„Wir wollen sie hier nicht haben.“

über 600 Teilnehmer an Protest gegen die JN-Bundesgeschäftsstelle in Bernburg // ein „Nationales Zentrum“ mit überregionalem Wirkungskreis fordert die Verantwortung nicht nur der Bernburger


der Protestzug erreicht die JN-Bundesgeschäftsstelle

Als eine der ältesten Kameradschaften in Sachsen-Anhalt betreiben Rechtsextremisten im Bereich Bernburg-Köthen seit nunmehr mindestens zehn Jahren eine zielgerichtete Jugendarbeit, weit über Gruppen- und Regionsgrenzen hinaus. Durch das Mitwirken an strategischer Ausrichtung der bundesweiten Neonaziszene sowie der Etablierung rechtsextremer Kulturangebote, wie Musikbands und Internetversände, kommt der regionalen Szene hier in Anhalt eine erhöhte Aufmerksamkeit zu.

Das jahrelange Engagement trägt Früchte. Festzustellen ist, dass in Sachsen-Anhalt seit geraumer Zeit der Schulterschluss zwischen der neonazistischen Kameradschaftsszene und der lange Zeit als „Systempartei“ verrufenen NPD bereitwillig vollzogen wurde. Infolge der Bundesvorstandswahlen der JN (Jugendorganisation der NPD) im Oktober 2007 verlagerte die neonazistische Kampfpartei ihren organisatorischen Schwerpunkt nach Sachsen-Anhalt. Das bis dato als Stützpunkt der Landes-JN sowie der JN-Untergruppierungen Bernburg und Staßfurt bekannte Objekt in der Bernburger Innenstadt, fungiert nun seit vergangenem Herbst als Bundesgeschäftsstelle der NPD-Jugend.


JN-Sympathisanten vor der Bundesgeschäftsstelle

Bereits vor der offiziellen Verlegung der JN-Bundesgeschäftsstelle nach Bernburg spielt das „Nationale Zentrum“ am Markt 28 eine überregional bedeutende Rolle. Seit Oktober 2006 findet neben zahlreichen Schulungsveranstaltungen auch ein rechtsextremes Verkaufsgeschäft inklusive Internetversandhandel Räumlichkeiten unter diesem Dach. Dem gebürtigen Trierer Philipp Valenta, JN-Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzenden, ist es gelungen in Bernburg ohne spürbaren Gegenwind ein infrastrukturelles Zentrum aufzubauen, dessen Wirkungskreis über Landesgrenzen hinaus verortet werden muss. Ferner hat maßgeblich er die gewaltbereite Kameradschaftsszene und die neonazistische Partei in Anhalt an einen Tisch zusammengeführt.

Ohne spürbaren Gegenwind? Den Eindruck konnte man am 11. März 2008 auf dem Alten Markt in Bernburg nicht teilen. Das Bernburger Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Rechtsextremismus und Gewalt hat sich seit einiger Zeit der Verantwortung gestellt, die den demokratischen Akteuren in der Saalestadt auferlegt worden ist. Seit Wochen wird in der Stadt diskutiert, wie mit den Neonazis vor der Haustür umgegangen werden soll, wie dem Problem Herr zu werden sei ohne sich selbst dabei in Gefahr zu bringen. Die Bundesgeschäftsstelle einer rechtsextremen Organisation, die zweifelsohne für den Aktionismus und den Habitus weiter Teile der Neonaziszene verantwortlich zeichnet, ist ja auch nicht klein zu reden. Das hat schließlich auch die Bernburger Zivilgesellschaft erkannt und nach Ansätzen der Aufklärung und Sensibilisierung sich entschlossen, wirkungsvoll entgegenzusteuern.


die Polizei sperrt zunächst das Gebäude ab

Neben Informationsveranstaltungen zu rechtsextremen Strukturen und Erscheinungsformen lief die Erstellung eines Faltblattes zur Aufklärung über die rechten Umtriebe vor der eigenen Haustür auf Hochtouren. Schnell war auch entschieden, mit einer Demonstration den Start einer zielgerichteten Kampagne gegen die JN-Bundesgeschäftsstelle öffentlich einzuläuten. Der 11. März als Datum war wohlweislich gewählt. Wurden doch just an diesem Tag 1849 im Verlauf der Revolution Demokraten hier von Bernburger Militärs ermordet worden. Hier, an jener Stelle, wo damals die Anhalt-Bernburger Regierung ansässig war und heute der Bundesvorstand der NPD-Jugend versucht demokratie- und menschenfeindliche Ideologie an Mann und Frau zu bringen. Diese historische Tatsache erhitzte die Gemüter im Organisationsgremium vornweg doch sehr.

Wenige Tage vor dem 11. März 2008 wurde bekannt, dass auch die Rechtsextremen an diesem Tag präsent sein wollten. Mit einer angemeldeten Grillveranstaltung planten sie vor dem „Nationalen Zentrum“ gegen die Bernburger Demokraten Stellung zu beziehen. Erst einen Tag zuvor fand durch die Polizei in eben diesen Räumen der JN eine Hausdurchsuchung statt. Diese fußte auf Ermittlungsverfahren gegen zwei JN-Mitglieder wegen der Veröffentlichung verbotener Texte JN-Internetseiten und den Betreiber des ebenfalls dort ansässigen rechtsextremen Versandhandels wegen Vertrieb strafrechtlich relevanter CD´s und anderer Gegenstände mit verfassungswidrigen Kennzeichen.


Steffen B. (Inhaber des Neonaziladens am Markt 28), Maik H. (Mitarbeiter), Michael Schäfer (JN-Bundesvorsitzender), René H. (Nationaler Beobachter Anhalt), Marcus G. (Mitteldeutscher Musikversand) (v.l.n.r.)

Während sich gegen 16.30 Uhr auf dem Bernburger Karlsplatz zivilgesellschaftlicher Protest langsam formierte liefen parallel am Markt die Vorbereitungen von rechts. Etwa 30-40 Rechtsextreme fanden sich letztendlich an der JN-Bundesgeschäftsstelle ein und hingen Transparente, mit Inhalten wie „Ihr kotzt uns an!“ und „Organisiert Euch gegen Polizeistaat“, aus den Fenstern. Unter den Anwesenden ließen sich von rechtsextremen Kommunalpolitikern wie Matthias Heyder [NPD-Landesgeschäftsführer] und Michael Schäfer [JN-Bundesvorstand] bis hin zu Akteuren der neonazistischen Kulturindustrie, wie Enrico Marx, Steffen Bösener [Nordic Flame / Odins Eye] oder Marcus Großmann [Mitteldeutscher Musikversand] ausfindig machen.

Die Spannung am Markt stieg stetig an und die Sympathisanten der JN wähnten sich noch sehr selbstbewusst. Als wenig später die Spitze der Anti-JN-Demonstration in Sichtweite kam setzten die anwesenden Polizeikräfte eine möglichst klare Trennlinie zwischen den Rechtsextremen und dem ankommenden demokratischen Protestzug durch. „Nein zur JN – das Fass ist voll!!!“ war auf dem ersten Transparent der Veranstalter zu lesen. Hielt man vor diesem Tag die anvisierte Teilnehmerzahl von 500 Menschen, angesichts eines Dienstag Nachmittags, für ein sehr hochgestecktes Ziel, so wurde man in diesen Minuten eines Besseren belehrt. Über die schmale Fußgängerbrücke, die zum Markt führt, schien der Demonstrationszug zunächst kaum ein Ende nehmen zu wollen.

Trotz dass der JN-Bundesvorsitzende Michael Schäfer ein Schild, mit der Ankündigung „Grillen gegen Dummheit“, an der Hauswand auf hing, war über die gesamten Nachmittagsstunden kein Hauch dieses Vorhabens in der Luft zu erahnen, geschweige denn ein Grill zu sehen. Dass die JN sich abermals als Opfer von Intoleranz wähnte und sich, um sich nicht darüber aufzuregen, bei „Strandmusik“ mit „Kameraden an den Grill setzen“ wollte, fand an dieser Stelle jedoch nicht statt. Vielmehr mischten sich einige der Neonazis unter die Bernburger Bevölkerung und versuchten dort zu provozieren. Denn angesichts von über 600 couragierten Bürgern die ein klares „Nein zu JN“ forderten war Gelassenheit im rechten Lager auch nicht zu erwarten. Halluzinierten sich die Sympathisanten menschenfeindlicher Ideologie bis dato in der 30.000 Einwohnerstadt Bernburg fast in einer „national befreiten Zone“, wurden auch sie in diesem Moment geläutert.

Auf dem Lautsprecherwagen des Bernburger Bündnisses für Demokratie und Toleranz – gegen Rechtsextremismus und Gewalt brachten die Veranstalter, wie angekündigt, ein großes Fass mit. Nach Erreichen des Marktes, dem Ort an dem sich heute die Bundesgeschäftsstelle der NPD-Jugend befindet, stellte sich über mehrere hundert Meter eine Menschenkette auf, um das Fass mit eimerweise Saalewasser, dem Motto gerecht, zum Überlaufen zu bringen. Neben zahlreichen demokratischen Bernburgern reihten sich in dieser Kette beispielsweise auch Landrat Ulrich Gerstner, der Bernburger Oberbürgermeister Henry Schütz, Kirchenpräsident Helge Klassohn oder auch Innenstaatssekretär Rüdiger Erben mit ein.

“Die Demokratie braucht Demokraten, Bürger, die die Demokratie verteidigen” und “Die Bundeszentrale der Jung-Nazis muss aus Bernburg weg. Den braunen Herren muss der Raum hier eng werden. Wir wollen sie hier nicht haben.”, äußert sich Klassohn hier und trifft damit die breite Zustimmung der Anwesenden. „Besser leben ohne Nazis“ oder „Wer hat Angst vorm braunen Mann? – Wir nicht!“ wird von Teilnehmern auf Transparenten und Schildern proklamiert, was die Hoffnung erblühen lässt, dass die Bernburger bei diesem Thema am Ball bleiben werden. Die Relevanz der Bundesgeschäftsstelle der JN reicht weit über die Stadt Bernburg und die Region Anhalt hinaus, was auch zukünftig bei den Akteuren vor Ort aber auch allen anderen Demokraten im Land Obacht und Verantwortung wach halten sollte.

Hintergründe zur Situation in Bernburg

Nachbetrachtung und Diashow der Veranstalter

verantwortlich für diesen Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt