Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus in Anhalt bilanzieren das Jahr 2012

Dessau-Roßlau Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten in der Region // Deutliche Zunahme von rechtsextremen Demonstrationen und Kundgebungen im öffentlichen Raum // Neonazikameradschaft tritt zusehends provokanter auf

Die Zahlen und Analysen der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (OBS) und des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus (Projekt gegenPart) beschreiben ein deutliches Bild: In der Region Anhalt (Dessau-Roßlau, Landkreis Wittenberg, Landkreis Anhalt-Bitterfeld) gehören rechtsextreme und demokratiefeindliche Bestrebungen zur Realität auf den Straßen und öffentlichen Plätzen. Die Opferberatungsstelle registrierte im Berichtzeitraum (2012) insgesamt 23 Straf- und Gewalttaten mit einer rechtsextremen Motivation. Damit bewegen sich die festgestellten Delikte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (2011: 25) auf einem nahezu unveränderten Niveau. Zudem belegt die Statistik, dass annähernd 60 % der erfolgten Angriffe (13) Körperverletzungsdelikte waren. Hinzu kommt, dass in ebenfalls 60 % der Fälle die Tatmotivation der rechten Schläger eine rassistische war.


Neonazis aus dem Landkreis Wittenberg bei einem rechtsextremen Aufmarsch am 13. Oktober 2012 in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...).

Zwischen Elbe und Saale haben statistisch gesehen dreimal wöchentlich Rechtsextremisten Menschen bedroht, Aufmärsche organisiert, Propagandadelikte verübt und zugeschlagen. In der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau konnten erneut die meisten Meldungen festgestellt werden. So entfielen im Jahr 2012 insgesamt 41% der Einträge in der gegenPart-Chronik (mehr dazu hier...), in der Straf- und Gewalttaten, Propagandadelikte und Ereignislagen verzeichnet sind, auf die Doppelstadt.

Der bereits im 1. Halbjahr 2012 (mehr dazu hier…) konstatierte Trend, wonach sowohl die Neonazi- und Kameradschaftsszene als auch die regionalen Strukturen der NPD versuchen sich verstärkt öffentliche Geltung zu verschaffen, setze sich indes unvermindert fort. In diesem Bereich ist demnach nahezu eine Verdreifachung (von 14 Treffern in 2012 zu 6 Treffern in 2011) festzustellen.


Chronik des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus

Im Jahr 2012 hat die gegenPart-Chronik insgesamt 123 Einträge ausgewiesen, die zusammen 149 Delikten und Ereignislagen entsprachen. Damit entspricht das Niveau wieder ungefähr dem der zurückliegenden Jahre, so wurden im Jahr 2010 insgesamt 167 Ereignislagen registriert (mehr dazu hier…). Bei den Ereignislagen nach Gebietskörperschaften liegt auch im Jahr 2012 Dessau-Roßlau deutlich an der Spitze – 61 Einträge entfallen allein auf die kreisfreie Stadt.

Auffällig ist zudem die hohe Dichte von rechtsextremen Kundgebungen und Demonstrationen. Auch hier war Dessau-Roßlau ein Schwerpunkt, aber auch in Wittenberg fanden verstärkt Kundgebungen der NPD statt.


Zusammengefasste Chronik vom Projekt gegenPart. Grundlage sind Meldungen der Polizei, der Medien und eigene Rechercheergebnisse.
Quelle/Graphik: MBT Anhalt


*Mehrfachnennung innerhalb eines dokumentierten Chronikeintrages möglich. Zudem konnten in der vergleichenden Auswertung (2011 zu 2012) nur Delikte aus der PMK-Statistik der Polizei (Kleine Anfragen an den Landtag) bis einschließlich Mai 2012 berücksichtigt werden, da die Meldungen aus dem 2. Halbjahr 2012 dem Beratungsteam zum Bilanzierungszeitraum noch nicht vorlagen. Das Vergleichsergebnis ist demnach nur bedingt aussagekräftig, da in die Chronikauszählung für das Gesamtjahr 2011 die PMK-Statistik bis einschließlich Ende Oktober 2011 eingefloßen sind. Nachmeldungen um mehr als ein Drittel des Gesamtaufkommens gelten daher als wahrscheinlich.


Angriffsstatistik politisch rechts motivierter Gewalttaten für das Jahr 2012 der Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten

Im Jahr 2012 hat die Dessauer Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten insgesamt 23 politisch rechts motivierte Gewalttaten registriert. Im Jahr 2011 wurden 25 Angriffe gezählt. Das Opferberatungsprojekt ist zuständig für die Doppelstadt Dessau-Roßlau und die Landkreise Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg.


Grafik: OBS Anh./BTF/WB Jahr 2012


Wegen der hohen Dunkelziffer politisch rechts motivierter Gewalt ist davon auszugehen, dass das Ausmaß rechter Gewalt in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg in der Realität höher ist. Dies belegen Dunkelfeldstudien. Von den 25 Angriffen, die im Jahr 2012 registriert wurden, entfielen auf den Landkreis Wittenberg fünf Angriffe (Jahr 2011: 3). Jeweils neun Angriffe wurden im Landkreis Anhalt-Bitterfeld (Jahr 2011: 15) sowie in der Doppelstadt Dessau-Roßlau (Jahr 2011: 7) festgestellt.


Grafik: OBS Anh./BTF/WB Jahr 2012

Die 25 Angriffe nach Tatmotivation aufgeschlüsselt ergibt folgendes Bild:


Grafik: OBS Anh./BTF/WB Jahr 2012


Die 25 Angriffe nach Delikten aufgeschlüsselt ergibt folgendes Bild:


Grafik: OBS Anh./BTF/WB Jahr 2012


Bilanz des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus

Das Mobile Beratungsteam (Projekt gegenPart) hat von Januar bis Dezember 2012 insgesamt 27 Verwaltungen, Vereine, Institutionen, Bildungseinrichtungen und Bürgerinitiativen bei der Bewältigung rechtsextremer Ereignislagen begleitend und unterstützt. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Rückgang um sieben Beratungsprozesse (Jahr 2011: 34). Wie bereits in den vergangenen Jahren (mehr dazu hier…) und (hier…), waren demnach die mit Abstand meisten Beratungsprozesse (mit 19 Treffern fast 70% am Gesamtaufkommen) in Dessau-Roßlau verortet. Im letzten Jahr betrug der Anteil der Doppelstadt mit 15 von insgesamt 34 Fällen nur ca. 40 %. Dieser enorme Aufwuchs ist dabei insbesondere mit Demonstrationen und Kundgebungen der extrem rechten Szene in Dessau-Roßlau zu erklären.


Quelle/Graphik: MBT Anhalt


Das MBT Anhalt hat 14 Verwaltungen (im Vergleichszeitraum 2011: 6) beraten und zudem insgesamt 12 Prozesse in Bürgerbündnissen begleitet (Vergleichszeitraum 2011: 6). Dieser enorme Aufwuchs in beiden Beratungsbereichen ist vor allem damit zu erklären, dass in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau und im Landkreis Wittenberg versammlungsrechtliche Veranstaltungen von Rechtsextremisten im öffentlichen Raum deutlich zugenommen haben und sich daraus die Notwendigkeit ableitet, Verwaltungen und zivilgesellschaftliche Netzwerke bei der Umsetzung des demokratischen Protestes intensiv zu unterstützen. Während das MBT Anhalt im letztjährigen Vergleichszeitraum schwerpunktmäßig Prozesse in Vereinen und Verbänden (8 Fälle) begleitete, standen in 2012 demnach rechtsextreme Ereignislagen im öffentlichen Raum ganz oben auf der Anlassagenda ( 9 Treffer).


Quelle/Graphik: MBT Anhalt


Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt

Rechtsextreme Personenzusammenschlüsse

Als rechtsextremer Personenzusammenschluss (Neonazikameradschaft) traten die „Freien Nationalisten Dessau und Anhalt-Bitterfeld“ erneut öffentlich in Erscheinung. Unter diesem gemeinsamen Label firmieren nicht parteigebundene Neonazis aus der gesamten Region, vorwiegend jedoch aus Dessau-Roßlau und dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Das anlassbezogene Mobilisierungspotential dieses Zusammenschlusses beträgt bis zu 50 Personen.  Die Führungspersönlichkeit dieser Gruppierung, der bekannte Neonaziaktivist Alexander Weinert (mehr dazu hier…), verfügt über enge informelle Kontakte zu Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. 


Neonazis aus der Region, unter ihnen der Köthener Rechtsextremist Philipp S. (l. mit Fahne; mehr dazu hier...), beim Nazigroßaufmarsch am 12. Januar 2013 in Magdeburg.

Wichtigstes Ereignis der regionalen Szene bleibt der sogenannte Trauermarsch, der anlässlich der Bombardierung Dessaus alljährlich im März stattfindet (mehr dazu hier…) und (hier…).


Neonazis beim Aufmarsch am 13. Oktober 2012 in Dessau-Roßlau

Mit dem Aufmarsch im Oktober 2012 in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier…) und (hier..) hat die Kameradschaft jedoch einen weiteren, eigenen Bezugspunkt gesetzt. Die aggressive Mobilisierung gegen „Kriminelle Ausländer“, hat zu einer deutlich höheren Beteiligung seitens der Szene geführt, als bei den Traumärschen zuletzt üblich. Das neu gegründete „Aktionsbündnis Mitteldeutschland" scheint vorläufig zu mehr Aktionismus und Präsenz der rechtsextremen Personenzusammenschlüsse zu führen und deren Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen.

Subkultur

Die Bedeutung loser Zusammenschlüsse und jungendkulturell geprägter rechtsextrem eingestellter Gruppen und Cliquen ist sehr hoch. Ein lokaler Schwerpunkt dieser Szeneverfasstheit war einmal mehr der Landkreis Wittenberg. An die Stelle fester Zusammenschlüsse treten oft Kampagnen und Internet-Portale, die die Inhalte und Aktionsformen insbesondere über die niedrigschwelligen Türöffner der Musik und mittels rechtsextremer Konzerte zu vermitteln versuchen. Kleidung und Lifestyle sind für die Identifikation mit der Szene entscheidend, gerade wenn es darum geht, junge Menschen für rechtsextreme Politikangebote zu interessieren. Exponierter Vertreter dieses subkulturellen Bereiches ist der rechtsextreme Konzertveranstalter Henry B. aus Wittenberg, der von der Lutherstadt aus zudem den Neonazi-Versand „Frontline“ betreibt.


Henry B. (ganz rechts mit Kopftätowierung) beim Aufmarsch am 13. Oktober 2012 in Dessau-Roßlau


Screenshot eines Angebotes aus dem Frontline-Versand


Die neonazistische NPD - Der Kreisverband Anhalt-Bitterfeld

Im April 2011 gründete die neonazistische NPD für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld einen neuen Kreisverband gegründet. Zum Vorsitzenden wurde Andreas Klar gewählt, der ehemals der DVU angehörte. Als Schatzmeisterin wurde mit Birgit Fechner, ehemalige Landtagsabgeordnete der DVU aus Brandenburg, bestimmt. Beide hatten für die frisch mit der DVU fusionierte NPD zur Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt kandidiert

Der Kreisverband entfaltet zusehends publizistische Aktivitäten. Vor allem im Januar 2012 äußerte sich die Parteigliederung im Internet zu den Protesten um die Messerattacke auf einen Jugendfußballtrainer in Dessau (mehr dazu hier…) und (hier…). Aktuell hetzt der Kreisverband seit Januar 2013 gegen Asylsuchende die in Vockerode untergebracht wurden.


Links: Andreas Klar (Aktivist des Kreisverbandes Anhalt-Bitterfeld und Mitglied des Landesvorstandes) bei einem Infostand in Vockerode


Die neonazistische NPD - Der Kreisverband Wittenberg


Der Kreisverband der extrem rechten Partei tritt seit Oktober 2011 regelmäßig mit Infoständen im Rahmen einer Anti-Euro-Kampagne öffentlich in Erscheinung (mehr dazu hier…) und (hier…) und (hier…).

Thomas Lindemann trat für die NPD als Direktkandidat für die Bundestagswahl am 27. September 2009 im Wahlkreis 71 (Dessau-Wittenberg) an. Der Aktivist, der enge Kontakte ins militante Neonazispektrum pflegt, ist außerdem Schatzmeister des NPD-Kreisverbandes und vertritt die Partei als Delegierter auf Landes- und Bundesebene.


Thomas Lindemann (l.)
beim Naziaufmarsch am 13. Oktober 2012 in Dessau-Roßlau


Holger Apfel, (Bildmitte vor Mikrofon) NPD-Bundesvorsitzender, bei einer Rede im August 2012 auf dem Dessauer Schlossplatz im Rahmen der sogenannten NPD-Sommertour (mehr dazu hier…).


Diese Postkarte wurde von der Wittenberger NPD im September 2012 verteilt (mehr dazu hier…).


Fazit & Ausblick

Die Zahl der Angriffe und Ereignislagen ist zurückgegangen, insbesondere die sehr hohe Zahl von Propagandadelikten, die noch 2011 festzustellen war (mehr dazu hier…), ist rückläufig. Trotzdem sind die Zahlen weiterhin sehr hoch, entsprechen sie doch dem hohen Niveau der vorvergangenen Jahre.

Sowohl die Neonazi- und Kameradschaftsszene, als auch die regionalen Strukturen der NPD, versuchen sich verstärkt öffentliche Geltung zu verschaffen.

Nicht nur durch Kundgebungen, Flugblätter und Demonstrationen, sondern auch durch die offensive und provokante Teilnahme an Veranstaltungen, wie zuletzt am  Volkstrauertag 2012 (mehr dazu hier…) und (hier…) oder am 27. Januar 2013 in Dessau-Roßlau, wo Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum das städtische Erinnern an die Opfer des Holocaust störten (mehr dazu hier…).   

Insbesondere auf solche Provokationen und Beschädigung der Gedenkkultur, müssen sich die Akteur_innen der demokratischen Gesellschaft einstellen und vorbereiten.



Nicht zuletzt als Reaktion auf das aggressive Auftreten des Aufmarsches am 13. Oktober 2012 (mehr dazu hier…) in der Stadt Dessau-Roßlau bereitet das Netzwerk GELEBETE DEMOKRATIE eine große Menschenkette für die Stadt vor (mehr dazu hier…), die eine neue Aktionsform gegen den Trauermarsch der Neonazis sein wird. 



Infos / Kontakt:






 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt