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„Das war schon der Anfang der bösen Zeit“

Zeitzeuginnengespräch mit der Holocaustüberlebenden Doris Grozdanovicova




Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe „Zeugnis ablegen bis zum letzten Tag“ in Dessau, sprach die Holocaustüberlebende Doris Grozdanovicova am 01. November 2005 vor 30 interessierten Gästen in der Anhaltischen Landesbücherei. Im Herbst 2004, so berichtet Jana Müller vom Alternativen Jugendzentrum (AJZ), traf  eine Delegation des AJZ Doris erstmals in Terezin (Theresienstadt). Die Jugendlichen weilten damals im Rahmen einer Gedenkstättenfahrt in der Tschechischen Republik und die Zeitzeugin stand der Gruppe für ein Gespräch zur Verfügung. Die Einladung nach Dessau zu kommen, nahm die 78jährige sehr gern an.

Recht unkonventionell eröffnete Doris Grozdanovicova ihren Vortrag: „Hat wirklich niemand eine Frage?“. Ihr ist es nämlich wichtig, betonte sie immer wieder, wenn die Leute viele Fragen stellen würden. Schließlich begann Doris von ihrem Leben zu berichten, jedoch nicht ohne zu betonen, dass es „eine gewöhnliche Geschichte“ wäre.

Doris wuchs im mährischen Brno auf. Ihr Vater war Beamter und ihre Mutter Hausfrau. Als sie 13 Jahre alt war, daran erinnert sich Doris noch heute genau, marschierten die Deutschen am 15. März 1939 in Mähren ein. Kurz darauf begann für die jüdische Familie bereits die soziale Entrechtung. Sie flogen aus ihrer Wohnung raus, wurden zusammen mit anderen in ein Übergangsghetto zwangsumgesiedelt und der Schmuck, die Fahrräder, das Radio, die Skier und die Haustiere wurden beschlagnahmt. Sie lebten nun zu Viert in einem Zimmer: „Das war schon der Anfang der bösen Zeit“, kommentierte Doris Grozdanovicova ihre damaligen Empfindungen. 1940 wurden Doris und ihre jüdischen Klassenkameraden dann aus der Schule ausgeschlossen. „Nach den Nürnberger Gesetzten waren wir Juden, obwohl wir immer Weihnachten und Ostern gefeiert haben“, skizziert Doris den Rassenwahn der Nazis. Das Ziel der Nazis, Brno „judenrein“ zu bekommen, wurde umgesetzt. „1942 gab es in der Stadt keinen einzigen Juden mehr“, formuliert es die Überlebende. Doch Doris wusste auf Nachfrage auch zu berichten, dass die Anhänger der Henlein-Partei (nationalsozialistisch orientierte Partei der Deutschen Minderheit, Anm. d. Verf.) schon vor dem Einmarsch antitschechisch und antijüdisch eingestellt waren. Sie trugen zum Beispiel antisemitische Anstecker und grüßten sich untereinander auf der Strasse mit „88“ (die acht steht dabei für den Buchstaben „H“, der Gruß ist codiert und bedeutet „Heil Hitler“, Anm. d. Verf.). Deshalb steht sie auch zu den Benesdekreten: „Das war die Strafe dafür, was sie uns angetan haben“ und bezeichnet einige der so genannten sudetendeutschen Organisationen in der Gegenwart als „revanchistisch“.

Im Januar 1942 folgte bei Minus 28 Grad die Deportation nach Theresienstadt. Im Nachblick resümierte Doris: „Ich hatte das Glück, in Theresienstadt zu bleiben. Deshalb bin ich heute noch am Leben.“. In der einstigen Garnisonsstadt lebten vor dem Einmarsch der Deutschen 7000 Menschen. „Die Nazis haben dort einfach 60.000 Leute eingepfercht die dort starben wie die Fliegen“, sagte die Zeitzeugin nicht ohne Empörung und dachte dabei vor allem an ihre Großmutter, die kurz nach der Ankunft im Ghetto umkam. Auch ihre Mutter, die damals 50 Jahre alt war, erkrankte in Theresienstadt schwer und starb schließlich an den Folgen der Strapazen und Entbehrungen. Das Lager in Theresienstadt bestand aus zwei Komplexen. Das eigentliche Ghetto, von den Nazis auch zynisch „Alters-Ghetto“ genannt, wurde auch als „Große Festung“ bezeichnet. In der „Kleinen Festung“ befand sich ein berüchtigtes GESTAPO-Gefängnis, dort waren neben Juden vor allem politische Gegner des Naziregimes inhaftiert. Wenn Doris den Hinrichtungsplatz, wo regelmäßig Massenexekutionen stattfanden, besucht, ist sie jedes Mal erschüttert. Mit Unbehangen denkt Doris an die selektive Praxis der Geschichtsaufarbeitung in der sozialistischen Tschecheslowakai zurück: „Den Reisegruppen wurde nur die Kleine Festung gezeigt, dass Ghetto war Tabu“. Theresienstadt erfüllte für die Nazis zwei Funktionen: Zum einen war es Durchgangsstation auf dem Weg in die Vernichtungslager in Polen, zum anderen sollte es die Weltöffentlichkeit täuschen. Sogar ein Propagandafilm, der nach dem Krieg bekannt wurde, wurde in Theresienstadt gedreht. An den zahlreichen Besuchen von Delegationen des Roten Kreuzes kritisiert Doris: „Die hatten gar kein Interesse es wirklich zu sehen“, und meint damit die Mitglieder der Besuchergruppen, die nur in die Bereiche des Lagers gingen, die ihnen von der SS gezeigt wurden. Die permanente Angst vor den Transporten „nach dem Osten“, erinnerte sich Doris, war das schlimmste. „Man wusste ja überhaupt nicht, wo die hingingen“. Dieses Schicksal traf ihren Bruder und den Vater, die nach Auschwitz deportiert wurden. Nur der Bruder kam zurück.


Doris Grozdanovicova beim Schafehüten in der Nähe des Ghettos 

Doris hatte das Glück in Theresienstadt in der Landwirtschaft zu arbeiten, durfte die Schafe auch außerhalb der Ghettomauern weiden. Sie war in der „Hamburger Kaserne“ untergebracht. Die Häftlinge schliefen in 3stöckigen Betten mit Stroh, die voller Wanzen, Flöhe und Läuse waren. Neben dem alltäglichen Terror im Lager, hatten die Häftlinge vor allem die Tochter des Lagerkommandanten Jöckel zu fürchten. Diese war dafür bekannt, Menschen zum Zeitvertreib zu quälen. Ab 1944 erinnert sich Doris, kamen immer mehr Todesmärsche im Lager an. Die Menschen waren in einem erbärmlichen Zustand und viele von ihnen starben noch Ende des Krieges an Krankheiten und Entkräftung. Zum Ende ihrer Inhaftierung in Theresienstadt war Doris mit 5 anderen Mädchen auf einem Dachboden untergebracht. Mit den Frauen verbindet sie noch heute eine enge Freundschaft, die bis nach Israel reicht. Trotz alledem hat Doris in ihrer Zeit im Ghetto nie an Flucht gedacht, obwohl das beim Schafehüten auf den Weiden durch aus möglich gewesen wäre. Aber wohin hätte sie auch gehen sollen. Kurz vor der Befreiung des Ghettos durch die Rote Armee, flüchteten die SS-Wachmannschaften: „Die sind auf und davon“, so Doris.

Nach der Befreiung verbrachte Doris Grozdanovicova einige Zeit bei einem tschechischen Gendarmen, der zur Bewachung des Ghettos eingeteilt war. Dort wurde sie sehr gut behandelt und hat noch heute freundschaftliche Verbindungen zu dessen Familie. Doris ging später nach Brno zurück und traf dort auf ihren Bruder: „Das war das größte Glück meines Lebens, ihn wieder zu sehen. Da haben wir uns 3 Monaten nicht gestritten, was wir sonst immer taten.“, beschreibt sie ihre damalige Wiedersehensfreude. Sie holte dann ihr Abitur nach, studierte in Brno, zog nach Prag und arbeite im Außenministerium.  Bereits nach einem Jahr wurde sie jedoch aus dieser Tätigkeit entlassen, da sie über „Westkontakte“ verfügte, die sie nicht aufgeben wollte. Ihre Tante, die den Holocaust ebenfalls überlebt hatte, wohnte in England. Vier Jahre arbeitete Doris als Redakteurin einer Zeitung bis sie zwangsweise pensioniert wurde. Der Grund: Ihr Sohn war von einer Englandreise nicht zurückgekehrt. „Ich würde nie emigrieren, nicht nach England oder sonst wo hin“, sagt Doris trotzig nicht ohne im Scherz anzufügen: „Naja, vielleicht nach Dessau.“. Erst sehr spät entschloss sie sich, über ihre Erlebnisse öffentlich zu berichten. Inzwischen hat sie zahllose Gespräche vor Schulklassen gehalten. „Es ist unsere Pflicht, darüber zu berichten“, sagt sie insbesondere angesichts der Tatsache, dass heute nur noch 600 ehemalige Häftlinge aus Theresienstadt am Leben sind. Ihr inzwischen verstorbener Bruder gründete die „Theresienstädter Initiative“ in der sich auch Doris als Redakteurin engagiert.


Doris Grozdanovicova am Informations- und Mahnpunkt Zyklon B in Dessau

Auf eine Frage aus dem Publikum, was für ein Verhältnis sie heute zu den Deutschen habe, antwortet Doris unglaublich diplomatisch: „Für mich sind alle Menschen gleich, aber die SS kann man nur hassen. Ich wäre nicht hier, wenn ich alle Deutschen hassen würde.“. Zum Umgang Deutschlands mit seiner Geschichte in Punkto Entschädigungspolitik sagt sie: „Nun ist es für viele schon zu spät“ und. „In Deutschland habe es so viele KZ`s und Außenlager gegeben, das die Anwohner einfach was mitbekommen haben müssen.“.

Insgesamt organisierte das AJZ Dessau vier Gespräche zwischen meist Jugendlichen und Doris Grozdanovicova in Sachsen-Anhalt. Zum Abschluss erwartete Doris im Zerbster Gymnasium eine Überraschung. Sie war Ehrengast der Ausstellungseröffnung „Theresienstadt ist kein Museum“, die von Kurt Pzinbek, einem ehemaligen Schüler dieser Schule, erarbeitet wurde.

Infos/Kontakt:
Alternatives Jugendzentrum e. V.
Jana Müller
Schlachthofstr. 25
06844 Dessau
Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 9/12
e-mail :ajz-dessau@web.de

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