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Prozess gegen die Dessauer Hip Hop-Band „Dissau Crime“ wegen Volksverhetzung hat begonnen und wurde gleich wieder ausgesetzt

„So makaber es klingt, eigentlich kann man darüber nur lachen“




Am 04. Mai 2006 wurde vor dem Dessauer Amtsgericht die Hauptverhandlung gegen vier Musiker des Hip Hop-Projekts „Dissau Crime“ eröffnet. David S. (28), Stefan B. (21), Franz W. (27) und Mirco F. (31) müssen sich wegen des Tatvorwurfes der Volksverhetzung vor der Jugendkammer des Gerichts verantworten.

Die Band veröffentlichte im Jahr 2003 eine CD mit dem Titel „Zyklon D – Frontalangriff“. Einige der Liedtexte transportieren antisemitische, schwulenfeindliche und menschenverachtende Inhalte und verharmlosen zudem die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten (mehr dazu hier...). Textpassagen wie „(...) Ich schieße mit der Flak, auf das ganze Judenpack(...)“ (Song „Gestapo aus dem Osten“) oder „(...) ich hab da noch was: Jedem das Seine! Denk an den Satz, auf dem Weg ins Gas, Gas meiner Stadt. Zyklon Dissau“ (Song „Die Jagd ist eröffnet“) stehen exemplarisch hier für.

Im März 2005 wurde gegen „Dissau Crime“ ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Drei Monate später fand eine Hausdurchsuchung statt, bei der u.a. Tonträger und ein Computer beschlagnahmt wurden. Inzwischen ist das Album „Zyklon D – Frontalangriff“ von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf den Index gesetzt worden (BAnz. Nr.142 v. 30.07.2005) und somit deren Vertrieb verboten.   

Bereits im Frühjahr vergangenen Jahres hatten über 50 KommunalpolitikerInnen, MusikerInnen, Initiativen und Vereine eine von der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus (Projekt gegenPart) initiierte Stellungnahme unterzeichnet, in der zu einer öffentlichen Ächtung der CD aufgerufen wurde (mehr dazu hier...). Erfreulich war damals, dass der eigentliche Impuls, die Veröffentlichung zu verurteilen und somit eine Debatte und vor allem eine klare Abgrenzung einzufordern, aus der lokalen Hip Hop-Szene selbst kam.

Für viele Akteure in Dessau kam der ganzen Fall „Dissau Crime“ völlig überraschend. Einige Bandmitglieder konnten nämlich getrost dem subkulturellen Umfeld der alternativen Szene der Stadt zugerechnet werden und ließen sich auch schon einmal in den entsprechenden Einrichtungen blicken. Umso gespannter wurden die etwaigen Erklärungen der Musiker erwartet.

Zum Auftakt des Prozesses machte David S. Einlassungen zu den Tatvorwürfen der Staatsanwaltschaft. Die Anklageschrift warf ihm neben der Erstellung der Texte und deren Verbreitung, auch den Vertrieb der CD vor. David S. gab während seiner Aussagen an, die CD an seinem PC vervielfältigt zu haben und auch das Cover gestaltet zu haben. Die Jugendrichterin begann ihre Befragung mit den Worten: „ Es geht wohl um diese hier?“, und hielt dabei die CD in den Saal. Laut eigenen Angaben sei David S. zumindest für die inkriminierten Textpassagen nicht verantwortlich, er hätte nur einen Song, der jedoch nicht Bestandteil der Anklage sei, geschrieben. Er wäre erst viel später zu der Band gestoßen. Diese Einschätzungen bestätigten die anderen Angeklagten im weiteren Verlauf. Viele der Lieder seien bereits im Jahr 2001 entstanden. Allerdings konnte nicht geklärt werden, wie und warum die einzelnen Titel auf der Master-CD, die er eines Tages mit der Bitte um Vervielfältigung im Briefkasten vorgefunden haben will, für „Zyklon D-Frontalangriff“ ausgesucht wurden. An ein konkretes Auswahlverfahren und die entsprechende Situation konnte sich keiner der vier jungen Männer erinnern.

David S. hatte eine recht unverständliche Interpretation zu bieten, warum auf der CD antisemitische, NS-glorifizierende und rechtsextreme Stereotype bedient werden. Nach den rassistischen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen und dem Mord an Alberto Adriano, diese Beispiele benannte David S. explizit, würden eh alle Jugendlichen aus der ehemaligen DDR als Nazis bezeichnet. „Da machen wir eben was Makaberes mit Schwarzen Humor“, fasste er seine Analyse zusammen und hob damit auf eine Art Provokationsstrategie ab, die später noch häufiger zur Sprache kommen sollte. „So makaber es klingt, eigentlich kann man darüber nur lachen“, betonte er später in Bezug auf die Texte und sprach davon, dass sie „falsch verstanden wurden“.

Das ambivalente Verhältnis den Angeklagten zu den inkriminierten Liedern prägte die ganze Befragung. Einerseits beteuerte David S., dass mit der CD niemand verletzt werden oder angegriffen werden sollte und das die Produktion ein „Riesenfehler“ gewesen sei. Aussagen wie: „Ich selber sehe die CD nicht als rechts an“, stehen aber auch nicht gerade für ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Viel mehr schien es ihm mehr um Imagepflege zu gehen: „Es ist im Hip Hop nicht gerade chic, als Nazi da zu stehen“. Noch ein weiterer Widerspruch kennzeichnete die Einlassung des Musikers. David S. berichtete, dass er insgesamt 10 Exemplare der Veröffentlichung in einen Dessauer Szeneladen brachte, der diese dort zum Kauf anbot. Dort wäre nur eine CD verkauft worden und das von einem Mitglied des Alternativen Jugendzentrums e. V. Dessau. Kurz darauf, so David S., wären die ersten „Gerüchte“ entstanden und der Betreiber des Geschäfts hätte sich dann schnell geweigert, dass Album weiter anzubieten. Darauf hätte sich die Band angeblich bereits im März 2005 in einem Akt von Selbstindizierung dazu entschlossen, die CD nicht weiter zu verbreiten. Trotzdem stellte David S. diese später auf die Auktionsplattform Ebay ein, um sie dort zu versteigern. Die Auktion allerdings kam zu keinem Abschluss, da Ebay die CD mit dem Verweis auf ihre Geschäftsbedingungen vorzeitig aus dem Programm nahm. Der Angeklagte begründete seine damalige Entscheidung für die Auktion damit, dass die Band von dem öffentlichen Interesse, insbesondere nach der Ausstrahlung eines Beitrages im ARD-Magazin Polylux, ökonomisch profitieren wollte: „Wir wollten damit ein bisschen Geld verdienen“. Er habe die Auktion allein zu verantworten. Während einige Bandmitglieder abstritten überhaupt davon gewusst zu haben, gaben andere an, erst nach Versteigerungsbeginn davon erfahren zu haben.

Die Richterin gab sich mit diesen Befragungsergebnissen offensichtlich noch nicht zufrieden und  bohrte intensiv nach: „Wie kommt man als Mensch der nicht rechts ist dazu, solche Texte zu verfassen?“ David S. versuchte es mit dem so genannten Battle-Rap (Wortgefechte zwischen Rappern auf der Bühne) zu erklären. Es ginge um „Kampfansagen“ und „Attacken“ die gerade beim Battle durchaus üblich wären. Natürlich würde sich der Albumname „Zyklon D“ schon auf das Giftgas beziehen, dass in Dessau produziert wurde. Aber es wäre ja nur ein „Kampf mit Worten“ und kein „wirklicher Kampf“. Heute würde die Band solche Songs nicht mehr schreiben: „Jetzt würden wir mehr nachdenken, was die Texte bei anderen bewirken können und wie sie aufgefasst werden“.

Stefan B., eines der Gründungsmitglieder der Crew, gab unumwunden zu, das er für die Textzeile: „(...) Ich schieße mit der Flak, auf das ganze Judenpack(...)“, aus dem Titel „Gestapo aus dem Osten“ verantwortlich zeichnet. Er gab an, heute nicht mehr zu wissen, wann und warum er dieses Lied so geschrieben habe. Für ihn stehe außer Frage, dass der Massenmord an den Juden als Holocaust bezeichnet werden müsse. Später stellte sich heraus, dass der Angeklagte auch den Song „Outro“, aus dem die Passage: „(...)  Der Endsieg ist in naher Ferne warte nicht, er ist bald da! (...)“ stammt, verfasst hat. Auf die eindringliche Frage der Richterin, warum sich den die Lieder alle mit der „Nazizeit“ beschäftigen würden, wusste Stefan B. nicht überzeugend zu antworten. Die Bezeichnung „Zyklon D“ wäre ganz flax entstanden, „ohne jeden Hintergrund “, wie der Angeklagte betonte.

Franz W. gab an, der verantwortliche Autor des Titels „Die Jagd ist eröffnet“ zu sein. Darin heißt es u. a.: „ (...) Dissau predigt den Endsieg. Erlebt meine Aura, wie die Massen Adolf Hitler (...)“. An anderer Stelle ist zu vernehmen: „(...)Ich hab da noch was: Jedem das Seine! Denk an den Satz, auf dem Weg ins Gas (Gas meiner Stadt). Zyklon Dissau.(…) « . Auch er konnte sich nicht mehr an die konkrete Entstehungsgeschichte und die damalige Intention der Texte erinnern und gab zu bedenken, dass die Zeilen, die Bestandteil der Anklage sind, aus dem Zusammenhang gerissen seien. Die Zeile: „Auf dem Weg ins Gas“, wäre ein „krasser Battle-Reim“ und eine Art „Metapher“. Franz W. entschuldigte sich in der Verhandlung für seine Texte.

Der Rechtsanwalt des Angeklagten Mirco F. gab zu bedenken, dass viele der Texte in der Anklageschrift nicht korrekt wiedergegeben wären und deshalb nicht gerichtlich zu verwerten seien. Außerdem setzte er in seiner Verteidigungsstrategie immer wieder auf den Aspekt der künstlerischen Freiheit.

Die Richterin schloss sich dieser Argumentation teilweise an, vermutlich nicht zuletzt wegen der politischen Tragweite des Verfahrens. Das Landeskriminalamt soll nun alle Lieder der CD vollständig auslesen und in einer im Gerichtssaal verwertbaren Form vorlegen. Darüber hinaus soll der Verfassungsschutz befragt werden und das Gericht behält es sich vor, einen Sachverständigen zur Bewertung der Liedtexte einzuschalten. Das Verfahren wurde ausgesetzt und wird höchstwahrscheinlich im Sommer fortgesetzt.

verantwortlich für den Artikel:
Steffen Andersch
Projekt gegenPart
Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus
Schlachthofstr. 25
06844 Dessau
Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3
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