04. November 2008 / Wittenberg

Am 04. November 2008 wurde vor dem Amtsgericht Wittenberg der Prozess gegen einen 51jährigen Polizeibeamten fortgesetzt (Projekt gegenPart berichtete). Dem Dienstgruppenleiter wird Strafvereitelung im Amt zur Last gelegt, weil er auf eine rechtsextreme Ereignislage in Gräfenhainichen nicht vorschriftsmäßig reagiert haben soll (mehr dazu hier...).

Sie haben ja jetzt Akteneinsicht erhalten“, beginnt Amtsrichter Walert den Fortsetzungstermin. Der Staatsanwalt beendet daraufhin die Verlesung der Anklageschrift. Fest stehe, dass der Angeklagte einen Anruf des Zeugen Thomas W.* bekommen habe, in dem dieser über den polizeilichen Notruf angegeben hätte, das er vor einem Privatgrundstück in Gräfenhainichen das Skandieren nationalsozialistischer Parolen wahrgenommen habe. In Kenntnis des Rechtsgehaltes des Paragraphen 86a des Strafgesetzbuches (Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen; Anm. d. Red.) habe es der damalige Diensthabende unterlassen, so der Anklagevertreter weiter, seine ihm unterstellten Kollegen entsprechend zu instruieren und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

„Der Herr W. teilte mir mit, dass er eine rechtsextreme Veranstaltung melden will.“

Der Angeklagte Polizeibeamte Lothar K. äußert sich heute umfassend zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Zunächst gibt er an, dass sich die besagte Ereignislage nicht am 21. Januar zugetragen habe, wie fälschlicherweise in der Anklageschrift festgehalten, sondern am Neujahrsmorgen 2008. „Am 1. Januar kurz vor Viertelsechs“, habe er einen Anruf bekommen, der von der Leitstelle im Polizeirevier Wittenberg zu seiner Dienststelle in Gräfenhainichen durchgestellt worden sei. „Der Herr W. teilte mir mit, dass er eine rechtsextreme Veranstaltung melden will.“, erinnert sich der Angeklagte an seine damaligen Wahrnehmungen. Nach seinem Eindruck habe der Anrufer zunächst keine detaillierten Angaben gemacht: „Ich musste ihm alles aus der Nase ziehen.“ Später habe W. am Telefon dann mitgeteilt, dass er die Nazi-Parolen vom Grundstück des stadtbekannten Neonazis Henry B. (mehr dazu hier…) gehört habe. Die mögliche Brisanz in dieser Nacht sei in der Dienststelle durchaus bekannt gewesen, habe es doch von Rechtsextremisten den Versuch gegeben, in einem örtlichen Jugendclub eine Silvesterparty zu organisieren: „Das Gebiet wurde in der Nacht regelmäßig bestreift, ohne jegliche Wahrnehmungen“. Vor allem wegen dem „Hick Hack“, den die mögliche Party der rechten Szene im Vorfeld verursacht habe, sei die Polizei sensibilisert gewesen. Er selber, so der Angeklagte, habe in der Silvesternacht mit einer Mitarbeiterin der Stadtverwaltung gesprochen, die ebenfalls keine einschlägigen Wahrnehmungen registriert habe.

„Ich habe von dem was er gesagt hat nur verstanden, dass er irgendwelche Heil-Rufe gehört haben will.“

Ich habe von dem was er gesagt hat nur verstanden, dass er irgendwelche Heil-Rufe gehört haben will.“, paraphrasiert K. das Telefonat mit dem Zeugen Thomas W. Er habe den Anrufer teilweise nur sehr schlecht verstanden. Auf Nachfrage, so gibt der Angeklagte an, soll W. es in dem Telefonat vermieden haben, die von ihm konkret gehörten Parolen eindeutig zu benennen: „Was seine inhaltlichen Angaben anbelangte, war das schon ein ziemliches Kauderwelsch.“ Außerdem habe sich der Zeuge zunächst geweigert, seine Personalien anzugeben, habe diese jedoch später durchgegeben.

„Die sind von mir ganz genau darüber informiert wurden, dass dort rechtsradikale Parolen gebrüllt worden sein sollen.“

„Ich sah zu diesem Zeitpunkt keinen Anfangsverdacht für eine Straftat.“

Schließlich habe er zwei Streifenwagen zum Ereignisort geschickt. „Die sind von mir ganz genau darüber informiert wurden, dass dort rechtsradikale Parolen gebrüllt worden sein sollen.“, sagt er zu seinen Anweisungen an die Wagenbesatzungen. Die Beamten hätten bei ihrem Eintreffen „außer undefinierten Partylärm“ nichts feststellen können. Zudem gibt der Beamte zu Protokoll, dass er versucht habe, mit dem Rechtsextremisten Henry B. Kontakt aufzunehmen. Im Ergebnis hätten die Polizisten vor Ort 10-15 Personen festgestellt, die Musik gehört und sich unterhalten hätten, aber keine einschlägigen Delikte ausmachen können: „Aber nichts, was in Richtung 86a ging.“ Auch den Anrufer Thomas W. hätten die Kollegen nicht im Nahbereich angetroffen: „Der war nicht mehr aufzutreiben.“ Lothar K. sagt, dass er dann erst einmal keine weitere Handhabe für weitere Vollzugsschritte gesehen habe: „Ich sah zu diesem Zeitpunkt keinen Anfangsverdacht für eine Straftat.“ Außerdem gibt er an: „Ich habe entschieden, dass wir an diesem Morgen hier nicht weiterkommen.“ Er habe dann noch den Diensthabenden im Polizeirevier Wittenberg über das Ereignis in Kenntnis gesetzt und ihm mitgeteilt, dass er den obligatorischen Einsatzbericht am Abend schreiben werde. Dies habe er dann auch gemacht und die entsprechende Journalmeldung ins Intranet der Polizei gestellt. Auf diesen Eintrag hätten dann auch alle zuständigen Dienststellen ab diesem Zeitpunkt zugreifen können. „Die haben alle Bescheid gewusst, noch an diesem Abend.“, gibt er an und meint damit vor allem die Vorgesetztenebene in der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost. Ihm sei aber nicht bekannt, dass sich zu diesem Zeitpunkt ein Vorgesetzter dafür interessiert oder ihn deswegen kontaktiert habe. Dies sei erst nach einem Bericht im Internet geschehen. Am 05. Januar 2008 habe sich der Leiter des Fachkommissariats 5 aus Wittenberg (polizeilicher Staatsschutz; Anm. d. Red.) bei ihm telefonisch gemeldet und ihm zum Vorgang befragt. Dann sei erst einmal eine ganze Weile nichts passiert. Er habe dann zunächst für Ende Januar eine Vorladung in die Polizeidirektion gehabt. Dieser Termin wäre aber geplatzt. Schließlich habe er sich Mitte Februar erneut mit einem Vorgesetzten unterhalten: „Endeffekt dieses Gespräches war, dass der Herr Re. der Meinung war, ich hätte einiges eleganter lösen können.“ Schließlich sei er am 24. April darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass am 21. Januar ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet worden sei.

„Es wäre nicht schlecht, wenn sie da mal ganz schnell gucken können.“


Hat der Herr W. gegen über ihnen konkret benannt, dass da `Sieg Heil` gebrüllt wurde, oder diese oder jene Parole?“, fragt Amtsrichter Walert nach. Der Angeklagte wiederholt seine Angaben, dass der Anrufer sich nicht klar positioniert habe und zudem schlecht zu verstehen gewesen wäre. Zudem habe er seine damalige Ablösung in Gräfenhainichen noch am gleichen Tag aufgefordert, die Sache im Auge zu behalten und zu prüfen, ob es weitere Ermittlungsansätze gebe.

Nun wird im Gerichtssaal die Tonbandabschrift des besagten Notrufes verlesen. Thomas W. wird zitiert. Er spricht offensichtlich eindeutig von den NS-Parolen „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Allerdings, so steht es in der Abschrift, bestätigt er sie auf Nachfrage des Angeklagten nur zögerlich. Schließlich wird er nochmals zitiert: „Es wäre nicht schlecht, wenn sie da mal ganz schnell gucken können.“

„Warum haben sie kein UJs-Verfahren eingeleitet, dass erklären Sie mir bitte mal?“

Der Staatsanwalt fragt den Angeklagten nach der Verlesung der Abschrift, ob er denn wirklich keine Anhaltspunkte für ein 86a-Delikt gesehen habe. „Nein, weil die `Heil-Rufe` nicht klar zugeordnet werden konnten.“, bleibt der Angeklagte bei seiner Aussage. Er habe nicht eindeutig verstanden, dass der Anrufer tatsächlich von „Sieg Heil“ gesprochen habe. „Ich habe die Heil-Rufe verstanden.“, erwidert der Anklagevertreter. Diese eindeutige Zuordnung würde letztlich aber auch aus den Abschriften hervorgehen. Schließlich fragt der Staatsanwalt: „Warum haben sie kein UJs-Verfahren (Verfahren gegen unbekannte Verdächtige; Anm. d. Red.) eingeleitet, dass erklären Sie mir bitte mal?“ Lothar K. antwortet darauf: „Weil für mich der Anfangsverdacht nicht gegeben war.“ Schließlich, so der Angeklagte weiter, müsse man abwägen zwischen dem Strafverfolgungszwang von Polizisten und einer möglichen falschen Anschuldigung.

„Man lernt so einiges im Lauf der Jahre.“

„Einige Opernarien beginnen ja auch mit `Heil`.“


Der Angeklagte gibt weiter an, dass er seit 1982 Polizeibeamter sei: „Man lernt so einiges im Lauf der Jahre.“ und „Ich bin ständig als Diensthabender eingesetzt.“, entgegnet er hinsichtlich Fragen zu seinem Erfahrungsschatz in diesem Aufgabengebiet. Der Verteidiger des Angeklagten hebt nochmals hervor, dass sich der Anrufer hinsichtlich der Parolen nicht eindeutig festgelegt habe. Gerade deshalb hätte sein Mandant keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Straftat gesehen: „Einige Opernarien beginnen ja auch mit `Heil`.“

„Aus dem einfachen Grund, weil er sicherlich an der Quelle saß und sich die Aufzeichnung 1000mal anhören konnte. Deshalb hat er gehört, das Herr W. `Sieg Heil` angegeben hat und deshalb hat er auch Herrn W. als Anzeigenerstatter ausgewiesen.“

Auf Nachfrage des Staatsanwalts bestätigt Lothar K., dass ihm der Name Henry B. durchaus ein Begriff sei. Nochmals auf seinen Journaleintrag angesprochen sagt der Angeklagte aus, dass er dort schriftlich festgehalten habe, dass eine von einem stadtbekannten Neonazi ausgerichtete Party noch nicht zwingen eine strafrechtlich relevante rechtsextreme Ereignislage darstellen müsse. Schließlich sagt der Angeklagte, dass der Wittenberger Staatsschutzleiter nach seinem Kenntnisstand ein Ermittlungsverfahren gegen Henry B. auf den Weg gebracht hätte: „Aus dem einfachen Grund, weil er sicherlich an der Quelle saß und sich die Aufzeichnung 1000mal anhören konnte. Deshalb hat er gehört, das Herr W. `Sieg Heil` angegeben hat und deshalb hat er auch Herrn W. als Anzeigenerstatter ausgewiesen.“

„Wo der Herr B. wohnt, sollen wohl rechtsradikale Parolen gerufen worden sein.“

Nun tritt der 48jähriger Polizeibeamte Hartmut H. in den Zeugenstand, der an jenem Tag zur Streifenbesatzung gehörte. Dieser gibt zunächst an, im Januar 2008 auf dem Revierkommissariat Gräfenhainichen eingesetzt gewesen zu sein. Jetzt sei er im Polizeirevier Wittenberg tätig. „Wie waren sie denn instruiert, warum sollten sie dort vorbeifahren?“, will Richter Walert wissen. „Wo der Herr B. wohnt, sollen wohl rechtsradikale Parolen gerufen worden sein.“, gibt der 48-Jährige zu Protokoll. Die Straße sei bei ihrem Eintreffen fast menschenleer gewesen: „ Von Außen war so gut wie nichts zu hören, am Anfang.“ Außer Partylärm, der dort fast zum Alltag gehöre, habe man nichts Verdächtiges feststellen können.

„Wie hat der Beamte am Telefon reagiert?“

Der 24jährige Thomas W. gibt bei seiner Befragung an, dass er kurz vor seinem Telefonat und während des Anrufes aus der Wohnung des bekannten Rechtsextremisten eindeutig „Heil Hitler“- Sprechchöre vernommen habe. Aus der Stimmenzusammensetzung habe er zudem geschlossen, dass mehrere Personen gleichzeitig diese Parolen skandiert hätten. „Wie hat der Beamte am Telefon reagiert?“, möchte der Richter wissen. „Der hat gesagt: 'Alles Klar. Wollen sie Anzeige erstatten?'“, erinnert sich der Zeuge an seine damalige Wahrnehmung. Im Endeffekt, so W. auf Nachfrage, habe es sich um ein relativ kurzes und knappes Gespräch gehandelt. Richter Walert hält dem Zeugen nun eine Passage aus der Tonbandabschrift vor und sagt: „Das klingt nicht ganz so eindeutig.“ Damit meint Walert , dass er nicht sonderlich stringent die entsprechende Nachfrage des Beamten am Telefon bestätigt habe und zunächst zögerte, seine Personalien anzugeben. „Auf jedem Fall wurde das gerufen“, ist sich der Zeuge auch heute noch sicher.

„Ich weiß nicht, ob er es ernst genommen hat.“

Auf Nachfrage des Anklagevertreters bestätigt er nochmals seinen Eindruck, dass eine „ziemlich große Gruppe“ die NS-Parolen skandiert hätten. Er vermutet, dass die mutmaßlichen Täter hinter der Toreinfahrt oder auf dem Hof der Liegenschaft standen. Er hätte dieses Szenario jedoch von der Straße nicht einsehen können. „Welchen Eindruck hatten sie bei dem Telefonat mit dem Polizeibeamten?“, hakt der Staatsanwalt nach. „Ich weiß nicht, ob er es ernst genommen hat.“, antwortet der Zeuge auf eine entsprechende Frage des Staatsanwaltes. Außerdem gibt er an, von der Polizei nicht aufgefordert wurden zu sein, am Tatort zu verbleiben: „Da hatte ich nicht so eine Lust drauf, dass doch noch irgendwo Leute raus kommen.“

Der Verteidiger des Angeklagten möchte vom Zeugen W. erfahren, woher er denn wisse das Henry B. „die Inkarnation rechter Gewalt oder rechter Gesinnung“ sei. Dies, so Thomas W., sei ein stadtbekannter Fakt und B. würde in der Öffentlichkeit auch eindeutig zu zuordnende Kleidung und Symbolik tragen.

„Sie haben polizeidienstlich nach meiner Auffassung keine Fehler gemacht.“


Vor dem Hintergrund des Verhandlungsverlaufes nicht überraschend, forderte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer einen Freispruch für den angeklagten Polizeibeamten: „Im Ergebnis scheint es wohl so zu sein, dass es keine Diensthandlung die sich hätte aufdrängen müsse, gab.“ Demzufolge hätte er auch keiner solchen nachkommen müssen. Außerdem, so der Staatsanwalt weiter, hätte die Verhandlung keine Belege dafür geliefert, dass der Angeklagte mit Vorsatz mögliche Täter hätte „besser stellen“ wollen. Auch eine klare Absicht, mögliche Ermittlung zu behindern, sei als Kernelement einer Strafvereitelung im Amt nicht erkennbar: „Sie haben polizeidienstlich nach meiner Auffassung keine Fehler gemacht.“, so der Ankläger. Als mögliches Defizit macht der Staatsanwalt jedoch aus das es Lothar K. versäumt habe, ein UJs-Verfahren in die Wege zu leiten.

Der Verteidiger des angeklagten Polizeibeamten schließt sich weitestgehend den Ausführungen des Staatsanwalts an und räumt noch ein, dass sein Mandant es natürlich begrüße, Rechtsextremismus zu verfolgen, sofern dieser sich strafbar zeige.

„Man sieht schon aus dem Protokoll, dass Sie das nicht irgendwie lustlos entgegengenommen haben.“

Richter Walert verkündet schließlich einen Freispruch aus „tatsächlichen Gründen“. Eine nichtgestellte Anzeige gegen Unbekannt sei lediglich eine Formalie, daher seien für ihn Anhaltspunkte für eine Vereitelung nicht erkennbar gewesen. Der Beamte habe adäquat reagiert, Streifenwagen zum Ereignisort geschickt und die Journaleinträge und Einsatzbericht vorschriftsmäßig gefertigt: „Man sieht schon aus dem Protokoll, dass Sie das nicht irgendwie lustlos entgegengenommen haben.“, so der Vorsitzende Richter am Amtsgericht.

Also ganz so, wie der couragierte Bürger, der die Fakten gleich auf den Tisch legt, war es ja offensichtlich auch nicht.“, hält Amtsrichter Walert die zögerliche Angaben der Personalien durch den Zeugen, dem Angeklagten abschließend zugute.

* Name von der Redaktion geändert

Quelle:
eigener Bericht

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt