Hetzartikel im Fall Oury Jalloh mit 900 Euro Strafe geahndet
Amtsgericht Oschersleben verurteilt Magdeburger NPD-Mitglied Jens B.
Das Amtsgericht Oschersleben hat das Mitglied des NPD-Kreisverbandes Magdeburg, den einschlägig bekannten Rechtextremisten Jens B., am 18. Mai 2006 wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit übler Nachrede per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt.
B. ist in des kein Unbekannter in der extrem rechten Szene Sachsen-Anhalts. Seit Jahren ist er für die neonazistische Kampfpartei tätig und verfügt zudem über enge Kontakte zu Personenzusammenhängen aus dem so genannten Kameradschaftsspektrum. Das belegen nicht zuletzt zahlreiche gemeinsam veranstaltete Neonaziaufmärsche in der Landeshauptstadt. Wenn nach Jens B. im Internet gesucht wird, stößt man schnell auf einen Aufruf aus seiner Feder. In einem Appell unter der Bezeichnung „Ich grüße die Jugend von Magdeburg!“, wettert er nicht nur gegen die vermeintlich dekadente Jugend von heute, sondern äußert sich unverhohlen völkisch und nationalistisch: „ (...) Ein Volk, und vielleicht auch gerade Du verspürst ideologische Leere und suchst zusammen mit deinem Volk im heute angepriesenen Multikulturalismus verzweifelt nach diesen Dingen. Es wird Dir bewusst das es nur einen Weg geben kann: Der Weg zum sozialen Nationalismus! (...)“
Hintergrund des Verfahrens in Oschersleben war ein rassistischer und menschenverachtender Artikel, der am 02. April 2005 unter der Überschrift »Ein Afrikaner zündet sich selbst an und schuld ist mal wieder die Polizei«, von der NPD Magdeburg im Internet veröffentlicht wurde. Das Elaborat, dass nicht namentlich unterzeichnet ist, beschäftigt sich mit dem Fall Oury Jalloh. Der Asylbewerber kann bei einem Brand am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben. Über das Brandopfer hieß es in dem Artikel in einem eindeutig diskriminierenden Ton: "Der Name des Missetäters: Oury Jalloh. (...) Beköstigt und alimentiert vom deutschen Volk, dazu freie medizinische Versorgung und allerlei sonstige soziale Vergünstigungen. (...).Bezüglich der Brandsituation formulierten die Rechtsextremisten menschenverachtend: "(...) Kein Mensch konnte damit rechnen, daß der Herr Asylant mittels des am Körper versteckten Feuerzeuges binnen weniger Minuten die Matratze auf 350 Grad Celsius erhitzt. Und das sind schließlich Temperaturen, die selbst für einen an Hitze gewohnten Westafrikaner eindeutig zuviel sind. (...).
Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalttaten, das Projekt GegenPart und das Dessauer Antidiskriminierungsbüro reagierten prompt und stellten am 22. April 2005 Strafanzeige wegen Volksverhetzung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und übler Nachrede. (mehr dazu hier...). Der Beauftragte der Familie Oury Jalloh in Deutschland, Mouctar Bah von der Deutsch-Afrikanischen Initiative in Dessau, sowie Tahir Della fungierten in dem Verfahren als Nebenkläger.
die Vertreter der Nebenklage Mouctar Bah (2. v. l.) und Tahir Della (r.)
Trotz des Interesses an dem Prozess, der Gerichtssaal im Bördekreis war überfüllt mit zahlreichen MedienvertreterInnen und Flüchtlingen, MigrantInnen und UnterstützerInnen aus Halle, Dessau und Berlin, kam die Verhandlung bereits nach einer halben Stunde zum Abschluss. Das hatte einen einfachen Grund. Weder Jens B. noch seine anwaltliche Vertretung erschienen in Oschersleben. Und dass, obwohl die Rechtsanwälte der Nebenklage eine Neuterminierung der Hauptverhandlung einforderten und dies mit der öffentlichen Tragweite begründeten, die eine „Erörterung mit den Angeklagten“ notwendig mache. Da auf rechtsextremen Internetseiten zur Teilnahme an dem Prozess aufgerufen worden sei, wäre das ein „abgekartetes Spiel“, so die Nebenklage. Dieser Argumentation wollte sich der Vorsitzende Richter F. Overdick nicht anschließen und sprach den Strafbefehl in Höhe von 60 Tagessätzen a 15 Euro aus. In seiner Begründung betonte Overdick, dass mit dem Urteil „ein schnelles und deutliches Zeichen“ gesetzt werden soll. Sollte Jens B. den Strafbefehl nicht akzeptieren und Rechtsmittel innerhalb von 14 Tagen einlegen, gibt es eine neue Verhandlung zur der der Rechtsextremist gegebenenfalls polizeilich vorgeführt wird.
der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt
Ein Schlaglicht am Rande des Prozesses zeigte, wie selbstverständlich rechtsextreme Erscheinungen mittlerweile zur Alltagskultur Ostdeutschlands gehören. Nur wenige Meter vom Gerichtsgebäude stellten interessierte BeobachterInnen Hakenkreuzschmierereien und aufgesprühte SS-Runen fest. Eine Strafanzeige wegen der Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a STGB) wurde erstattet.
Nazischmierereien in der Nähe des Gerichts
Der inkriminierte Hetzartikel könnte zudem bald zu einem weiteren Verfahren führen. Die Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten und die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus (Projekt gegenPart), reichten am 31. März 2006 Strafanzeige und Strafantrag gegen Unbekannt wegen übler Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Volksverhetzung bei der Polizeidirektion Dessau ein (mehr dazu hier...). Auf dem rechtsextremen Internet-Portal "anhaltforum" erschien der identische Text. Die Polizei bearbeitet zur Zeit die Anzeige.
verantwortlich für den Artikel: Steffen Andersch Projekt gegenPart Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus Schlachthofstr. 25 06844 Dessau Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3 web: www.projektgegenpart.org
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