„Wir wollen den Nazis laut sagen: In unserer Stadt ist kein
Platz für Euch!“

Dessau-Roßlau diskutiert den Umgang mit rechtsextremen Menschenfeinden

Vor fast vollen Rängen fand am 02. März 2009 eine Veranstaltung im neu sanierten Alten
Theater Dessaus statt. Die große Resonanz auf die die Podiumsdiskussion „Hat Dessau-
Roßlau Neonazis satt – Ignorieren, Verbot oder Protest?“ stieß, überraschte dabei nicht
nur. Waren in der Vergangenheit doch nicht wenige deutungsmächtige AkteurInnen eher
dafür bekannt, die offensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu scheuen.
Das nunmehr verstärkte öffentliche Interesse kann zugleich als Beleg dafür gewertet
werden, dass sich in der Stadt ein Sensibilisierungsprozess für rechtsextreme Denk- und
Handlungsmuster zu verfestigen scheint.
Das freut vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereinen in der Stadt, wird doch
dadurch ihr jahrelanges Engagement gewürdigt.




im neuen "Alten Theater" wohnten fast 70 Gäste der Podiumsdiskission teil

Auf Einladung der Stadt, des Lokalen Aktionsplanes für Demokratie und Toleranz
(mehr dazu hier...)
und eines Initiativkreises, der gerade den demokratischen Protest gegen
einen Naziaufmarsch vorbereitet (mehr dazu hier...), diskutierte Oberbürgermeister Klemens
Koschig u.a. zusammen mit dem Bauhausdirektor Prof. Philipp Oswalt und dem
Kirchenpräsidenten Joachim Liebig (mehr dazu hier...), wie ein zeitgemäßer und wirkungsvoller Umgang mit rechten Ereignislagen aussehen kann und welche Protestformen dabei wohl am erfolgversprechendsten wären. Um es gleich vorwegzunehmen, kontroverse Diskussionssträngeund strategische Debatten waren an diesem Abend eher die Ausnahme. Vielmehr wurde das gemeinsame Handeln aller demokratischen Kräfte eingefordert und dabei aber auch Positionen geäußert, die für den öffentlichen Diskurs in Dessau-Roßlau eine erfreuliche, neue Qualität darstellten.





Grit Lichtblau, MDR-Redakteurin, führt moderierend durch den Abend und bittet die Diskutant-
Innen zunächst, in einem kurzen Eingangsstatement ihre Sichtweisen auf den Titel der
Veranstaltung darzulegen: „Doch wie kann ein demokratischer Protest eigentlich aussehen?“

Für den Bauhaus-Direktor Prof. Oswalt ist eins ausgeschlossen: „Ignorieren funktioniert gar
nicht.“ Er verweist darauf, dass er heute etwas im Gepäck hat: „Ich habe Ihnen da etwas
kleines mitgebracht.“ Damit spielt der Direktor, der heute just den ersten Tag im Amt ist
auf eine Publikation an, in der die aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus
wie er findet, sehr präzise beschrieben sind. Zum möglichen Verbot rechtsextremer
Parteien und Personenzusammenschlüssen hat Oswalt eine differenzierte Meinung: „Wir
sind ein Rechtsstaat und da wo man etwas verbieten kann, sollte das verbindlich erfolgen.
Hier sollte keine unnötige Toleranz geübt werden.“ Er schränkt jedoch ein, dass Verbote
kein Allheilmittel bei der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Bestrebungen sein
könnten, nicht alles könne der Staat regeln: „Es braucht eine zivilgesellschaftliche
Verständigung, dass man manche Sachen einfach nicht toleriert.“ Entscheidend, so Oswalt
weiter, sei die Implementierung einer demokratischen Alltagskultur und der damit ver-
bundenen Bereitschaft, notfalls einzugreifen und eben nicht wegzuschauen. „Guckt die
Zivilgesellschaft hin oder guckt sie nicht hin.“, sagt er in Anspielung
auf eine landesweite Kampagne zur Demokratieentwicklung (mehr dazu hier...). Einfach,
das wisse er indes schon, wäre das nicht immer: „Es ist ohne Frage unbequem, sich
einzumischen.“

„Wir sind ein Rechtsstaat und da wo man etwas verbieten kann, sollte das
verbindlich erfolgen. Hier sollte keine unnötige Toleranz geübt werden.“

„Es ist ohne Frage unbequem, sich einzumischen.“


der Bauhaus-Direktor Prof. Oswalt (r.) diskutiert angeregt

Für Kirchenpräsident Joachim Liebig steht bei der Debatte um den Umgang mit rechten Gruppierungen vor allem eine zentrale Frage im Fokus: „Wie belastbar ist unsere Demokratie und wie viel können wir aushalten?“ Auch er hält vom ausschließlichen Ruf nach schärferen Gesetzen recht wenig: „Das ist keine Frage, die man allein ordnungspolitisch lösen kann. Hier ist die ganze demokratische Gesellschaft gefragt.“ Zivilcourage müsse nicht immer in Heldentaten münden, davon sei, schon wegen der eigenen persönlichen Sicherheit abzuraten: „Da reicht es schon das man in der Straßenbahn sagt, ich rufe jetzt die Polizei.“


Kirchenpräsident Joachim Liebig (m.)

„Das ist keine Frage, die man allein ordnungspolitisch lösen kann. Hier ist die
ganze demokratische Gesellschaft gefragt.“



Oberbürgermeister Klemens Koschig (l.) wird intensiv von der Moderatorin
Grit Lichtblau (m.) befragt

Oberbürgermeister Klemens Koschig sagt indes: „Ignorieren ist das völlig falsche Signal.“
Im letzten Jahr habe er als Stadtoberhaupt mit Verweis auf das international renom-
mierte Kurt-Weill-Fest, ein Verbot der Naziaufmarsches am 08. März angestrengt:
„Verbieten- Jawohl. Alle Bürger haben das Recht, dass die Stadt alle rechtlichen
Möglichkeiten ausschöpft.“ Gleichwohl, so Koschig weiter, sei das Verbot letztlich
gescheitert und das zuständige Verwaltungsgericht habe die Verfügung aufgehoben.
Dies habe im Nachgang, auch für ihn persönlich Konsequenzen nach sich gezogen. Auf
Grundlage einer Dienstaufsichtsbeschwerde, sei er für das Verbot gar noch gerüffelt
wurden: „Mit sehr deutlichen Worten hat mich die Kommunalaufsicht dafür zurecht
gewiesen.“ Viel wichtiger als ein Debatte um mögliche Verbote, ist Koschig aber an
diesem Abend ein klares Signal der Bürgerschaft. Er wünscht sich für den 07. März einen
bereit getragenen demokratischen Protest unter der aktiven Teilnahme zahlreicher
DessauerInnen: „Wir wollen den Nazis laut sagen, in unserer Stadt ist kein Platz für Euch!“
Indes erhofft sich der OB, dass sich die dynamischen Aktivitäten die sich nun im Initiativkreis
entwickeln haben, verstetigt werden und in einer wirkungsmächtigeres Bündnis für
Demokratie und gegen Rechtsextremismus überführt werden können: „Wir werden die
nächsten Monate dazu nutzen um intensiv ins Gespräch zu kommen. Ich hoffe da auf
witzige Ideen.“ Abschließend stellt er klar: „Das diesjährige Nichtverbot ist keine
Kapitulation vor den Nazis.“

„Ignorieren ist das völlig falsche Signal.“

„Mit sehr deutlichen Worten hat mich die Kommunalaufsicht dafür
zurecht gewiesen.“



Für die Ganztagschule Zoberberg sitzt Birgit Haupt auf dem Podium. Die Lehrerin vertritt damit zugleich eine Bildungseinrichtung, die zur Zeit den Titel „Schule ohne Rasssismus – Schule mit Courage“ der gleichnamigen europaweiten Kampagne anstrebt (mehr dazu hier...). „Der Rechtsextremismus ist für mich eine Bedrohung und eine Herausforderung .“, sagt die Pädagogin zunächst. Im Schulalltag müsse es mit innovativen Methoden vor allem darum gehen, sich mit diesem Phänomenbereich und dessen aktuellen Erscheinungsformen auseinanderzusetzen: „Da kann ich also im Geschichtsunterricht in der 9. Klasse nicht nur sagen: `Das war die NS-Zeit und ihr müsst das jetzt alle sehr schlimm finden.`“

„Da kann ich also im Geschichtsunterricht in der 9. Klasse nicht nur sagen:
`Das war die NS-Zeit und ihr müsst das jetzt alle sehr schlimm finden.`“


Birgit Haupt und Rolf Rätzner

Für den Vorsitzenden des Wirtschafts- und Industrieclubs, Rolf Rätzner, kommt Ignoranz gegenüber rechten Aufmärschen ebenfalls nicht in Frage: „Dafür sind die Fakten zu deutlich, dafür ist die Geschichte zu deutlich.“ Ob der Protest dagegen ein probates Mittel sei, ist für den Unternehmer nicht klar: „Ich weis nicht?“ Für ihn gilt der Grundsatz: „Was man nicht verbieten kann, dass muss man tolerieren.“ Man könne auch mit Rechtsextremen in der Öffentlichkeit nicht nach der Devise verfahren: „ Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Rätzner spricht sich deshalb für ein klares Verbot aus auch wenn er sich wohl darüber klar ist, dass eine solche Strategie auch wirkungslos verpuffen könne: „Ich weis, was man verbietet sucht nach Auswegen.“ Deutlich äußert der Diskutant Kritik an der Bundesregierung und meint damit vor allem den aus seiner Sicht zu laxen Umgang mit einem möglichen NPD-Verbot, aber auch die Praxis vieler Verwaltungsgerichte.

„Was man nicht verbieten kann, dass muss man tolerieren.“


Prof. Oswalt widerspricht hier seinem Vorredner: „Der Kern muss sein, dass wir die demokratischen Regeln bei behalten.“ Das hohe Gut der Versammlungsfreiheit, gelte nun einmal auch für Nazis. Oswalt warnt ausdrücklich vor der Gefahr, den Rechtsstaat temporär auszuhebeln. Wohin das führe, habe schließlich die Terrorismusbekämpfung der Bush-Regierung gezeigt. Für den Bauhaus-Direktor scheint klar, dass gerade hier rechtsstaatliche Standards permanent gebrochen worden seien.


Grit Lichtblau gibt sich mit den bisherigen Beiträgen noch nicht zufrieden und hakt nach: „Muss ein demokratischer Rechtsstaat Neonaziaufmärsche tatsächlich aushalten?“

Kirchenpräsident Liebig antwortet darauf mit einem verschmitzten Lächeln: „Es ist eine alte Erkenntnis, dass Demokratie nicht einfach so vom Himmel fällt. Dafür bis ich ja sonst der Experte.“ Man müsse der Bürgerschaft viel mehr vermitteln, dass ein solcher brauner Spuk alle angehe, eben nicht nur die Berufspolitiker: „Da geht doch unsere Lebensqualität verloren.“ Möglichst viele Menschen müssten klar Position beziehen und Gesicht zeigen. Tun sie es am 07. März nicht, wäre das auch ein klares Bekenntnis, eine „Lebenshaltung“, nämlich ein Ausdruck von Desinteresse und Lethargie, den die Stadt gerade jetzt am wenigsten brauche. Eine solche Reaktion, da ist sich der Kirchenpräsident sicher, würde so gar nicht zur hiesigen Tradition passen: „Das ist eine für Anhalt typische Frage: Die der Aufklärung.“ Dies sei ja am Ende ein sehr „optimistisches Konzept“, an dem es gelte am kommenden Samstag anzuknüpfen. Das Bauhaus, sagt er mit Blick auf Prof. Oswalt, wäre schließlich eine späte Folge dieser Aufklärung. Und aufklären, ja demaskieren, müsse man insbesondere die Hintergründe und Motivlagen der Nazis, gerade am 07. März durch die Stadt zu ziehen: „Die dort mit der Geschichtsklitterung auftreten, das sind Lügner. Hier werden ganz bewusst Ursache und Wirkung vertauscht. Das ist böse.“ Damit spielt der Leiter der Evangelischen Landeskirche Anhalts ganz offensichtlich darauf an, das Neonazis im Januar in Magdeburg, im Februar in Dresden und im März in Dessau immer wieder versuchen, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu leugnen und allein die deutschen Opfer, die bei kriegsnotwendigen militärischen Aktionen ums Leben kamen, ins Zentrum der Erinnerung zu stellen.

"Es ist eine alte Erkenntnis, dass Demokratie nicht einfach so vom Himmel
fällt. Dafür bis ich ja sonst der Experte.“

„Die dort mit der Geschichtsklitterung auftreten, das sind Lügner. Hier
werden ganz bewusst Ursache und Wirkung vertauscht. Das ist böse.“


„In einem gewissen Rahmen – ja.“, antwortet Klemens Koschig auf die gleiche Frage. Der Oberbürgermeister erinnert daran, dass der organisierte Rechtsextremismus schließlich auch im Kommunalparlament vertreten ist: „Es hat ausreichend Mitbürger in unserer Stadt gegeben, die bereit waren einem Rechtsextremisten die Stimme zu geben.“ Für ihn sei es immer wieder erschreckend, wie der ansonsten bieder wirkende Dessauer Rechtsanwalt Ingmar Knop (DVU), in Stadtratssitzungen ans Mikro trete und dort seine Maske fallen lasse (mehr dazu hier...): „Er benutzt dann ein Vokabular aus der NS-Zeit.“ „Natürlich“, das ist sich Koschig sicher, gehöre zu offensiven Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus Mut. Doch viel Mut habe es bedurft, vor 20 Jahren auf die Straße zu gehen und in der DDR eine Demokratisierung einzufordern. Auch Koschig erinnert daran, dass Anhalt bereits einige Monate vor Hitlers Machtübernahme eine durch die NSDAP geführte Landesregierung hatte (mehr dazu hier...). Die Bombardierung der zivilen Teile der Stadt empfindet er trotzdem als nicht zu rechtfertigen: „Ich hatte ein großes Problem damit, als ich in London das Denkmal von Bomber-Harris gesehen habe.“

„Er benutzt dann ein Vokabular aus der NS-Zeit.“

„Ich hatte ein großes Problem damit, als ich in London das Denkmal
von Bomber-Harris gesehen habe.“


Bauhausdirektor Oswalt betont: „Die Bombardierung der Zivilbevölkerung war ein Verbrechen. Diese Verbrechen haben aber die Deutschen erfunden.“ Außerdem sei bei der Debatte nicht zu vergessen, dass Dessau während der NS-Zeit tatsächlich ein Rüstungszentrum war (mehr dazu hier...).



„Die Bombardierung der Zivilbevölkerung war ein Verbrechen. Diese
Verbrechen haben aber die Deutschen erfunden.“

Moderatorin Lichtblau konfrontiert das Podium mit harten Zahlen und Fakten. Innenminister Hövelmann habe erst heute verkündet, dass die rechten Straftaten im Land erneut um fast ein Viertel gestiegen sind und damit das hohe Niveau aus dem Jahre 2006 erneut erreicht haben. Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt habe für 2008 zudem bilanziert, dass es in der Region Anhalt insgesamt 42 rechte Gewalttaten gegeben habe, davon allein 25 in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...).

Für Birgit Haupt kann diesem negativen Trend vor allem mit präventiven Projekten begegnet werden. Auch deshalb habe man sich in der Ganztagsschule entschlossen, eine Schule ohne Rassismus zu werden. Mit „handlungsorientierten Konzepten“ konnten im Schulalltag bislang die besten Erfahrungen gesammelt werden. Eine altersgerechte Aufbereitung sei dabei unerlässlich. So habe man schon in der 5. Klasse den Nationalsozialismus thematisiert und dabei gefragt: „Wie lebten Kinder in der NS-Zeit?“ Der direkte Weg, sei oftmals der wirksamere. Zudem sei das Kollegium bestrebt, eine tatsächliche Beteiligungsorientierung in der Schule zu zulassen. Nach der Prämisse „Kinder gestalten für Kinder“, würden so beispielsweise Neuntklässler das Drachenfest der 5. vorbereiten: „Daraus ergibt sich Akzeptanz und Toleranz.“ Auf diese direkte Partizipation setze man dann auch bei der Kampagne „Schule ohne Rassismus“. Und dies, komme sehr gut an: „Die Kinder sind da Feuer und Flamme.“ Doch unumwunden zeigt sie die Grenzen pädagogischer Intervention auf: „Wenn ich Jugendliche habe, die tief in die rechte Szene abgerutscht sind, kann ich mit denen nicht mehr argumentieren.“ Um es erst gar nicht soweit kommen zu lassen, wären eine Berufsfrühorientierung ein Mittel. Wenn jungen Menschen eine Perspektive eröffnet werde, sei die Präferenz zu rechten Deutungs- und Handlungsmustern unter den SchülerInnen deutlich geringer.

„Die Kinder sind da Feuer und Flamme.“


„Wenn ich Jugendliche habe, die tief in die rechte Szene abgerutscht sind,
kann ich mit denen nicht mehr argumentieren.“



Für Prof. Oswalt ist zunächst die Frage von Belang, wie man den aktuell verfassten Rechtsextremismus und deren Akteure eigentlich erkenne: „Die laufen ja heute nicht mehr mit Glatze und Springerstiefel rum.“ Für ihn gibt es viele Grauzonen, die schon beim rassistischen Stammtischwitz anfangen. Harsch kritisiert er die „unpolitischen Erklärungsansätze“, die immer noch zu oft zu hören wären. Als Direktor formuliert er zugleich ein Angebot für die hiesige Träger- und Initiativenlandschaft: „Als Stiftung würden wir uns freuen, mit Akteuren aus der Stadt gemeinsam etwas zu machen.“ Die Begründung fällt ihm dabei nicht schwer: „Schließlich ist die Geschichte des Bauhauses eine Migrationsgeschichte als Erfolgsgeschichte.“

„Die laufen ja heute nicht mehr mit Glatze und Springerstiefel rum.“

„Man muss eine Meinung haben und diese auch nach Außen tragen. Wir sollten nicht wegschauen.“, antwortet Rolf Rätzner auf die Frage, was denn die Wirtschaft für eine stärkere Sensibilisierung der demokratischen Öffentlichkeit tun könne. Schließlich würden gerade Unternehmer immer wieder im Ausland gefragt: „Warum macht ihr mit dem Rechtsextremismus nicht endlich Schluss?“ Konkrete Ideen, wie sich lokale Unternehmungen hier noch deutlicher positionieren können, wollen dem Vorsitzenden des Wirtschafts- und Industrieclubs an diesem Abend nicht so recht einfallen. Stattdessen wirft er die Frage der Rechtssicherheit auf, gerade wenn es darum ginge, Zivilcourage zu zeigen. Für Rätzner sticht die Verbotskarte nach wie vor am besten: „Ich weis nicht, ob Demokratie das alles abkönnen muss. Ich bin kein Mensch, der sich erschiessen lässt und sich anschließend wehrt.“

„Warum macht ihr mit dem Rechtsextremismus nicht endlich Schluss?“


Auf die finale Frage, ob denn auch Blockaden rechter Aufmärsche mit friedlichen und demokratischen Mitteln eine vorstellbare Protestform sein könnte, erhält die Moderatorin Grit Lichtblau zunächst eine abschlägige Antwort. Für Rolf Rätzner grenzt bereits die Vorstellung daran an Provokation und diese, so der Unternehmer weiter, könnten auch immer eine Konfrontation auslösen. Gegen witzige Aktionen mit provokativen Charakter, hat Kirchenpräsident Liebig nichts einzuwenden. Doch die Gewaltlosigkeit, müsse als demokratischer Standard immer gewährleistet sein. Prof. Oswalt findet: „Wenn Leute meinen es so machen zu wollen, werden ich nicht sagen das es indiskutabel ist.“

„Wenn Leute meinen es so machen zu wollen, werden ich nicht sagen das es
indiskutabel ist.“

Zum Abschluss einer jeden Podiumsdiskussion gehört das offene Mikro. Das Publikum hat nun die Möglichkeit, sich einzubringen, Koreferate zu halten oder einfach nur eine Frage zu stellen.

Ein Diskutant sieht derweil gerade in Zeiten der globalen Wirtschaftskrise die Widersprüche im Kapitalismus größer werden und leitet daraus die Möglichkeit ab, dass die einfachen Erklärungsansätze von Rechtsextremisten zusehends attraktiver werden könnten. „Ich habe ein ungutes Gefühl bei vorschnellen Parallelisierungen.“, sagt Kirchenpräsident Liebig. Für ihn ist die aktuelle Finanzkrise nicht mit dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft in der Weimarer Republik vergleichbar.

„Ich habe ein ungutes Gefühl bei vorschnellen Parallelisierungen.“



Oberstaatsanwalt Volker Bittmann meint: „Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft eingreifen müssen, ist es eigentlich schon zu spät.“ Er ruft den Staat und die Zivilgesellschaft gemeinsam dazu auf, wirksame Strategie zur Demokratieentwicklung und Rechtsextremismusprävention zu entwickeln. In einigen Regionen, sei es den Rechten bereits gelungen, die faktische Ordnungsmacht an sich zu reißen: „Wir haben in einigen Dörfern bereits jetzt eine Art Terrorherrschaft.“ Auch der brutale Mord im August 2008 am Dessauer Hauptbahnhof, trage solche antizivilisatorischen Züge. Die beiden Täter, die einen kranken Menschen bestialisch umgebracht hatten, sind bekennende Neonazis: „Beide sind aus der rechten Szene und ohne diesen Hintergrund wäre die Tat nicht denkbar gewesen.“

„Beide sind aus der rechten Szene und ohne diesen Hintergrund wäre die
Tat nicht denkbar gewesen.“

Ein Gast stellt hinsichtlich rechtsextremer Gewalttäter fest: „Es ist diese Gesellschaft, die solche Menschen hervorbringt.“ Da reiche es eben nicht aus, Broschüren mit dem Titel „Wenn die Glatzen an der Ecke stehen“ zu verteilen. Für ihn ist vor allem das eklatante Bildungsdefizit ein Grund dafür, dass so viele Menschen auf die sozialpopulistischen Parolen der Nazis ansprechen würden. Fast obligatorisch endet er mit einem bekannten Brechtzitat: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Klemens Koschig mahnt hier eine geschichtliche Differenzierung an (mehr dazu hier...): „Es gab auch in der DDR einen fruchtbaren Schoß. Sonst wären die Nazis im Osten so schnell hochgekommen. Das hat es wohl immer gegeben, natürlich erfolgreich unterdrückt.“

„Es gab auch in der DDR einen fruchtbaren Schoß."

Der Dessauer Stadtrat Stefan Giese-Rehm sieht eine Intervention der Demokraten am 07. März 2009 als notwendig an, ruft dazu auf die Stadt an diesem Tag bunt zu gestalten und schränkt dennoch ein: „Das ist im wesentlichen eine Art Reparaturbetrieb.“ Vor allem müssten soziale Standards gewahrt werden. Als Beispiel nennt er ein warmes Mittagessen für jedes schulpflichtige Kind. Viele Familien, so Giese-Rehm, könnten sich nicht einmal das leisten. Und genau aus diesem Gefühl des Allein-Gelassen-Werdens, würden sich rassistische und rechtsextreme Stereotype speisen.



„Das ist im wesentlichen eine Art Reparaturbetrieb.“

Der Bauhaus-Direktor Prof. Oswalt meint sein Schlussstatement vorsichtshalber mit einem Fettnäpfchenverdacht markieren zu müssen: „Das ist ein Zeichen nach draußen, das fatal ist.“ Damit spielt er auf den Fall Oury Jalloh (mehr dazu hier...) und darauf an, dass hier eine staatliche Institution seiner Vorbildfunktion wohl kaum angemessen nachgekommen sei. Der große Aufschrei im Saal, blieb indes aus.

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt