"Wir wollen euch nicht hier haben, nicht in Dessau, nicht in Magdeburg, nicht in Leipzig."

mit 300 Teilnehmern größter Neonaziaufmarsch für Dessau-Roßlau // demokratischer Protest sorgt für positive Stimmung in der Stadt

Am 20. September 2008 veranstalteten rechtsextreme Gruppierungen einen Aufmarsch in Dessau-Roßlau. Die mittlerweile dritte Neonazi-Demonstration in der Doppelstadt an der Mulde für dieses Jahr war mit 280 bis 300 Teilnehmern sogleich die größte, die bisher im Stadtgebiet stattgefunden hat. Mehr als 400 Menschen positionierten sich im Stadtgebiet gegen die menschenfeindliche Ideologie, die die NPD und Neonazikameradschaften an diesem Tag öffentlichkeitswirksam versuchten auf der Straße zu vermitteln.

Neonaziaufmarsch beim Start
Neonaziaufmarsch beim Start

Just einen Tag zuvor fiel der Startschuss für die Interkulturelle Woche 2008 in Dessau-Roßlau. Am Samstag, den 20. September war im Rahmen dieser das interkulturelle Stadtfest „We are Family“ im Stadtpark geplant. Als die Mobilisierung der Neonaziszene bekannt wurde, waren die Veranstalter, MosAngola e.V., selbstredend sofort mit am Tisch, einen Gegenpol zum Aufmarsch der Rechtsextremen zu bilden. Das inhaltliche Konzept des Festes im Stadtpark und der gesamten Interkulturellen Woche stellt ohnehin schon ein Gegenpart zu menschenfeindlichen Erklärungsmustern dar. Demnach sollte dies natürlich auch aus gegebenem Anlass nach außen gezeigt werden.


die Rechtsextremen tangieren das Dessau-Roßlauer Rathaus

Ob das Datum innerhalb der Interkulturellen Woche von den NPD-nahen Neonazis in der Region bewusst als Provokation gewählt worden ist, lässt sich nur schwerlich belegen. Dass sich aber die Ideologien Rechtsextremer sowie auch zumeist deren Straf- und Gewalttaten sich gegen Menschen richten, die nicht in deren Weltbild passen liegt objektiv auf der Hand. Darin begründet lagen auch die ersten Meldungen, dass Gäste und Akteure jenen Stadtparkfestes Bedenken an die Veranstalter herantrugen, ob sie an diesem Tage überhaupt kommen würden. Diese Skepsis hatte sich allerdings schnell gelegt und die mehrheitliche Meinung: „jetzt erst recht“ setzte sich durch. Viele Gäste wollten sich gerade wegen dem Aufmarsch der Neonazis in Dessau-Roßlau nicht nehmen lassen, an dem Fest teilzunehmen, um ein wirkungsvolles Zeichen zu setzen.


Nachmittagsprogramm beim Interkulturellen Stadtparkfest

Ab 10.00 Uhr begann das karitatives Benefiz-Festival unter dem Motto „We are Family“ mit einem afrikanisch-deutschen Gottesdienst geführt von Pastor Sammy Egboh unter Mitwirkung eines Gospel-Chors (Resurrection Power Ministries). Der öffentliche Open-Air Gottesdienst stellte gleichzeitig eines der vielen Highlights des Festivals dar. Des weiteren waren Live-Shows von DJs, Bands Künstlern und Tänzern mit internationaler Herkunft im Stadtpark zu sehen. Auch ein Programm für Kinder, Cocktail-Bars sowie ein internationales Catering sorgten für die Zufriedenheit aller Anwesenden. Die erzielten Einnahmen aus den Veranstaltungen werden als gemeinnützige Spende einer christlichen Schule für benachteiligte Kinder und Jugendliche (Balm of Gillead Ministry) in Lusaka, Sambia übergeben.


die Rechtsextremen tangieren das Dessau-Roßlauer Rathaus

Angesichts der Tatsache, dass die NPD und deren Sympathisanten am Hauptbahnhof ihren Treffpunkt wählten, reifte schnell die Notwendigkeit, ankommenden Gästen klar zu zeigen, dass Neonazis nicht das Bild der Doppelstadt prägen sollen. Also organisierten die Veranstalter zusammen mit dem Dessau-Roßlauer Bündnis gegen Rechtsextremismus eine Willkommenskundgebung für Gäste des Festes am Bahnhof.


Willkommenskundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz

Neben der Begrüßung von Gästen war die Intension dieser Veranstaltung natürlich auch, den Neonazis, die sich wenige Meter entfernt auf dem angrenzenden Busbahnhof sammelten, zu zeigen, dass Intoleranz und Menschenfeindlichkeit im weltoffenen Dessau-Roßlau wiederum nicht willkommen sind. Bis 12.00 Uhr waren es bereits mehr als 100 Menschen, die sich dort versammelten und einerseits mit Transparent und Flugblättern für den Gedanken des Interkulturellen Stadtparkfestes warben und andererseits zumeist jüngeres, alternatives Publikum, die mit Lautsprecheranlage und Sprechchören lautstark Stimmung gegen die Neonazis machten.


Willkommenskundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz

Im Stadtpark lief bis in den Abend hinein ein abwechslungsreiches Programm wie zuvor angekündigt. Laut Veranstalter besuchten 300 bis 400 Menschen durchlaufend das Fest. Auch Oberbürgermeister Klemens Koschig war als Schirmherr der Interkulturellen Woche dort anzutreffen. Am frühen Nachmittag war Innenminister Holger Hövelmann zu Gast und übermittelte den Anwesenden unmissverständlich, wie er als oberster Dienstherr der Polizei in Sachsen-Anhalt zu Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit – und auch zu Neonazis steht. Kulturelle Unterschiede sind die Chance für alle Menschen, neugierig aufeinander zu zugehen, sich kennenzulernen und von einander zu lernen. Kultur ist auch die Plattform, auf der die Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen am ehesten beginnt, wo aus der Verbindung vormals unterschiedlicher Traditionen etwas Neues entsteht.


Carola Holz (li.), Mitglied des Kreistages von Anhalt-Bitterfeld und Andreas W. (mitte), Neonaziaktivist der "Freien Nationalisten Dessau" führen den Aufmarsch an

Über 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner Sachsen-Anhalts haben afrikanische Wurzeln – so wie die restlichen 2,4 Millionen Sachsen-Anhalter, bei denen diese Wurzeln nur etwas länger zurück liegen. Neonazis, die Propagandisten der Ungleichwertigkeit der Menschen, müsse entschieden entgegen getreten werden, forderte Hövelmann. Diese sind Feinde jeglichen friedlichen Zusammenlebens und ihr Auftreten gegen Gewalt benennt der Innenminister klar als Heuchelei. "Wir wollen euch nicht hier haben, nicht in Dessau, nicht in Magdeburg, nicht in Leipzig.", so Hövelmann an die Adresse der Rechtsextremen.


Holz, W. und Thomas Wulf (mitte), NPD-Bundevorstandsmitglied und Führungsfigur der norddeutschen Neonaziszene

Diese absolvierten an diesem Tag einen umfangreichen Marsch durch Dessau-Roßlau. Etwa zehn Kilometer legten NPD und Neonazikameradschaften über die Straßen der Stadt zurück. Vom Hauptbahnhof zogen diese in Richtung Markt auf der Zerbster Straße, dem Rathaus direkt entgegen. Dort versammelten sich einige Stadtvertreter, um auf der Rathaustreppe ihren Unmut kund zu tun. Bei einer Zwischenkundgebung auf dem Schlossplatz kam es durch rechtsextreme Teilnehmer zu Nötigungen und Angriff auf einen Fotografen mittels einer Fahnenstange, woraufhin Anzeige erstattet wurde.


Neonaziaktivisten der "Freien Nationalisten Dessau/Anhalt"

Entlang der Ludwigshafener Straße marschierten sie bis in die Kreuzbergstraße, um dort eine Zwischenkundgebung mit Bockwurstverkauf abzuhalten. Über Wasserwerkstraße, Bundesstraße 184 und Askanische Straße führte ihr Rückweg zum zweiten Mal an diesem Tag an der Gedenk-Stele für die deportierten jüdischen Mitbürger und die Zerstörte Synagoge Dessaus sowie dem Rathaus der Stadt vorbei. 17.30 Uhr war der Spuk an diesem Tag vorerst vorüber und die meisten der Rechtsextremen abgereist. Die Musikveranstaltung des MosAngola e.V. verlief noch bis in die späten Abendstunden stimmungsvoll und friedlich.


"We are Family" im Stadtpark

Der Schulterschluss der Neonaziszene in der Region Anhalt ist bereits weitreichend vollzogen. Von den eher subkulturell geprägten „freien“ Protagonisten der gewaltbereiten Neonazikameradschaften bis hin zur NPD als zugelassene Partei gibt es beidseitig keine Berührungsängste mehr und zumeist ist ein geschlossenes Auftreten in Sachsen-Anhalt, aber auch in anderen Bundesländern zu beobachten. Auch wenn es im Nachhinein Kritik aus den eigenen Reihen bzgl. der Organisation des Neonaziaufmarsches gab, muss konstatiert werden, dass rechtsextremer Aktionismus in der Doppelstadt mittlerweile angekommen ist und ein alltägliches Problem darstellt. Dieses gilt es offen zu thematisieren und entschlossen mit allen Akteuren, die für Toleranz und Weltoffenheit eintreten, zu begegnen.

 

Infos/Kontakt:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt