin nur ein „statistisches Lagebild“. „90 % der Fälle, so wurde mir berichtet, wurden einvernehmlich geklärt“, so der Zeuge zum inhaltlichen Abgleich der Vorgänge zwischen den Staatsschutzabteilungen in den Direktionen und der zuständigen Stelle im LKA. „Dazu ist mir nichts vorgetragen wurden.“, sagt der ehemalige LKA-Chef zur Frage, ob ihm bekannt gewesen sei, dass es zwischen dem LKA und dem Staatschutzkommissariat der PD Dessau oft Falldifferenzen gegeben haben soll. Dass ihm diese Differenzen nicht bekannt seien, heiße aber nicht, dass es sie nicht gegeben haben könne. „Es ist eigentlich üblich.“, kommentiert Hüttemann die Frage, ob im LKA die Staatsschutzdelikte die monatlich zu melden waren, in der Behörde debattiert und bewertet worden seien. Erste Auffälligkeiten im StoepM-Bereich habe es im September 2007 gegeben. Da wäre diese Kategorie plötzlich auf insgesamt 244 Delikte für das Jahr 2007 angestiegen. Daraufhin seien im LKA zu möglichen Zusammenhängen und Gründen dieses Anstieges, auf seine Anweisung hin, Überlegungen angestellt worden, die dann auch in seinem Bericht vom 02. November 2007 an das Innenministerium eingeflossen wären. „Das gehört zur Wahrheitspflicht dazu.“, auch wenn es das eigene Amt betreffe, so Hüttemann zum objektiven Wahrheitsgehalt des Berichtes.



Siegfried Borgwardt (CDU) möchte wissen, ob die Auslegungshilfen des LKA`s für die KTA-Meldungen mündlich erfolgt seinen. Dies bestätigt der Zeuge. Außerdem fragt der Abgeordnete, zu welchen Lasten in der Statistik die nach dem Novembererlass zu zählenden StoepM-Delikte zu zählen seien. Hüttemann betont nochmals, dass es politisch links motivierte Propagandadelikte nach dem Strafgesetzbuch nicht gebe: „Das geht in die rechte Schublade.“ Dem Zeuge wäre nicht bekannt, dass es in anderen Bundesländern einen vergleichbaren Erlass wie in Sachsen-Anhalt gebe.

„Ich hätte auch nicht nachgefragt. Nach den Ereignissen zum Ende letzten Jahres gab es auch eine gewisse Verbitterung.“
Frank Hüttemann

“Kann ich nicht sagen.“, so Hüttemann zu Gudrun Tiedges Frage, ob es nach dem Novembererlass einen Rückgang der StoepM-Delikte gegeben habe. „Ich hätte auch nicht nachgefragt. Nach den Ereignissen zum Ende letzten Jahres gab es auch eine gewisse Verbitterung.“, konkretisiert der Zeuge weiter. Außerdem führt er aus, dass es im Jahr 2005 eine Fachberatung aller Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter gegeben habe, auf der diskutiert worden sei, die StoepM-Delikte so zu kategorisieren, wie es der Novembererlass (2007) in Sachsen-Anhalt nun regele. Damals hätte es zu dieser Frage in dem Gremium eine Abstimmung gegeben. Die LKA-Vertreter mehrere Bundesländer, darunter die Beamten aus Sachsen-Anhalt, hätten sich jedoch gegen eine solche Regelung ausgesprochen. Dennoch sei es für Sachsen-Anhalt problemlos möglich gewesen, den Novembererlass umzusetzen: „Das ist nicht rechtswidrig.“ Dieses Vorgehen sei über dies von den Ermessensspielräumen der Bundesrichtlinien gedeckt.

„Die Welle kam mit der Veröffentlichung der Süddeutschen Zeitung.“
Frank Hüttemann

“Hat das Ministerium politisch anders entschieden, als die Fachleute?“, hakt hier Holger Stahlknecht (CDU) hinsichtlich des Erlasses nach. „Das Ministerium hat davon nichts gewusst.“, so Hüttemann zum Beschluss der Landeskriminalämter aus dem Jahr 2005. Die neuen Auslegungen, die der Novembererlass regele, habe der Abteilungsleiter Polizei im Innenministerium, Klaus-Dieter Liebau, am 06.12. oder 11. 2007 in einer Besprechung offiziell verkündet. „Einen sehr breiten Raum nahm auch das Thema Thor Steinar (mehr dazu hier…) ein.“, erinnert sich Hüttemann weiter an dieses Treffen. Nochmals spricht er die StoepM-Delikte an. So würden beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern 60% aller Staatsschutzdelikte in diese Kategorie einsortiert. „Kann man so vorher nicht sagen.“, so der Zeuge zu Stahlknechts Frage, ob der Novembererlass dazu führen könne, dass die rechtsextremen Delikte in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern ansteigen würden. Mit 17% am Gesamtaufkommen aller Staatsschutzdelikte, habe Sachsen-Anhalt im Jahr 2006 bei den StoepM-Delikten im Bundesvergleich „relativ in der Mitte“ gelegen.

Hüttemann gibt an, dass er seinen Vorgesetzten im Innenministerium mehrfach davon abgeraten habe, zur veränderten Regelung im Bereich der StoepM-Delikte eine Pressemitteilung zu fertigen. Diese Änderung, so habe er damals zu bedenken gegeben, eigne sich nicht „für eine breite öffentliche Diskussion“. Schließlich sagt er zu einem Zeitungsartikel (mehr dazu hier…): „Die Welle kam mit der Veröffentlichung der Süddeutschen Zeitung.“ Das wäre dann aus seiner Sicht eine „medienwirksame Eskalation“ gewesen.

„Weil ich ahnte, wenn es falsch verstanden wird, eine Welle lostritt, die man dann nicht mehr einfangen kann.“
Frank Hüttemann

“Fühlen Sie sich als Bauernopfer?“, fragt Gudrun Tiedge den Zeugen hinsichtlich seines Rücktrittes. „Ja“, so Frank Hüttemann. Er habe nicht nur die Versorgungsansprüche der letzten 5 Jahre verloren, sondern vor allem die Medienveröffentlichungen kämen einem „Rufmord“ gleich. „Weil ich ahnte, wenn es falsch verstanden wird, eine Welle lostritt, die man dann nicht mehr einfangen kann.“, so der Zeuge zur Pressemitteilung des Innenministeriums. So sei es dann ja schließlich auch gekommen.

„Der Nötigungsparagraph ist nicht erfüllt worden.“

Frank Hüttemann

“Sind Sie zum Rücktritt gezwungen oder genötigt wurden, von der Hausleitung?“, fragt Guido Kosmehl nach. „Der Nötigungsparagraph ist nicht erfüllt worden.“, sagt Frank Hüttemann und sagt zu seinem Rücktritt weiter: „ Ich hatte den Eindruck, dass das erwartet wurde.“

“Ich hatte das Gebäude noch nicht verlassen, da hatte ich schon den ersten Journalisten dran, der mich über meinen Rauswurf informieren wollte.“
Frank Hüttemann

“Ich hatte das Gebäude noch nicht verlassen, da hatte ich schon den ersten Journalisten dran, der mich über meinen Rauswurf informieren wollte.“, so Hüttemann zur Situation kurz nach dem das Innenministerium die Öffentlichkeit informiert habe. „Mir wurde vorgehalten, dass ich widersprochen habe, öffentlich.“, so Hüttemann zum Grund seines Rücktrittes.

„Mir ist ja auch bescheinigt wurden, dass mich persönlich keine Schuld trifft.“
Frank Hüttemann

Der Abgeordnete Borgwardt (CDU) sagt, dass es nach einer solchen „devoten Entscheidung“ normal sei, mit den Verantwortlichen über eine weitere Verwendung zu sprechen. Hüttemann bestätigt, dass es ein solches Gespräch gegeben habe. Innenminister Hövelmann habe ihm angeboten, ein Referat im Justizministerium zu übernehmen. „Mir ist ja auch bescheinigt wurden, dass mich persönlich keine Schuld trifft.“, so Hüttemann.

„Ich darf mich auch bedanken, vielleicht kann es zu meiner Rehabilitierung beitragen.“
Frank Hüttemann

„Ich darf mich auch bedanken, vielleicht kann es zu meiner Rehabilitierung beitragen.“, beendet der ehemalige LKA-Chef seine Aussage vor dem Ausschuss.

 

 




nach dem Ex-LKA-Chef wird Sven Gratzik erneut vom Ausschuss befragt

Der 37jährige ehemalige Leiter des Dessauer Staatsschutzes wurde vom Gremium bereits in der öffentlichen Sitzung im Dezember 2007 erstmals gehört (mehr dazu hier...).

„Ich bin nicht der einzige Polizeiführer in Sachsen-Anhalt, der für sein Engagement gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit schikaniert wurde.“
Sven Gratzik

„Herr Bischoff hat es einmal so formuliert, ob wir die einzigen waren (die ehemaligen Dessauer Staatsschützer Gratzik, Ennullat und Kappert; Anm. der Red. ) die die Fahne hochgehalten haben. Nein, waren wir nicht.“, beginnt der Zeuge seine umfangreichen Einlassungen. „Ich bin nicht der einzige Polizeiführer in Sachsen-Anhalt, der für sein Engagement gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit schikaniert wurde.“, sagt Gratzik mit eindeutiger Offenheit. Zunächst benennt er noch einen Fall, der nach seinem Weggang aus dem Dessauer Staatsschutz bekannt geworden sei und mit dem sich der 10. Parlamentarische Untersuchungsausschuss noch befassen wird. Er habe am 06. Juni 2007 in seinem Briefkasten ein Schreiben eines Bürgers vorgefunden, der über Schießübungen mutmaßlicher Rechtsextremisten auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik (WASAG) bei Wittenberg berichtet. Der damaligen Polizeidirektion Dessau-Roßlau wird vorgeworfen, diesem Hinweis nicht intensiv nachgegangen zu sein (mehr dazu hier...) und (hier...).

„Irgendwie kommt mir das Protokoll verändert vor.“
Sven Gratzik


Gratzik zeigt dem Ausschuss Fotos. Darauf sieht man ein Hakenkreuz, SS-Runen, ein durchschossenes Plastikrohr und eine Munitionsdose für Platzpatronen. Für ihn sei nicht nachvollziehbar, dass insbesondere was die Nazisymbole anbelange, in der Polizei davon die Rede sei, dass das alles „kalter Kaffee“ sei. „Das sieht für mich nicht so aus, wie zehn Jahre alt.“, so Gratzik dazu. Er wäre in dem Fall zudem bereits vom zuständigen Oberstaatsanwalt Preissner vernommen wurden, da Opferverbände Strafanzeige wegen des Verdachtes der Strafvereitelung im Amt (mehr dazu hier...) erstattet hätten. Bei dieser Vorladung habe er auch das Schreiben des Bürgers wieder zu Gesicht bekommen, dass er so nicht in Erinnerung gehabt hätte: „Irgendwie kommt mir das Protokoll verändert vor.“ Vor allem der Zusatz „nicht zu den Ermittlungsakten nehmen“ sei für ihn nicht verständlich. „Aus dem Protokoll geht hervor, dass es sich um aktuelle Schießübungen handelt.“, ist sich Gratzik sicher. „Ich hätte sie sicherlich entfernt.“, sagt der Zeuge zu den SS-Runen auf dem WASAG-Gelände. Inzwischen sei dies nach seinen Informationen wohl geschehen.

„…und wo ist das Feuerzeug?“ // „Bei mir kommt da keine Heiterkeit auf.“
Sven Gratzik

Sven Gratzik berichtet dem Ausschuss von einem weiteren Fall im Zusammenhang mit dem Feuertod Oury Jallohs (mehr dazu hier...), der in den folgenden Tagen auch in überregionalen Medien noch für viel Aufregung und heftige öffentliche Debatten führen sollte. Der Zeuge berichtet, dass es bei einer Einweisung in ein neues digitales Gewahrsamsbuch, an der auch Beamte des gehobenen und höheren Dienstes teilgenommen haben sollen, zunächst darum gegangen sei, Symbole zu erläutern, die in dem Buch zur Anwendung kommen sollten. Als Beispiel nennt Gratzik u.a. eine Spritze. Ein Beamter soll dann gefragt haben: „…und wo ist das Feuerzeug?“ Danach wäre in der Runde Heiterkeit aufgekommen. „Bei mir kommt da keine Heiterkeit auf.“, so Gratzik.


Sven Gratzik vor dem Untersuchungsausschuss

Nun äußert sich der Zeuge zu Aussagen seiner ehemaligen Vorgesetzten, die diese vor dem Ausschuss getätigt haben sollen. Die Angabe der Kriminaloberrätin Heike Heusmann (mehr dazu hier...) , während seiner Zeit als Staatsschutzleiter wären insgesamt 23 Personalwechsel wegen seines „schlechten Führungsstils“ zu verzeichnen gewesen, bezeichnet Gratzik, wenn sie es denn so geäußert habe, als „Verletzung der Fürsorgepflicht“. Gratzik räumt ein, dass es eine Reihe von Personalfluktuationen in seinem Kommissariat gegeben habe. Darunter seien aber u.a. fünf nur zeitweise abgeordnete Studenten, zwei Abordnungen zum Bereich „szenekundige Beamten Fußball“, eine Schwangerschaft, mehrere Praktikanten , zwei Beamte gegen die der Verdacht auf Straftaten im Amt bestanden habe und ein Kollege, der „ein Problem mit Schwarzafrikanern“ gehabt haben soll.

Holger Stahlknecht (CDU) interveniert an dieser Stelle und zieht in Zweifel, dass die bisherigen Aussagen Gratziks durch die heutigen Beweisthemen gedeckt seien. Gudrun Tiedge (Linke) hält die Angaben des ehemaligen Staatsschützers durchaus für legitim im Sinne der Geschäftsordnung.

„Wenn Herr Postler gesagt haben soll: Der musste doch nur klingeln.` , halte ich das inzwischen für Ironie.“
Sven Gratzik

Gratzik erläutert, dass er zudem eine Gegendarstellung zu seiner Beurteilung durch die Polizeidirektion Dessau beantragt habe, die bis heute nicht erfolgt sei. Außerdem habe er mehrere Versionen seiner Personalakte gesehen. Er erzählt dem Ausschuss erneut, dass er Mitte April 2007 von einem Informanten aus der rechten Szene von seiner Versetzung ins Polizeirevier Bitterfeld erfahren habe. Außerdem habe er mit seinem Kollegen Swen Ennullat im Juli 2007 seine persönlichen Sachen aus dem Staatsschutzräumlichkeiten holen wollen. Der neue Leiter des Kommissariats, Lindner, habe ihnen darauf den Zutritt mit dem Hinweis verwehrt, dass dies eine Anweisung des Kollegen Benedix sei. „Wenn Herr Postler gesagt haben soll: Der musste doch nur klingeln.`, halte ich das inzwischen für Ironie.“, so Gratzik dazu. Dieses „unklare Betretungsverbot“ habe auch dazu geführt, dass sein Kollege Ennullat an einer Besprechung im Dezernat 11, dass auf einer völlig anderen Etage in der Polizeidirektion(PD) ansässig sei, nicht hätte teilnehmen können. „Auf jedem Fall ist mir danach eine feindselige Stimmung entgegengeschlagen.“, so der ehemalige Staatsschutzleiter zur Situation in der PD, nachdem die Behördenleitung alle Führungskräfte über das Gedächtnisprotokoll der drei Staatsschützer informiert habe. Er habe außerdem den Antrag gestellt, den polizeiinternen Intranet-Eintrag der Polizeipräsidentin Scherber-Schmidt, in dem sie ihre Sicht der Dinge dargestellt haben soll, zu ändern. Darauf habe es keine Reaktion gegeben.

Zudem geht Gratzik nochmals auf den Status der Nitsche-Ermittlungen ein. Dazu wirft der 37jährige Auszüge aus dem Disziplinargesetz des Landes an die Wand. Außerdem spielt Gratzik eine Tonaufnahme der Landespressekonferenz ab, auf der Rektor Rainer Nitsche seinen Bericht vorstellte. Nitsche habe dort geäußert, dass er alle Beteiligten, also auch Gratzik, mehrfach gehört habe und dann zu einem Ergebnis gekommen sei. Dies, so Gratzik, stimme für seine Person jedoch nicht.

„Mich würde schon interessieren, vielleicht auch von Ihrem Zeugenbeistand, was sie hier eigentlich machen?“
Holger Stahlknecht

„Das sehe ich durchaus auch als Fürsorgepflichtsverletzung.“
Sven Gratzik

„Mich würde schon interessieren, vielleicht auch von Ihrem Zeugenbeistand, was sie hier eigentlich machen?“, so Holger Stahlknecht und bezweifelt erneut, dass die Aussagen Gratziks dazu beitragen könnten, mögliche Fürsorgepflichtsverletzungen seiner Vorgesetzten aufzuklären. Gudrun Tiedge sieht da jedoch einen Zusammenhang. Schließlich unterbricht der Ausschuss die öffentliche Sitzung, um in einem nichtöffentlichen Teil zu klären, was der Zeuge zum Beweisthema aussagen könne. Gratzik gibt nach der kurzen Pause an, dass er erst durch die Landespressekonferenz erfahren habe, dass Nitsche auch gegen die drei Staatsschützer mögliche dienstrechtliche Verfehlungen geprüft habe und nicht nur Verwaltungsvorermittlungen angestrengt habe. „Das sehe ich durchaus auch als Fürsorgepflichtsverletzung.“, so Gratzik dazu. Das wären „heimliche Ermittlungen“ gegen seine Person. Außerdem habe Nitsche damals öffentlich bekundet, dass eine Rückkehr der 3 Beamten in den Staatsschutz möglich sei. Der Leiter in der Polizeiabteilung des Innenministeriums, Klaus-Dieter Liebau habe dies in einem persönlichen Gespräch mit ihm jedoch ausgeschlossen. Der Polizeiführer soll am 04. Juli 2007 zu ihm in diesem Zusammenhang gesagt haben: „Das unterliegt einer Restriktion.“ Gratzik gibt auch an, sich in der Folge immer wieder mit Initiativbewerbungen beworben zu haben, auch für Staatsschutzposten. „Entweder die Arbeit macht Spaß oder man verdient viel Geld.“, soll sein Vorgesetzter Kriminaldirektor Norbert Postler laut Gratzik einmal gesagt haben. Er habe sich für den Spaß entschieden und sich deshalb auch wieder beim Staatsschutz beworben.

„Die 3 F`s – formlos, fristlos, fruchtlos.“
Sven Gratzik

Er habe zudem am 01. August 2007 eine Dienstaufsichtsbeschwerde an Innenminister Hövelmann weitergeleitet. Das Ergebnis: „Die 3 F`s – formlos, fristlos, fruchtlos.“, so Gratzik.

„Ich habe schon den Eindruck, dass diese Ermittlungen intensiv geführt werden.“
Sven Gratzik

Ihm sei zudem bekannt, dass gegen zwei der drei ehemaligen Staatsschützer nach wie vor staatsanwaltschaftlich ermittelt werde. In diesem Zusammenhang wäre er bereits zweimal als Zeuge vernommen worden: „Ich habe schon den Eindruck, dass diese Ermittlungen intensiv geführt werden.“ Außerdem habe er den Datenschutzbeauftragten des Landes kontaktiert, um den Umgang mit seinen Personalakten prüfen zu lassen. Ihm sei diesbezüglich von der Polizeidirektion mitgeteilt worden, dass seine Personalakte niemand ausgehändigt bekomme. Dass diese nun doch in den Akten des Untersuchungsausschusses gelangt sei, findet Gratzik nicht schlimm, aber dass er über diesem Vorgang nicht informiert worden sei, findet er „nicht nett“. Zudem habe er auf Nachfragen auch keine Auflistung über seine personenbezogenen Daten erhalten, was eigentlich selbstverständlich hätte sein sollen.

Ausschussvorsitzender Jens Kolze eröffnet die Befragung des Zeugen und möchte vom 37jährigen zunächst wissen, welcher Natur die Veränderungen in seiner Personalakte seien. Er gibt an, dass diese ergänzt worden sei und die letzten Blätter zudem nicht durchnummeriert seien. Außerdem wären seine Anträge auf Nebenverdienst hinzugefügt worden. „Zumal ich in Halle nicht mal ein Zimmer hatte, ich habe mich in die Kantine gesetzt.“, so Gratzik zu seinem Dienstantritt in der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd. Die offizielle Begründung für diesen Umstand habe in der Polizeistrukturreform gelegen, so Gratzik.

„Ich frage jetzt mal provokativ: Haben Sie das als Retourkutsche gesehen?“
Gudrun Tiedge

Gudrun Tiedge möchte zunächst etwas zur ständigen Rufbereitschaft im Staatsschutz Dessau wissen: „Ich frage jetzt mal provokativ: Haben Sie das als Retourkutsche gesehen?“ Gratzik gibt an, dass es zunächst ein Angebot seinerseits gewesen sei: „Ruf mich mal an, wenn was ist.“ Dies sei dann aber so ausgeartet, dass er wegen jeder Kleinigkeit im Bereich der Polizeidirektion angerufen worden sei. Daraufhin habe er das Angebot wieder zurück ziehen wollen, weil er auch Zeit privat für sich haben wollte. Infolgedessen habe Herr Glombitza den Bereitschaftsdienst angeordnet. „Es sollte eine Art Führungsrufbereitschaft werden.“, so der Zeuge dazu. Es wäre die Kollegin Heusmann gewesen, die die Bereitschaft auf die Beamten Gratzik, Kappert und Ennullat beschränkt habe. Mit drei Personen eine Bereitschaft rund um die Uhr abzudecken hält Gratzik für nicht machbar. Auf Nachfrage Guido Kosmehls bestätigt der 37jährige, dass die Rufbereitschaft zunächst als befristete Maßnahme angedacht gewesen sei und nach zwei Monaten hätte beurteilt werden sollen, ob die Maßnahme Sinn ergebe.

„Selbst Straftäter können da rein, in Begleitung. Ich durfte da in Begleitung nicht rein.“
Sven Gratzik

Die Linke-Abgeordnete Tiedge hält Gratzik nun eine Aussage des Zeugen Gutewort (mehr dazu hier...) vor in der dieser im Zusammenhang mit dem Betretungsverbot angegeben habe, dass Gratzik nominell bis zum August 2007 Leiter des Dessauer Staatsschutzes gewesen sei. „Da bringt der gute Herr Gutewort gut etwas durcheinander.“ so Gratzik dazu. Zu diesem Zeitpunkt sei er schon offiziell nach Köthen versetzt gewesen. „Selbst Straftäter können da rein, in Begleitung. Ich durfte da in Begleitung nicht rein.“, sagt der Zeuge weiter. Auf Nachfrage gibt der Zeuge ferner zu Protokoll, dass er ein anderes Hausverbot nur im Falle eines Kollegen kenne, der über 200 Privattelefonate dienstlich abgerechnet habe.

„Es ging um das Gedächtnisprotokoll, über nichts anderes.“
Sven Gratzik

Tiedge hält Gratzik nun die Aussage Georg Findeisens vor (mehr dazu hier...), in dem der Justiziar der PD Dessau-Roßlau angibt, das Gedächtnisprotokoll von ihm am 20. März 2007 in der Zeit zwischen 16 und 18.00 Uhr überreicht bekommen zu haben. Dies sei nicht möglich, so Gratzik, da er sich an diesem Tag zu dieser Zeit auf dem Weg nach Magdeburg befunden habe und dafür bei Bedarf Zeugen benennen könne. Gratzik bleibt bei seiner Darstellung, Findeisen das Protokoll Ende Februar/Anfang März 2007 überreicht zu haben. Zudem habe Findeisen vor dem Ausschuss angegeben, sich um den Gesundheitszustand Gratziks Sorgen gemacht zu haben und ihm homöopathische Mittel überreicht zu haben. Außerdem habe Findeisen ausgesagt, das Gratzik Alkohol trinke: „Aber ich wusste nicht, ob es ein Alkoholproblem ist oder ob man aus Sorge trinkt.“, zitiert Tiedge Findeisens Äußerungen aus den Akten. „Ich biete dem Ausschuss an, mich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ob ich alkoholkrank bin.“, so Gratzik dazu. Er habe durchaus schlecht schlafen können, vor allem wegen den Äußerungen Glombitzas. Er habe sich die Frage gestellt, ob er in den letzten zwei Jahren alles falsch gemacht habe. Außerdem gibt Gratzik an, dass die Version des Gedächtnisprotokolls die Herr Findeisen gegeben habe, bis auf die Unterschriften und „eventuell zwei Sätzen“ identisch mit dem Papier gewesen sei, was letztlich in der Behörde im Umlauf gewesen sei. Das Gespräch mit Findeisen zum Protokoll habe ungefähr zwischen 30 Minuten und einer Stunde gedauert: „Es ging um das Gedächtnisprotokoll, über nichts anderes.“

„Das werfe ich mir heute ehrlicherweise vor.“
Sven Gratzik

„Ich persönlich war der Auffassung, Herr Findeisen weiß, was er damit machen soll.“
Sven Gratzik

„Ich glaube die Versuche gingen von mir aus.“, so der Zeuge zur Frage, ob es Vermittlungsversuche von Georg Findeisen zwischen den drei Staatsschützern und Glombitza gegeben habe. Findeisen hätte in Gratziks Vorstellungen als Vermittler dienen sollen, dieser habe aber nur abgewehrt: ‚Ruf ihn doch selber an.‘ „Das werfe ich mir heute ehrlicherweise vor.“, so Gratzik rückblickend zum Umstand, dass er das Protokoll nicht sofort an die Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt überreicht habe. „Nein“, so der ehemalige Staatsschützer zur Frage, ob er Findeisen gebeten habe, den Inhalt des Gesprächsprotokolls für sich zu behalten. Vielmehr habe er zu Findeisen gesagt, dass dieser dieses Exemplar des Schreibens für sich behalten solle. „Ich persönlich war der Auffassung, Herr Findeisen weiß, was er damit machen soll.“, so Gratzik. Er habe damals gedacht, dass der Justiziar außerhalb des Dienstweges mit dem Protokoll zur Polizeipräsidentin gehen würde. Tiedge hält dem Zeugen außerdem vor, dass Findeisen ausgesagt habe, dass der Umgang der drei Staatsschützer mit Glombitza im Gespräch „provozierend“ gewesen sei. „Das ist schön, dass er das denkt, ich weiß nicht was daran provozierend gewesen sein soll.“, so Gratzik. „Ist er noch Ihr Freund?“, will Tiedge wissen und spielt damit auf das jetzige Verhältnis zu Findeisen an. „Er war nie mein Freund.“, antwortet Gratzik. Vielmehr hätten sie dienstlich einen gemeinsamen Draht gehabt und ein gutes Arbeitsverhältnis.

„Ich habe es mir gewünscht, ich habe es nicht gesagt. Das war mein Fehler.“
Sven Gratzik

Holger Stahlknecht befragt den Zeugen zur Übergabe des Gesprächsprotokolls an Findeisen und möchte wissen, ob Gratzik davon ausgegangen sei, dass der Justiziar dieses dienstlich weiterleite oder ob er seinen Kollegen um ein solches Vorgehen gebeten habe. „Ich habe es mir gewünscht, ich habe es nicht gesagt. Das war mein Fehler.“, so der 37jährige. Außerdem sagt Gratzik, angesprochen auf die nicht unterschriebene Variante des Protokolls, dass es in der Verwaltung üblich sei, mit „Nebendrucken“ zu arbeiten. Gratzik betont nochmals, dass er vor allem deshalb das Protokoll auf dem normalen Dienstweg nicht an die Polizeipräsidentin weitergeleitet habe, da er mit seiner unmittelbaren Vorgesetzten Heusmann kein gutes Verhältnis gehabt hätte. Er bereue heute, der Präsidentin damals das Papier „nicht auf den Tisch geknallt“ zu haben.

„Mir ist kein Unterschied bewusst.“, antwortet Gratik auf die Frage des Abgeordneten Borgwardt, ob sich das Protokoll das er damals Georg Findeisen überreicht habe, von dem in der Akte unterscheide. Außerdem betont der ehemalige Staatsschützer, dass er die Sache nicht an die große Glocke hängen wollte, sondern die Frage polizeiintern klären lassen wollte.

„Das ist eine Behauptung von Herrn Loichen.“
Sven Gratzik

Konfrontiert mit der Aussage des Polizeibeamten Loichen (mehr dazu hier...), der vor dem Ausschuss gemutmaßt hatte, dass die Staatsschützer das Gesprächsprotokoll an die Presse weitergeleitet haben sollen, sagt Gratzik: „Das ist eine Behauptung von Herrn Loichen.“ Er habe das Protokoll nicht an die Presse gegeben. Auch den Aussagen Loichens, dass das Gesprächsprotokoll nur einem übersteigerten Profiliierungswillen der Staatsschützer geschuldet sei und das Papier auf Grund einer nicht erfolgten Beförderung gar zurückdatiert worden sei, um dem Leitenden Polizeidirektor zu schaden, weist Gratzik entschieden von sich.

„Meine Beförderungsaussichten dürften nach diesem Ausschuss bei Null liegen.“
Sven Gratzik


Bernward Rothe (SPD) hält dem Zeugen die Aussage seines Kollegen Postler (mehr dazu hier...) vor in der dieser angegeben habe, dass Gratzik für den Posten des Staatsschutzleiters nur für eine begrenzte Zeit vorgesehen gewesen wäre. Der Zeuge erinnert sich an ein diesbezügliches Gespräch mit der Polizeipräsidentin. Diese habe in der Unterredung u. a. davon gesprochen, dass man die politische Kriminalität mit Spezialisten oder mit „polizeilichen Maßnahmen in der Breite“ bekämpfen könne. „Ja, Revierleiter hätte ich auch gemacht.“, so Gratzik zur Frage des SPD-Mannes, ob er nach Bekanntwerden des Protokolls im März 2007 eine Umsetzung auf einen Posten außerhalb des Zentralen Kriminaldienstes beantragt habe. „Meine Beförderungsaussichten dürften nach diesem Ausschuss bei Null liegen.“, so Gratzik weiter.


Mitglieder der Partei Die Linke im Untersuchungsausschuss

„Das war mir aber vorher klar.“, interpretiert der Zeuge auf Nachfrage des FDP-Politikers Kosmehl den Inhalt eines Gespräches, dass er im August 2007 mit dem Polizeibeamten Wels (mehr dazu hier..) geführt habe. Dieser soll damals im Zusammenhang mit Gratziks Status in der Behörde das bekannte Bosmann-Urteil als vergleichende Situation erwähnt haben. Demnach würde er in der Auseinandersetzung zwar Recht erhalten, aber im Anschluss wolle niemand mehr mit ihm arbeiten. Außerdem habe er mit dem Leiter Polizei im Innenministerium, Klaus-Dieter Liebau, ein Gespräch geführt und diesen dabei gebeten, Einblick in den Nitsche-Bericht zu bekommen. Dieser habe die Bitte mit der Begründung abgelehnt, dass nur gegen Glombitza und nicht gegen seine Person ermittelt werde. Zu dem mit Nitsche vereinbarten zweiten Gesprächstermin sei er womöglich im Krankenstand gewesen. Danach habe sich der Rektor der Polizeihochschule bei ihm nie wieder gemeldet.

„Aus dieser Affäre gehen Sie nicht als der gute Polizist hervor.“ // „Das ist alles PDS-Gerede.“

Auf Nachfrage Gudrun Tiedges konkretisiert Gratzik, dass die Unterredung mit Liebau am 04. Juli 2007 stattgefunden habe. In diesem Gespräch habe ihm der hochrangige Polizeibeamte offeriert, dass eine Rückkehr in den Staatsschutz für ihn ausgeschlossen sei. „Aus dieser Affäre gehen Sie nicht als der gute Polizist hervor.“, soll Liebau außerdem wörtlich zu ihm gesagt haben. Dass habe er als Drohung verstanden. Später habe noch ein weiteres Gespräch mit Liebau stattgefunden, in dem dieser Gratzik Vertrauensbruch vorgeworfen haben soll. Schließlich habe er sich nochmals mit Liebau unterhalten. Dabei soll es auch um die Statistik der politisch motivierten Kriminalität in Sachsen-Anhalt gegangen sein. „Das ist alles PDS-Gerede.“, soll Liebau dabei hinsichtlich der Vorwürfe, die Statistik könne geschönt worden sein, geäußert haben. Außerdem habe der Leiter Polizei davon gesprochen, dass den drei Staatsschützern wenn man es wolle, mindestens „50 Dienstvergehen“ nachzuweisen wären. Die Äußerungen Hans-Christoph Glombitzas hätten in den Gesprächen mit Liebau nie eine Rolle gespielt. Gratzik sei hier klar gewesen, dass eine zukünftige Verwendung im Bereich Staatsschutz undenkbar sei.

„Ich habe manchmal den Eindruck, die Führung hat die Ministerialbürokratie übernommen.“
Sven Gratzik

Gratzik habe während dieser Zeit mehrfach um ein Gesprächstermin mit dem Innenminister persönlich gebeten, was ihm aber verwehrt worden sei. Zum Abschluss seiner Aussage stellt sich Gratzik ausdrücklich vor den Innenminister Hövelmann, dem sein Engagement bei der Bekämpfung rechtsextremer Kriminalität abzunehmen sei, sagt aber auch: „Ich habe manchmal den Eindruck, die Führung hat die Ministerialbürokratie übernommen.“

 

 




ehemaliger Staatsschützer Swen Ennullat erneut vor dem Ausschuss

„Nach meinen letzten Aussagen habe ich überlegt, ob ich überhaupt noch etwas sage. Ich bin zur Schutzpolizei versetzt wurden.“
Swen Ennullat

„Nach meinen letzten Aussagen habe ich überlegt, ob ich überhaupt noch etwas sage. Ich bin zur Schutzpolizei versetzt wurden.“, beginnt der ehemalige Staatsschützer Swen Ennullat sichtlich geknickt seine Ausführungen. Außerdem beklagt er, dass Polizeikollegen mittlerweile dazu angehalten würden, von privaten Unterredungen mit ihm Gesprächsnotizen anzufertigen.

„Sag jetzt, das stimmt alles nicht und Du machst Karriere.“

Zunächst kommt der Ausschuss auf Ennullats Befragung durch Rainer Nitsche zu sprechen. Der Zeuge sagt aus, dass er zu einem anvisierten Gesprächstermin mit dem Rektor für 5 Tage in einem Kurzurlaub an der Ostsee geweilt habe und danach wieder bereit gewesen wäre, sich den Fragen Nitsches zu stellen. Nitsche habe ihm bei seiner ersten Befragung zudem dazu angehalten, von dem Gesprächsprotokoll Abstand zu nehmen. „Sag jetzt, das stimmt alles nicht und Du machst Karriere.“, fasst der Zeuge seine damaligen Eindrücke zusammen.

„Niemand wollte mehr mit einem reden.“
Swen Ennullat

„Den schicken wir nach Wolfen, damit er auf die Fresse fliegt.“

„Ab diesem Zeitpunkt wurde die Arbeit zusehens schwieriger.“, sagt Ennullat zum ersten Artikel über das Gesprächsprotokoll, der am 12. Mai 2007 im Berliner Tagesspiegel erschienen sei. Ausdrücklich lobt der Befragte vor dem Ausschuss den Tagesspiegel-Korrespondenten Frank Janssen, der sich für die Staatsschützer eingesetzt habe. Die drei Staatsschützer wären dann in der Behörde nach dem Erscheinen des Artikels mit einer unkollegialen Grundstimmung konfrontiert gewesen: „Niemand wollte mehr mit einem reden.“ Der Zeuge datiert eine Pro-Glombitza-Unterschriftenaktion, die der Beamte Gutewort (mehr dazu hier…) initiiert haben soll, ebenso in diesen Zeitraum. Ennullat sagt zudem, dass er „ein Verbot mit der Presse zu sprechen“ bekommen habe. Ferner soll der Vorgesetzte Rainer Benedix in einer Besprechung bezüglich Ennullats Versetzung geäußert haben: „Den schicken wir nach Wolfen, damit er auf die Fresse fliegt.“

„Das MI möchte ja, dass ich meine Zulassung selbst wieder zurück ziehe.“
Swen Ennullat

„Meine Ausbildung, die ich in den letzten Jahren genossen habe, hat das Land eine Menge Kohle gekostet.“
Swen Ennullat

„Ich finde mich wieder auf der Autobahnpolizei.“
Swen Ennullat

Ennulatt gibt zudem zu Protokoll, dass auch er mit dem Polizeibeamten Klaus-Dieter Liebau vom Innenministerium ein Einzelgespräch geführt habe, in dem dieser ihm erklärt habe, dass ein Aufstieg in den gehobenen Dienst für ihn nicht in Frage komme. Ennullatt habe sich dann dafür entscheiden, sich den Weg an die Polizeiakademie einzuklagen und habe schließlich am 29. Juni 2007 eine einstweilige Verfügung erwirkt. Am 04. Juli habe es daraufhin erneut ein Gespräch mit Liebau gegeben in dem dieser ihm mitgeteilt habe, dass über seinen beruflichen Werdegang noch nicht abschließend entschieden sei. In dieser Unterredung soll Liebau zu ihm außerdem geäußert haben, dass er „gegen unzählige Beamtenpflichten“ verstoßen habe. Inzwischen habe er erneut Klage einreichen müssen, um sein Studium durchsetzen zu können: „Das wird wohl die unendliche Geschichte.“ Am. 21. Januar 2008 habe er sich in diesem Kontext erneut einem psychologischen Eignungstest unterziehen müssen. Dazu wären ausschließlich „Pseudokandidaten“ eingeladen worden und nicht etwa tatsächliche Mitbewerber für das Polizeistudium aus Sachsen-Anhalt. „Das MI (Ministerium des Innern; Anm. d. Red.) möchte ja, dass ich meine Zulassung selbst wieder zurück ziehe.“, so Ennullat. Außerdem resümiert der Zeuge frustriert: „Meine Ausbildung, die ich in den letzten Jahren genossen habe, hat das Land eine Menge Kohle gekostet.“ Und für die heutige Situation muss er konstatieren: „Ich finde mich wieder auf der Autobahnpolizei.“


der Landtag in Magdeburg

„Gott sei dank haben die Unterzeichner mit Empörung reagiert.“, leitet Ennullat einen weiteren Komplex seiner Einlassungen ein, die nun für teils heftige Reaktionen im Ausschuss sorgen. Er habe sich im November 2007 auf der Polizeiführungsakademie mit zwei weiteren Kollegen aus Sachsen-Anhalt über den Fall Oury Jalloh unterhalten. Nach einer der letzten Hauptverhandlungen in diesem Fall am Dessauer Landgericht (mehr dazu hier...) habe er erfahren, dass es von diesem Privatgespräch unter Kollegen offensichtlich ein Protokoll geben soll: „Dass Protokoll wurde im Polizeirevier Dessau ausgelegt.“ Ennulatt konkretisiert, dass das Papier im Bereich des Dienstgruppenleiters ausgelegen haben soll. Der Zeuge überreicht das Protokoll dem Ausschuss, der es zunächst in Augenschein nimmt.

„Sie fürchtete wenn sie es nicht tue, bedeutet dies ihr Karriereende.“
Swen Ennullat

„Da war ich wie vor den Kopf geschlagen.“, sagt Ennullat zur Existenz der Gesprächsnotiz. Er habe sich im November mit seinen Kollegen Herr Adam und Frau Müller über den Fall Jalloh unterhalten. Frau Müller habe ihm auf Nachfrage bestätigt, dass sie das Protokoll zunächst gar nicht unterschreiben wollte. Schließlich habe sie es dennoch gemacht: „Sie fürchtete wenn sie es nicht tue, bedeutet dies ihr Karriereende.“ Sie habe lange weinend auf der Couch gesessen, mit sich gerungen und sich schließlich doch dafür entschieden. Außerdem sagt der Zeuge aus, dass ein Beamter aus dem Innenministerium den Kollegen Adam telefonisch angewiesen habe, ein Protokoll von dem Gespräch zu fertigen. Dieser habe die Notiz dann zu Papier gebracht und die Kollegin Müller dann telefonisch angewiesen, dieses zu unterzeichnen.

“Ich muss jetzt mal sagen, dass ist eine völlig neue Qualität.“
Siegfried Borgwardt

“Ich muss jetzt mal sagen, dass ist eine völlig neue Qualität.“, bringt der CDU-Abgeordnete Borgwardt das Erstaunen des gesamten Ausschusses auf den Punkt. Schließlich verliest der Ausschussvorsitzende Jens Kolze das Protokoll in der Sitzung. Der CDU-Politiker verliest zudem ein Aktenvermerk aus dem hervorgehe, dass der Beamte Adam das Protokoll persönlich im Innenministerium abgegeben haben soll.

„Jeder der mal Mist gebaut hat, kam zum Schluss ins Polizeirevier Dessau.“
Swen Ennullat

Burkhardt fragt den Zeugen nach dem Inhalt der Notiz. Ennullat bestreitet zunächst, wortwörtlich gesagt zu haben, dass die Polizei Schwarze in der Zelle verbrennen würde. Außerdem könne er ohnehin zum Fall Oury Jalloh nichts sagen, da er dafür keine Aussagegenehmigung vorliegen habe. „Jeder der mal Mist gebaut hat, kam zum Schluss ins Polizeirevier Dessau.“, sagt der ehemalige Staatsschützer weiter. Außerdem würde die halbe Polizei in Sachsen-Anhalt den Oury Jalloh-Prozess intensiv verfolgen. Der Zeuge gibt zudem an, dass seines Wissens im Polizeirevier Dessau außer den Todesfällen Jalloh und Bichtemann (mehr dazu hier…) ein weiterer Toter zu beklagen gewesen sei. An dieser Akte habe er als Praktikant im Fachkommissariat 2 einmal gearbeitet. Er kenne die Ermittlungsakten zu dem Fall Jalloh nur sporadisch, weil er in Vergangenheit im FK4 die Gefährdungsanalysen vor Jalloh-Demonstrationen erstellt habe. Zudem wisse er darüber hinaus nur, dass sich der zuständige Staatsanwalt Preissner, der den Fall Jalloh bearbeite, sich darüber wundere, dass vernommene Polizeibeamte vor Gericht immer wieder lügen würden.

“Mit Jogginghose in der Kantine.“, beschreibt Ennullat auf Nachfrage das besagte Ambiente des Gespräches mit den Kollegen in der Polizeiakademie.

„Wir werden ein Supergespräch führen, sie müssen nur Teile ihre Klage zurückziehen.“

„Das Ergebnis stand eh von vornherein fest.“

Von Holger Stahlknecht darauf angesprochen, kommt der Zeuge auf ein Gespräch zurück, dass er am 27. November 2007 mit dem Abteilungsleiter Polizei im Magdeburger Innenministerium, Klaus-Dieter Liebau, geführt habe. Dieser Termin im Rahmen der Auswahlkommission (diese legt fest, welche Beamte aus Sachsen-Anhalt an die Führungsakademie nach Hanoversch. Minden entsandt werden; Anm. d. Red.) sei anberaumt worden, nachdem seine Klage vor dem Verwaltungsgericht Dessau Erfolg gehabt habe. „Wir werden ein Supergespräch führen, sie müssen nur Teile ihre Klage zurückziehen.“, soll Liebau dabei zu dem ehemaligen Staatsschützer geäußert haben. Ennullat sagt dazu frustriert: „Das Ergebnis stand eh von vornherein fest.“ Außerdem berichtet der Zeuge dem Ausschuss von seiner Befragung durch Rainer Nitsche. Dieser soll dabei geäußert haben: „Ja Ja, die Wahrheit, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.“, um Ennullat damit die Möglichkeit einzuräumen, vom Inhalt des Gesprächsprotokolls zurück zutreten.

„Da sage ich, da läuft was ganz schief.“
Swen Ennullat

Zu seinem psychologischen Eignungstest im Rahmen seines Studiums sagt der Zeuge: „Da sage ich, da läuft was ganz schief.“. Damit spielt Ennullat auf das Testsituation, bei der unüblicherweise ein Psychologe anwesend gewesen sei, und die entsprechenden Ergebnisse an. Diese zitiert der Zeuge in Passagen im Ausschuss. Viele der Gremienmitglieder kommentieren das mit einem Kopfschütteln, welches Unverständnis zum Ausdruck bringt.

„Mir verschlägt es die Sprache.“
Gudrun Tiedge

„Dieses Verhalten ist eines Rechtsstaates unwürdig.“
Swen Ennullat

„Mir verschlägt es die Sprache.“, sagt Gudrun Tiedge hinsichtlich der Atmosphäre, mit der Ennulatt bei seinem Studium zu kämpfen habe. „Ich antworte jetzt lieber nicht, vielleicht wird es ja aufgeschrieben.“, antwortet der Zeuge sichtlich konsterniert mit ironischem Unterton. Die Politikerin konfrontiert den Zeugen mit einer Passage aus dem Nitsche-Bericht. Darin steht, dass den drei Staatsschützern keine dienstrechtlichen Vergehen nachzuweisen wären. Tiedge will daraufhin wissen ob dies so zu verstehen sei, dass er nie davon ausgegangen sei, das der Rektor der Polizeihochschule dienstrechtlich gegen ihn ermittle. Dies verneint der Zeuge und gibt zu Protokoll, dass Nitsche ihn nie über den Status der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt habe: „Dieses Verhalten ist eines Rechtsstaates unwürdig.“

„Für Krisenmanagement ist das Innenministerium zuständig.“
Swen Ennullat

„Sowas haben wir noch nicht erlebt.“

Zum Abgeordneten Kosmehl sagt Ennullat hinsichtlich der Gesprächsnotiz seiner Privatunterhaltung in der Polizeiakademie: „Für Krisenmanagement ist das Innenministerium zuständig.“ Er habe sich gewünscht, dass man mit ihm darüber geredet hätte. Die Gewerkschaftsvertreter, die bei Ennullats Unterredung mit dem Beamten Liebau am 04. Juli 2007 zugegegen gewesen wären, hätten geäußert: „Sowas haben wir noch nicht erlebt.“ Außerdem gibt der Befragte an, erst in der letzten Woche Einsicht in seine Personalakten bekommen zu haben. In diesen wären zudem die letzten 20 Seiten nicht nummeriert gewesen. „Angeboten wurde mir eine Polizeistation mit zwei Leuten.“, sagt Ennullat zu den Plänen seiner weiteren beruflichen Verwendung in der Polizeidirektion. „Ich bin der Meinung, dass ich das wusste.“, antwortet der Zeuge auf die Frage, ob er davon Kenntnis hatte, dass sein Vorgesetzter Gratzik das Gesprächsprotokoll an den Justiziar Findeisen weitergeleitet habe. Er hätte diese Vorgehensweise zudem gebilligt.

„Sie saß wohl weinend auf der Couch, weil sie so etwas nicht machen wollte.“
Swen Ennullat

„Sie saß wohl weinend auf der Couch, weil sie so etwas nicht machen wollte.“, sagt der Zeuge zum SPD-Mann Bernward Rothe und meint damit die Reaktion der Polizeibeamtin Müller, nachdem sie aufgefordert worden sei, die Gesprächsnotiz von der Privatunterredung in der Polizeiakademie zu unterzeichnen.

„Ich habe nichts im gehobenen Dienst zu suchen, weil man Personen des öffentlichen Lebens nicht anzeigt.“
Swen Ennullat

Der Abgeordnete Borgwardt möchte wissen, wie das Landgericht Dessau an Gesprächsnotiz aus der Akademie gekommen sei und wie wiederum der Zeuge Ennullat an dieses Schreiben gelangt sei. Diesbezüglich kann der Zeuge zunächst nur auf den Zeugen Gratzik verweisen. Der Zeuge erinnert sich an seine Sicherheitsüberprüfung, die für sein Studium notwendig wäre, durch den Geheimdienstbeauftragten der Polizeidirektion Dessau, Rainer Benedix: „Ich habe nichts im gehobenen Dienst zu suchen, weil man Personen des öffentlichen Lebens nicht anzeigt.“ Damit habe der Beamte auf eine Anzeige Ennullats gegen die Polizeipräsidentin Scherber-Schmidt angespielt. Die Genehmigung, die er bis dato noch inne hatte, in sicherheitsrelevante Dinge Einblick zu erhalten, wurde ihm in diesem Zuge auch entzogen, schriftlich wurde ihm dies jedoch nie bestätigt.

"Wieso arbeitest du noch für die Leute?“

Gudrun Tiedge fragt den Zeugen, wie er selbst seine Zukunftsaussichten in der Polizei einschätze. „Gute Frage. Mein Vater hat die Frage anders formuliert. Er hat gefragt: Wieso arbeitest du noch für die Leute?“, so der ehemalige Staatsschützer.

Nachdem der Zeuge den Saal verlassen darf betritt erneut Sven Gratzik den Plenarsaal der Landesregierung. Die Ausschussmitglieder möchten von ihm wissen, woher er das Gesprächsprotokoll aus den Akten des Jalloh-Prozesses erhalten habe. Gratzik entgegnete daraufhin: „Das hätte jeder Beamte haben können.“, da es im Dessauer Polizeirevier ausgelegen habe. Als ihm dieser Umstand bekannt geworden sei, habe sein Rechtsanwalt den dortigen Revierleiter angerufen, um diesen zu bitten, dass es unterbleiben solle solche vermeintlich persönlichen Äußerungen Ennullats dort auszulegen. Bei diesem Telefonat schien der Revierleiter auch sofort zu wissen, um welches Schreiben es ginge.

 




der ehemalige Staatsschützer Christian Kappert wird nochmals vom Ausschuss vernommen

Gegen 18.00 Uhr tritt der ehemalige Staatsschützer Christian Kappert wiederholt den Zeugenstand des Untersuchungsausschusses. Dieser gibt zunächst zu Protokoll, dass ihm erinnerlich sei, dass das ausgesprochene Hausverbot für das gesamte Objekt der Polizeidirektion gegolten hätte. Weiter führte er aus, das ihm ebenfalls seitens seines Arbeitgebers verwehrt worden sei, seine eigene Personalakte einzusehen oder Auskunft über seine personenbezogenen Daten zu erhalten.


Christian Kappert vor dem Untersuchungsausschuss

Ausschussmitglied Jens Kolze befragt den Polizeibeamten nach dem Protokoll des Privatgesprächs von Swen Ennullat in der Polizeiakademie. Kappert gibt diesbezüglich an, dass er selbst am 21. Januar diesen Jahres im Landgericht Dessau-Roßlau, mit Aufgaben der Schutzpolizei betraut im Einsatz gewesen sei, als die Verhandlung zum Tod Oury Jallohs (mehr dazu hier…) gerade lief. Einer der zwei Angeklagten habe in der Pause auf dem Flur dann von diesem ominösen Gesprächsprotokoll erzählt. Einen Tag später hätte dieses Schreiben dann wohl im Bereich der Dienstgruppenleiter im Revier Dessau-Roßlau ausgelegen.

Auf Frage des Ausschussmitglieds Guido Henke zu dem Untersuchungsbericht von Rainer Nitsche führt er aus: dieser habe ihn zweimal im Rahmen der Untersuchungen angehört. Nitsche habe ihm zudem mitgeteilt, dass laut seiner Auffassung den vier Beteiligten nichts dienstrechtlich relevantes nachzusagen sei. Im Umkehrschluss heiße das, dass offizielle Ermittlungen hätten eingeleitet werden müssen und spätestens dies hätte dem davon betroffenen mitgeteilt werden müssen.

„Dadurch, dass ich das unterschrieben habe, werde ich umgesetzt.“

Kappert erzählt, dass er im Gespräch Nitsche nach dessen offiziellen Untersuchungsauftrag gefragt habe. Darauf hätte der leitende Ermittler Rainer Nitsche keine Antwort gegeben. Ferner sei Kappert als Zeuge nicht belehrt worden, er habe auch nichts unterschrieben und Rainer Nitsche hätte sich laut seiner Erinnerungen auch keine Notizen während der Anhörungen gefertigt. Als „nicht unbedingt der Karriere förderlich“ bezeichnet Kappert die Folgen der, aus seiner Sicht „einseitigen Ermittlungen“ zu diesem Fall. Er merkt an, dass auch er ein direktes Gespräch mit Innenminister Holger Hövelmann zu diesen Begebenheiten befürwortet hätte. Dem Personaldezernenten Lutz Gutewort gegenüber habe Kappert indes einmal unmissverständlich klargestellt, dass an seiner eidesstattlichen Versicherung zu dem Gesprächsprotokoll mit Glombitza nichts zu rütteln sei. „Dadurch, dass ich das unterschrieben habe, werde ich umgesetzt.“, sei ihm folglich mitgeteilt worden.

„Ich kann nur das auffassen, was er sagt.“
Christian Kappert

„Es ging definitiv nicht um die Lehrer, es ging um uns, um die Polizei.“
Christian Kappert

Gudrun Tiedge hakt bei Christian Kappert noch einmal wegen der Äußerungen Glombitzas nach, dass die Landeskampagne „Hingucken!“ ‚nur für die Galerie sei‘. Ob Hans-Christoph Glombitza diese Darstellung in Zusammenhang mit dem Kultusministerium gebracht habe, will Tiedge wissen. Dieser Kontext habe bei den Formulierungen von Glombitza nie eine Rolle gespielt, erinnert sich Kappert. „Ich kann nur das auffassen, was er sagt.“, so Kappert und fügt an, dass er nicht wisse, wie er das hätte falsch verstehen sollen. Der Leiter der Polizei einer Polizeidirektion, wie Glombitza es derzeit war, müsse sich seiner Worte bewusst sein, meint der Zeuge oder er hätte diese ja auch bei Missverständlichkeit korrigieren können. „Es ging definitiv nicht um die Lehrer, es ging um uns, um die Polizei.“, so der Zeuge abschließend dazu.

Guido Kosmehl möchte zunächst wissen, wie es zur eidesstattlichen Versicherung der drei unter dem Gesprächsprotokoll gekommen sei. Diese rechtliche Absicherung sei nicht auf seine Initiative hin zustande gekommen, sagt Kappert, er habe aber auch keine Bedenken deswegen gehabt. Als damaliger Leiter der Abteilung Staatsschutz habe Sven Gratzik sich nach dem Glombitza-Gespräch auch in einer hilflosen Position befunden, gibt der Zeuge heute zu Protokoll. Er selbst sei zudem sehr froh gewesen, dass seine beiden Vorgesetzten bei diesem Gespräch mit dabei gewesen wären. Auch er hätte nach dem Gespräch gedacht, dass diesbezüglich in irgendeiner Weise gehandelt werden müsse, weil der Sachverhalt so nicht hätte im Raum stehen bleiben können. Inwiefern das geschriebene Gedächtnisprotokoll dann über den offiziellen Dienstweg gelaufen sei oder wie es gar an die Öffentlichkeit gelangt sei kann der Zeuge nicht sagen. Ein Problem mit der Veröffentlichung des Sachverhaltes habe Kappert aber nicht gehabt.

Ob Sven Gratzik einen direkten Auftrag zur Fertigung diese Schriftstückes an Kappert gegeben habe will Erich Reichert wissen. Konkret könne der Zeuge das heute nicht mehr angeben, aber ihm sei erinnerlich, dass unter den drei Staatsschützern Einigkeit über die Fertigung herrschte. Die Äußerungen von Glombitza seien für ihn ein „mentaler Tiefschlag“ gewesen.

„Woher weiß er das denn? Wer ist Herr Loichen?“
Christian Kappert

„Das dachten wir uns auch.“
Gudrun Tiedge

Auf einen Vorhalt Tiedges aus der Aussage des Polizeibeamten Loichen (mehr dazu hier…), dass die drei Staatsschützer das Protokoll erst zwei Monate in der Schublade zurückgehalten hätten, bevor sie es dann funktional weitergegeben hätten, fragt Kappert verständnislos: „Woher weiß er das denn? Wer ist Herr Loichen?“ Der Antwort Tiedges: „Das dachten wir uns auch.“, entsprachen an dieser Stelle augenscheinlich mehrheitlich die Mitglieder des Untersuchungsausschusses.

„Es ist richtig, Ihr drei sollt nicht mehr zueinanderfinden.“

„Welchen Fehler hab ich eigentlich gemacht?“
Christian Kappert

Seit 01.05.2007 ist Kappert nunmehr im Zentralen Einsatzdienst (ZED) tätig, eine Planstelleneinweisung oder eine schriftliche Veränderungsmitteilung habe er jedoch bis heute nicht erhalten. Auf Nachfragen Bernwardt Rothes zum Aktenvorhalt, dass Lutz Gutewort angab, Kappert hätte geäußert, ohne Gratzik nicht mehr im Staatsschutz arbeiten zu wollen, entgegnet dieser selbst, dass dies so nicht richtig sei. Vielmehr hätte er angegeben, dass er diesen Posten nicht mehr erfüllen wolle unter den Vorzeichen, wie sie Hans-Christoph Glombitza im Gespräch mit den drei Staatsschützern aufgestellt hätte. „Auch das ist wieder nur zur Hälfte richtig.“, so Kappert zu den protokollierten Ausführungen, dass Gutewort ihm verschiedene zukünftige Verwendungen angeboten hätte. Er führt aus, dass er sich am 13.04.2007 hätte bei Lutz Gutewort einfinden sollen, dabei hätte es um seine Versetzung gehen sollen. ‚Offiziell wirst du nichts anderes von mir hören.‘ hätte der Personaldezernent Gutewort eingangs zu ihm gesagt. Im späteren Verlauf habe er Kappert gegenüber aber eingestanden: „Es ist richtig, Ihr drei sollt nicht mehr zueinanderfinden.“ „Welchen Fehler hab ich eigentlich gemacht?“, so Kappert in die Runde des Untersuchungsausschusses und will somit eine Grundsatzfrage aufwerfen, die ihm jetzt und hier aber keiner befriedigend beantworten kann. „Hart aber gerecht ist er.“, sagt der Zeuge in Bezug auf den oft kritisierten Führungsstil Sven Gratziks. Rachemotive habe der Zeuge zu keinem Zeitpunkt dem früheren Polizeichef Glombitza gegenüber gehegt, er habe ihn bis dato immer sehr geschätzt. Am 05.02.2007 „war ein plötzlicher Umschwung da“, so Kappert abschließend zu seinen Wahrnehmungen.




pensionierter Vize-Polizeichef Hans-Christoph Glombitza wird nochmals gehört

19.10 Uhr betritt der pensionierte Vize-Polizeichef Hans-Christoph Glombitza den Plenarsaal. Zunächst begründet er aus seiner Sicht die Umsetzungen der drei damaligen Staatsschützer. Demnach sei Swen Ennullat wegen seiner Aufstiegsausbildung versetzt worden, Christian Kappert, weil er sich dahingehend geäußert hätte, nicht ohne Sven Gratzik weiter im Staatsschutz zu arbeiten du der damalige Leiter des Staatsschutz Sven Gratzik selbst sei eigentlich eh nur bis Ende 2006 für den Posten vorgesehen gewesen. Gratzik hätte ins Polizeirevier Bitterfeld wechseln sollen, um Erfahrungen mit Querschnittsaufgaben zu sammeln.


Hans-Christoph Glombitza vor dem Untersuchungsausschuss

Zu dem angeführten Hausverbot für die drei Staatsschützer meint Glombitza, dieses sei ausschließlich ein „Betretungsverbot“ für die Räume des Fachkommissariats Staatsschutz gewesen und da sie seiner Auffassung nach zu diesem Zeitpunkt keine Mitarbeiter in dieser Abteilung gewesen seien, hätten er auch keine Veranlassung für ein Betreten der Räume gesehen. Glombitza ergänzt, dass Sven Gratzik zu irgendeinem Zeitpunkt Gelegenheit gehabt haben müsse, seine persönlichen Sachen abzuholen, denn er habe seinen Informationen nach ja auch die Möglichkeit gehabt, den Panzerschrank der Abteilung zu räumen.

„Ganz sicher mit der Intention, dass Herr Nitsche es berücksichtigt.“
Hans-Christoph Glombitza

„Ganz sicher mit der Intention, dass Herr Nitsche es berücksichtigt.“, so Glombitza zu einem Schreiben, welches er Rainer Nitsche am 18.06.2007 nachgereicht habe. In diesem Schreiben hätte er Stellung genommen zu Vorwürfen, wie sie aus einem Telefoninterview mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Wolfgang Böhmer auf Radio SAW zu hören gewesen seien. Böhmer habe in seinen Ausführungen die Handlungen der drei Staatsschützer als „Retourkutsche“ gegen Glombitza dargestellt. Der pensionierte Polizeichef hätte gewollt, dass dem Innenministerium seine Meinung zu solchen Vorwürfen bekannt gemacht werde, daran hätte er nichts verwerfliches gesehen. Im Nitsche-Bericht habe er zudem Teile seiner Argumentation wiedergefunden.

Glombitza führt aus, dass ihn der Abschlussbericht Rainer Nitsches schon überrascht habe, so zum Beispiel, dass den drei Staatsschützern keinerlei Verfehlungen nachzusagen seien.

‚Sich als Polizist um Asylbewerber zu kümmern, sei genauso wie wenn er sich um Nutten kümmern würde.‘

„Ich habe ihm gesagt, dass damit auch Risiken verbunden sind.“
Hans-Christoph Glombitza

Der Vorwurf, dass Glombitza einem Beamten einmal vorgehalten habe: ‚Sich als Polizist um Asylbewerber zu kümmern, sei genauso wie wenn er sich um Nutten kümmern würde.‘ sei ihm erinnerlich, wie der Beamte heiße, wisse er aber nicht mehr. Es sei ein Beamter, der sich in Bernburg um Asylbewerber kümmere und beispielsweise eine farbige Fußballmannschaft häufig zu Spielen fahre. „Ich habe ihm gesagt, dass damit auch Risiken verbunden sind.“, so Glombitza. Er hätte den Beamten zur Vorsicht gemahnt und darauf hingewiesen, dass für diesen Probleme auftreten könnten, wenn einer der Spieler Rauschgift bei sich tragen würde. Für Glombitza sie klar, dass es irgendein Vorkommnis gegeben haben müsse, da die Kollegen den Sachverhalt sonst nicht hätten kennen können.

„Meine Welt war nicht mehr in Ordnung, als mir Frau Scherber-Schmidt am 13.04.2007 das Protokoll gab.“
Hans-Christoph Glombitza

„Meine Welt war nicht mehr in Ordnung, als mir Frau Scherber-Schmidt am 13.04.2007 das Protokoll gab.“, so Glombitza auf eine entsprechende Frage Norbert Bischoffs. Wäre er nach Bekanntwerden des Gesprächsprotokolls initiativ geworden, so hätte jeder geglaubt, er würde die drei Gegenspieler manipulieren wollen, gibt Glombitza zu Protokoll. Aus Glombitzas Sicht sei er selbst bei dieser Geschichte der Leidtragende. Weiter führt Glombitza aus, er habe Sven Gratzik nach dem Gespräch vom 05.02.2007 angeboten, er solle ihm einfach einen Termin nennen und dann hätte er sich jederzeit auf ein Folgegespräch mit den drei Beamten eingelassen. Dieses Angebot sei aber nie umgesetzt worden sein. Ferner nennt der pensionierte Polizeichef die Vorhalte, zu Gratzik gesagt zu haben, dieser solle ‚demotivierte Beamte entsorgen‘ „falsch, absolut falsch.“

Auf die Fragen Guido Kosmehls bestätigt Glombitza die Beurteilung für Sven Gratzik mit Norbert Postler zusammen verfasst zu haben. Laut Postler habe sich diese verfasste Version nur auf die Wahrnehmungen des letzten halben Jahres bezogen, nicht auf die gesamte Zeit von Gratziks Tätigkeit auf diesem Posten.

Guido Kosmehl will nun wissen, mit welcher Motivation die Gesprächspartner am 05.02.2007 auf die „Hingucken!“-Kampagne gekommen seien. Swen Ennullat habe die Kampagne im Verlauf des Gesprächs angeführt, um das Engagement des Staatsschutzes Dessau zu untermauern. Glombitza führt diesbezüglich aus, dahingehend reagiert zu haben, dass das Land etwas entgegen setzen müsse, wenn „selbsternannte Experten“ das Land schlecht machen würden. Glombitza äußert scheinbar überzeugt, dass ihn andere Mitarbeiter, so wie er sich immer ausdrücken würde, verstehen würden.



Die 24-Stunden-Rufbereitschaft und die hohen Überstunden habe es laut Glombitza zunächst in der Abteilung nicht gegeben. Es sei ein loses Angebot von Gratzik gewesen, er habe vielmehr ständig darauf gedrängt, bei Fragen jederzeit angerufen zu werden. Dieses Angebot sei von Glombitza dankend angenommen worden. Dann kam jedoch eines Tages eine E-Mail von Sven Gratzik, in der er darum bat wieder von dem Angebot abzusehen. Glombitza sah sich daraufhin veranlasst, für den Bereich Staatsschutz eine Rufbereitschaft offiziell ins Leben zu rufen. An der Stelle hätte Gratzik, hinsichtlich Bereitschaft sieben Tage 24 Stunden zu dritt abzudecken, geäußert: ‚Das ist nicht machbar.‘

Bernwardt Rothe versucht mit Hans-Christoph Glombitza die Rufbereitschaft noch weiter zu erörtern. Der Zeuge führt hierzu aus, dass Gratzik als Begründung diese nicht mehr zu wollen, Konfrontationen mit seiner Urlaubsplanung angeführt hätte. Nachdem die Rufbereitschaft offiziell im Dienstgeschehen installiert gewesen sei, wäre sie aber nicht mehr in Anspruch genommen worden, so Glombitza. Die Beurteilung Gratziks habe der damalige Polizeichef, unter Hinzuziehung des Leiters ZKD Norbert Postler, versucht mit dem Beurteilten zu klären. Er habe Gratzik die Abstufung in seiner Beurteilung näher erläutern wollen, was aber nur bedingt gelungen sei, Sven Gratzik hätte diesbezüglich auch ein „Änderungsbegehren stellen können", was er aber nicht getan habe, so Glombitza.

Auf Siegfried Borgwardts Fragen hin, ob die Überbelastung ausschließlich bei den dreien, Gratzik, Ennullat und Kappert, bestanden hätte, führt der Zeuge aus, dass er irgendwann einmal eine Mitteilung erhalten habe, dass das Problem erledigt sei. Zudem habe er es immer als schwierig empfunden, die Arbeit einer „Feuerwehrtruppe“ vorherzusehen.

Ob den Leiter der Polizei Glombitza nicht verwundert hätte, dass die Mehrarbeit nicht auf der Arbeitsebene sondern auf Ebene der Abteilungsleitung niederschlug, will Borgwardt wissen. Das verneint der Zeuge, mit Verweis darauf, dass die Arbeitsweise von Gratzik und Ennullat hinlänglich bekannt gewesen sei. Als Leiter der Abteilung Polizei sei es zudem, seiner Auffassung nach, nicht sein Aufgabengebiet, zu arrangieren, dass die Arbeit möglichst gerecht verteilt werde.




Leiterin des Zentralen Kriminaldienstes Heike Heusmann erneut vor dem Ausschuss

21.10 Uhr betritt Heike Heusmann, Leiterin des Zentralen Kriminaldienstes, den Raum. Dr. Helga Paschke will von der Zeugin wissen, wie sich die Thematik Rufbereitschaft aus ihrer Sicht darstelle. Sie gibt zu Protokoll, dass Gratzik die freiwillige Rufbereitschaft ab Ende 2006 nicht mehr abdecken wolle, Glombitza habe die fachliche Beratungsmöglichkeit aber gern beibehalten wollen. Heusmann sah innerhalb der Polizeidirektion neben der Leitung der Abteilung Staatsschutz auch weitere kompetente Mitarbeiter vorrätig, die diese Funktion erfüllen könnten. Dies hätte folglich auch einen erneuten Anstieg der Überstunden vermeiden, so die Zeugin.

Auf Nachhaken Borgwardts bezüglich einer Plausibilitätsprüfung der 2.300 Überstunden äußert Heusmann, dass dies nicht geschehen sei, es habe lediglich eine Prüfung gegeben, ob diese über den Zeitraum eines viertel Jahres abzubauen wären. Wer den Vorschlag zur Vergütung der Überstunden eingebracht habe, wisse sie nicht, ihr sei dazu aber erinnerlich, dass sich die Polizeipräsidentin Scherber-Schmidt dafür stark gemacht habe. Da eine finanzielle Abgeltung von Überstunden in der Polizei eher unüblich sei, wäre sie darüber auch verwundert gewesen, eine Plausibilitätsprüfung habe dazu trotzdessen niemand angestrengt.

„Ja, es hat einige gegeben.“
Heike Heusmann

Von Frau Dr. Paschke auf den Führungsstil Gratziks befragt, gibt sie an: „Ja, es hat einige gegeben.“ und meint damit Beamte, die aufgrund des Führungsstils die Abteilung Staatsschutz wieder verlassen hätten. Auf entsprechendes Nachhaken kann sie aber nur eine Person konkret benennen.

Zu dem Komplex befragt, dass sie, als Gratziks direkte Vorgesetzte, angewiesen habe über jegliche Details in Kenntnis gesetzt zu werden, führt sie aus: Sie hätte nicht über jedes Telefonat Gratziks, nur über konkrete grundsätzliche Vereinbarungen oder Änderungen in der Abteilung informiert werden wollen.

Auf entsprechende Fragen Guido Kosmehls zur Rufbereitschaft führt sie nochmals aus: Diese sei vorerst für zwei Monate offiziell installiert worden, anschließend sei diese dann mit Entscheidung Glombitzas wieder abgeschafft worden, das sie nicht den erwünschten Erfolg gebracht hätte. Konkret sei die Entscheidung gegen die Rufbereitschaft von Glombitza und Heusmann zusammen gefällt worden.


Mitglieder der SPD im Untersuchungsausschuss

Auf das Protokoll der Führungsbesprechung in der Polizeihundeschule in Pretsch angesprochen gibt die Zeugin zu Protokoll: Sie denke auch Gratzik hätte dieses trotz Abwesenheit bekommen. Das Protokoll sei ihrer Erinnerung nach verspätet rausgegangen, erst im Mai 2007. Anhand dieses Umstandes wäre zu erklären, wieso Gratzik dieses nicht mehr erhalten habe, da er zu dem Zeitpunkt nicht mehr zugegen war.

Von veränderten Richtlinien in der Zählung politisch motivierter Kriminalität aus den Jahren 2004 bis 2006 habe Heusmann erst nach den Presseveröffentlichungen um den Skandal wegen geschönter Statistiken im LKA erfahren. Die Zeugin meint, auf Ebene der Polizeidirektion hätte die Statistiken der Leiter des jeweiligen Fachkommissariats, also Sven Gratzik, kontrollieren müssen.

„Ja, das hat so direkt niemand geäußert.“
Heike Heusmann

„Also was Sie hier äußern sind Vermutungen?“
Gudrun Tiedge

„Ja, das hat so direkt niemand geäußert.“, dass sei für sie „aber nur vorgeschoben“ gewesen, entgegnet die Polizeibeamtin Heusmann auf Fragen Gudrun Tiedges zur Personalfluktuation unter Gratziks Leitung sowie Kritik an dessen Führungsstil. ‚Vielleicht hätte sie sich nicht getraut, das so offen zu sagen.‘, mutmaßt Heusmann. Mit einem klaren „Ja“ antwortet sie auf die Frage: „Also was Sie hier äußern sind Vermutungen?“

„Ja, das Klima war nicht besonders gut.“
Heike Heusmann

„Ja, das kann ich an Personen nicht mehr festmachen.“
Heike Heusmann

Erich Reichert antwortet sie zur Bewertung des Gesamtklimas im Fachkommissariats: „Ja, das Klima war nicht besonders gut.“ Sie konkretisiert, dass es in der Abteilung eine Gruppenteilung gegeben habe, [Vorgangsbearbeitung und GIA = Gefahrenabwehr – Informationsbeschaffung – Auswertung]. Die Gruppe GIA sei intern von Gratzik bevorzugt worden die andere Gruppe hingegen habe sich häufig vernachlässigt gefühlt. Heusmann führt an, dass die Vorgangsbearbeiter beispielsweise einmal nicht zu einen Bowlingabend mit eingeladen worden seien. Daraufhin habe es Missstimmung und folglich eine Aussprache in der Abteilung gegeben. „Ja, das kann ich an Personen nicht mehr festmachen.“, so die Zeugin ferner dazu.


Landtag von Sachsen-Anhalt

Sie sei erst ab Ende 2006 für diese Belange zuständig gewesen, so Heusmann, auf die Frage, weshalb sie als Vorgesetzte bei diesen Missstimmung nicht eingegriffen habe. Nach ihrer Wahrnehmung stand der Leistungsanspruch Gratziks immer entgegen der Maßgabe: ‚Die Leute dort abzuholen wo sie stehen.‘ Zudem gesteht sie ein, dass es von ihr aus schon ein gestörtes Verhältnis zu Gratzik gegeben habe und sie sich demzufolge „verschiedentlich übergangen“ fühlte.

Gudrun Tiedge geht abschließend noch einmal auf Vermittlungsgespräche innerhalb der Abteilung ein. Ein anderer Kollege, so führt Heike Heusmann aus, der Probleme mit der Art Gratziks gehabet hätte, sei einen Kompromiss mit ihm eingegangen, Gratzik sei folglich mehr auf den Kollegen eingegangen und mit: „Ja, das hat sich gebessert.“, bestätigt sie, dass sich dieses Problem zum Positiven gewandt habe und der Kollege dann im Fachkommissariat Staatsschutz geblieben sei.

22.15 Uhr verlässt Heike Heusmann heute als letzte Zeugin den Saal und der zehnte parlamentarische Untersuchungsausschuss stellt für abschließende Debatten die „Nichtöffentlichkeit“ wieder her.

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