„Rechtsextreme Gewalt ist keine künstliche, keine aufgebauschte Gefahr“

Gedenken an Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark

Rund 70 Bürger haben sich an der Stelle versammelt, an der vor neun Jahren der Mosambikaner Alberto Adriano von Neonazis ermordet wurde. Zahlreiche Initiativen und Institutionen hatten zum „Tag der Erinnerung“ aufgerufen, um das schändliche Verbrechen erneut ins Gedächtnis zu rufen und damit auch auf den wieder erstarkten Rechtsextremismus in der Stadt hinzuweisen. Eine szenische Lesung führte dabei anschaulich vor Augen, wie der Cocktail aus brauner Gesinnung, Trostlosigkeit und antizivilisatorischer Enthemmung dazu führte, dass die Täter so unglaublich brutal und menschenverachtend zu Werke gingen.

Fast fühlte man sich an die gleiche Stelle vor einem Jahr zurück versetzt. Auch am 11. Juni 2008 stürmte und donnerte es über dem deutschen Baum, unter dem heute ein Gedenkstein aus dem Rasen ragt (mehr dazu hier...). Doch wie damals bleibt es trocken und das Gewitter wartet ab.


70 TeilnehmerInnen wohnen der Gedenkveranstaltung im Dessauer Stadtpark bei

Die Zeit des Wartens, Stillhaltens und Wegschauens gehört für Joachim Landgraf der Vergangenheit an. Der Verwaltungsdirektor des Anhaltischen Theaters, der seit Jahren die Erinnerung an Alberto Adriano aktiv unterstützt, schlägt dann auch die Brücke in die Gegenwart dieser Stadt: „Unser Gedenken heute ist damit zugleich  eine Mahnung und der entschiedene Protest gegen das Erstarken des Rechtsextremismus.“ Landgraf macht in der Kommune aber auch positive Entwicklungen aus. Das Engagement des Oberbürgermeisters für Demokratie und Toleranz scheint für ihn dabei ganz oben auf der Liste zu stehen: „Sie haben sich an die Spitze der Bewegung gesetzt. Dafür danke ich Ihnen.“


Verwaltungsdirektor Joachim Landgraf moderierte die Veranstaltung

Der Gelobte kann sich dann gleich selbst äußern. „Das ist das große Problem der Menschen. Wir haben zusammen ein Haus geerbt in dem wir nun zusammenleben müssen.“, beginnt Klemens Koschig mit einem Zitat des amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King. Der Tod Alberto Adrianos könne nicht mehr rückgängig gemacht werden, so das Stadtoberhaupt. Der Mord stehe für die Fratze des Rassismus: „Fremdenfeindlicher Hass in seiner gewalttätigsten Ausprägung führte dazu.“ Koschig meint das es die Umstände und das Lebensumfeld eines Menschen wären, die ihm zum Rassisten machen würden: „Es gibt kein rassistisches Gen. Alles was man erlernt hat, kann auch wieder verlernt werden.“ Für den OB sind daher Bildung, Erziehung und Aufklärung die wichtigsten Bausteine, um erfolgversprechende Pfade in der Demokratieentwicklung zu beschreiten. Mit dem Lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz spricht er ein konkrete Handlungsstrategie direkt an: „Der ist ein gutes und wirksames Element bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Antisemitismus.“


Oberbürgermeister Klemens Koschig bei seiner Gedenkrede

Koschig verschweigt dabei nicht, dass es in der Stadt eine rechtsextreme Szene gibt, die sich immer mehr professionalisiere und selbsbewußter in der Öffentlichkeit agiere: „Rechtsextreme Gewalt ist keine aufgebauschte, keine künstliche Gefahr, sondern eine reale Bedrohung.“ Auch wenn er sich sicher ist, dass die Doppelstadt keine „Hochburg von Fremdenfeindlichkeit“ sei, schließt der Oberbürgermeister mit einer anschlussfähigen Mischung aus Zustandsbeschreibung, Appell und Hoffnung: „Dessau-Roßlau ist vielfältig, braucht Vielfalt, will Vielfalt.“


"Im Namen des Volkes" - szenische Lesung aus der Urteilsverkündung des Mordprozesses

Was Schauspieler vom Anhaltischen Theater dann in den Stadtpark sprechen, geht an die Nerven. Die szenische Lesung „Im Namen des Volkes“ schildert an Hand der Prozessakten im Detail das Märtyrium, dass die Täter Alberto Adriano an jenem 11. Juni 2000 bereiteten. Man erfährt, dass die Schläger minutenlang mit ihren Springerstiefeln auf den bereits bewegungslosen Mann eintraten. Um die menschenverachtende Entwürdigung zu perfektionieren, entkleideten sie ihr Opfer und beschimpften es als „Negerschwein“. Die Choreographie des Grauens noch steigernd, kamen sie wenig später nochmals zurück und prügelten auf ihn ein. Dabei überraschte sie schließlich die Polizei, die von besorgten Anwohnern gerufen wurde. Die drei Nazis hatten sich noch am Ort des Verbrechens eine Schutzbehauptung ersonnen, um ihre brutaler Tat zu kaschieren: „Dann sagen wir, der hat uns provoziert.“


gemeinsames Gedenken

Wenn nun gefragt wird, was der Tag der Erinnerung und damit die Auseinandersetzung mit den unfassbaren Geschehnissen vom Sommer 2000 nun eigentlich bringt, gibt es sicherlich viele Antworten und Wahrheiten. Eine der überzeugendsten haben kürzlich Schülerinnen der Ganztagsschule Zoberberg zur Titelverleihung „Schule ohne Rassismus“ gegeben: „Das war nicht Hamburg oder Berlin, vor diesem Ereignis konnten wir nicht davonlaufen.“ (mehr dazu hier...)


Stele im Stadtpark, die an den von Neonazis ermordeten Familienvater Alberto Adriano erinnert

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt