Neonazi ist "förmlich ausgetickt und hat sich eine Waffe geschnappt“

Neonazi erhielt achtmonatige Haftstrafe // Urteile wegen anderer Gewalttaten stehen noch aus // Lokal nach Attacken aus der Neonaziszene geschlossen

Am 13. April 2010 wurde vor dem Amtsgericht Bitterfeld gegen den 1990 geborenen Stefan W. u.a. wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, versuchte gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verhandelt. Richterin Engshuber am Amtsgericht Bitterfeld sah es abschließend als erwiesen an, dass der Angeklagte in der Nacht zum 10. Juli 2009 „förmlich ausgetickt“ sei. Stefan W., der auch mit der Neonazikameradschaft „Freie Nationslisten Anhalt-Bitterfeld“ an Demonstrationen der extrem rechten Szene teilgenommen hatte, war vorgeworfen worden, dass er vor einem Restaurant in der Bitterfelder Innenstadt Personen mit einer Waffe erst bedroht und anschließend auch auf diese geschossen haben soll. Kurze Zeit später soll er wieder zurückgekehrt sein und mit einem „Butterfly-Messer“ bewaffnet versucht haben, sich Zutritt zum Restaurant zu verschaffen. Zudem soll der Angeklagte auch die eingetroffenen Polizeibeamten mit dem in Deutschland verbotenen Messer bedroht und getreten haben.

Der Angeklagte, im Gerichtssaal erschienen mit „Thor Steinar“-Jacke und „ACAB“-Tätowierung (steht gemeinhin für „All Cops are Bastards“), zeigte sich anfangs noch überzeugt, in der Nacht zum 10. Juli 2009 keine Waffe mit sich geführt oder überhaupt besessen zu haben. Ferner wollte er an diesem Abend auch nicht vor dem Restaurant „KostBar“ in der Walther-Rathenau-Straße gewesen sein. Vielmehr hätte er mit Freunden getrunken, wie sie es Freitags häufig zusammen tun würden. Dass die „KostBar“ damals mit eigener Videotechnik im Außenbereich ausgestattet war, habe Stefan W. gewusst, wie er selbst bestätigt. Erst als Richterin Engshuber auf die entsprechenden Videoprints in der Ermittlungsakte hinwies und ihm den Polizeibeamten, der das Material derzeit ausgewertet hatte, als Zeugen ankündigte, schien der Angeklagte nachdenklicher zu werden. Ein Freispruch würde mit „absoluter Sicherheit nicht“ für ihn rauskommen, so Richterin Engshuber. Zudem werde ihm die Straftat, wegen der er gegenwärtig in Untersuchungshaft verweile, noch zusätzliche Haftzeit einbringen, sagte Engshuber ihm voraus.

Untersuchungshaft: Kieferbruch und bewusstlos geprügelt und weitere gefährliche Körperverletzungen

W. sitzt seit 05. Februar 2010 in Untersuchungshaft, wie Pressesprecher Straube am Landgericht Dessau-Roßlau auf Nachfrage bestätigte, weil er mit einem weiteren Tatverdächtigen in der Silvesternacht 2009/2010 zwei alternative Jugendliche erst mit „Scheiß Zecken“ beleidigt und dann u.a. mit einem Teleskopschlagstock so schwer misshandelt haben soll, dass einer der Geschädigten zeitweilig bewusstlos gewesen sei (mehr dazu hier...). Neben Hämatomen hätten die Angegriffenen an diesem Neujahrsmorgen noch den Verlust eines Schneidezahn und einen Kieferbruch zu erleiden gehabt. Am 22. Januar 2010 soll er mit dem selben und noch weiteren Mittätern zusammen in Sandersdorf in einer Privatwohnung mit einem weiteren später Geschädigten etwas zu klären gehabt haben. Sein Opfer mit einer abgebrochenen Flasche am Hals verletzt zu haben brachte ihm die nächste Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung ein. Dann folgte am 05. Februar 2010 die Inhaftierung per Haftbefehl.


Stefan W. (Bildmitte) bei Neonazikundgebung am 20. Juni 2009 in Dessau-Roßlau

„Gib her, du machst ja eh nur Scheiß damit – wenn du nicht schon was gemacht hast.“

„Wenn die Bilder sagen, dass ich darauf geschossen habe, dann werde ich darauf geschossen haben“, lässt sich Stefan W. nach kurzer Bedenkzeit ein, bevor Staatsschutzbeamte im Zeugenstand aussagen sollten. Dass ihm in der Untersuchungshaft bewusst geworden sei, „was für Scheiß“ er in Vergangenheit alles angestellt habe, hatte Stefan W. bereits zu Protokoll gegeben. Nach dem zögerlichen Schuldeingeständnis fiel ihm auch wieder ein, dass es eine „Walther CP99“ gewesen sei (eine Sportwaffe, mit der mittels CO2-Luftdruck Diabolos verschossen werden könnten), die er im Waffenladen im benachbarten Bobbau gekauft hatte. Als Stefan W. in dieser Nacht bei seinem Bekannten wieder auftauchte, hätte ihm der dort anwesende Sven W. die Waffe abgenommen und gesagt: „Gib her, du machst ja eh nur Scheiß damit – wenn du nicht schon was gemacht hast.“ Sein Bekannter sollte Recht behalten. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte bereits bewaffnet an der „KostBar“ gewesen und ein Teil der hier verhandelten Straftaten war bereits geschehen. Der damalige Betreiber „Herr P. und ich konnten uns nicht riechen … aus persönlichen und anderen Gründen“, gibt der Angeklagte auf Nachfrage zu Protokoll, warum er ausgerechnet vor diesem Lokal mit der Waffe aufgetaucht sei.

„Weil eine ganz bestimmte Gruppe, zu der sie gehören, es geschafft haben“

Die „anderen Gründe“ seien „politische Gründe“, gibt er später an. Er selbst vertrete „eine rechte Meinung“ und der damalige Lokalbetreiber sei, nach Aussage des Angeklagten, wohl „linksorientiert“. Richterin Engshuber machte nach dieser Aussage dem Angeklagten Stefan W. unmissverständlich klar, nicht akzeptieren zu wollen, wenn jemand einem anderen Menschen seine Meinung aufzuzwingen versuche. Regelrecht entrüstet kam die Richterin darauf zu sprechen, dass die „KostBar“ mittlerweile geschlossen sei. „Genau weil eine ganz bestimmte Gruppe, zu der sie gehören, es geschafft haben“, warf sie dem Angeklagte vor. Auch der damalige Betreiber der „KostBar“ gibt im Zeugenstand zu Protokoll, dass das Restaurant seit November letzten Jahres geschlossen sei, „weil es keine Punkte bringt, wenn dauernd irgendwelche Leute randalieren und etwas kaputtschlagen“ würden. Neben Sachbeschädigungen und mehreren Bedrohungen hätte es auch einen versuchten Brandanschlag mit einem Molotowcocktail auf das Restaurant gegeben. Verhandlungen dazu stünden gegenwärtig noch aus. Die Täter, so P., seien dabei wohl immer aus der rechten Szene gewesen.


Amtsgericht Bitterfeld

„Später stand er dann mit einem Messer vor der Tür“

Den Angeklagten kenne der Zeuge P., weil dieser in der Nähe seines ehemaligen Lokals häufig verkehrt sei. An dem besagten Abend, erinnerte sich P., sei der Angeklagte vor dem Lokal plötzlich aufgetaucht und hätte mit einer Pistole „rumgeballert“. Nachdem der Lokalbetreiber dann auf die Straße rausgegangen sei, hätte Stefan W. mit der Waffe auf ihn gezielt und auch geschossen – habe aber nur das Werbeschild über ihm getroffen. Eine leichte Eindellung zeugte anschließend davon. P. erinnert sich auch noch, dass der Angeklagte im Zuge dessen „irgendwelche Parolen gerufen“ habe. Die daraufhin gerufene Polizei sei erst etwa 30 Minuten später eingetroffen, meint P. sich zu erinnern. „Später stand er (Stefan W.) dann mit einem Messer vor der Tür“, gibt der Zeuge weiter zu Protokoll. Die Polizei sei da bereits wieder weg gewesen. Mit Gästen zusammen hätten sie dann die Tür zugehalten, als der Angeklagte sich Zutritt zum Lokal verschaffen wollte. „Ich wollte keinen damit verletzen“, hatte W. ausgesagt. Er will es nur deswegen mit sich geführt haben, weil die „KostBar“ an diesem Abend halt voll gewesen sei.

„Weil es mal wieder eine Auseinandersetzung gegeben haben soll“

Auch Polizeibeamte, die an diesem Abend vor Ort waren, gaben zu Protokoll: „Zur ‚KostBar‘ wurden wir öfter gerufen.“ An diesem Abend sei der Grund dafür gewesen, „weil es mal wieder eine Auseinandersetzung gegeben haben soll.“ Die Polizeibeamten hätten den Täter aufgefordert das Messer zu übergeben. Nachdem auch die Androhung des Einsatzes von Pfefferspray nicht die gewünschte Reaktion beim Täter erzeugte, wollte dieser in die Hausnummer 40 der selbigen Straße fliehen. Unter Einsatz des Reizgases hätten die Beamten die Flucht dann verhindert, Stefan W. entwaffnet und überwältigt. Dieser habe dabei auch nach den Beamten getreten, gaben diese an. W. sei „ziemlich aufgeputscht“ gewesen, aber ob das allein auf Alkohol zurückzuführen gewesen sei, „lässt sich ganz schlecht sagen“, so der Polizeibeamte Andreas P. im Zeugenstand.


Stefan W. mit Unterarmtattoo: "Skin 88"

trotz zweier Hausdurchsuchungen bleibt Pistole unauffindbar

Seine Freundin, zu der der Angeklagte wohl hätte flüchten wollen, gewehrte den Polizeibeamten im Anschluss bereitwillig in der Wohnung nach der zuvor eingesetzten Pistole zu suchen. Von einer Schusswaffe hätte sie selbst aber offenkundig keine Kenntnis gehabt, lediglich die dazugehörigen Druckluftkartuschen hätte sie den Beamten übergeben, weil sie diese nicht in ihrer Wohnung hätte haben wollen, führte ein Polizeibeamter aus. Auch nach zwei Hausdurchsuchungen durch die Polizei konnte die Waffen nicht aufgefunden werden. Der Angeklagte gab an, diese zwar nach der Tatnacht von seinem Bekannten wieder bekommen zu haben, aber nach einem Umzug würde er sie gegenwärtig angeblich selbst nicht wieder finden können.

„Für mich war es sicher – hundertprozentig“

Mit den Hausdurchsuchungen, Zeugenvernehmungen und der weiteren abschließenden Bearbeitung des Falles war KOM Mario G. vom Fachkommissariat Staatsschutz der zuständigen Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost betraut gewesen. G. führte aus, dass ihm der Angeklagte Stefan W. schon länger aus seiner Arbeit bekannt sei. Der Kriminalobermeister (KOM) gibt zu Protokoll: „Für mich war es sicher – hundertprozentig“, dass es sich bei der Person auf dem Videomaterial um den Angeklagten Stefan W. gehandelt habe. Dieser sei drauf ständig auf und ab gegangen, hätte dabei mehrmals einen pistolenähnlichen Gegenstand in Richtung der Lokalität gehalten, auch das Durchladen der Waffe habe man erkennen können.


Amtsgericht Bitterfeld

„sittliche und persönliche Defizite“

Die Jugendgerichtshilfe bescheinigte dem Angeklagten aufgrund seiner prekären Kindheitsgeschichte „sittliche und persönliche Defizite“. Mit seiner Volljährigkeit habe der Angeklagte zudem selbst entschieden verschriebene Medikamente wegen seiner ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) nicht mehr einzunehmen. Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten weise neben Diebstahl und Beleidigung auch noch Eintragungen wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tateinheit mit Sachbeschädigung auf.

„Er ist an diesem Tag förmlich ausgetickt und hat sich eine Waffe geschnappt“

„Er ist an diesem Tag förmlich ausgetickt und hat sich eine Waffe geschnappt“, bringt es die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer auf den Punkt. Sie hielt dem Angeklagten zugute, dass er sich nach erstem Zögern doch noch geständig eingelassen habe, allerdings musste sie konstatieren, dass bisherige Strafmaßnahmen gegen Stefan W. scheinbar nie die gewollte Wirkung erzielt hätten. Sie forderte eine Jugendstrafe von zehn Monate für die hier verhandelten Straftaten. Der Angeklagte selbst mochte abschließend nichts mehr zu seiner Entlastung sagen. Richterin Engshuber urteilte daraufhin acht Monate ohne Bewährung für den Angeklagten. Sie führte aus, dass seine Alkoholisierung während der Taten aus ihrer Sicht keine Entschuldigung sei. Die Richterin attestierte dem Angeklagten „schädliche Neigungen“ und meinte: „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ihnen weiß Gott keine positive Sozialprognose erstellt werden.“ Stefan W. erklärte sich bereit, das Urteil anzunehmen, woraufhin auch die Staatsanwaltschaft ihrerseits dem Rechtsmittelverzicht zustimmte. 



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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt