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„(…) Das war ein virtueller Friedhof, ein Massenfriedhof nur ohne Gräber.“

Zeitzeugengespräch mit dem Holocaustüberlebenden und  Buchautor Arno Lustiger




Anlässlich des 73. Jahrestages der Machtübernahme der Nationalsozialisten fand in der Anhaltischen Landesbücherei Dessau am 30. Januar ein Zeitzeugengespräch mit dem Holocaustüberlebenden Arno Lustiger statt. Dem Alternativen Jugendzentrum war es nach einigen Anläufen gelungen, den vielbeschäftigten und engagierten Buchautor als Gast begrüßen zu dürfen.

Arno Lustigers Verdienst ist es vor allem, den jüdischen Widerstand im Nationalsozialismus, der lange Zeit keinerlei Beachtung in der Holocausterforschung fand, durch zahlreiche Veröffentlichungen und Aufsätze in den öffentlichen Diskurs gebracht zu haben.

Wie wichtig ihm das Gespräch in Dessau war, bekundete der 81jährige gleich zu Beginn der Veranstaltung: „Ein besondere Abend, der mich bewegt. Denn schließlich ist Anhalt ein Stück meines Lebens.“. Damit spielte Arno Lustiger auf das ehemalige Konzentrationslager Langenstein-Zwieberge in der Nähe Halberstadts an, in dem er 1945 inhaftiert war.

Bevor er aus seiner bewegten Biographie berichtete, unternahm Arno Lustiger einen kurzen Exkurs in die aktuelle Gedenkkultur. Lustiger teilt dabei die Befürchtung einiger Journalisten und Publizisten, die für die Post-Zeitzeugenära eine Historisierung des Themas befürchten und ging noch einen Schritt weiter: „Es wird Geschichtsfälschung von interessierter Seite geben.“.

Das Gespräche über sein Leben für Arno Lustiger nicht selbstverständlich sind, vermittelte der Zeitzeuge in seinen Ausführungen unmissverständlich: „ Es fällt mir nicht leicht, noch heute.“. Arno Lustiger hat 40 Jahre nicht über seine Erlebnisse in Nazideutschland gesprochen und gibt unumwunden zu, dass es sich dabei um ein „psychologisches Problem“ handelt. Diese Rede- und Schreibblockade, wie er es selbst bezeichnet, hat sich bei ihm erst 1985 gelöst. Damals organisierten antifaschistische Gruppen, Pax Christi, die Aktion Sühnezeichen und andere Initiativen in Frankfurt/Main einen Schweigemarsch, der an dass Schicksal der Juden in der Stadt erinnerte. Als Arno Lustiger als Auschwitzüberlebender gefragt wurde, ob er auf dem jüdischen Friedhof eine Rede halten könne, sagte er schließlich zu. „Vorher habe ich nicht einmal meinen Kindern was erzählt“, bekundete Arno Lustiger. Als ihn seine Tochter einmal nach dem Ursprung seiner eintätowierten Häftlingsnummer A4592 fragte, antworte er: „ Dass ist meine Telefonnummer damit ich die nicht vergesse.“. Obwohl Arno Lustiger 2004 sein zum Teil autobiographisches Buch „Sing mit Schmerz und Zorn – Ein Leben für den Widerstand“ veröffentlichte, hat er seine ganze Geschichte noch nicht publiziert und hat das auch zukünftig nicht vor. Wichtiger sind ihm nach wie vor seine Werke zum jüdischen Widerstand. Neben bereits erschienenen Titeln wie „Schalom Libertad! Juden im Spanischen Bürgerkrieg“ (2001),  „Rotbuch: Stalin und die Juden“ und zahlreichen Artikeln in renommierten Tageszeitungen, plant Arno Lustiger, soweit sich ein Verleger findet, demnächst eine Essaysammlung zum Thema zu veröffentlichen. Wie sein Entschluss zustande kam, sich gerade diesem Kapitel zu widmen, erzählte Arno Lustiger mit beeindruckenden Worten. Als Arno Lustiger 1984  bei einem Israelbesuch in Jerusalem weilte, bekam er dort einen Herzinfarkt und wurde auf die Intensivstation eingeliefert. „Ein Film lief vor meinem geistigen Auge ab, da habe ich mich an alles erinnert“, bekundete der Zeitzeuge.  Falls er die gesundheitliche Krise überleben sollte, schwor er sich damals, müsse er über den Widerstand berichten.

Arno Lustiger wurde 1924 als Sohn einer jüdischen Familie in Bedzin geboren. Die Familie Arno Lustigers war im Bäckerhandwerk tätig, der Großvater fungierte als Obermeister der jüdischen Bäckerzunft. Die polnische Industriestadt in Oberschlesien, die nur 7 Kilometer von der damaligen deutschen Grenze entfernt lag, war jüdisch geprägt. Von den 45.000 Einwohnern waren 25.000 Juden. Es gab eine stark ausgeprägte jüdisch-säkuläre Infrastruktur mit Kindereinrichtungen und Schulen. Arno besuchte das jüdische Gymnasium der Stadt und erlernte dort mit 12 Jahren  die Fremdsprache „Deutsch“. Viele Jugendliche waren politisch interessiert und engagierten sich in entsprechenden Zusammenhängen. So war Arno Lustiger Mitglied in der Kinderorganisation des Bundes, einer jüdisch-sozialistischen Vereinigung. Damals, so erinnerte sich der Vortragende, waren sehr viele Leute links oder linkszionistisch eingestellt. Später trat Arno Lustiger den zionistischen Pfadfindern bei: „Man träumte von einem jüdischen Staat in Palästina“.

Diese Idylle hat ihr Ende am 01. September 1939, als die Deutschen Polen überfallen hatten“, sprach Arno Lustiger über die jähe Zäsur in seiner Kindheit. Die Deutschen wären „wie Heuschrecken eingefallen“ und die Stadt wurde als Teil „Ostoberschlesiens“ ins Deutsche Reich annektiert. Wenig später wurden bereits jüdische Geschäfte geschlossen und das Vermögen der jüdischen Bürger beschlagnahmt. Ein Großvater Arnos besaß eine Firma im Eisengroßhandel und musste dann in seinem eigenen Betrieb als Angestellter arbeiten. Die Juden der Region wurden anfänglich zur Zwangsarbeit in kriegswichtigen Bereichen verpflichtet. Arno musste mit 16 Jahren so zusammen mit 400 hochqualifizierten jüdischen Arbeitern in einer Fabrik schuften, die Transportkisten für Waffen herstellte. Zu Beginn des Jahres 1943 wurden alle Juden in einem Ghetto konzentriert, dass am 01. August geräumt wurde und die Nazis anschließend alle Menschen ins nur 40 Kilometer entfernte Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportierten. Die Großfamilie Arno Lustigers, insgesamt 40 Personen, entzog sich der Räumung und versteckte sich in einem Bunker auf dem Gelände eines Tagebaues, dass zuvor vom Großvater genutzt wurde. „Wir waren  noch am Leben. Wir waren nicht in den Waggons“, fasste der Zeitzeuge die damalige Situation in Worte.  Als die Lage im Versteck zu prekär wurde, verhandelte ein Onkel Arno Lustigers mit SS-Männern, bestach sie und konnte schließlich erwirken, dass die Familie in ein Zwangsarbeiterlager gebracht wurde. Die Familie blieb in weiteren Lagern immer zusammen. Erst als die deutsche KZ-Bürokratie feststellte, dass eine jüdische Familie noch nicht getrennt wurde, ändert sich das. Dann wurden Arno Lustiger, seine Eltern, die drei Schwestern und der Bruder getrennt und jeweils in andere Konzentrationslager verbracht.

Arno Lustiger kam dann nach „Blechhammer“, einem Außenlager von Auschwitz , in dem die Häftlinge aus Kohle synthetischen Treibstoff herstellen mussten. In dem Lager waren neben KZ-Häftlingen auch Kriegsgefangene, u. a. aus Frankreich und der Sowjetunion, inhaftiert. Blechhammer war regelmäßiges Ziel alliierter Bombenangriffe. „11 Uhr kamen die Bomber, da konnte man die Uhr nach stellen“, erinnerte sich Arno Lustiger. Wie perfide und menschenverachtend das nationalsozialistische Programm „Vernichtung durch Arbeit“ tatsächlich war, belegte ein Zitat des Zeitzeugen: „ Für Werkzeuge gab es Bunker, nur für Häftlinge nicht.“.

Nach dem die Rote Armee im Januar 1945 kurz vor Auschwitz stand,  wurden die noch ca. 150.000 am Leben gebliebenen Häftlinge evakuiert. „Evakuierungsmärsche wurde es genannt, euphemistisch würde ich sagen. Das waren Todesmärsche“, sagte Arno Lustiger. Er und seine Leidensgenossen musste bei minus 20 Grad losziehen. Ungefähr die Hälfte der Menschen kam im Marschziel, dem Konzentrationslager Groß-Rosen, nicht lebend an.  Dort waren die Bedingungen unsäglich: „Ein fürchterliches KZ, beherrscht von kriminellen Häftlingen, Verbrechern und sadistischen Kapos“, fasste Arno Lustiger seine damaligen Wahrnehmungen zusammen. Nach einer Woche in Groß-Rosen, wurde er im offenen Viehwaggon nach Buchenwald gebracht. Bei ihrer Ankunft wurde der Bahnhof in Weimar gerade aus der Luft angegriffen: „Aber wissen sie was nicht kaputt ging. Das war das Nebengleis nach Buchenwald. Das war noch O.K.“. Arno Lustiger versteckte sich in dem Chaos, wurde aber von Deutschen denunziert und schließlich gefasst. „In Buchenwald waren wir zwei Wochen und empfanden es als Sanatorium“,  beschrieb er die Zeit auf dem Ettersberg. Dann kam er in das Konzentrationslager Langenstein-Zwieberge. „Das schlimmste Lager meiner Häftlingskarriere“, resümiert Arno Lustiger. Die Lebenserwartung eines KZ-Insassen betrug dort 3-4 Wochen. Obwohl es das Lager nur zehn Monate existierte, kamen 4-5000 Menschen um. Zwar gab es keine Erschießungen und Gaskammern, aber die „Verschrottung, Vernichtung durch Arbeit“, so Arno Lustiger, war ständig präsent. Der Lageralltag bestand aus mangelnder Ernährung, katastrophalen hygienischen Bedingungen, quälenden Stehappellen und schwerer körperlicher Arbeit. Die Häftlinge mussten in das Harzgebirge einen Stollen treiben, der für eine unterirdische Flugzeugfabrik vorgesehen war. „ Wie ich diese Zeit überlebt habe, in der Rückschau?“, konnte der Zeitzeuge den Satz nicht beenden. Über die Lebensbedingungen wusste Arno Lustiger zu berichten: „Einer fällt um. Ohne eine Wort zu sagen, wie eine Fliege. Einfach tot“.
Zu Ostern 1945 zum Beispiel, kam das Häftlingskommando das die Leichen vernichten musste, nicht mehr hinterher. Das ganze Lager wurde plötzlich verpflichtet, die Leichenberge zu beseitigen: „Das war das schlimmste überhaupt“, erinnerte sich Arno Lustiger.
Als die amerikanische Armee vor den Toren Langensteins stand, sollte das Lager evakuiert werden. Es gab auch Gerüchte, so Arno Lustiger, dass am 12. April 1945 alle Häftlinge zur angeblichen Arbeit in die Stollen gerufen werden sollten, um dann dort lebendig begraben zu werden. Darauf hin verweigerten die Häftlinge die angeordnete Arbeit. Schließlich wurden 3500 Menschen, in Kolonnen zu je 500 Leuten, auf den Todesmarsch geschickt.
Die Brutalität der SS kannte keine Grenzen. „Wer nicht marschieren konnte, wurde erschossen“, beschrieb der Zeitzeuge das Szenario. Arno Lustiger gelang schließlich die Flucht, er suchte Schutz in einer Feldhütte. Am kommenden Morgen fanden ihn zwei Männer vom Volksturm. Die Deutschen hatten darüber hinaus 8 Häftlinge, die ebenfalls geflüchtet waren, gestellt. Als Arno Lustiger dem Todesmarsch erneut überstellt werden sollte,  flüchtete er wiederum. Die Volksstürmer schossen dabei auf ihn, verfehlten ihn aber: „Ich habe nie erfahren warum? Waren es schlechte Schützen oder gute Menschen?“, spekulierte Arno Lustiger.

Danach fand ihn eine amerikanische Panzerpatrouille und brachte ihn in ein Lazarett, wo der bereits bewusstlose Häftling wieder gesund wurde. Arno Lustiger trat dann in die amerikanische Armee als Dolmetscher ein. Nach dem er um Entlassung gebeten hatte, suchte er seine Familie. „Da begab ich mich kreuz und quer auf Reisen durch Europa“, schilderte Arno Lustiger seine Bemühungen. Schließlich fand er seine schwerkranke Schwester und die ebenfalls gesundheitlich angeschlagene Mutter in Niederschlesien. Die Familie, von der außer dem Vater und sein Bruder alle den Holocaust überlebten, überlegten anfänglich, nach Bedzin zurück zu kehren. „Wissen Sie, dass war ein virtueller Friedhof, nur ohne Juden“, begründete Arno Lustiger die damalige Entscheidung gegen diese Option. 

Nachdem eine Auswanderung nach Israel auf Grund einer negativ verlaufenden Gesundheitsprüfung für die Schwester und Mutter Arno Lustigers scheiterte, entschloss sich die Familie in Deutschland zu bleiben. „Soviel Phantasie haben wir nicht gehabt, dass wir in Deutschland bleiben könnten“, bekennt der 81jährige noch heute.

Arno Lustiger betrieb in Franfurt/Main eine Firma in der Textilbranche und gehörte zu den maßgeblichen Akteuren der jüdischen Gemeinde in der Stadt. Darüber hinaus begründete er dass einzig christlich-jüdische Altenzentrum Europas neu. Heute lehrt Arno Lustiger an dem renommierten Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt/Main.

Infos/Kontakt:
Jana Müller
Alternatives Jugendzentrum e. V:
Schlachthofstr. 25
06844 Dessau
Tel.: 0340/ 26 60 21 9
Fax: 0340/ 26 60 21 2
e.mail: ajz-dessau@web.de       

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