„Wer sowas macht, nimmt den Tod billigend in Kauf von dem der da liegt.“


mutmaßliche Rechtsextreme werden nach beispiellosem Gewaltexzess teilweise zu Haftstrafen verurteilt // Opfer der fünf Angreifer nur durch großes Glück mit dem Leben davon gekommen // dauerhafte Schäden und zerstörte Berufslaufbahn als Folge

Am 23. Januar 2009 wurde am Landgericht Dessau das Urteil gegen fünf mutmaßliche Rechtsextreme aus dem Raum Jessen gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass das Quintett am 29. Juni des vergangenen Jahres einen ihnen nicht näher bekannten jungen Mann gemeinschaftlich so schwer verletzt haben, dass es nur besonderem Glück im Unglück zu verdanken sei, dass dieser heute noch am Leben ist. Weil die fünf Heranwachsenden glaubten ihr Opfer hätte sie bei einem Diebstahl beobachtet, wollten sie ihn später auf der Landstraße zur Rede stellen. Nachdem sie ihrem stark angetrunkenem Opfer erst mit Pfefferspray ins Gesicht sprühten, ihn zu Boden stießen und dann u.a. mit einem Schlagring auf ihn einprügelten und auch traten, schlugen zwei der Täter mit einem 44 Kilogramm schweren Sonnenschirmständer aus Beton dem 31-Jährigen auf den Kopf. Dieser erlitt dabei bleibende Schäden, wodurch es ihm nicht mehr möglich sein wird seine berufliche Laufbahn weiter auszuüben. Haftstrafen zwischen fünf Jahren und zwei Jahren und acht Monaten sowie eineinhalb Jahre Haft auf Bewährung ausgesetzt und Sozialstunden plus einen sozialen Trainingskurs sprach der vorsitzende Richter für diesen beispiellosen Gewaltexzess der Angeklagten aus. Die Motivation der Gewalttat war nicht auf den ersten Blick als rechtsextrem motiviert zu erkennen, aber doch in einer menschenfeindlichen Einstellung, wie sie in neonazistischen Denk- und Handlungsmustern häufig wiederzufinden ist.

„Es ist nicht von der Hand zu weisen, es gibt einige Anhaltspunkte dafür.“

„Es ist nicht von der Hand zu weisen, es gibt einige Anhaltspunkte dafür.“, meint Pressesprecher des Landgerichts Straube im Vorfeld des Prozesses, zu einer möglichen rechtsextremen Motivation für diesen Gewaltexzess. Im Prozessverlauf kommt zur Sprache, dass die Polizei nach der Gewalttat im Sommer auch die Garage des Haupttäters Martin M. durchsucht habe, die als Treffpunkt des Freundeskreises in Jessen bekannt gewesen sei. Hier hätten die Beamten u.a. Fahnen sichergestellt, wie sie in der Neonaziszene häufig Anwendung finden. Neben einer schwarz-weiß-roten und einer Landser-Fahne sollen dort auch noch diverse Bilder und Plakate gehangen haben, die eine neonazistische Einstellung der Nutzer dieses informellen Treffpunktes weitgehend untermauern würden. Am Rande des Prozesses ist zu erfahren, dass zudem auch noch eine Gitarre mit einem Hakenkreuz darauf sichergestellt worden sei. Der zweite Haupttäter Sebastian N. würde in Jessen meistens mit einer Rudolf-Hess-Jacke anzutreffen sein, zudem sei er jüngst erst vor dem Jugendgericht Wittenberg wegen eines Hitler-Grußes verurteilt worden. Auch gegen andere Angeklagten ist in Vergangenheit bereits wegen rechtsextrem motivierter Straftaten ermittelt worden.

„aus Angst, da der ein oder andere der Angeklagten der rechten Szene angehöre“

Bei Vernehmungen sollen die Angeklagten teilweise offen zu ihrer rechten Einstellung gestanden haben, das sei dort auch protokolliert worden, vor Gericht leugnen die Angeklagten ihre ideologische Anbindung. Im Publikum nehmen an jedem Verhandlungstag bis zu einem Dutzend junger „Volksgenossen“, wie es ein Prozessbeteiligter polemisch nennt, teil. „Division Thor Steinar“, „Skrewedriver“ und andere Slogans und Symboliken der rechten Szene sind an ihnen festzustellen. Ein Sympathisant der Angeklagten erscheint gar mit Schlips, Braunhemd und Jacke im Wehrmachtstarn im Gerichtssaal – seine stets unbeeindruckte Mimik lässt erahnen, dass er sich von dieser Gerichtsbarkeit einer „Besatzerregierung“, wie es in Neonazikreisen angesehen wird, nicht zu beeindrucken ist. Erst anonyme Hinweise brachten damals die Ermittlungen richtig in Gang. Der/die Hinweisgeber(in) wollten unerkannt bleiben, „aus Angst, da der ein oder andere der Angeklagten der rechten Szene angehöre“, sagt ein Ermittlungsbeamte des Revierkommissariats Jessen im Zeugenstand aus. Dem 58-jährigen Beamten selbst sind zumindest die beiden Hauptangeklagten aus seinem Arbeitsalltag heraus als rechtsextrem bekannt.

„Weil die so schön glitzerten.“

Die Nacht vom 28. zum 29. Juni 2008 stellt sich für die Prozessbevollmächtigten nach der Beweisaufnahme wie folgt dar: Die Angeklagten hielten sich zunächst in der Garage des Hauptangeklagten Martin M., Sohn der örtlichen Fleischereifamilie, auf. Später hätten sie sich entschlossen mit dem PKW von Martin M. zu einem Abiball in der Mehrzweckhalle in Holzdorf zu fahren, weil sie dort hätten „Bekannte treffen“ wollen. Eingeladen seien sie nicht gewesen und Abitur könne auch niemand von ihnen vorweisen. Da sie zu viel getrunken und Langeweile hatten, seien sie im Verlauf des Abends auf die Idee gekommen, Sportpokale, die in der Mehrzweckhalle präsentiert waren, zu stehlen. „Weil die so schön glitzerten.“, hätten sie die elf Sportpokale entwendet, so der Hauptangeklagter Martin M. . Um sie wieder loszuwerden, hätten sie das Diebesgut später in der Botanik versteckt.

„Sag mal, hast du was gesehen?“ // „ihm klar machen, dass er bestimmt nichts gesehen hat.“

Der später Geschädigte Tobias K.*, der Nebenkläger in diesem Verfahren ist, habe die Angeklagten in betrunkenem Zustand gefragt, ob sie ihn hätten ein Stück mitnehmen können, da er nicht gewusst habe, wie er nach Hause komme. Dies verneinten die Befragten. Da er letztendlich geäußert habe, notfalls auch im Kofferraum, wo derzeit das Diebesgut lagerte, mit zu fahren, seien die Angeklagten auf die Idee gekommen, er könnte ihre Straftat beobachtet haben. Auf der Fahrt nach Hause sahen die Täter Tobias K.* die Straße entlang laufen. Da sei der Entschluss im PKW geäußert worden, den möglichen Zeugen in die Mangel nehmen zu wollen. Sie hätten ihn „zur Sicherheit mal Fragen“ wollen, ob er von dem Diebstahl etwas gesehen habe. Für den vorsitzenden Richter Knief scheint das „nur mittellogisch“, einen potenziellen Zeugen zu fragen: „Sag mal, hast du was gesehen?“ Für Knief hört sich das eher an, wie „ihm klar machen, dass er bestimmt nichts gesehen hat.“

„Wir haben ihn gefragt, ob er uns anscheißen will und ob er uns gesehen hat.“

Die Angeklagten hätten angehalten und Tobias K.* einsteigen lassen, auf den Schoß genommen hätten sie den betrunkenen Mitfahrer. Etwas später seien sie am Straßenrand nahe einer Tankstelle und eines Imbisses angehalten und ausgestiegen. „Wir haben ihn gefragt, ob er uns anscheißen will und ob er uns gesehen hat.“, so ein Angeklagter. Der Befragte K.* habe darauf reagiert, als ob er gar nicht gewusst habe, worum es geht. „Aber wir waren uns ja nicht sicher.“, so die Angeklagten, wieso sie sich mit dieser Reaktion zu Frieden gegeben hätten.

„Da hat er komisch gelacht, da habe ich losgesprüht.“

Zu viert plus den folglich Geschädigten seien die Angeklagten aus dem PKW gestiegen. Der Angeklagte Alexander S. habe einen Elektroschocker mit KO-Spray-Funktion in der Hand gehabt. Er hätte Tobias K.* nach seinen Beobachtungen an der Mehrzweckhalle befragt. „Da hat er komisch gelacht, da habe ich losgesprüht.“, meint S. nachdem er feststellte, dass der Elektroschocker nicht funktioniert hätte. Den Elektroschocker habe der Angeklagte Martin M. ihm bereits an der Mehrzweckhalle in die Hand gegeben, als der erste Verdacht auf Beobachtung ihres Diebstahls durch Tobias K.* aufkeimte. Dort hätten sie bereits in Erwägung gezogen, diesem „eine Lektion zu erteilen“. Nachdem der Angeklagte Paul G. das Opfer zu Boden stieß, soll Alexander S. noch auf den am Boden liegenden eingeschlagen und getreten haben.

„Da stell ich mir nur schwer vor, dass man da noch in Notwehr geraten könnte.“

Der zweite Angeklagte Sebastian N. habe auf den Geschädigten mittels eines Schlagrings eingeschlagen. Auch er habe diese Waffe bereits an der Mehrzweckhalle vom Hauptangeklagten Martin M. erhalten, gibt er zu Protokoll. Den Schlagring habe Martin M. laut Eigenaussage immer in seinem PKW, „zur Notwehr“ wie er sagt, obwohl er noch niemals angegriffen worden sei, was er damit begründet, dass jeder wisse, das M. so einen Gegenstand im PKW mit sich führe. „Da stell ich mir nur schwer vor, dass man da noch in Notwehr geraten könnte.“, meint Richter Knief, angesichts der Konstellation vier gegen einen. Dieser Einschätzung stimmen heute auch die Angeklagten zu.

„Mir kam es nicht so schwer vor.“

Der Hauptangeklagte Martin M.  will auf die vorherige Frage, ob Tobias K.* zuvor etwas gesehen habe, ein klares „Nein“ als Antwort verstanden haben und hatte den Eindruck, dass dieser „von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte“, da er betrunken war. Trotzdessen habe er als erster den 44 Kilogramm schweren Sonnenschirmständer, der etwa einen Meter neben dem am Boden liegenden Opfer gestanden habe, gegriffen und Tobias K.* auf den Kopf geschlagen. „Mir kam es nicht so schwer vor.“, so M. dazu, dass er den Schirmständer zunächst allein gegen das wehrlose Opfer eingesetzt habe, in seinem beruflichen Alltag sei er gewohnt, schwere Gewichte, wie z.B. halbe Schweine umher zu tragen. Bei mindestens einem weiterem Einsatz des schweren Betonteils gegen den Kopf des bereits schwer geschädigten Opfers, habe dann der Angeklagte Sebastian N. mit M. zusammen an der etwa 80 Zentimeter langen Stange des Schirmständers angefasst. „Weil ich es alleine auf einmal nicht mehr geschafft habe.“, so M. . Zusammen hätten sie das Gewicht nochmals auf den Kopf von Tobias K.* fallen lassen.

„Dass der eine Platzwunde kriegt.“

Die Angeklagten wollen den 44 Kilogramm schweren Gegenstand „wie einen Golfschläger“ eher in Richtung der Schulter geschwungen haben, sagen sie aus. Den Ausführungen des Gerichtsmediziners zufolge sei es kaum möglich, schon gar nicht zu zweit, einen solch schweren Gegenstand derartig einzusetzen. „Dass der eine Platzwunde kriegt.“ habe er gedacht, so Martin M. . Wenn er hätte das Opfer umbringen wollen, hätte er eine effektivere Methode gewählt, sagt der Angeklagte aus, der aufgrund seiner Fleischerausbildung im Familienbetrieb wisse, was Gewalteinwirkung auf ein Lebewesen für Auswirkungen haben müsse, wie er später selbst bestätigt. Er hätte beispielsweise ein Messer zur Hilfe genommen oder hätte mit dem Betonteil richtig drauf gehauen und wäre zusätzlich noch drauf gesprungen, führt der Angeklagte offensichtlich belustigt im Verhandlungssaal aus.

„Ich empfand gar nichts.“ // „Ich habe eigentlich mit dem Schlimmsten gerechnet, dass er vielleicht gar nicht mehr lebt.“

„Ich empfand gar nichts.“, meint Sebastian N. schulterzuckend hinsichtlich seiner Empfindungen im Moment des Gewaltexzesses. Die Angeklagten Alexander S., Paul G. und Pierre N. wollen dann bereits wieder im PKW gewesen sein, als Paul  G. nochmals ausgestiegen sei. „Ich habe ihn angeschrien“, um ihn davon abzuhalten, „Weil das zu viel wurde, weil man damit nicht gerechnet hat, dass das passiert.“, gibt G. zu Protokoll. „Eigentlich gar nicht.“, habe das Schreien auf sie gewirkt, meint der Angeklagte Martin M. . „Blutüberströmt und geröchelt – Verletzungen waren schon festzustellen.“, so der Angeklagte Alexander S. nachdem die beiden Haupttäter die Gewalt unterließen. Paul G. habe das Röcheln des Opfers auch gehört, hinzugucken habe er sich nicht mehr getraut, wie er zu Protokoll gibt. Martin M. und Sebastian N. hätten dann das Tatwerkzeug in den Kofferraum des PKW geladen, um keine Spuren zu hinterlassen, nachdem sie die Schwere ihres Handelns realisiert hatten. Später haben sie den Gegenstand in einem See entsorgt. „Ich habe eigentlich mit dem Schlimmsten gerechnet, dass er vielleicht gar nicht mehr lebt.“, sagt der Angeklagte Pierre N. aus, als sie den Ort des Geschehens verließen.

„Weil er sicher Angst hatte, nochmal Eine zu kriegen.“

Als die Täter bereits mit dem PKW sich entfernt hatten, soll Alexander S. auf die Idee gekommen sein, dass der Geschädigte von dem vorrausgegangenen Diebstahl der Sportpokale Fotos mit seinem Handy gemacht haben könnte, die sie als Täter verraten würden. Daraufhin wendeten sie und fuhren zum Tatort zurück. Schwerverletzt habe Tobias K.* gerade versucht sich auf einem Ellenbogen aufzustützen, als er zweit der Angeklagten dann vom PKW aus wieder auf sich zukommen sehen habe, hätte er sich wieder fallen lassen: „Weil er sicher Angst hatte, nochmal Eine zu kriegen.“, sagt der Hauptangeklagte Martin M. aus. Alexander S. und Sebastian N. seien es gewesen, die nochmal ausgestiegen sind, um dem wehrlosen Opfer das Handy und gleich noch mit die Geldbörse zu rauben. Das Handy – „Das sah noch neu aus.“ – habe Sebastian N. behalten, dieses sei später von der Polizei bei ihm gefunden worden. Die Geldbörse nahm Martin M. im PKW an sich.

„ein großes schwarzes Loch“

Der 31-jährige Geschädigte Tobias K.* kann sich an fast nichts aus dieser Nacht erinnern, er habe „ein großes schwarzes Loch“, wie er sagt. An Bruchstücke des Abiballs könne er sich erinnern und dass er später auf der Hauptstraße nach Hause gelaufen sei, dann seien die nächsten Erinnerungen erst wieder, wie er im Krankenhaus aufgewachte. Vom Diebstahl von Sportpokalen oder dass er die Täter nach einer Mitfahrgelegenheit gefragt haben soll, wisse er selbst gar nicht mehr.

„Das ich mehr Angst habe, auf jeden Fall.“

Nach eigenem Bekunden habe er eine Fraktur des Felsenbeins und teilweise Gesichtslähmung davon getragen, eine längere Zeit sei sein Gleichgewichtssinn beeinträchtigt gewesen, weshalb er nicht Auto fahren durfte, auf der rechten Seite sei er für immer taub, dort sind die Gehörschnecke und Nerven zertrümmert worden. Zudem habe er bis heute noch Schmerzen und Schwierigkeiten beim Kauen aufgrund der Fraktur im Inneren des Kopfes und Hämatome und Schürfwunden habe er davongetragen. „Das ich mehr Angst habe, auf jeden Fall.“, gibt der Nebenkläger auf die psychischen Schäden hin befragt an. Tobias K.* habe sich bereits als Zeitsoldat auf einer Laufbahn zu seinem Berufswunsch Pilot befunden, das könne er nun für immer vergessen. Auch als Soldat kann er zukünftig nicht mehr weiter Verwendung finden. „Sie machen einen gefassten Eindruck, sind sie das auch?“ wird der Zeuge heute gefragt. „Es ist schon anstrengend“, meint K.*, den Menschen gegenüber zu sitzen, die ihm seine Lebensperspektive auf ewig zerstört haben. „Es hätte auch schlimmer kommen können.“, meint der Nebenkläger schwermütig in Hinblick, dass er überhaupt noch am Leben ist.

„Die haben mit Füßen nach mir getreten.“ // „Er ist nicht mehr der, der er mal war.“

Der Vater des Geschädigten sagt aus, dass er am Morgen des Tattages telefonisch von der Gewalttat erfahren habe. 8.30 Uhr habe sein Sohn selbst ihn aus dem Krankenhaus angerufen. „Die haben mit Füßen nach mir getreten.“, habe Tobias K.* in diesem Telefonat zu ihm gemeint. „Es war schon schlimm und es ist immer noch schlimm.“, so der 61-Jährige. Seit der Gewalttat sei es so, dass Leute seinen Sohn rufen würden und er hört es einfach nicht – „Er ist nicht mehr der, der er mal war.“ Gibt der Vater, sichtlich mitgenommen, zu Protokoll.

„Die Tatsache, dass Herr K.* mit der linken Gesichtshälfte auf dem weichen Rasen gelegen hat, hat ihm das Leben gerettet.“

Prof. Dr. Kleiber, der Rechtsmediziner der Martin-Luther-Universität in Halle konkretisiert die Angaben zum Verletzungsbild noch um eine 10 Zentimeter lange Platzwunde und um ein Kopfschwartenhämatom, an der Stelle, unter der der Felsenbeinknochen liege. Im Felsenbeinknochen würde sich das Gehör befinden. Aufgrund der Fraktur dieses Knochen ist die dauerhafte Hörschädigung erklärlich. Ferner habe auch ein Schädelbruch vorgelegen, woraufhin auch Austritt von Gehirnwasser zu verzeichnen gewesen sei. Der Einsatz des Sonnenschirmständers in der Art eines Golfschlägers könne der Rechtsmediziner ausschließen, da bei dem Geschädigten ausschließlich Quetschungen, keine Schürfwunden im Kopf- und Schulterbereich festzustellen waren. Für ihn sei klar, dass es sich um eine schwerwiegende Gewalteinwirkung von oben gehandelt habe. „Die Tatsache, dass Herr K.* mit der linken Gesichtshälfte auf dem weichen Rasen gelegen hat, hat ihm das Leben gerettet.“, ist sich Kleiber sicher.

„Sie wollten etwas erreichen.“

Andreas Maneros, der mit einem psychischen Gutachten zu den Hauptangeklagten Martin M. und Sebastian N. beauftragt war, attestiert M., dass dieser einfachstrukturiert sei, keine Selbstreflexion aufweise und dass dieser über keine Empathie für seine Opfer verfüge – zudem bagatellisiere er, als ob dieser Gewaltexzess gegen den Geschädigten nichts besonders gewesen sei. Impulsiv oder besonders aggressiv sei M. nicht sonderlich und er würde auch keine größere Hörigkeit der Gruppe gegenüber aufweisen. Martin M. sei nach Auffassung Maneros` „nicht einfach eine willenlose Person“ bei der Tat gewesen, sondern Mitgestalter und Initiator. „Sie wollten etwas erreichen.“, so Maneros zur Motivation des Gewaltexzesses. M. habe ihm auch in einer Sitzung klar gesagt, dass ihr Ziel gewesen sei, zu erwirken, dass Tobias K.* nichts über den Diebstahl bei der Polizei aussagen würde.

Sowohl bei Martin M. als auch bei Sebastian N. habe sich die Einsicht, etwas Falsches gemacht zu haben allein auf die Lage in die sie sich mit dieser Straftat gebracht haben bezogen. Die Verantwortlichkeit aus seinen Handlungen zu erkennen, sei nach Auffassung Maneros` bei N. noch ausgeprägter als bei Martin M. . N. habe in den Sitzungen mit Maneros stets abgeblockt, führt dieser aus. Knappes Antwortverhalten und eine „passive Aggressivität“ resultiert Maneroa aus den Sitzungen. Eine rechtsextreme Einstellung, die er bei N. erkenne, sei ja auch aktenkundig, verweist Maneros. Beide Sachverständige sind sich einig, keine Anzeichen für verminderte Schuldfähigkeit bei den Angeklagten zu erkennen, zudem hielten sie die Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt weniger relevant, als vielmehr den psychopathologischen Zustand.  

„Wenn sie das sonst nicht kennen, dann lernen sie es hier kennen – hier wird hinterfragt.“

Die Jugendgerichtshilfe aus Wittenberg attestiert allen eine schwierige Kindheit und Jugend und daraus folgend eine verzögerte Entwicklung, weshalb für alle Angeklagten das Jugendstrafrecht anzunehmen sei. Die Prozessbeteiligten sind mit diesen Schlussfolgerungen und Begründungen nicht einverstanden und haken hier eindringlich nach. Zum Abschluss der Verhandlung meint der vorsitzende Richter Knief dazu: „Wenn sie (die Jugendgerichtshilfe, Anm. d. Red.) das sonst nicht kennen, dann lernen sie es hier kennen – hier wird hinterfragt.“ Das Bundeszentralregister weist bei vier der Angeklagten umfangreiche Einträge auf.

Bereits am vorletzten Verhandlungstag hätten die Angeklagten über ihre Verteidiger einbringen lassen, dass sie sich bereiterklären, eine Summe von 25.000 € an den Geschädigten als Wiedergutmachung für die erlitten Schmerzen zu zahlen und für alle Folgekosten aufkommen werden. Nach Schwere der Schuld teilen sich die Angeklagten das Angebot auf: Haupttäter Martin M. und Sebastian N. tragen jeder 35%, Alexander S. 15% und Paul G. und Pierre N. jeweils 7,5%.

„Man habe mit der Absicht gehandelt, dem Zeugen das Leben zu nehmen.“ – „Wenn ich so einen schweren Gegenstand gegen jemanden einsetze, ist davon auszugehen, dass die Person stirbt.“

In seinem Plädoyer ist sich Oberstaatsanwalt Christian Preissner über die Sinnlosigkeit der zugrundeliegenden Diebstahlshandlung sicher; „irgendwas kann man ja später damit anfangen“ würden sich die Täter gedacht haben, als sie die Sportpokale entwendet haben, das Entdeckungsrisiko hätte sie angesichts der etwa 300 Teilnehmer beim Abiball nicht gestört, aber ausgerechnet Tobias K.* wollen sie als mögliche Person ausgemacht haben, der sie hätte verraten können. Ohne Widerspruch „war man sich einig, dem müssen wir was tun.“, „ihm einen Denkzettel verpassen“, „wir wollen diesem Mann jetzt mal zeigen was Sache ist“, ist sich Preissner sicher. „Hier an dieser dunklen Stelle, wo man einigermaßen sicher war (…) sollte dem Mann zu Leibe gerückt werden.“, so der Anklagevertreter weiter. „Was geht im Kopf eines Menschen vor, der zu so einem Werkzeug greift?“, fragt Preissner in die Runde, hinsichtlich dem Einsatz des 44 Kilogramm schweren Betonteils, das dem am Boden liegenden Opfer auf den Kopf geschlagen worden ist. „Man habe mit der Absicht gehandelt, dem Zeugen das Leben zu nehmen.“ – „Wenn ich so einen schweren Gegenstand gegen jemanden einsetze, ist davon auszugehen, dass die Person stirbt.“ so Christian Preissner.

„Hier wurde eine Lebensplanung völlig über den Haufen geworfen.“

„Hier wurde eine Lebensplanung völlig über den Haufen geworfen.“, resümiert Preissner die Folgen der Gewalttat. Ein unheimliches Missverhältnis sehe Preissner hier zwischen dem Anlass der Tat und der massiven Schädigung des Opfers. Martin M. und Sebastian N. hätten „unter billigender Inkaufnahme des Todes des Zeugen“ die Entdeckung des Diebstahls verschleiern wollen. Die Intension, „ihn als Zeugen auszuschalten“ hätte die Gewalttäter angetrieben. Ferner kommt dann noch der Diebstahl von Handy und Geldbörse des Opfers hinzu, „er röchelt noch“, hätten sie sich im PKW unterhalten – „Alle wussten, was da los war und keiner reagierte in diesem Fall.“ „Keiner von den Angeklagten machte irgendwas, um dem Zeugen K.* das Leben zu retten.“, so der Oberstaatsanwalt. „Das sind doch meine Kumpels, da mach ich doch nichts, was die belastet.“, zitiert er den Zeugen Pierre N., der im PKW sitzen geblieben sei. Das ist, aus Sicht Preissners, nicht viel weniger schlimm, als das was vorher geschehen ist. Wären nicht zufällig kurz nach der Gewalttat zwei Zeugen dort vorbeigekommen, die den Geschädigten entdeckt hätten, sitze Tobias K.* heute noch hier, sonst hätte hier über ein vollendetes Tötungsdelikt verhandelt werden müssen. „Es ist auch nichts jugendtypisches, sich an einem Menschen zu vergreifen und ihm das Leben nehmen zu wollen.“, das kenne Preissner erfahrungsgemäß aus allen Altersstufen. Gruppendynamik und Reifeverzögerung, diese Begründungen der Jugendgerichtshilfe widerlegt der Oberstaatsanwalt.

„Die typische Jugend in unserem Land ist nicht straffällig.“

Auch der Nebenklagevertreter ist sicher, dass Jugendstrafrecht hier nicht gerechtfertigt sei. „Die typische Jugend in unserem Land ist nicht straffällig.“, meint er. Im Kern schließt er sich den Ausführungen des Oberstaatsanwaltes an, präzisiert hier nur noch mal den Punkt der Heimtücke, mit der die Täter vorgegangen sind. Ihnen sei stets klar gewesen, dass der Geschädigte zur gesamten Zeit aufgrund starker Alkoholisierung wehrlos gewesen ist, er habe keine Option gehabt, irgendwie auf die Situation einzuwirken, so der Rechtsanwalt. Auch für ihn seien mehr oder mindere Begabungen beim Lernverhalten, wie es die Jugendgerichtshilfe teils begründete, keine Anzeichen für Reifeverzögerung.

„Die wollten ihre Potenz beweisen und waren so richtig in Krawallstimmung.“ – „Es ging eher darum, dass man sich mal richtig auslassen wollte.“

Der Verteidiger des Hauptangeklagten M. ist sicher: „Die Behandlung mit dem Betonklotz hätte keine lebensgefährlichen Verletzungen herbeigeführt.“ und fragt zudem in die Runde: „Wenn man einen Diebstahl verhindern wollte, warum hört man dann auf?“ Die Verdeckung einer Straftat sei nicht möglich, wenn diese bereits aufgedeckt ist, spielt der Verteidiger darauf an, dass eine Vielzahl von möglichen Zeugen den Diebstahl auch hätten beobachten können. Er ist sich sicher: „Die wollten ihre Potenz beweisen und waren so richtig in Krawallstimmung.“ – „Es ging eher darum, dass man sich mal richtig auslassen wollte.“ Das Ziel dem Opfer das Leben zu nehmen, könne er nicht sehen. „Die intellektuellen Fähigkeiten von M. sind so reduziert, dass es zu einer Reifeverzögerung kommt.“, so der Rechtsanwalt. „Acht Jahre, selbst wenn versuchter Mord angenommen wird, halte ich für sehr überzogen.“, schließt der Verteidiger ab.

„Beim Angeklagten N. fehlt es aus Sicht der Verteidigung an einem Grund für eine Tötung.“

„Beim Angeklagten N. fehlt es aus Sicht der Verteidigung an einem Grund für eine Tötung.“, so der Verteidiger des Hauptangeklagten Sebastian N. . Der Angeklagte hätte, laut seinem Verteidiger, nicht mit dem Tod des Geschädigten rechnen müssen. Aufgrund zerrütteter Familienverhältnisse erkenn er bei seinem Mandanten eine Reifeverzögerung und die Vorstrafen seien alle alkoholbedingt – im Kern sei sich der Verteidiger aber sicher, dass bei dem offenkundigem Rechtsextremen noch nicht „Hopfen und Malz verloren ist“. Alexander S. sei unzweifelhaft an dem Diebstahl beteiligt gewesen und habe dem Geschädigten auch getreten sowie mit KO-Spray angegriffen  – er habe ihm mit den anderen zusammen ein Abreibung verpassen wollen. Als der schwere Betonklotz zum Einsatz kam, habe er sich aber bereits wieder im PKW befunden. „Die Behandlung mit dem Betonteil war von seiner Intension nicht gedeckt.“ Da auch er keine Hilfe gerufen habe, hafte er auch mit für diese Gewalttat, führt sein Verteidiger aus.

„Ich kann doch meine Kumpels nicht verpfeifen.“

„Hier sitzt ein junger Mann vor mir, der sich schämt in diese Tat mit reingezogen worden zu sein.“, bringt der Verteidiger des Angeklagten Paul G. in seinem Plädoyer an. G. habe sich hier schuldig gemacht, den Geschädigten zu Boden gestoßen zu haben und nicht eingegriffen zu haben als ihm Schlimmeres wiederfahren sei. Als falsch verstandene Solidarität den beiden Haupttätern gegenüber schlussfolgert der Rechtsanwalt die unmotivierte Beteiligung an der Gewalttat durch seinen Mandanten. Aus Gruppendynamik habe er sich anfangs beteiligt, sei dann aber ins Auto zurück, weil er mit dem Weiteren nichts mehr hätte zu tun haben wollen. Der Medienrummel um den Fall und die Verhandlung, meint der Verteidiger, hätten genügt, dass sich sein Mandant zukünftig nichts mehr würde zu Schulden kommen lassen. „Ich kann doch meine Kumpels nicht verpfeifen.“, führt die Verteidigerin des Angeklagten Pierre N. die Aussage ihres Mandanten als Kernpunkt an. Er sei von Anfang an nicht ausgestiegen, habe sich nicht beteiligen wollen, aber auch nicht dagegen gewirkt. Jugendliche Leichtgläubigkeit habe ihn zudem davon abgehalten den Notruf zu wählen als er später zu Hause war – schließlich kam ihnen auf dem Weg ein Rettungswagen mit Blaulicht entgegen, von dem sie annahmen, dass dieser zu ihrem Opfer unterwegs sei. Eine Verwarnung halte die Rechtsanwältin für ihren Mandanten für ausreichend.

Wegen versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls verhängt das Gericht unter vorsitzendem Richter Knief für Sebastian N. vier Jahre Haft. Wegen versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung, und zweifachem Diebstahl erhält Martin M. fünf Jahre Haft. Wegen versuchtem Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und zweifachem Diebstahls erhält Alexander S. zwei Jhre und acht Monate Haft. Wegen versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung erhält der Angeklagte Paul G. ein Jahr und sechs Monate Haftstrafe auf Bewährung ausgesetzt. Wegen unterlassener Hilfeleistung erhält der Angeklagte Pierre N. die Auflage einen sozialen Trainigskurs zu absolvieren und 200 Arbeitsstunden ableisten zu müssen.

„Wer sowas macht, nimmt den Tod billigend in Kauf von dem der da liegt.“ – „Das ist eine so massive Gewalteinwirkung die da gemacht worden ist, dass der Tötungsansatz naheliegt.“

Aus Sicht Richter Kniefs sei dies ein sachliches Verfahren gewesen, was auf geständigen Einlassungen beruht habe. „Wenn ich einen solchen Betonklotz auf den Kopf eines Menschen fallen lassen, dann brauch` ich dazu nichts mehr sagen.“, so Knief. „Wer sowas macht, nimmt den Tod billigend in Kauf von dem der da liegt.“ – „Das ist eine so massive Gewalteinwirkung die da gemacht worden ist, dass der Tötungsansatz naheliegt.“, so Knief. „Es ist offensichtlich was passiert, wenn man so ein Dind auf den Kopf fallen lässt.“ Und trotzdem habe keiner der Angeklagten Hilfe gerufen, obwohl sie die Schwere der Verletzungen erkannt hätten. Für Alexander S., Pierre N. und Paul G. stelle dies ein Tötungsdelikt durch Unterlassen dar – „Der hätte daran sterben können, das liegt sowas von auf der Hand.“, resümiert der Vorsitzende emotionsgeladen. Dazu hätten Angeklagte im Verlauf des Verfahrens auch ausgesagt, gedacht zu haben, dass Tobias K.* hätte streben können. „Schon ganz schön übel“ findet Knief den Abschluss des Verbrechens, dem Opfer nachträglich auch noch die Brieftasche und das Handy zu stehlen.

„Herr K.* hat extrem viel Glück gehabt, für das sie nichts können.“

Das selbstständige Angebot einer Entschädigungssumme habe sich in seinem Urteil sehr wohl strafmildernd auf das Urteil ausgewirkt, meint Knief. Abschließend spricht der vorsitzende Richter dem Nebenkläger seine Hochachtung aus, dass er die Belastungen dieses Verfahrens hier durchgestanden habe. Den Verurteilten Gewalttätern gibt er noch mit auf den Weg: „Herr K.* hat extrem viel Glück gehabt, für das sie nichts können.“, das sollen sich die Fünf ganz genau vergegenwärtigen.

*Name geändert

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt