16. Dezember 2010 / Dessau-Roßlau / Bitterfeld-Wolfen

Der Angriff auf ein alternatives Paar im September 2008 in Bitterfeld bleibt für die Täter auch in zweiter Instanz nicht folgenlos. Wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilte das Landgericht Dessau-Roßlau zwei der Täter erneut zu Bewährungsstrafen. Der dritte Angeklagte, der mit seinem rechtsextremen T-Shirt-Aufdruck Ausgangspunkt der Zwistigkeiten war, erhielt eine Geldstrafe wegen Beleidigung und Sachbeschädigung. Der Mittäterschaft aufgrund der Körperverletzung wurde er freigesprochen. Die Drohung des Angeklagten Jens B.: „Ihr seid bald tot!“ gegenüber den Geschädigten fand in der Urteilsbegründung keinerlei Erwähnung mehr. Das erstinstanzliche Urteil war im Mai 2010 im Amtsgericht Bitterfel-Wolfen gesprochen worden (mehr dazu hier...).

In den Morgenstunden des 06. September 2008 (mehr dazu hier...) hielten sich die später Geschädigten Martin L.* und Lisa R.* zeitweilig im „Doors“ in der Bitterfelder Walther-Rathenau-Straße auf. Die heute Angeklagten waren zu der Zeit ebenfalls Gast in dem Lokal. Nachdem R. den Angeklagten Jens B. auf dessen T-Shirt-Aufdruck („Hasta la vista Antifascista“) ansprach und ihm gesagt haben will, „dass ich das nicht in Ordnung finde, was da drauf stand“, kam es wenige Minuten später vor dem Lokal zur Retourkutsche durch den Angeklagten. Als L. und R. im Begriff waren zu gehen, habe Jens B. bereits draußen gestanden. Martin L. sei in diesem Moment klar gewesen, dass etwas passieren werde. „Kommt her ihr Scheiß Antifa-Schweine!“, soll B. ihnen gleich entgegengerufen haben. Anschließend habe er lautstark gedroht: „Eure Gesichter merk‘ ich mir. Ihr seid bald tot!“ Zu diesem Zeitpunkt sollen sich noch weitere Personen auf der Straße aufgehalten haben. Erst drei, später bis zu acht, erinnert sich der Zeuge. Die beiden Bedrohten versuchten sich rückwärtsgehend der Situation zu entziehen. Aus der Gruppe heraus sei Martin L. nun von mehreren Personen abwechseln angegriffen worden. Den ersten Angreifer konnte er abwehren, dann kam der nächste. „Es war ein ständiger Wechsel“, so L. im Zeugenstand dazu.


Angeklagter Manuel K.

Beim dritten Angreifer wollte er dem Geschehen ein Ende bereiten und setzte Reizgas zur Abwehr ein. Als Manuel K., der größte und kräftigste der Angreifer, danach auf ihn zu kam, war sein Reizgas plötzlich weg. K. habe ihn angesprungen. Ihn abzuwehren glückte nicht mehr. Manuel K. habe ihm das T-Shirt zerrissen, dann sei er wieder angerannt gekommen und „dann lag er auf mir drauf.“ Von Manuel K. hört sich das ganze recht unspektakulär an: „Wir haben uns ja erst mal bis zur Kreuzung hin und her geschuppt.“ Er hätte L. lediglich das Reizgas abnehmen wollen. Dann haben sie sich aber immerhin  auf dem Boden gewälzt. Schläge habe er „definitiv“ keine ausgeteilt. Die Mit-Geschädigte R. will beobachtet haben, dass Manuel K. auf ihren auf dem Boden liegenden Begleiter eingeschlagen habe, bis dieser sich wieder befreien konnte. Als es geheißen habe, dass die Polizei käme, „sind alle ganz lieb aufgestanden“, so der Angeklagte K.. Martin L. erlitt infolge dessen einen Handgelenkbruch und hatte Schürfwunden am Kopf zu beklagen.

Als L. sich gegen mehrere Angreifer zur Wehr setzen musste, versuchte seine Begleiterin Lisa R. mit ihrem Handy Hilfe zu rufen. Jens B., der der Angriffssituation laut R. Schritt für Schritt gefolgt sei, habe ihr dann das Handy aus der Hand getreten und sie als „Zeckenschlampe“ betitelt. „Für mich hatte es den Anschein, dass es Reizgas ist“, beteuert Jens B. vor Gericht und habe es weggetreten, weil er befürchtet hätte, sie würde es einsetzen.


Angeklagter Jens B.


Als die Polizei vor Ort eingetroffen war, hätten sie zunächst die beiden Geschädigten in einen Streifenwagen gesetzt, da spürbar gewesen sei, dass sich die Aggressionen aus der Gruppe gegen die beiden richten. Die weitere Arbeit gestaltete sich eher schwierig, da keiner der Beteiligten sich den Beamten gegenüber äußern wollte. Täter, die zu diesem Zeitpunkt noch vor Ort waren, wurden letztlich auch nicht ausfindig gemacht und die Personalien von Zeugen wurden auch nicht zur Zufriedenheit der Ermittlungsbeamten von der Kriminalpolizei notiert, obwohl sich laut Einsatzpolizisten 70 bis 80 Personen vor Ort aufgehalten haben sollen. Auch für die Verteidigerriege war es schier unbefriedigend, dass Polizeibeamte vor Ort „Kraft irgendwas“ entscheiden wer und was notiert werde. „Jeder hat sich auf irgendwen verlassen, aber keiner hat`s koordiniert“, war das ernüchternde Fazit.

Rechtsanwalt Gläser, der Verteidiger des Angeklagten K. hatte sich in der Berufungsinstanz offenkundig zur Aufgabe gemacht, die Rolle der Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten bei solchen Sachverhalten zu ergründen. Dazu hatte er den Leiter der Beratungsstelle als Zeuge vorgeladen. Gewurmt hatte die Verteidigerriege scheinbar, wie es zur Benennung weiterer Täter gekommen war. Nachdem ursprünglich nur Jens B. namentlich bekannt gewesen war, konnten im Zuge der polizeilichen Vernehmungen mittels Bildmaterial aus dem Internet die Mittäter namhaft gemacht werden. Zudem wurde seitens der Verteidiger kritisch hinterfragt, warum die Geschädigten erst nach dem Gespräch mit der Beratungsstelle zur Anzeigenerstattung bereit waren. Psychisch hat der Angriff die beiden Geschädigt in der Folgezeit erheblich belastet. Die Angeklagten Jens B. und Daniel Sch. seien im Polizeisystem als „Straftäter rechts“ bekannt, wie ein Polizeibeamter im Zeugenstand aussagte. Ein anderer Beamter bestätigte auch, dass gegen Manuel K. bereits mehrfach ermittelt worden sei.

Als Zeugin vorgeladen wurde auch die Staatsanwältin aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Sie erinnerte sich noch ganz konkret, dass die Geschädigten L. und R. „von Jens B. und einer ganzen Gruppe offensichtlich Gleichgesinnter“ vor dem Lokal erwartet worden war. Für sie sei im Verlauf der ersten Verhandlung klar gewesen, dass es „unterschiedliche politische Gesinnungen“ gewesen seien, „die da aufeinander trafen“. 

Im Plädoyer schlug sich die Beweisaufnahme seitens der Verteidigung ganz anders nieder. Sein Mandant sei da zufällig „reingeschlittert“, weil er vor der Tür war, so Rechtsanwalt Gläser, der Verteidiger von Manuel K.. Er habe sich nicht in die Auseinandersetzung gedrängt und will lediglich den Geschädigten L. aufgefordert haben, „das mit dem Pfefferspray zu lassen“. Das „passt hinten und vorn nicht“, so Gläser bezüglich des abweichenden Aussageverhaltens von L. zum erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Bitterfeld. Der Geschädigte L. war „auf Krawall gebürstet“, so Gläser und macht dies u.a. daran fest, dass dieser sich im „Doors“ über den Aufdruck „Hasta la Vista Antifaschista“ auf dem T-Shirt von B. aufregte. Ferner würde sich L. nur Leute aussuchen, wo er auch gewinnen könnte. Für seinen Mandanten beantragt der Verteidiger Freispruch. Rechtsanwältin Hamerla, die Daniel Sch. im Strafverfahren verteidigte, gab in ihrem Plädoyer u.a. zu Protokoll, dass ihr Mandant vor der Tür „sofort Spray ins Gesicht bekommen“ habe und sei „sofort außer Gefecht gesetzt“ gewesen. Wo hier ein Angriff gemacht worden sei, ist für die Juristin fragwürdig. Ferner bestreitet die Verteidigerin, dass ihr Mandant Mitglied der rechten Szene sei. Hamerla fordert ein Freispruch für ihren Mandanten.

„Es gab objektiv nichts, an dem sich Herr B. beteiligt hat“, so Rechtsanwalt Natho in seinem Plädoyer. Ferner sei der Straftatbestand der Sachbeschädigung des Handys der Geschädigten R. nicht erfüllt, weil die Funktionsfähigkeit des Mobilfunkgeräts durch den Fall zu Boden nicht beeinträchtigt gewesen sei. Das Handy hatte nur leichte Kratzer und sei in der Substanz nicht beschädigt.  Zu den Beleidigungen der beiden Geschädigten führt der Verteidiger aus, das seien „gegenseitige Pöbeleien“ gewesen.  Anschließend beantragt Natho einen Freispruch für seinen Mandanten.


Angeklagter Daniel Sch.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht für Staatsanwalt Posselt fest, dass Jens B. vor der Tür „kommt her ihr Antifaschweine“ gerufen und der Geschädigten R. das Handy aus der Hand getreten habe, als diese Hilfe herbei rufen wollte. Mit dieser Aktion hat sich B. an der Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten L. beteiligt. Zu K. und Sch. führte der Anklagevertreter aus, dass diese im Wechsel einzeln L. angegriffen hätten und bewertet dieses Vorgehen als gemeinschaftlich und zielgereichtet. Posselt beantragt die drei Angreifer zu je einem Jahr Freiheitsstrafe zu verurteilen, wobei die Bewährungszeit zwei Jahre betragen solle. Ferner soll K. an den Geschädigten L. 500,00 € Schmerzensgeld zahlen. Der Nebenklagevertreter schließt sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an und verweist darauf, dass der Angriff den Geschädigten L. extrem psychisch belastet habe.

Die dritte kleine Strafkammer des Dessau-Roßlauer Landgerichts hat Manuel K. (26) und Daniel Sch. (27) wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Martin L. schuldig gesprochen. Der 26-Jährige K. wurde zu einer Haftstrafe von zehn Monaten verurteilt. Ferner soll K. 500,00 € an den Geschädigten L. zahlen. Der Mitangeklagte 27-Jährige Sch. wurde zu einer Freiheitstrafe von acht Monaten verurteilt und muss 500,00 € an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Beide Haftstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt, wobei der Bewährungszeitraum jeweils auf zwei Jahre festgesetzt wurde. Den dritten Mitangeklagten Jens B. (30) hat die Strafkammer vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten L. freigesprochen,  sah aber den Tatvorwurf der Sachbeschädigung zum Nachteil der Geschädigten Lisa R. sowie die Beleidigung von L. und R. als erwiesen an und verurteilte B. zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 35 Euro(1.575,00 €).

„Die Darstellungen von L. und R. sind zutreffend“, so die Kammervorsitzende in der Urteilsbegründung zum Wahrheitsgehalt der Aussagen der beiden Geschädigte zu den Geschehnissen und ließ damit den Versuch der Angeklagten ins Leere laufe, sich im Strafverfahren als Opfer zu gerieren. Der Zeuge L. „hat nichts aufgebauscht“ und „wurde ausschließlich  angegriffen“, so die Richterin. Ferner konnte die Kammervorsitzende keine überdurchschnittlichen Belastungstendenzen im Aussageverhalten der beiden Geschädigten erkennen. In einer Notwehrsituation haben sich die Verurteilten K. und Sch. nicht befunden. Auch wenn vornehmlich Rechtsanwalt Gläser dies vorbrachte. Da K. und Sch. erheblich alkoholisiert waren, wurde dies in der Strafzumessung berücksichtigt, so das Gericht. Der Verurteilte B. hat hinsichtlich seines Alkoholgenusses keine Angaben gemacht.  „reden und laufen ging“, zitiert die Kammervorsitzende aus der Einlassung von K. und bringt damit zum Ausdruck, dass eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit durch erheblichen Alkoholgenus von K. nicht gegeben war.  

* Namen geändert

Quelle:
eigener Bericht

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt