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„Herr W. geht auch Angeln“

Prozeß gegen Dessauer Hip Hop-Band wegen Volksverhetzung fortgesetzt




Vier Mitglieder der Dessauer Hip Hop-Band „Dissau Crime“ müssten sich am 04. Oktober 2006 erneut vor dem Amtgericht Dessau wegen des Tatvorwurfes der Volksverhetzung (Paragraph 130 STGB) verantworten. Bereits im Mai diesen Jahres begann der Prozeß gegen die vier Angeklagten, der dann für einige Monate ausgesetzt wurde. Die Vorsitzende Richterin ordnete damals weitere Gutachten von unabhängigen Sachverständigen und dem Landeskriminalamt an (mehr dazu hier...). Die Anklage wirft David S. (28), Stefan B. (22), Franz W. (27) und Mirco F. (28) vor gemeinschaftlich handelnd Schriften veröffentlich zu haben, die u.a. zum Hass gegen ethnische Minderheiten aufrufen und zudem Gewalt verherrlichen. Hinter dieser im Juristendeutsch verfassten Verklausulierung steht nichts anderes als die Produktion und der Vertrieb einer CD.

Die Band veröffentlichte im Jahr 2003 ein Album mit dem Titel „Zyklon D – Frontalangriff“. Einige der Liedtexte transportieren ganz offensichtlich antisemitische, schwulenfeindliche und menschenverachtende Inhalte und verharmlosen zudem die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten (mehr dazu hier...). Textpassagen wie „(...) Ich schieße mit der Flak, auf das ganze Judenpack(...)“ (Song „Gestapo aus dem Osten“) oder „(...) ich hab da noch was: Jedem das Seine! Denk an den Satz, auf dem Weg ins Gas, Gas meiner Stadt. Zyklon Dissau“ (Song „Die Jagd ist eröffnet“) stehen exemplarisch hier für.

Der Vorsitzende Jugendrichter Klumpp-Nichelmann, dem man übrigens anmerkte das er sich akribisch auf die Verhandlung vorbereitete hatte und mit dem szeneinternen Hip Hop-Slang durchaus etwas anfangen konnte, wollte dezidiert klären, wer für welche Texte verantwortlich zeichnete und vor allem was damit zum Ausdruck gebracht werden sollte.

Was haben Sie sich bei den Texten gedacht?“, fragt Klumpp-Nichelmann offensichtlich interessiert.
David S., der die CD vervielfältigt hatte und für die Gestaltung des Covers zuständig war, war dabei zuerst angesprochen. Er sagte, dass die CD als eine unmittelbare Reaktion auf die vermeintliche Stigmatisierung aller ostdeutschen als „Nazis“ zu verstehen sei. Vor allem die Presse würde immer wieder einen solchen Eindruck erwecken. S. spricht auch davon, das die Texte letztlich als satirische Überhöhung zu verstehen sind:„Was wir nicht bedacht haben, dass die Sache nicht verstanden wird“. Der Angeklagte räumte ein, 10 Exemplare des Albums zum Weiterverkauf an einen Dessauer Szeneladen abgegeben zu haben. Nachdem „erste Gerüchte aufgekommen“ seien und der Inhaber sich weigerte die CD weiterhin anzubieten, nahm er diese zurück. „Die Leute die uns kannten wussten damit was anzufangen“, glaubt S. weiter an den Satiregehalt der Produktion und ist sich sicher, dass „die ganze Sache durch das AJZ (Alternatives Jugendzentrum Dessau, der Aut.) mächtig aufgebauscht wurde“.

Auch ein Beitrag des ARD-Magazins „Polylux“ kam an diesem Prozesstag erstmals zur Sprache. In diesem sollte es laut dem Angeklagten eigentlich um die zunehmende Härte im deutschen Battle-Rap (Wortgefecht zwischen Rappern auf der Bühne, d. Aut) gehen. Schließlich fühlten sich S. und die anderen Crewmitglieder von den Redakteuren hintergangen: „Auf einmal ging es um ultra-rechten Hip Hop“.

Nach der Sendung wäre die Resonanz sprunghaft gestiegen: „Wir hatten 20-30 Anfragen am Tag“, so David S. Dies habe letztlich den Entschluss gestärkt, das „letzte Exemplar“ bei Ebay zu versteigen. „Warum nicht ein bisschen Geld machen“, fasst S. seine damaligen Gedanken zusammen. Doch statt einer schönen Summe, zog das Auktionsportal das Angebot vorzeitig aus dem Verkehr und S. erhielt Besuch von der Polizei. Am 17. Juni 2005 beschlagnahmten die Beamten bei ihm das Masterband, die Original-CD und einen Computer. Der 28jährige beteuerte vor Gericht von dem Verbot des Tonträgers und der Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien erst durch die Hausdurchsuchung erfahren zu haben. Die weitere Befragung ergab, dass S. nur die Texte eines Titels schrieb, der nicht Bestandteil der Anklage ist, für den Richter dennoch gewaltverherrlichende Züge trägt: „Satire darf viel, aber nicht alles“, so der Vorsitzende.

Der Anwalt des Angeklagten Mirco F. will das Konzept des Battle-Rap, auf das sich die vier jungen Männer immer wieder berufen, verstehen und hackt nach. „Hip Hop baut nicht auf Gewalt auf, sondern ist ein Krieg mit Worten“, weis S. dazu und erläutert das „nur der als Sieger von der Bühne geht, der die krassesten Texte hat“. Auf die Frage ob ein Battle-Rap über eine CD, also quasi mittels Fernwettstreit, üblich wäre, konnte keine befriedigende Antwort gegeben werden. “Einen richtigen Sinn gibt es da wahrscheinlich nicht“, klingt S. abschließend etwas konzeptionslos.

Ich kann nicht im einzelnen sagen, wie bestimmte Tracks auf die CD kamen“, umschreibt Franz W. seine Erinnerungslücken. Später stellte sich jedoch heraus, dass für die Zusammenstellung Mirco F. und  Stefan B. zuständig waren. Ein richtigen Plan hat es offensichtlich ohne hin nicht gegeben: „Wir haben einfach auf den Timecode geguckt was passt“, schildert W. „Wir hatten nie den Anspruch volksverhetzende Texte zu verbreiten“, stellt er außerdem klar.

Dass das Album eigentlich nur für den Freundeskreis bestimmt gewesen wäre, dem man ja die Satire sozusagen erklären könne, hörte man im Saal an diesem Nachmittag immer wieder. Zu dieser Aussage passt die Ebay-Auktion nun gar nicht. Auch die von W. geschilderte Vermutung, dass bestimmt Tausende Bootlegs von „Zyklon D – Frontalangriff“ im Umlauf seien, kann diese These nicht gerade stützen.

Wir machen Battle, ohne dass jemand dabei ist?“, fragt Jugendrichter Klumpp-Nichelmann ungläubig und spricht dabei nochmals den fehlenden Gegner in der musikalischen Auseinandersetzung an. „Das ist ein fiktiver Battle“, lautet die recht kryptische Antwort.

Ich möchte sagen, dass ich christlich erzogen bin und den jüdischen Glauben anerkenne“, beginnt Stefan B. seine Aussage. Er habe auch nichts gegen Lesben oder Schwule. Der Titel „Outro“, den B. schrieb und in dem es u. a. heißt: „Dissau scheißt auf euch, auf dein Haus, auf deine Frau, schwule Sau, Wichser, Dreckschwein, Homosexueller ich brenn dich ab, dein Haus und dein Auto.(…)Der Endsieg ist in naher Ferne warte nicht, er ist bald da! Unsere Homies schreien: Hurra!“, lässt dieses Bekenntnis wenig glaubwürdig erscheinen.

Mirco F. vergleicht Battle-Rap zum Beginn seines Statements mit einem Boxkampf und wehrt sich gegen rassistische Vorwürfe: „Da kann es ja auch sein, dass ein weißer Boxer einen schwarzen schlägt“. Für F. ist der Kunstbegriff, unter den ja auch der Battle-Rap falle, ein zu schützendes Gut. „Ich bin nicht im 2. Weltkrieg groß geworden. Ich bin als Jungpionier in der DDR aufgewachsen“, sagt der Angeklagte abwehrend. Das sieht der Richter etwas anders: „Sie haben mit der Geschichte als Deutscher schon etwas zu tun“.

Dem Gericht und den Prozessbeobachtern bleibt es nicht erspart, sich noch einmal im Detail mit einigen Stücken und den inkriminierten Textpassagen zu beschäftigen. Als erstes stand der Song „Die Jagd ist eröffnet“ auf dem Prüfstand. In diesem textete der Angeklagte Franz W. u. a.: „(...) Dissau predigt den Endsieg. Erlebt meine Aura, wie die Massen Adolf Hitler.“ An anderer Stelle hieß es: „(...) Ich hab das noch was: „Jedem das Seine!“ Denk an den Satz, auf dem Weg ins Gas. Gas meiner Stadt. Zyklon Dissau.“ W. bezeichnete den Titel als eine unmittelbare Reaktion auf „einen Rechtsrock im Hip Hop“, den es zur Entstehungszeit des Tracks gerade gegeben hätte. Schließlich sei es darum gegangen, über den historischen Fakt, dass Zyklon B in Dessau produziert wurde, in die Szene hinein zu informieren. Es hätte damals vor allem Berliner Hip Hop-Bands gegeben, die in ihren Songs oftmals vom „Duschen mit Gas“ gerappt hätten. Diese sehr konstruiert wirkenden Erklärung verstand der Richter nicht: „Ich kriege es nicht hin, warum sagen sie das MC Trallala nicht direkt?“ Das würde nicht gehen: „Da kann ich ja gleich auf den Rummel auftreten“, so ein Bandmitglied zum Underground-Sendungsbewusstsein der Dessauer Hip Hop-Crew.

Ich bin politisch eigentlich uninteressiert“, sagt Stefan B. lapidar. Genau das hält Jugendrichter Klumpp-Nichelmann für gefährlich: „Dass ist das Problem, wen man solche Texte macht“. Auch Mirko F. gibt wenig später unumwunden zu: „Ich bin da wohl ein bisschen unterbelichtet“ und meint damit seine offensichtlichen Wissenslücken über die NS-Zeit. Michelmann, der die vier jungen Männer nicht für Rechtsextreme hält, bringt den besagten Polylux-Beitrag nochmals ins Spiel und attestiert diesem, den Kern schon ziemlich gut getroffen zu haben. Der Grundtenor des Berichtes damals: Sie singen über Zyklon B und wissen nicht warum. 

Der Text ist massiv“, fällt dem Richter zum Titel „Gestapo aus dem Osten“ ein. Wohl eher eine milde Umschreibung für Passagen wie: „(…)Ich verfluche dieses Land und alle, die nicht hergehören. Ich werde euch zerstören. Ich hasse echt die ganze Welt. Doch noch viel mehr hasse ich das Geld. Weil das an allen Ecken fehlt und in dieser Scheißwelt am meisten zählt.
Überall Koritzen. Ich schieße mit der Flak, auf das ganze Judenpack. Zack – zerwichse ich die Drecksgesellschaft oder am besten alles. Schnallt es, ich hasse die Fuck-Homo-Welt
und die ganzen schwulen Penner. Es gibt nur einen Nenner und der ist arisch. Sag lieber gar nichts. Sprich deutsch! Kauderwelsch ist Rotze, scheiß Votze. Ja, ich bin ein Nazi, von wegen Stasi, ich schlag sie. Die SS hab ich als Rückendeckung, also geh besser in Deckung. (…)“

Stefan B. erklärt sich als verantwortlicher Komponist dazu. Er wollte hier keineswegs Juden angreifen, sondern die Macht des Geldes und vor allem der Wirtschaft ansprechen: „Siemens macht doch hier Politik“. Das der Angeklagte hier mit seiner dichotomen Sichtweise auf die Zirkulationsphase, die angeblich an allem Übel der Welt Schuld wäre, jedoch genau strukturell-antisemitische Erklärungen das Wort redet, merkt er nicht. „Ich mag auch Deutsche nicht, die rumlungern oder meine Frau anmachen“, fällt B. zur Textzeile „Ich verfluche dieses Land und alle, die nicht hergehören“, ein. Eine wenig glaubwürdige Einschätzung in diesem Kontext, die zudem sozial Schwache diskriminiert. Klumpp-Nichelmann bohrt weiter nach: „Was hat die Gestapo hier zu suchen?“ Mirco F. hat da seine ganz eigenen Erklärungsansatz und packt noch einmal den vermeintlichen Pauschalvorwurf gegen die ostdeutsche Jugend aus: „Ihr wollt ein paar Nazis. Hier habt ihr sie!“. Stefan B. beteuert dagegen, dass es ihm dabei um die „ganzen Ost-Westgeschichten“ gegangen sei. Die Begrifflichkeit „Gestapo“ würde er heute nicht mehr verwenden: „Das war Mist“.

Mit Begriffen und deren Deutung respektive Interpretation beschäftigt sich das Gericht an diesem Tag oft. Franz W. überrascht die Anwesenden mit seiner Aussage, dass das Wort „Zyklon“ im CD-Titel nichts mit dem Giftgas zu tun hätte, sondern für den gleichnamigen Wirbelsturm in Asien stehen würde. Glauben wollte ihm das niemand so recht konnte er doch nicht nachvollziehbar darlegen, wie das Wetterphänomen ins textliche Gesamtarrangement passt. „Herr W. geht auch Angeln“, sorgte Mirco F. für Heiterkeit im Saal, als er damit die Verwendung des Wortes „Heil“ auf dem Album zu erklären versuchte. Das war selbst dem geduldigen Jugendrichter zu viel: „Das Wort ist in der deutschen Geschichte aber schon anders besetzt“.

Zu einem Urteilsspruch kam es am 04. Oktober noch nicht. Der Jugendrichter schlug vor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße, zu leisten an Aktion Sühnezeichen, einzustellen. Darüber muss die Staatsanwaltschaft noch entscheiden. Der Prozess wird am 19. Oktober ab 14.30 Uhr vor dem Dessauer Amtsgericht (Saal 112) fortgesetzt. 

verantwortlich für den Artikel:
Steffen Andersch
Projekt gegenPart
Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus
Schlachthofstr. 25
06844 Dessau
Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3
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