„Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen“

Netzwerk protestiert mit Aktion LICHTER GEGEN RECHTS gegen Neonazikundgebung am 13. Februar 2015 in Dessau-Roßlau

Es ist schon dunkel, als sich rund 80 Menschen an der Dessauer Marienkirche treffen. Gekommen sind Stadträte ebenso, wie zahlreiche Mitglieder von Kirchengemeinden und Bürger_innen der Stadt. Selbst ein hiesiger Künstler in einem auffälligen Astronauten-Look gibt sich die Ehre. Das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE (mehr dazu hier...) hatte kurzfristig zu der Aktion “LICHTER GEGEN RECHTS – Keine rechte Geschichtsverfälschung in Dessau-Roßlau”  im Herzen der Stadt aufgerufen, um damit Gesicht zu zeigen und ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen gegen Intoleranz und den menschenverachtenden Ungeist, den Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum nur wenige Meter entfernt mit einer perfiden Inszenierung an der Dessauer Friedensglocke zelebrierten – nicht ohne auch dort auf lautstarken Protest zu treffen.

Anlass  für den braunen Spuk  ist der Jahrestag der Bombardierung der Stadt Dresden im 2. Weltkrieg. Rechtsextremisten, die dieses historische Datum seit Jahren mit Großaufmärschen für ihren ideologischen Zwecke auf der Straße instrumentalisieren, gehen nun auf Grund des erstarkten demokratischen Widerstands zusehends dazu über, auf eine so genannte „dezentrale Strategie“ zu setzen.

„Mit unserem Protest werden wir ein deutliches Zeichen für eine bunte Stadt und gegen die rechtsextremen Geschichtsverfälscher setzen.“, so Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch die zugleich im Netzwerk engagiert ist, im Vorfeld der Aktion. 80 Menschen sind  an jenen symbolischen Ort gekommen und stehen in einem großen Kreis mit Lichtern und Kerzen in der Hand. Sie sind an einen Platz zusammengeströmt, der wie kaum ein anderer in der Doppelstadt für den NS-Terror steht, war doch die Marienkirche als Ruine jahrzehntelang ein Mahnmal für den Krieg, der von Nazideutschland ausging.


Die Dessauer Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch spricht zur Kundgebung

Die Dessauer Kreisoberpfarrerin erinnert damit zugleich an die historische Verantwortung, an das Ringen um Vernunft, Klugheit und Besonnenheit in einem Land dass sich geschworen habe, nie wieder auf die Stimmen von Menschenverächtern und Mördern zu hören: „Wer nicht aus der Geschichte lernt, ist verdammt dazu, die gleichen Fehler und Versäumnisse zu begehen.“ Die Kirchenvertreterin will ihr Statement dabei auch ausdrücklich als Zeichen der Solidarität mit dem Gedenken der Dessauer Bürger_innen an die Zerstörung ihrer Stadt verstanden wissen. Dieses Erinnern sei notwendig und richtig, es dürfe jedoch nicht zu einer selektiven Wahrnehmung führen, die am Ende der Geschichtsverfälschung der extrem Rechten das Wort rede.





Dramaturgisch passend wird die Kundgebung mit Songs des Liedermachers Konstantin Wecker komplettiert, die lautstark aus der Box schallen. Einer davon mit dem Titel „SAGE NEIN“, klingt wie für dieses Anlass gemacht: „Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen.“

Soviel historische Differenziertheit ist von den Nazis indes nicht zu erwarten. Die stehen in Reih und Glied und mit martialischen Fackeln in der Hand, nur hundert Meter entfernt an der  Friedensglocke.  Rechtsextremisten aus dem Kameradschaftsspektrum aus Dessau und Bitterfeld sind ebenso gekommen, wie solche aus Magdeburg, Schönebeck und dem Saalekreis.  Insgesamt 40 Ewiggestrige sind schließlich dem Aufruf des bekennenden Dessauer Neonaziaktivisten Alexander Weinert (mehr dazu hier…) und (hier…), der den brauen Aufzug zugleich anmeldete, gefolgt.


Der Roßlauer NPD-Ortschaftsrat Marcel Kerner (Bildmitte mit br. Lederjacke) zur Nazikundgebung am 13. Februar 2015

Die ganz in schwarz gekleidete Truppe transportierte ein deutliches Bild, nämlich eins in der Tradition der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, des Hasses und der Menschenfeindlichkeit.  Auf ihren Transparenten transportieren die Menschenfeinde von rechts dabei die bekannten Parolen, die für die Selbstvergewisserung in der Szene nach wie vor identitätsstiftend sind. Von „Alliierten Bombenterror“, wahlweise „Dem Gedenken an die deutschen Opfer“ oder der von  „Kriegsverbrechern am Deutschen Volk“ ist da die Rede. Wie seit Jahren immer wieder das gleiche geschichtsklitternde Schmierentheater, in dem die Verursacher des 2. Weltkrieges ebenso wenig zur Sprache kommen, wie das unsägliche Leid das vom nationalsozialistischen Deutschland ausging. Diese selektive Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit kann nur einmal mehr als das bezeichnet werden, was sie wirklich ist: eine pathologische und in sich geschlossene Wahnvorstellung im Rang einer Verschwörungstheorie.


Der Dessauer NPD-Stadtrat Thomas Grey filmt Gegendemonstranten

Zum Glück möchte man sagen, folgt ein Therapieversuch auf dem Fuße, bleibt dieser ideologisch motivierte Realitätsverlust nicht unwidersprochen.  Rechts und links neben der Friedensglocke haben sich mindestens 60 Demonstrant_innen, vorwiegend alternative Jugendliche und Anhänger des Bündnisses „Dessau Nazifrei“ versammelt, und entrollen zwei Transparente. Auf dem einen ist plakativ einen Teil der lokalen Historie benannt, die wohl auch unschlüssige Passant_innen ansprechen soll. Dessau war im 3. Reich eine Stadt, die ihren Anteil am Holocaust, der systematischen Ermordung der europäischen Juden, nicht verleugnen kann. Mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B ermordeten die Nationalsozialisten mindestens 1 Millionen Menschen in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Dessau war Hauptproduktionsstandort dieses Giftgases (mehr dazu hier…).



Zurück zur Marienkirche. Dort stehen nach Abschluss der Protestveranstaltung noch zahlreiche Menschen in kleinen Grüppchen beieinander und diskutieren intensiv. Das beherrschende Thema ist dabei der 07. März 2015, der bereits  seine Schatten vorauswirft. An diesem Tag wollen Neonazis mit einem so genannten Trauermarsch durch die Stadt marschieren (mehr dazu hier…), um am Jahrestag der Bombardierung Dessaus mit ihrem kruden Mix aus Relativierung, Revisionismus und Geschichtsklitterung die Opfer des NS-Terrors zu verhöhnen.  Die demokratische Bürgergesellschaft ist darauf vorbereitet, steht doch die 3. Auflage der Aktion EINE MENSCHENKETTE FÜR DESSAU-ROSSLAU (mehr dazu hier…) in den Startlöchern, zu der erneut 3.000 Menschen erwartet werden.



 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt