„Um die NPD demokratisch-voluminös zu empfangen, bitten wir die Trillerpfeifen zu benutzen“

In Dessau-Roßlau kam der Protest gegen die so genannten „Deutschlandfahrt“ der rechtsextremen Partei unerwartet schrill und lautstark daher

Im Vorfeld zeigten sich wegen des ungünstigen Termins an einem Mittwochvormittag in der Urlaubszeit nicht wenige skeptisch, ob es auch in der Doppelstadt an Elbe und Mulde – ähnlich wie zuvor u. a. in Halle oder Leipzig - wirkungsmächtig gelingen könnte, der rechtsextremen NPD Paroli zu bieten. Diese Befürchtungen zerstreuten sich am 08. August 2012 jedoch spätestens gegen 11.00 Uhr. Da hatten sich nach einem Aufruf des Netzwerkes GELEBTE DEMOKRATIE (mehr dazu hier…) an der Friedensglocke im Stadtzentrum 100 Menschen versammelt, um unter dem Motto „FÜR VIELFALT UND WELTOFFENHEIT – GEGEN INTOLERANZ, RASSISMUS und ANTIEUROPÄISCHE HETZE“ Position zu beziehen. Krachinstrumente standen hoch im Kurs, aus den Protestboxen schallte Glen Miller und selbstredend kam die argumentative Auseinandersetzung mit der unsäglichen und nationalistisch aufgeladenen NPD-Kampagne „Raus aus dem Euro“ nicht zu kurz.


Fast 100 Menschen versammelt sich zum Protest an der Dessauer Friedensglocke.

Die Rechtsextremisten um den NPD-Bundesvorsitzenden Holger Apfel gerieten derweil auf dem Schlossplatz mit ihren selbsttitulierten „Flagschiff“ in schwere See. Von der braunen Kundgebung inklusive Info-Truck nahm kaum jemand Notiz. Kein Wunder, bei dieser unterirdischen Musikauswahl und den ideologischen Hasstiraden mit Weltverschwörungsgarantie.

„Gerade Ostdeutschland hat in den letzten Jahren überproportional von der EU profitiert“, stellt Cornelia Lüddemann auf der Protestveranstaltung fest. Die Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen ist seit Jahren im Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE aktiv und kritisiert die nationalistisch eingefärbte Europahetze der NPD harsch. Zudem erteilt sie Forderungen nach einem Kerneuropa eine deutliche Abfuhr und protegiert damit einen Solidargedanken: „Es geht nicht zu sagen, die reichen Staaten haben es geschafft und können nun aus der Union oder dem Euro aussteigen.“ Zum Abschluss plädiert die Landespolitikerin für eine gerechte Umverteilung und gegen rassistisch aufgeladene Diskurse, wie sie die NPD populistisch vorexerziert: „Das hat nichts mit Schwarz und Weiß, Nord und Süd zu tun.“



Dietrich Bungeroth, seines Zeichens Pfarrer im Ruhestand, bemüht an dem geschichtsträchtigen Ort die Erinnerung an eine Aufbruchszeit: „Ich freue mich das wir so viele sind, unter dieser Glocke im Zeichen des Friedens.“ Doch dem Kirchenvertreter treibt nicht nur der demokratische Protest in der Wendezeit um, er wagt auch einen appellierenden Blick in die Zukunft : „Sollte diese neue braune Partei wieder Plätze füllen, werden wir Christen deutlich Position beziehen.“



„Dass die Menschen in Europa zusammenwachsen, kann nur begrüßt werden“, ist sich der Netzwerksprecher Uwe Schmitter sicher. Gerade die Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehnten sei dabei auch ein Garant des Friedens, der unbedingt verteidigt werden müsse: „Das Menschen  über Grenzen gehen und das Leben der anderen kennenlernen, ist eine zivilisatorische Errungenschaft.“ In der aktuellen Krise kommt es aus seiner Sicht vor allem darauf an, dass die Parlamente in den EU-Mitgliedsstaaten und die europäischen Institutionen die Menschen bei weitreichenden Entscheidungen mitnehmen. Diese Forderung nach mehr Transparenz und Beteiligung unterstreicht Uwe Schmitter mit einer Kernaussage: „Die Übernahme der Macht die mit Rettungsschirmen einhergeht, muss notwendigerweise als Prozess demokratisch legitimiert sein.“


Uwe Schmitter (mit Mikrofon) spricht für das Netzwerk.

Bürgermeisterin und Finanzdezernentin Sabrina Nußbeck, gießt ihren Protest indes in ein Sprichwort: „Mit Eintracht werden kleine Dinge groß, mit Zwietracht wird man große Dinge los.“ Wer gegen die europäische Idee polemisiere, die eben mehr sei als eine Währungsunion, würde genau nach diesem Grundsatz handeln. Die NPD tue dies, nicht aus Menschenliebe oder wirtschaftspolitischen Sachverstand heraus, sondern um die aktuelle Debatte für ihre menschenfeindliche Politik zu instrumentalisieren und Ängste zu schüren.

Und während nach den Statements der Platz an der Friedensglocke mit „In the Mood“ und „Blueberry Hill“ von Glen Miller beschallt wird kommt plötzlich die Information rein, dass keine 200 Meter weiter der NPD-Tross angekommen ist. „Um die NPD demokratisch-voluminös zu empfangen, bitten wir die Trillerpfeifen zu benutzen“, animiert Uwe Schmitter spontan und zugleich zielgerichtet. Dieser Aufforderung kommen zahlreiche Kundgebungsteilnehmer umgehend nach, die bereitgestellten Krachinstrumente finden reißenden Absatz. Die fast völlige Nichtwahrnehmung der Naziansammlung durch Passanten und Bewohner, fasste ein Demonstrant in einer messerscharfen Analyse zusammen: „Die Herrschaften sind unter sich, nichts mit den `Zahlmeistern Europas`.“



Das Pfeifkonzert und lautstarke Buhrufe sorgen dafür, dass die Nazis zunächst ihr eigenes Wort kaum verstehen. Die Proteststimmung wird indes nur kurzzeitig durch einen Umstand getrübt: der zunächst restriktiven Erteilung von Platzverweisen durch die Polizei. Eingesetzte Beamte hatten einige Gegendemonstranten vom Schlossplatz weggeschickt. Doch die Empörung darüber sollte deshalb nicht lange anhalten, weil eine Entschuldigung und die Zurücknahme dieser versammlungsrechtlichen Sanktion auf dem Fuß folgte. Augenscheinlich war zunächst untergangen, dass aus dem demokratischen Spektrum auch für den Bereich der Marienkirche eine Anmeldung vorlag.


Mit Pfiffen und lautstarkem Protest wurde die rechtsextreme NPD empfangen.

Aus den NPD-Boxen plärrt es wenig später: „Wenn es die Oberen nicht endlich kapieren (…).“ Der Bundesvorsitzende der rechtsextremen Partei, Holger Apfel, lässt in einer überlangen Rede kein Klischee aus und fordert die Rückkehr zur Deutschen Mark, die Entmachtung der internationalen Finanzmärkte sowie einen Zuwanderungsstopp. Selbst unter den 25 NPD-Mitgliedern und Sympathisanten, darunter Thomas Greye aus Dessau-Roßlau und Rolf Dietrich aus dem Saalekreis (mehr dazu hier...), macht sich eine gewisse Ödheit breit. Schließlich packt die NPD zusammen, als nächste Station auf ihrer ideologisch verbrämten Peinlichkeits-Tour steht die Landeshauptstadt Magdeburg auf dem Programm. Auch dort sollte sie wieder ein vergleichsbares Szenario erwarten: 25 eigene Anhänger und rund 300 lautstarke Gegendemonstranten.


Der NPD-Vorsitzende Holger Apfel bei seiner Rede mit Rolf Dietrich als Fahnenhalter.

Der Protest in Dessau-Roßlau nahm sogar internationale Züge an, hatte doch eine Künstlerin aus dem Landkreis Anhalt-Zerbst kurzer Hand ihren Besuch aus Neuseeland im Schlepptau. Da passte es gut, dass diese junge Frau im wahrsten Sinne des Wortes gestelzt daherkam. Ihre gekonnte Akrobatik animierte nicht nur zu der ein oder anderen Beifallsbekundung, auch optisch sorgte sie für die schrillste Note des Vormittags. Eben BUNT STATT BRAUN.



Die Stelzenkünstlerin aus Neuseeland sorgte für die Hingucker des Tages.

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt