Beratungsprojekte aus der Region Anhalt ziehen Bilanz

rechte Gewalttaten 2009 leicht zurückgegangen / Chronik verzeichnet insgesamt 197 Meldungen / Doppelstadt Dessau-Roßlau einmal mehr Hochburg neonazistischer Aktivitäten

Insgesamt 32 mal haben Neonazis im vergangenen Jahr zugeschlagen, bedroht und beleidigt. Die Bilanz der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt verzeichnet einen leichten Rückgang der Zahlen der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen (mehr dazu hier...) sollte, dass sich vor allem in Dessau-Roßlau ein negativer Trend der vergangenen Jahre fortgesetzt hat: Die Stadt ist ein Zentrum rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt. Die registrierten Aktivitäten extrem rechter Gruppen zwischen Aken und Zerbst, Abstdorf und Zörbig bewegen sich nach wie vor auf einem hohen Niveau. Im Schnitt erfasste das Mobile Beratungsteam (Projekt gegenPart) damit pro Woche vier rechte Ereignislagen zwischen Elbe und Saale (mehr dazu hier...). Die Dunkelziffer dürfte dabei beträchtlich sein, weil viele Ereignisse nicht bekannt werden oder zur Anzeige gelangen. Die wieder etwas ausdifferenzierte Szene aus Kameradschaften und NPD-Strukturen hat im Jahr 2009 nur wenig von ihrer Kampagnenfähigkeit eingebüßt. Und die nächste Herausforderung für das demokratische Gemeinwesen steht bereits vor der Tür: Ein Naziaufmarsch am 13. März 2010 durch die Dessauer Innenstadt (mehr dazu hier…).

Angriffsstatistik der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt 2009

Von Januar bis Dezember 2009 sind der Dessauer Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg 32 Angriffe mit einem rechten Hintergrund bekannt geworden. Gegenüber den Jahr 2008 sind dies 8 Angriffe (20 %) weniger.

Auf den Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle verteilen sich die 32 Angriffe wie folgt:



Rund 70 Prozent aller Angriffe aus dem Jahr 2009 haben in der Doppelstadt Dessau-Roßlau stattgefunden.

Von den 32 Angriffen waren mindestens 44 Personen direkt betroffen, wobei 38 männlichen (86%) und 6 weiblichen (14 %) Geschlechts waren. Den 44 Opfern jeweils einen Straftatbestand zugeordnet, ergibt folgendes Bild:



Die Einteilung der 44 Personen nach Opfergruppen und vermuteter Tatmotivation ergibt folgende grafische Darstellung:



Vergleich der Angriffe Jahr 2007 bis Jahr 2009 nach Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle:



Vergleich der Angriffe Jahr 2004 bis Jahr 2009:



Bilanz des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus

Die Analyse der vom Beratungsteam (Projekt gegenPart) begleiteten Prozesse unterfüttert den Trend, dass in Dessau-Roßlau die mit Abstand meisten rechtsextremen Aktivitäten festzustellen sind. Von den insgesamt 40 Fällen die das Projekt im vergangenen Jahr betreute, spielten sich genau die Hälfte (20) in der Doppelstadt ab. 11 Fälle waren im Landkreis Wittenberg zu verzeichnen und 9 Beratungen fanden in Anhalt-Bitterfeld statt.

Quelle/Graphik: Projekt gegenPart

Zugleich belegen die Zahlen, dass das Unterstützungsangebot des Mobilen Beratungsteams in der hiesigen Kommunalpolitik, der Verwaltung und der Träger- und Initiativenlandschaft angekommen ist, angenommen wird und somit eine höhere Sensibilisierung zu verzeichnen ist.

Quelle/Graphik: Projekt gegenPart

Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt


Die vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (Projekt gegenPart) erstellte Chronik rechter Straftaten, Propagandadelikte und Ereignislagen weist für das Jahr 2009 insgesamt 197 Meldungen auf (Vergleichszeitraum 2008: 220). Das entspricht einem leichten Rückgang um 10% (mehr dazu hier...).

Wie bereits im ersten Halbjahr 2009, ist auch in der Gesamtschau vor allem bei den bekanntgewordenen Propagandadelikten eine Abnahme um 15% zu verzeichnen. Im Berichtszeitraum haben zudem Aktivitäten im öffentlichen Raum (Kundgebungen, Demonstrationen u. ä.) geringfügig abgenommen.

Mit 88 Chronikeinträgen sind demnach 45 % aller festgestellten Meldungen dem Stadtgebiet zu zurechnen.


Immer wieder sind in der Region rechte Propagandadelikte zu verzeichnen, wie hier ein aufgetragenes Hakenkreuz in Bitterfeld (mehr dazu hier...)

Für diese  Entwicklungen lassen sich bei genauerer Betrachtung mehrere Erklärungsansätze finden. Die erhöhte Strafverfolgung und der gestiegene Repressionsdruck in die Szene hinein, wirken sich womöglich vor allem auf öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten aus. Hinzu kommt, dass einige maßgebliche Akteure extrem rechter Strukturen derzeit in Haft sitzen und somit oftmals der motivierende Anstoss - beispielsweise um Propagandadelikte zu begehen - zu fehlen scheint. Die Vielzahl von engagierten Projekten für Demokratie und Toleranz, haben zudem die Sensibilisierung für die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus - und damit deren breitere Ächtung - weiter profiliert.

Fakt ist jedoch: Der Schwerpunkt des jugendkulturell geprägten Rechtsextremismus in der Region Anhalt ist einmal mehr die Stadt Dessau-Roßlau. Mit 88 Chronikeinträgen sind demnach 45 % aller festgestellten Meldungen dem Stadtgebiet zu zurechnen.

neonazistische Kameradschaften und rechtsextreme Personenzusammenschlüsse

Im vergangenen Jahr hat das Projekt gegenPart intensiv die Aktivitäten der fünf in der Region aktiven Neonazikameradschaften beobachtet (2008: 4 Kameradschaften) (mehr dazu hier...). Mit dem rechtsextremen Personenzusammenschluss „Freie Nationalisten Anhalt-Bitterfeld“ hat sich insbesondere im 2. Halbjahr eine weitere Gruppierung fest in der Region etabliert.


Neonazis aus der Region auf einer Kundgebung am 20. Juni 2009 (mehr dazu hier...)

Mit den Kameradschaften „Freie Nationalisten Cöthen/Anhalt“ und „Freie Nationalisten Aken/Elbe“ sind damit allein im Landkreis Anhalt-Bitterfeld nach wie vor drei rechtsextreme Personenzusammenschlüsse aktiv. Für die Neonazikameradschaft "Freie Nationalisten Dessau" stellt die von ihnen als "Trauermarsch" bezeichnete Demonstration im Zusammenhang mit der Bombardierung der Stadt im 2. Weltkrieg, ein identitätsstiftenden Höhepunkt dar. Deutlich zugenommen haben in der Stadt zudem rechtsextrem motivierte Bedrohungen, die zumeist in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Verhandlungen am hiesigen Landgericht stehen und dem Umfeld der Kameradschaft eindeutig zu zuordnen sind. Nach Angaben der Opferberatungsstelle gehen Neonazis verstärkt dazu über, ihre Opfer nach deren Anzeigenerstattung bei der Polizei einzuschüchtern. In Einzelfällen sind die Geschädigten von dieses Situationen so geschockt, dass eine psychologische Betreuung erforderlich ist.



Die neonazistische NPD

In der Region sind mit den Kreisverbänden „Wittenberg“ und „Anhalt-Wolfen-Dessau“ zwei Basisorganisationen der neonazistischen Kampfpartei manifest. Das Verhältnis zwischen Neonazis und der NPD hat sich im letzten halben Jahr jedoch deutlich abgekühlt. Während vorher eine enge organisatorische und personelle Verflechtung im extrem rechten Spektrum die Regel war (mehr dazu hier...), orientiert sich Neonazis mittlerweile wieder stärker am Konzept der "freien" Kameradschaften.

Ein Resümee

Nach der Annäherung von NPD und Kameradschaftsstrukturen der letzten Jahre, die nie ohne Spannungen und Reibungspunkte verlief, ist in der Region eine erneute Ausdifferenzierung zu erkennen. Auf die Kampagnenfähigkeit der Szene insgesamt, hat dies jedoch kaum einen nennenswerten Einfluss. Ein vestärktes selbstständiges Agieren der rechtsextremen Personnenzusammenschlüsse ist ebenso zu beobachten, wie ein im hohen Maße vernetzter "harter Kern" von extrem rechten Überzeugungstätern.

Ein erfreuliches Beispiel für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus hier in der Region ist die Schließung des Szeneladens "Rødberg" in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...). Bereits wenige Wochen nach der Geschäftseröffnung entfaltete das Bündnis gegen Rechtsextremismus erste Aktivitäten, um die lokale Öffentlichkeit über die Hintergründe des Verkaufsgeschäftes zu informieren. Zu diesem Prozess, der maßgeblich vom Mobilen Beratungsteam unterstützt und begleitet wurde, gehörte dabei auch die Ansprache und damit einhergehende Sensibilisierung des zuständigen Vermieters. Die verantwortliche Immobilienfirma mit Sitz in Göttingen stand von Anfang an dem Anliegen der zivilgesellschaftlichen Initiativen positiv gegenüber und sicherte zu, alle möglichen Schritte zu prüfen, um die Auflösung des Mietvertrages zu erwirken. Im Rahmen dieser juristischen Bemühungen gelang es dann, den Auszug des Geschäftes zu veranlassen.


der Szene-Laden Rødberg musste nach Protesten aus der WAgner-Passage in Dessau ausziehen

Da, wo es engagierte Initiativen und entschlossenen Handeln gibt, kann rechte Infrastruktur also offenbar eingedämmt werden. Gibt es eine Sensibilisierung und die öffentliche Debatte nicht oder nur unzureichend, verfestigen sich Strukturen und erschweren die Wirksamkeit von präventiv und interventionistisch angelegten Lösungsstrategien.  

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt