„Ich habe Alberto Adriano nicht gekannt, wie wohl die meisten in dieser Stadt..."
Tag der Erinnerung im Dessauer Stadtpark
„Nach dem Mord herrschte in der Stadt eine eigenartige und festgefahrene Stimmung“, sagte Franziska Weber zum Tag der Erinnerung am 14. Juni 2006 im Dessauer Stadtpark. Mit ihr waren 70 DessauerInnen gekommen, um an den sechsten Todestag der Ermordung Alberto Adrianos zu erinnern. Die Designstudentin hatte nach der neonazistischen Tat zusammen mit dem Multikulturellen Zentrum und dem Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus für eine Woche im September 2000 ein quadratisches Gedenk-Labyrinth rund um die Stele aufgestellt. Die Idee des Projektes war damals DessauerInnen zum Gang ins Zentrum des Kunstobjektes, also an den Tatort, zu bewegen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung durch das Beschreiben von Plastikfolie öffentlich kund zu tun. „Dadurch haben wir uns eine Diskussion erhofft, auch weil das Interesse an dem Mord schnell erlosch“, so Franziska Weber. Über die damalige Resonanz war nicht nur die Initiatorin überrascht, immerhin fanden 2500 BesucherInnen den Weg zur Stele. Neben vielen Äußerungen, die die Tat ächteten, klar gegen Rechtsextremismus Stellung bezogen und antirassistische Botschaften verbreiteten, fanden sich aber auch Hakenkreuz-Symbole, fremdenfeindliche Sprüche und gar positive Bezugnahmen auf das Verbrechen. Und trotzdem hatte sich der diesjährige Vorbereitungskreis des Gedenkens und Franziska Weber dafür entschlossen, das Labyrinth erneut für ein paar Tage im Stadtpark zu belassen. Außerdem soll das Projekt zukünftig auf der Internetseite des Multikulturellen Zentrums virtuell fortgesetzt werden.
Designstudentin Franziska Weber spricht über das Gedenklabyrinth
„Und wenn wir uns jedes Jahr hier versammeln, da wollen wir erinnern, mahnen und aufrütteln“, begann Moderator Joachim Landgraf, Verwaltungsdirektor des Anhaltischen Theaters, seine Begleitung durch das Programm. In der aufkeimenden Patriotismusdebatte sah er wegen der Paralleldiskussion um Fremdenfeindlichkeit und No-Go-Areas eine „besondere Brisanz“. Joachim Landgraf nutzte die Gelegenheit, um angesichts massiv steigender rechter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt von den politisch Verantwortlichen eine „ Bekämpfung des Rechtsextremismus auf allen Ebenen“ einzufordern.
Joachim Landgraf moderierte das Programm
„Ich erinnere mich noch genau an die Berichterstattung über diese sinnlose Tat“, hieß es dann in dem vorgetragenen Grußwort der Bundesstaatsministerin für Integration, Prof. Dr. Maria Böhmer (CDU). Die Politikerin würdigte in ihrem Schreiben das vitale Engagement der Zivilgesellschaft in Dessau: „ Dies kann der Staat nicht alleine leisten“. Sie bezog sich auch auf das Grundgesetz und stellte unmissverständlich fest: „Demokratische Grundrechte sind nicht disponibel.“ Rechtsextreme müssten wissen, dass ihre Taten nicht ungesühnt bleiben. Zonen der Angst für MigrantInnen und Flüchtlinge“, so abschließend im Grußwort der Staatsministerin „können auf keinen Fall hingenommen werden“.
interessierte BürgerInnen erkunden das Gedenklabyrinth
Die schärfsten und wohl auch kritischsten Worte zum Umgang mit dem neonazistischen Mord an Alberto Adriano in Dessau, aber auch zum aktuellen Diskurs über den Rechtsextremismus, fand Steffi Lemke, Dessauerin und politische Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen. „Ich habe Alberto Adriano nicht gekannt, wie wohl die meisten in dieser Stadt und in diesem Land“, Lemke hob damit offensichtlich auf das Desinteresse vieler Deutscher ab, auf einer persönlich interaktiven Ebene den Kontakt zu AusländerInnen und MigrantInnen zu suchen. Nicht alle BürgerInnen Dessaus hätten im Sommer 2000 die Tat geächtet. Steffi Lemke erinnert sich noch genau an „das Tuscheln, ob Adriano nicht selber Schuld sei, wenn er nachts durch den Stadtpark geht“ und „an das Tuscheln, ob es in der Stadt nicht doch zu viele Ausländer gibt.“ Die Bundespolitikerin vermisste zum Tag der Erinnerung so einige Verantwortungsträger der Stadt: „Und ich meine nicht Personen, ich meine Institutionen“. Sie appellierte eindringlich an die Stadt und die Kommune, zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Rechts zu unterstützen: „Da reden wir auch über Geld.“
Steffi Lemke, Dessauerin und politische Bundesgeschäftsführerin Bündnis 90/Die Grünen
Zum Abschluss des Gedenkens im Stadtpark zog Marco Steckel, Mitglied des Dessauer Bündnisses gegen Rechtsextremismus (BgR), noch einmal den Bogen zur traurigen und aktuellen Normalität in Sachsen-Anhalt. Im Namen des BgR verurteilte er den neuerlichen Übergriff auf einen alternativen Jugendlichen am 10. Juni 2006 mit einem vermutlich rechtsextremen Hintergrund in Strinum (Landkreis Anhalt-Zerbst) aufs Schärfste und erklärte sich mit dem Opfer solidarisch. Dem Betroffenen schlug ein Neonazi aus Rosslau zum Zerbster Heimatfest im Sommer 2005 mit einem Bierglas ein Auge aus. Seit dem ist der junger Mann traumatisiert (mehr dazu hier...).
verantwortlich für den Artikel: Steffen Andersch Projekt gegenPart Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus Schlachthofstr. 25 06844 Dessau Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3 web: www.projektgegenpart.org
News
projektgegenpart ist umgezogen
3. Workshop für Bürgerbündnisse und lokale Akteure: "Vor Ort aktiv gegen Rechtsextremismus – gemeinsam oder einsam?"
Amtsgericht Burg: Rechte Schläger wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt
Neues von der Kampagne "Kein Bock auf Nazis"
Verlegung der ersten Stolpersteine am 19. Mai 2008 in Dessau-Roßlau