„Wir haben es zusammen geschafft und ich denke, wir können noch viel mehr schaffen“
Initiativen aus Sachsen-Anhalt erhalten Demokratiepreis im Dessauer Rathaus
Gleich fünf Initiative aus Sachsen-Anhalt hatten am 18. September einen triftigen Grund zur Freude. Ihr jahrelanges und unermüdliches Engagement für Demokratie, Weltoffenheit und eine liberale Gesellschaft wurde in einem Festakt im Dessauer Rathaus gewürdigt. Der Grund für den großen Bahnhof: Die Akteure erhielten einen vom renommierten bundesweiten Bündnis für Demokratie und Toleranz jährlich ausgelobten Preis im Rahmen eines gleichnamigen Wettbewerbes.
Nicht oft kommen Gruppen und Vereine, die sich für den Abbau rassistischer Stereotype, einer wirklichen Integration von Zugewanderten und Flüchtlingen oder für die lokalhistorische Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen stark machen in den Genuss, eine öffentliche Bestätigung zu erfahren. Die Preisträger genossen so sichtlich die ungewohnte Aufmerksamkeit und die gewollte „Unterstützung kleiner Initiative“, wie es das Beiratsmitglied des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, Uta Leichsenring, in ihrer Laudatio ausdrückte.
Beiratsmitglied Uta Leichsenring hielt die Laudatio
Der Wettbewerbsjury war es dabei gelungen, da waren sich die meisten Anwesenden einig, Projekte ausgewählt zu haben, die exemplarisch und modellhaft für zivilgesellschaftliches Engagement stehen. Dass dabei jeder der Preisträger über ein ganz eigenes Profil mit verschiedenen methodische Herangehensweisen und praktischen Handlungsansätzen verfügt, zeigt die Bandbreite der vorhandenen Aktivitäten im Land.
Entsprechend motiviert traten die eigentlichen Hauptakteure des Festakts, die VertreterInnen der ausgezeichneten Initiativen, auf die Bühne und stellten ihr Engagement den Gästen vor.
fast 70 Gäste wohnten dem Festakt bei
„Wir haben es zusammen geschafft und ich denke, wir können noch viel mehr schaffen“, sagt Mouctar Bah von der Deutsch-Afrikanischen Initiative Dessau nicht ohne Stolz. Stellvertretend nimmt er die Urkunde für das Projekt „african kick“ (mehr dazu hier) in Empfang. Angeregt von der Dessauer Streetworkerin Katrin Fuchs fanden sich im Frühjahr 2005 zahlreiche Akteure, darunter die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus (Projekt gegenPart), der Landessportbund und die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, zusammen, um „ein etwas anderes Fußballturnier“ auf die Beine zu stellen (mehr dazu hier...). „Wir wollten mit dem Fußballturnier keine heile Welt vorgaukeln, sondern vor allem aufrütteln, aufklären und Alternativen aufzeigen“, umriss Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt die Intention der Aktion. Als der „african kick“ in Dessau erstmals geplant wurde, wäre die Stimmung der in der Stadt lebenden Migranten, besonders der afrikanischen Community, auf einem Tiefpunkt gewesen. Der Grund: der Feuertod Oury Jallohs (mehr dazu hier...) und (hier...) und (hier...) am 07. Januar 2005 in einer Polizeizelle. „Damals stand für uns fest: So wie bisher kann es nicht weitergehen“, so Steckel. „Einem demokratischen Rechtsstaat steht es nicht gut zu Gesicht, über Monate ja sogar Jahre hinweg den Feuertod eines Menschen nicht abschleißend mit dem Ziel zu behandeln, Verantwortlichkeiten zu klären„ forderte der Opferberater die längst überfällige juristische Aufarbeitung ein.
Mouctar Bah von der Deutsch-Afrikanischen Intiative präsentierte stolz die Urkunde
Doch neben der öffentlichen Thematisierung des Falls Jalloh ging es den Organisatoren vor allem darum, in kleinen Schritten eine gleichberechtigte Interaktion zwischen MigrantInnen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft voranzutreiben. Viel zu oft würden MigrantInnen hier immer noch auf ihre vermeintlich kulturellen „Eigenarten“ reduziert und von gesellschaftlich relevanten Debatten ausgeschlossen. Es müsse abseits von kulturalistischen Klischees darum gehen, Ausländer als Akteure im tagesaktuellen Diskurs sowie im Freizeitbereich ernst zu nehmen. Dafür gelte es, die dafür notwendigen Partizipationsstrukturen zu schaffen. Dieser Prämisse fühlte sich auch die 2. Auflage des „african kick“ im Sommer diesen Jahres verpflichtet (mehr dazu hier...).
Mit dem innovativen Projekt „Großer Grenzverkehr - Friendship beyond Borders“ (mehr dazu hier...) räumte der Verein Miteinander einen Preis ab. Der Ansatz ist dabei denkbar simpel und dennoch wirksam. Junge Leute aus den USA, Großbritannien und anderen englischsprachigen Ländern gehen in die ostdeutsche Provinz und treffen dort auf Gleichaltrige. Quasi im unmittelbaren Lebensumfeld, in der Freizeit kommt es so zum Kontakt der dabei nie aufgesetzt oder erzwungen wirkt. „Dabei lernte man die Menschen wirklich kennen“, resümierte eine kalifornische Studentin mit asiatischen Migrationshintergrund so über ihre Zeit im interkulturellen Jugendaustausch.
die Preisträger des Projektes Friendship beyond Borders
Tatjana Lorenz und ihre MitstreiterInnen vom „Initiativ-Verein für Integration & Zusammenleben“ aus Merseburg stellen ihr Projekt selbstbewusst vor (mehr dazu hier...). „Wir sind nun mal hier und damit müssen sie klarkommen“, sagt die Vereinssprecherin eloquent bei der Preisübergabe. Der Verein wirkt im Landkreis Merseburg-Querfurt unermüdlich für die Integration von Spätaussiedlern, Kontingentflüchtlingen und jüdischen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Dass die Protagonisten eine gleichberechtigte Interaktion und keine Assimilation meinen, belegt ein Kurzfilm der im Rathaussaal über die Mattscheibe flimmert. Zusammen mit dem Offenen Kanal Merseburg wurde so ein regelmäßig ausgestrahltes TV-Format produziert, dass eben nicht nur auf die Wurzeln der russischen Kultur eingeht, sondern auch über die Fluchtgründe und die Lebenswirklichkeit nebst der Bewältigung des Alltags der Aussiedler in der Bundesrepublik aufklärt.
Rüdiger Fikentscher zeichnet den Merseburger Verein aus
“Ich stehe hier als das älteste Mitglied unsere Gruppe vor Ihnen, die anderen sind alle arbeiten“, beschreibt Hans Hunger von der Forschungsgruppe Zyklon B prägnant das ehrenamtliche Engagement der 4 DessauerInnen. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz zeichnet die Initiative mit einem Ehernpreis aus. Seit 1996 forscht und recherchiert die Gruppe zur Zyklon B-Produktion in der ehemaligen Dessauer Zuckerraffinerie, dem einstigen Hauptproduktionsstandort. Mit dem ursprünglich für die Schädlingsbekämpfung entwickelten Giftgas ermordeten die Nationalsozialisten in den deutschen Vernichtungslagern Millionen von Menschen, vor allem europäische Juden. Nach jahrelangem Kampf und gegen zum Teil erhebliche politische Widerstände war es der Forschungsgruppe schließlich gelungen, einen Informations- und Mahnpunkt Zyklon B durch zusetzten. Das Denkmal wurde am 27. Januar 2005, zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, auf der Dessauer Brauereibrücke eingeweiht (mehr dazu hier...). und (hier...) „Wir wünschen uns dass der Mahnpunkt Bestandteil des Dessauer Kulturpfades wird und unsere Flyer in der Touristinformation ausgelegt werden“, skizziert Hans Hunger die nächsten Teilziele der Gruppe. Im nächsten Jahr soll zudem eine Broschüre erscheinen, die die Forschungsergebnisse der Gruppe zusammenfasst. www.zyklon-b.info
Hans Hunger nimmt den Preis für die Forschungsgruppe Zyklon B entgegen
Der Oberbürgermeister der Stadt Dessau, Hans-Georg Otto, analysierte in seinem Grußwort mögliche Ursachen für Diskriminierung und rassistische Gewalt und nannte dabei die Politikverdrossenheit, die oftmals zu Apathie und einen Rückzug ins Private führen würde. Angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen wäre eine Perspektivlosigkeit gerade unter Jugendlichen zu konstatieren. „Wenn ich etwas verändern will, muss ich selbst mit anpacken“, sagte Otto und spannte dabei einen Bogen zum Einzug der neonazistischen NPD in den Schweriner Landtag. Die Aussage des Oberbürgermeisters, dass „das Werben für Demokratie und Toleranz nicht dazu führen darf, ganze Landstriche und Städte zu rechten Zonen zu erklären“, stieß vor allem bei den Vertretern der zivilgesellschaftlichen Initiativen zum Teil auf Unverständnis. Otto hatte in diesem Zusammenhang den neonazistischen Mord an Alberto Adriano im Sommer 2000 in Dessau angesprochen.
Oberbürgermeister Hans-Georg Otto
„Wir wollen durch solche dezentralen Veranstaltungen die Preisträger stärken“, so der Stellvertretende Geschäftsführer des Bündnisses, Dr. Reiner Schiller-Dickhut, zum politischen Lobby- und Verstärkerfunktion des Wettbewerbes. Seine Kollegin Uta Leichsenring nutzte dann die Gelegenheit, das Bündnis und deren Arbeitschwerpunkte und Intentionen kurz vorzustellen. So erwähnte sie den bundesweit beachteten „Victor-Klemperer-Wettbewerb“. Dem Bündnis gehe es vor allem darum „Regionen und Kommunen bei Aktionen und nachhaltigen Kampagnen gegen Rechtsextremismus“ zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sei auch die Preisverleihung in Dessau zu sehen. „Ohne historisches Bewusstsein, ohne Kenntnis der Geschichte, ist keine Gegenwart zu gestalten“, brachte das Beiratsmitglied die wichtige Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus auf eine griffige Formel. „Aus der Gruppe von Frauen und Männern ragen die hervor, die Probleme und Fakten benennen“, sagte sie anerkennend zu den Preisträgern. Das Totschlagsargument der vermeintlichen Nestbeschmutzer die am Image einer Stadt kratzten lässt sie dabei nicht gelten: „Das haben wir in den letzten 15 Jahren immer wieder gehört“. Uta Leichsenring kritisierte hinsichtlich des Wahlerfolges der NPD in Mecklenburg-Vorpommern den chronischen Geldmangel für Projekte gegen Rechts, der „ eine nachhaltige Entwicklung unmöglich mache“.
Dr. Reiner Schiller-Dickhut vom Bündnis für Demokratie und Toleranz
„Ich bin von den Projekten beeindruckt“, gesteht der Landtagsvizepräsident Dr. Rüdiger Fikentscher, ein. Dabei würdigte er insbesondere die wichtige Rolle, die die ausgezeichneten Initiativen für die Demokratieentwicklung spielen. Es sei wichtig, „Minderheiten zu schützen da man selbst einmal zur Minderheit gehören kann“, so der Magdeburger Politiker.
Landtagsvizepräsident Rüdiger Fikentscher
Ein bemerkenswert substantielles und geradliniges Grußwort hielt Rüdiger Erben, Staatssekretär im Innenministerium Sachsen-Anhalts. „Eine offensive Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“, mahnte er an und fand hinsichtlich der steigenden rechten Gewalt im Land klare Worte: „Damit dürfen, und damit wollen wir uns nicht abfinden“. Schonungslos konstatierte Erben, das die rechtsextreme NPD in einigen Teilen Sachsen-Anhalts durchaus erfolgreich ist und ihr es teilweise gelungen sei, in die Mitte der Gesellschaft hineinzuwirken. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Sachsen-Anhalt, einem Land fast ohne Ausländer, zeige, so der Staatssekretär ein abgewandeltes Marx-Zitat benutzend, „dass das Sein nicht immer das Bewusstsein bestimmt“. „Der Antisemitismus ist ein Gerücht von den Juden“, schob er Adorno noch hinter her.
Staatssekretär Rüdiger Erben
verantwortlich für den Artikel: Steffen Andersch Projekt gegenPart Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus Schlachthofstr. 25 06844 Dessau Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3 projektgegenpart@gmx.net www.projektgegenpart.org
Kontakt und weitere Informationen: Bündnis für Demokratie und Toleranz Herr Dr. Reiner Schiller-Dickhut Stresemannstraße 90 10963 Berlin Telefon: 030/23 63 408-11 E-Mail schiller-dickhut@bfdt.de www.buendnis-toleranz.de
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projektgegenpart ist umgezogen
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