in Dessau wurde die Ausstellung „Anhalt unterm Hakenkreuz“ eröffnet
Voll ist die Aula des Dessauer Liborius-Gymnasium am 27. Februar 2007. Fast 90 Gäste haben sich zur Eröffnung der Exposition „Unter dem Hakenkreuz – Freistaat Anhalt und Provinz Sachsen im Dritten Reich“ eingefunden. Unter den Besucher konnte das Alternative Jugendzentrum (AJZ) als Veranstalter u.a. den Sozialdezernenten Bernd Wolfram, Ute Hoffmann, die Leiterin der Gedenkstätte Bernburg und zahlreiche Stadträte begrüßen.
Die von der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt vor 2 Jahren konzipierte und umgesetzte Ausstellung war bisher in drei Gedenkstätten des Landes zu sehen und ist jetzt erstmals in einer Schule aufgebaut.
das Dessauer Liborius-Gymnasium
„Weniger Meter von hier befand sich einst Dessaus größter Unterhaltungsstätte, der Kristallpalast“, beginnt Jana Müller vom AJZ ihre einleitenden Worte und spricht damit die NS-Vergangenheit der Muldestadt an. Dessau war lange vor dem 30. Januar 1933 ein Zentrum des Nationalsozialismus. Bereits im Jahre 1932 gab es in Anhalt eine nationalsozialistische Regierung. Später wurde Dessau Gauhauptstadt. Eben in jenem Kristallpalast gaben sich die Nazigrößen die Klinke in die Hand. Adolf Hitler sprach im überfüllten Saal, Hermann Göring war da und Joseph Goebbels widmete seinem Auftritt in Dessau einen Eintrag ins Tagebuch. Schließlich wurde in der Stadt das Giftgas Zyklon B produziert, mit den die Nationalsozialisten in den Deutschen Vernichtungslagern Millionen von Menschen, vor allem europäische Juden, ermordeten.
“Der Abstand der jüngeren Generation wird immer größer“, so Jana Müller. Um so wichtiger sei es, politische Jugendbildung mit einer lokalen Spurensuche zu verbinden. Dass schaffe einen ganz konkreten Bezug zur Geschichte. Deshalb gehört zum pädagogischen Konzept des Jugendzentrums eben nicht nur der Besuch einer Ausstellung, sondern ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Workshops und Zeitzeugengesprächen. Von diesem Angebot werden in den nächsten 14 Tagen dann auch 250 Dessauer SchülerInnen Gebrauch machen.
interessierte Gäste der Ausstellungseröffnung
Die Justizministerin Sachsen-Anhalts, Prof. Dr. Angela Kolb, überbringt das Grußwort der Landesregierung: „Geschichte ist nichts Abstraktes, was irgendwo passiert, sondern direkt vor der Haustür“, stellt die Schirmherrin der Exposition fest und knüpft damit nahtlos an die Ausführungen ihrer Vorrednerin an.
Die Landespolitikerin spannt jedoch gleich einen Bogen zur Gegenwart. In der alten Bundesrepublik sei man jahrzehntelang der Meinung gewesen, dass der Rechtsextremismus ein politischen Auslaufmodel ist. In der DDR betrachtete das SED-Politbüro rechtsextreme Erscheinungen als „vom Westen gesteuert“. Inzwischen weis man, das beide Interpretationen nicht der gesellschaftlichen Realität entsprachen. „Bis heute reißen Nachrichten über den Anstieg des Rechtsextremismus nicht ab“, sagt Kolb und berichtete von drei Vorfällen, die sich allein am vergangenen Wochenende in Sachsen-Anhalt ereignet haben.
Blick auf die Exposition
“Darüber zu lamentieren was wir falsch gemacht haben, hilft uns nicht weiter“, vielmehr müsse es darum gehen, zu intervenieren sagt die Ministerin. „Da müssen sie schon genau hinschauen“, verweist sie auf einen Button an ihrem Revers und meint damit die Kampagne „Hingucken“, mit der die Landesregierung gegen Rechts vorgehen will. Die neuen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus und das damit einhergehende Gewaltpotential würde sich vor allem aus den historischen Vorbildern speisen. Gerade weil der Nationalsozialismus immer öfters verklärt und dessen Verbrechen relativiert würden, sei eine Auseinandersetzung mit dem Naziterror, mithin auch diese Ausstellung, so wichtig.
Sachsen-Anhalts Justizministerin Prof. Dr. Angela Kolb
Zum Abschluss ihres Statements ließ Kolb keinen Zweifel daran, dass die Landesregierung auch zukünftig Projekte gegen Rechts unterstützen wird und erwähnte dabei die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt. Deren Existenz steht derzeit auf dem Spiel, weil die Finanzierung nicht gesichert ist.
Dr. Lutz Miehe, kommissarischer Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, führt die Eröffnungsgäste in die Ausstellung ein. Dabei betont der Historiker vor allem die lokale Verantwortung damalige Funktionsträger in Anhalt für den NS-Terror hier vor Ort. „In der Öffentlichen Wahrnehmung herrscht oft die Meinung vor, dass die Schuldigen, nämlich Hitler und seine Minister, in Berlin saßen und der Holocaust im Osten stattfand“, sagt Miehe zu den bekannten Entlastungsargumenten und der Strategie, die Verantwortlichkeit für die Barbarei auf Dritte zu delegieren. Doch die Täter kamen von hier, waren ganz normale Deutsche und hatten durchaus die Wahl, sich an den Verbrechen nicht zu beteiligen: „Jeder einzelne habe in der NS-Diktatur Spielräume gehabt, an jedem Ort und in jeder Gemeinde“, so Miehe. Manch Arbeitsloser Prettiner (Gemeinde im heutigen Landkreis Wittenberg, wo die Nationalsozialisten in der Lichtenburg eins der ersten Konzentrationslager errichteten) hat vom KZ mitten im Ort profitiert. Es waren Ärzte und Schwester – und nicht etwa die SS – die in der Bernburger Gaskammer 14.000 Kranke, Behinderte und KZ-Häftlinge ermordeten. „Von Annaburg bis Zeitz“, wären die Menschen bereit gewesen, die Befehle auszuführen und Menschen ins KZ zu schaffen. „Man muss das so deutlich sagen“, ergänzt der Stiftungsdirektor unmissverständlich. Noch heute sei es beschämend, mit welcher preußischen Gründlichkeit auch die Menschen in Mitteldeutschland damals ihre Opfer auslieferten und aus diesem Leid noch persönlichen Nutzen zogen. Miehe warf die Frage auf, wie es beispielsweise der Magdeburger Gestapo mit nur neun hauptamtlichen Mitarbeitern überhaupt gelingen konnte, den politischen Widerstand auszuschalten. Die Antwort lieferte er gleich mit: „Das hat etwas mit Denunziation zu tun“.
Dr. Lutz Miehe
Dessaus NS-Vergangenheit, die auch in der Ausstellung eine Rolle spielt, sparte er dabei nicht aus. Seiner Einschätzung, das „Anhalt und Dessau ein wichtiger Ausgangspunkt zum Aufbau des Nationalsozialismus“ gewesen sei, teilten nicht wenige der Anwesenden. Sprechen die Fakten doch eine deutliche Sprache. Über 40 % der Bevölkerung in Anhalt wählten die Nazis. Miehe kritisiert auch die „idealisierte Industriegeschichte“, mit der man es in Sachsen-Anhalt heute oft zu tun habe. Meistens würden dabei nur die technischen oder sozialen Errungenschaften der einstigen Betriebe und Firmen von den diversen Traditionsvereinen herausgestellt, ohne die Verstrickung in den NS-Staat oder den Einsatz von KK-Häftlingen und ZwangsarbeiterInnen aufzuarbeiten. Als Beispiel nannte er die ehemaligen AGO-Flugzeugwerke in Oschersleben.
Der zweifellose Höhepunkt der Eröffnung war der Vortrag des Zeitzeugen Kazimierz Smolen. Der polnische Auschwitzüberlebende weilte indes nicht zum ersten Mal in Dessau. Auf Einladung des Alternativen Jugendzentrums war er schon oft in Dessau und in der Region unterwegs, um in Schulen Zeugnis von seinem Leben anzulegen. Fast fünf Jahre überstand Kazimierz Smolen die Konzentrationslager der Nazis. Nach dem Krieg studierte er Jura. Auschwitz sollte ihn jedoch nie wieder los lassen. Jahrzehntelang war er Direktor des Museums Auschwitz-Birkenau. Außerdem fungierte er als Zeuge in NS-Kriegsverbrecherprozessen. Während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses in den sechziger Jahren führte Kazimierz Smolen das Gericht beim Lokaltermin über das ehemalige Lagergelände. Noch heute führt er Gruppen in Auschwitz und ist in der ganzen Welt unermüdlich unterwegs, um über die deutsche Todesfabrik zu berichten.
der Auschwitzüberlebende Kazimierz Smolen
„Die Geschichte von Auschwitz darzustellen ist faktisch unmöglich, die Größe des Verbrechens nicht zu verstehen“, sagt der Zeitzeuge angesichts der unvorstellbaren Dimension des Holocaust. „Die Fotos können nicht schreien“, gibt er den Gästen mit auf den Weg..
„Schon 1942 haben wir im Lager gewusst, dass die aus Dessau kommen“, so der Überlebende. Er spricht damit auf die Zyklon B-Dosen an und auf die Verbindung Anhalts zum Holocaust. Mit dem Giftgas ermordeten die Nationalsozialisten Millionen von Menschen, vor allem europäische Juden. Der Hauptproduktionsstandort von Zyklon B war Dessau. Das Giftgas wurde in der Zuckerraffinerie, im Volksmund auch „Fine“ genannt, hergestellt.
Anzeichen von Reue hätte es bei den Deutschen Tätern nie gegeben. Und Kazimierz Smolen muss es wissen, saß er doch den Nazis im Gerichtssaal nicht nur einmal gegenüber: „Die Wahrheit haben die nie gesagt, höchstens geschwiegen“.