40 rechtsextreme Angriffe in der Region Anhalt im Jahr 2007//Chronik rechter Straf- und Propagandadelikte verzeichnet Zuwachs um zwei Drittel

rechte Gewalt auf gleichbleibend hohem Niveau//NPD und JN bauen Aktivitäten aus und kooperieren eng mit neonazistischen Kameradschaften

Die Entwicklungen in der Region Anhalt (Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Salzland, Wittenberg und Stadt Dessau-Roßlau) sind nach wie vor besorgniserregend. So wurden in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt 40 rechtsextrem motivierte Gewalttaten bekannt (2006: 38 mehr dazu hier...). Damit bewegen sich die registrierten Angriffe auf einem unverändert hohem Niveau. Von einer Entwarnung oder gar einer spürbaren Senkung der Fallzahlen kann also keine Rede sein. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Debatte um veränderte Statistikkriterien in Sachsen-Anhalt, in deren Folge der Chef des Landeskriminalamtes zurücktreten musste, bemerkenswert.

Bei den vom Projekt gegenPart erfassten Chronikmeldungen ist noch ein negativerer Trend zu konstatieren (mehr dazu hier...). Für den oben genannten Zeitraum registrierte das Mobile Beratungsteam insgesamt 166 Vorkommnisse mit rechtsextremen Hintergrund (Jahr 2006: 101). Diese Zahl stellt nicht nur eine Steigerung um zwei Drittel dar, sondern seit Einführung der Chronik ein absolutes Allzeithoch.



Statistik der Angriffe Jahr 2007

Von Januar bis Dezember 2007 sind der Dessauer Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg 40 Angriffe mit einem rechten Hintergrund bekannt geworden.

Auf den Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle verteilen sich die 40 Angriffe wie folgt:

Graphik/Quelle: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt

Schwerpunkte der 19 Angriffe im Landkreis Anhalt-Bitterfeld sind die Städte Bitterfeld-Wolfen (8 Fälle) Köthen (7 Fälle) und Akten/Elbe (4 Fälle). Von den 13 Fällen in der Doppelstadt Dessau-Roßlau haben sich im Stadtteil Dessau neun und im Stadtteil Rosslau vier Vorfälle ereignet.



Marco Steckel stellt die Angriffsstatistik im Detail vor

In Landkreis Wittenberg wurden in der Kreisstadt Wittenberg 4 Fälle registriert sowie je ein Fall in Gräfenhainichen, Coswig und Gorau.

Von den 40 Angriffen waren mindestens 71 Personen direkt betroffen, wobei 62 männlichen und 9 weiblichen Geschlechts waren. Den 71 Opfern jeweils einen Straftatbestand zugeordnet, ergibt folgendes Bild:

Graphik/Quelle: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt

Die Einteilung der 71 Personen nach Opfergruppen und vermuteter Tatmotivation ergibt folgende grafische Darstellung:

Graphik/Quelle: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt




Die Interpretation der gegenPart-Chronik belegt: Schulterschluss zwischen NPD und Neonazikameradschaften in der Region Anhalt

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) können als Sperrspitze und Sammelbecken des organisierten Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt bezeichnet werden. Die NPD steht somit für eine neue Qualität und einen dynamischen Wandel des parteipolitisch verfassten Rechtsextremismus im Land im allgemeinen, aber auch in der Region Anhalt im speziellen. Die neonazistische Kampfpartei grenzt sich immer weniger – nicht einmal aus taktisch-operativen Gründen – vom jungendkulturellen Rechtsextremismus und neonazistischen Personenzusammenschlüssen (Kameradschaften) ab.

Motor dieser Entwicklung sind die Jungen Nationaldemokraten (JN) als Jugendorganisation der NPD. Offensichtlich hat sich bei den NPD-Kadern die Erkenntnis durchgesetzt, dass der rechtsextreme Nachwuchs durch erlebnisorientierte Angebote (rechtsextreme Erlebniswelt), Eventcharakter und Anlassbezogenheit viel leichter zu erreichen ist, als mit klassischen Politikangeboten. Ganz bewusst wird hier auf das Bauchgefühl, auf ein emotionales Politikverständnis, abgezielt.

Dieser Paradigmawechsel wäre freilich nie möglich gewesen, wenn insbesondere die Neonazikameradschaften sich nicht aktiv auf die NPD zu bewegt hätten. Es handelt sich um einen konzeptioneller Wandel, von dem beide Seiten profitieren.

Die neonazistische Kameradschaften und Personenzusammenschlüsse nutzten das legalistische Dach und die Privilegien, die die NPD als zugelassene Partei geniest, als Bühne für ihre Kampagnen aus. Die NPD wiederum gelingt es gerade durch den aktionistischen Jugendverband, junge Leute an die Parteiarbeit zu binden.


Steffen Andersch vom Projekt gegenPart interpretiert die Chronik

Es ist zu konstatieren, dass sich rechtsextreme Strukturen in der Region Anhalt / Dessau / Wittenberg nicht nur verfestigt haben, sondern es den Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum im Schulterschluss mit der NPD gelungen ist, diese auszubauen. Dass belegen nicht nur die Zahlen und Statistiken rechtsextremem Straf- und Gewalttaten bzw- Propagandadelikte, sondern vor allem die Unverfrorenheit, mit dem sich die Szene wieder traut, öffentlich in Erscheinung zu treten. Es gilt, dass alle demokratischen Kräften und zivilgesellschaftlichen Akteure zusammen und entschlossen intervenieren, das Problem als solches erkennen, für rechtsextreme Erscheinungsformen und Ereignislagen sensibilisiert sind, um schließlich lokale Handlungsstrategien vor Ort entwickeln zu können. Hier ist es vor allem wichtig, das die lokale Akteure hinsichtlich der Strategie- und Paradigmawechsel innerhalb der rechten Szene aufgeklärt und entsprechend qualifiziert werden.

Dazu gibt es in der Region durchaus positive Beispiele, u. a. in Aken, Gräfenhainichen, Bernburg und Dessau-Roßlau, die Schule machen sollten.




Infos/Kontakt:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt