„Komm her du Zeckenschwein!“

Verhandlung wegen Beleidigung und Flaschenwurf // Rechtsextremer Intensivtäter entgeht Haftstrafe nur knapp // Angeklagter bekundet seinen Ausstieg aus der Szene

„Herr S., ich hab´s ja gesagt, wir sehen uns wieder“, begrüßte die vorsitzende Richterin Haferland den Angeklagten Marcel S. am 02. August 2010 im Verhandlungssaal des Dessau-Roßlauer Amtsgerichts. Laut Anklageschrift hat sich der 19-Jährige, der in Vergangenheit als Aktivist der extrem rechten Szene in Erscheinung trat, wegen Beleidigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu verantworten. S. habe demnach vor dem Hauptbahnhof in der Muldestadt am 19. April 2010 einen Betroffenen mit Worten wie „Zeckenschwein“ beleidigt und eine Bierflasche nach diesem geworfen. Trotz bestehender Bewährungszeit setzte die vorsitzende Richterin die Strafe erneut aus. Wegen positiver Sozialprognose und der Bekundung, sich von der rechten Szene mittlerweile zu distanzieren, behält sich das Gericht vor, erst in sechs Monaten über den möglichen Vollzug der nunmehr einjährigen Haftstrafe zu entscheiden.

In Begleitung mehrerer „Personen der rechten Szene“, wie es die Richterin später konkretisierte, hatte sich der Angeklagte am 19. April 2010 in den frühen Abendstunden vor dem Polizeirevier in der Wolfgangstraße aufgehalten. Gewartet hatten sie dort, „weil Kumpels von der Polizei mitgenommen wurden“, wie ein Zeuge aus der Gruppe bestätigte. Nachdem die Rechtsextremisten nach den polizeilichen Maßnahmen auf dem Revier wieder vollständig war, zogen sie merklich aggressiv in Richtung Hauptbahnhof und skandierten dabei lautstark Parolen wie „All Cops are Bastards“. Unterschiedlichen Zeugenangaben zufolge, variierten die Angaben zur Anzahl der in der Gruppe befindlichen Personen von fünf bis über zehn. Die Verteidigung des Angeklagten präsentierte zu Prozessbeginn einen zusätzlichen Zeugen, der zur Gruppe um den Angeklagten am Tattag gehört habe. Nachdem dieser sich eingangs im Zeugenstand zierte und überhaupt nicht aussagen wollte, rückte er nach einer Pause zumindest mit Bruchstücken zum Tatgeschehen heraus. Verbale oder andere Auseinandersetzungen hätte es seinen Bekundungen zufolge nicht gegeben. Ob der Angeklagte überhaupt dabei gewesen wäre, sei ihm nicht mehr erinnerlich. Der 17-Jährige gibt zudem an, dass sich die Gruppe bereits vor dem Polizeirevier in der Wolfgangstraße aufgelöst hätte und demnach gar nicht geschlossen in Richtung Hauptbahnhof habe gehen können. Der Angeklagte selbst schwieg zum Tatvorwurf.


Das Amtsgericht in Dessau-Roßlau

„Zick Zack Zeckenpack“ / „Man hat die Gruppe schon von Weitem gehört“

Der als Zeuge vorgeladene Betroffene, der auch als Nebenkläger in dem Verfahren auftrat, gab an sich zum Tatzeitpunkt zusammen mit einem Bekannten auf dem Bahnhofsvorplatz aufgehalten zu haben, als sie plötzlich die Gruppe um Marcel S. wahrgenommen hätten. Den Angaben zufolge hätten diese sich unter Rufen wie „Zick Zack Zeckenpack“ und „Hier kommen die Weißen“ zur nahen Straßenbahnhaltestelle begeben. „Man hat die Gruppe schon von Weitem gehört“, erinnerte sich der Nebenkläger im Zeugenstand. In der Erwartung, dass aus der stimmungsgeladenen Gruppe noch Straftaten folgen könnten, beobachtete er die Gruppe kurz, um sich möglichst bekannte Gesichter einzuprägen. Als sich der Nebenkläger gerade wieder entfernen wollte, habe einer der Beobachteten den Rest der Gruppe auf ihn aufmerksam gemacht. Der Angeklagten Marcel S. habe dann gerufen: „Komm her du Zeckenschwein!“

„Es war auf jeden Fall ein kräftiger Wurf."

„Es war auf jeden Fall ein kräftiger Wurf“, gibt der Geschädigte an und meint damit, dass S. kurzdarauf seine halbvolle Bierflasche in seine Richtung geworfen habe. „Definitiv“ hätte diese ihn am Kopf getroffen, wenn er sich nicht weggeduckt hätte. „Nicht nur einmal“, so der Nebenkläger, sei er in Vergangenheit von Neonzazis attackiert wurden. Ob  bei diesen Übergriffen auch der Angeklagte eine Rolle gespielt habei, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Er habe S. zum Tatzeitpunkt nur vom Sehen her gekannt, aber keinen Namen zuordnen können.

Angeklagter distanziert sich nach Arresterfahrung von rechter Szene

Vor Gericht ist Marcel S. kein Unbekannter. Erst im Februar diesen Jahres war er für das Zeigen des verbotenen Hitlergrußes und einer Sachbeschädigung an der Eingangstür des Alternativen Jugendzentrums in Dessau verurteilt worden (mehr dazu hier…). Dafür erhielt er eine sechsmonatige Haftstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Einen mehrwöchigen Arrest wegen einer zurückliegenden Verurteilung habe S. vom 22. März bis 16. April 2010 angetreten. Nach eigenem Bekunden, fühle er sich seit diesem Haftaufenthalt auf Probe selbst nicht mehr der rechten Szene zugehörig. Inklusive dem Umstand, dass Marcel S. seit Mai 2010 einer geregelten Arbeit nachgehe und mit seiner Freundin eine gemeinsame Zukunft plane, attestierte ihm die Jugendgerichtshilfe eine positive Sozialprognose. Dass S. infolge zurückliegender Verurteilung zumeist keine Reue für seine Taten erkennen ließ und auf Provokationen gewalttätig reagiere, hatte sie in ihrem Bericht aber ebenfalls zu vermelden.

Schneller Rückfall in alte Muster

Vor allem weil der Angeklagte bereits drei Tage nach der Entlassung aus dem Arrest wieder straffällig wurde, wollte Staatsanwalt Blasczyk ihm seine Ausstiegsbekungen nicht so recht abnehmen. Der Staatsanwalt plädierte auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. In einer Besprechung hatten sich die Prozessbeteiligten zuvor eine verfahrensbeendigende Einigung getroffen, die unter Einbeziehung des Urteils vom Februar 2010 eine Haftstrafe "nicht höher als ein Jahr" für Marcel S. vorsah. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Sven Tamoschus, schloss sich schließlich entsprechenden Vorabsprachen an und nahm von der Forderung eines Freispruchs Abstand. In seiner Abschlussrede zweifelte er zudem an, dass sein Mandant von den Zeugen zweifelsfrei identifiziert werden konnte und vermochte im Tatverlauf zudem keine gefährliche Körperverletzung erkennen.

Richterin bezweifelt Glaubwürdigkeit

„Wir sind überzeugt, dass sie der Täter waren“, untermauerte Richterin Haferland ihren Schuldspruch in der Urteilsbegründung. An der Hoffnung, dass der Angeklagte aus der Verurteilung im Februar gelernt hätte, müsse gezweifelt werden, ließ sie unmissverständlich wissen. Lediglich sein aktueller Arbeitsvertrag und die Prognose der Jugendgerichtshilfe hätten ihn nochmals vor der Haft gerettet – aber offenkundig nur haarscharf. „Wenn Sie mit Truppen marschieren, die skandieren: ‚All Cops are Bastards‘ und ‚Zeckenschweine‘, können Sie mir nicht erzählen, dass die nicht rechts sind.“, verlieh Richterin Haferland ihren Zweifeln an der angeblichen Distanzierung  Nachdruck. Ob Marcel S. die einjährige Haftstrafe nun tatsächlich antreten muss, entscheidet das Gericht in sechs Monaten.

„Wenn Sie mit Truppen marschieren, die skandieren: ‚All Cops are Bastards‘ und ‚Zeckenschweine‘ können Sie mir nicht erzählen, dass die nicht rechts sind.“

Dass der Angeklagte im Anschluss an die Verhandlung wieder mit mutmaßlichen Rechtsextremisten von Dannen zog, erhärtet die Zweifel am Ausstieg zusätzlich. Einer seiner Begleiter wurde demnach dabei beobachtet, wie er erst kurz vor Betreten des Verhandlungssaals seinen neonazistischen Anstecker mit schwarz-weiß-roter Reichsflagge und dem Aufdruck „Autonome Nationalisten“ ablegte.

Ein nichtrechter Umgang sieht wohl anders aus.

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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt