„Ich freue mich, dass heute so viele Roßlauer auf die richtige Seite der Waldstraße gekommen sind“

400 Menschen protestieren friedlich, lautstark und bunt mit der Aktion MIT BUNTEN EIMERN GEGEN DAS FEUER DES HASSES gegen einen Naziaufmarsch in Roßlau



Am Ende überwiegt der Stolz darüber, es an jenem 06. Oktober 2015 geschafft zu haben. Mit einer Menschenkette ist es gelungen, die zukünftige Flüchtlingsunterkunft am Stadtrand von Roßlau symbolisch vor Nazis und Rassisten abzuschirmen. Schüler und Senioren, Politiker und Unternehmer, Protestprofis und Demonstrationsneulinge sind zur Kundgebung des Netzwerks GELEBTE DEMOKRATIE (mehr dazu hier...) gekommen, um ein deutliches Zeichen für Vielfalt und eine gelebte Willkommenskultur zu setzen. Wie bitter nötig das ist und wohl auch bleiben wird, kann sprichwörtlich auf der anderen (Straßen) Seite besichtigt werden. Dort hetzen Neonaziaktivisten und selbsternannte „Asylgegner“ auf das Übelste und befeuern mit ihrem Sound aus Menschenhass und Intoleranz die irrationale Angst vor allem Fremden.

Gegen 16.30 Uhr ist in der Roßlauer Waldstr. Nr. 15 noch recht wenig los. Die Sonne scheint mäßig, ein paar Jugendliche schauen dem Aufbau des Infostandes vom Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE interessiert zu und die Bereitschaftspolizei sitzt in ihren Fahrzeugen eher tiefenentspannt. Doch nach und nach trudeln mehr Menschen ein – erst einzeln und in kleinen Gruppen – dann immer massiver. Viele von ihnen haben Plastikeimer in allen Größen dabei. Das hier kein kollektiver Frühjahrsputz mitten im Herbst auf dem Plan steht, wird schnell klar, wenn die Putzutensilien ein wenig näher betrachtet werden. Da sind bunte Punkte ebenso aufgeklebt wie erfrischende Blumenmotive oder gar eindeutige Botschaften wie „Refugees Welcome“ oder „Nazis Nein Danke!“. Manche waren gar so kreativ und haben kurzer Hand den Aufrufhandzettel auf den Eimer gepappt oder diese mit Luftballons verziert.













„Auch wenn der Anlass heute eher ein  trauriger ist, mich beeindruckt vor allem diese Bunte Mischung aus der Mitte der Gesellschaft“, sagt Ralf Zaizek.  Der Netzwerk-Moderator, der seit Jahren in GELEBTE DEMOKRATIE aktiv ist und in diesem Zusammenhang den jährlichen TOLERANZLAUF (mehr dazu hier…) organisiert, spielt damit auf das breite Protestklientel an, das mitnichten aus den üblichen Verdächtigen besteht. Viele, gerade aus Roßlau, sind wohl das erste Mal auf einer politischen Kundgebung, das jedenfalls kann der interessierte Analyst aus einigen  Gesprächen mitbekommen. „Bei so viel Dummheit und Engstirnigkeit kann man doch nicht einfach zu Hause bleiben und das Ganze in der Tagesschau verfolgen“, bringt es ein Teilnehmer süffisant auf den Punkt.


Ralf Zaizek moderierte die Protestkundgebung

Das sieht offenbar auch Klemens Koschig so. Der ehemalige Oberbürgermeister Dessau-Roßlaus ist dafür bekannt, gegen Rechtsextremismus und Rassismus klar Kante zu zeigen. Koschig kennt aber in Roßlau auch fast jeden Stein und gilt als versierter Kenner der hiesigen Lokalgeschichte. Das dürfte seine Motivation noch gesteigert haben, hier  deutlich Position zu beziehen. „Ich freue mich, dass heute so viele Roßlauer auf die richtige Seite der Waldstraße gekommen sind“, sagt er zunächst. Und gleich darauf kommt die historische Adaption: „In der Wende sind wir für Freiheit, Demokratie und Weltoffenheit auf die Straße gegangen, das ist jetzt 25 Jahre her.“ Die Geschichte hätte gerade den Deutschen ins Stammbuch geschrieben, so Koschig weiter, das „die Würde des Menschen unantastbar und auch unteilbar ist“. Diese Würde gelte für alle Menschen die hier ankommen und auf der Flucht sind: „Egal welcher Weltanschauung, Religion oder Herkunft“. Der Ex-Oberbürgermeister scheut die pointierte Konfrontation an diesem Tag nicht: „Ich bin auch traurig, dass so viele auf die intoleranten Seite der Waldstraße gekommen sind und sich diesen platten Sprüchen anschließen.“ Und noch eins bringt den Kommunalpolitiker regelrecht auf die Palme, nämlich dass der Mobilisierungsflyer zum rechtsextremen „Lichterspaziergang“ unter dem ausgrenzenden Motto „Nein zum Asylantenheim in Roßlau“ nicht namentlich unterschrieben sei: „Das nenne ich feige.“


Klemens Koschig fand in seinem Statement deutliche Worte

Unisono freut sich auch Christel Heppner, dass zum demokratischen Protest viele Menschen gekommen sind.  Die Vorsitzende des Fördervereins Schifferstadt argumentiert sehr emotional und menschlich, erntet dafür zustimmendes  Kopfnicken: „Jeder hat ein Recht auf ein sorgenfreies Leben in dieser Stadt, auch die Neuankömmlinge und Zugewanderten.“


Christel Heppner (links) hatte den Protest maßgeblich mit unterstützt

Danach formiert sich die Menschenkette. Bekannte und Unbekannte, Menschen mit und ohne Flüchtlingsbiographie fassen sich bei den Händen und bilden einen Kreis um die Flüchtlingsunterkunft. Die bunten und mit viel Liebe zum Detail aufgepeppten Eimerkunstwerke mittendrin. Schnell ist klar, der Ringschluss ist gelungen – keine Lücken weit und breit. Auch weil die Menschen im hinteren Teil der Kette ein wenig abseits vom Schuss sind, wird ganz spontan eine Protestpolonaise gestartet. Jeder ist jetzt mal vorne, seitlich und hinten. Als dann in einem dynamischen Geschehen die Eimer kreativ noch in resonante Klangkörper, sprich Trommeln, umfunktioniert werden, ist das Gänsehaut-Feeling perfekt. Das da der ein oder andere Eimer dieser mechanischen Zweckentfremdung nicht übersteht – Schwamm drüber. Dank des singenden Astronauten Karsten Lückemeyer, mittlerweile in der Stadt ein Protestunikat, werden im Dämmerlicht dann noch inbrünstig Protest- und Friedenslieder intoniert. Passender hätte eine Choreographie für Vielfalt und Demokratie wohl nicht enden können.










Die Seitenfront der zukünftigen Flüchtlingsunterkunft war mit einer eindeutigen Botschaft versehen








Der singende Protest-Astronaut sorgte für eine stimmungsvolle Choreographie

Apropos die andere Seite der Waldstraße. Von dort werden ungläubige Blicke hinübergeworfen. In der ersten Reihe stehen mit drohender Körpersprache Naziaktivisten wie der rechtsextreme Liedermacher Mario A. aus Wittenberg (mehr dazu hier…) und Sigmar Z. aus Dessau (mehr dazu hier…), dessen Sohn Robert Z. (mehr dazu hier…) als neonazistischer Intensivtäter mehrfach verurteilt wurde und Haftstrafen abgesessen hat. In einem Anflug  von wahnhafter Selbstüberschätzung hat der NPD-Stadtrat Thomas Grey die hasserfüllten Redebeiträge des Abends auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht. Grey zeichnet zusammen mit seinen Kompagnon Alexander Weinert, seines Zeichens Neonaziaktivist aus Roßlau, der schon mehrfach namentlich im Verfassungsschutzbericht des Landes als regionale Führungspersönlichkeit der regionalen Szene benannt wurde (mehr dazu hier…), für das braune Gruselkabinett verantwortlich. Dort spricht u. a. Ingo W., der sich als Mitglied der Gruppe „Freie Bürgerbewegung Dessau“ vorstellt. Was zunächst harmlos und unverdächtigt klingt, ist nichts anderes als der getarnte Versuch, in der Stadt einen PEGIDA-Ableger zu installieren. Dazu haben  sich W. und seine Mitstreiter in diesem Jahr in einem Dessauer Lokal  mit militanten Nazis aus dem Kameradschaftsspektrum und der NPD getroffen. Wenn W. in seinem Statement die rhetorischer Frage stellt „Was sind denn Nazis, das ist eine gute Frage“, könnte er sich diese, wenn er wollte, selbst beantworten, laufen doch gerade Grey und Weinert durch die Szenerie. Doch mit einer Mischung aus Realitätsverlust und vorauseilendem Gehorsam ist das nicht gewollt. Ist doch W. längst selbst Teil der extrem rechten Szene. Ein Beleg dafür liefert er gleich mit, wenn er einer antisemitischen Verschwörungstheorie das Wort redet: „ Die Politik von Frau Merkel, die da oben die Politik des Finanzkapitals – ich nenne mal den Namen Rotschild – durchsetzt.“  Auch der seit Jahrzehnten aktive rechte Kader Hans-Robert Klug (mehr dazu hier...), der jetzt im Bitterfelder Raum unterwegs ist, lässt keinen Zweifel an seinem  ideologischen und menschenfeindlichen Background, wenn er wirr ins Mikro schreit: „Wenn wir hier von Asylanten reden ist das falsch, wir reden hier von Aggressoren.“ Am Ende sind es 250 Teilnehmer auf der „rechten Seite der Waldstraße“, unter ihnen 100 Hartnazis u.a. aus Bitterfeld, Köthen, Wittenberg und Jessen. Zum schmierig inszenierten „Lichterspaziergang“ machen sich schließlich noch 200 von ihnen auf den Weg – einige rassistische Wutbürger sind da schon nicht mehr mit dabei. In Höhe des Roßlauer Bahnhofs ist der Aufmarsch schon auf eine quantitative Größe von 150 geschrumpft. Aus hasserfüllten Kehlen schallen immer wieder rassistische Sprechchöre in Hooligan-Manier: „Wir wollen kein Asylantenheim“.


Der neonazistische Liedermacher Mario A. fungierte als Ordner


Der Dessauer Nazi Sigmar Z. (mit Flasche und Thor Steinar-Shirt)

Die Nazis haben bereits angekündigt, in einer Woche wieder mit ihrem rechtsextremen und rassistischen Wanderzirkus in Roßlau aufzutauchen. Der lautstarke und kreative Protest wird sie schon erwarten. Garantiert!





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