Aktionswochen gegen Antisemitismus Dessau-Roßlau 2007
zahlreiche Veranstaltungen im November
Juni 2007: In Aschbach, Landkreis Bamberg, wurden auf dem Jüdischen Friedhof 49 Grabsteine umgeworfen, einige zerstört. In Brandenburg an der Havel wurden Gebäude mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert. Im schwäbischen Winnenden wurden Fensterscheiben des Unternehmens „Nix Gut“ mit einem Hakenkreuz und einem „Judenstern“ beschmiert. In Hamburg-Harburg wurde das Schaufenster der Geschäftsstelle der Grünen mit antisemitischen Parolen beschmiert. In Berlin-Schöneberg wurde eine Frau, die gerade eine jüdischen Einrichtung verließ, von einem Mann antisemitisch beschimpft. Ein weiterer Mann, der die Frau in Schutz nahm, wurde dann vom Täter mit dem Auto angefahren. In Cottbus wurde der Gedenkstein des ehemaligen Jüdischen Friedhofs erneut geschändet.
Leider ein ganz normaler Monat im Jahr 2007. Die Liste antisemitischer Straf- und Gewalttaten reißt nicht ab, und die meisten Beleidigungen werden gar nicht öffentlich bekannt, sind nicht Sache der Justiz, auch wenn sie das gesellschaftliche Klima prägen.
Antisemitische Straftaten sind auch immer wieder in der Region Anhalt zu verzeichnen. So beschmierten Unbekannte am 14. Mai 2007 mehrere Gebäude und Mahnmale in Dessau mit Hakenkreuzen und SS-Runen. Dabei wurde auch die Gedenk-Stele, die an die Deportation der Dessauer Juden und die Zerstörung der Synagoge erinnert, geschändet (mehr dazu hier...). Bereits am 20. April 2007 wurde zudem der Info- und Mahnpunkt Zyklon B auf der Dessauer Brauereibrücke geschändet (mehr dazu hier...).
Hakenkreuz auf dem Denkmal, dass an die Deportation Dessauer Juden erinnert
Mit den Aktionswochen gegen Antisemitismus versuchen bundesweit zahlreiche Initiativen und Gruppen, koordiniert von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin (mehr dazu hier...), auf das Thema aufmerksam zu machen. Im vergangenen Herbst haben 100 Initiativen in 50 Städten und Gemeinden Lesungen, Vorträgen, Ausstellungen, Stadtrundgänge, Gedenkveranstaltungen und Diskussionsrunden organisiert.
In Dessau-Roßlau haben sich deshalb zahlreiche Akteure bereits das vierte Jahr in Folge zusammengeschlossen, um über historische und aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus zu informieren und sich in die öffentliche Debatte einzumischen.
22. November 2007//19.00 Uhr//Hochschule Anhalt (Gebäude 11, Hardenbergstr. 11, Dessau-Ziebigk)
Vortrag & Diskussion: Islamische Apokalyptiker und ihre linken Bewunderer. Der antisemitische Antiimperialismus von Teheran bis Caracas. Referent: Stephan Grigat (Politikwissenschaftler; Wien)
„Marq bar Israel“, was nicht anderes als „Tod für Israel“ bedeutet, schallt es durch den Raum bevor der iranische Präsident, Mahmud Ahmedinejad, seine Rede auf der Konferenz „Eine Welt ohne Zionismus” im November 2005 in Teheran beginnt. Im Publikum sitzen Repräsentanten von Hizbullah, Hamas und der Islamischen Studentenvereinigung.
Ahmedinejad findet klare Worte nimmt kein Blatt vor den Mund und erklärt sinngemäß, dass die Beseitigung Israels machbar wäre. In diesem Zusammenhang erscheint das derzeit angestrebte Atomprogramm des Iran in einem erschreckenden Licht.
Das erklärte Ziel, die Vernichtung Israels, bringt jedoch keine allgemeine Ächtung mit sich, wie man vielleicht erwarten würde. Vielmehr findet Ahmedinejad mit seiner "Politik" zahlreiche Verbündendete - teilweise gerade da, wo man es vielleicht am wenigsten vermuten würde: in der Linken. Woher kommt es beispielsweise, dass die Führer des lateinamerikanischen "Völkerfrühlings", von Chavez über Castro bis zum wieder an die Macht gelangten Daniel Ortega, in Ahmadinejad ihren »Bruder« erblicken? Zeigt sich irgendjemand in der Linken in Venezuela, Kuba, Nicaragua oder Bolivien entsetzt über den offenen Antisemitismus der iranischen Verbündeten? Oder ist es gerade das antisemitische Ressentiment, das die Antiimperialisten jeglicher Couleur heute zu quasi natürlichen Verbündeten im Kampf gegen das, was Ahmedinejad als "Welt der Arroganz", sprich die westliche Welt bezeichnet, macht?
zum Referenten: Stephan Grigat ist als Lehrbeauftragter am Wiener Institut für Politikwissenschaft tätig, arbeitet als freier Autor und zur Zeit als Forschungsstipendiat in Tel Aviv.
26. November 2007//18.00 Uhr//Schabehaus Dessau (Johannisstr. 14)
Eröffnung der Aktionswochen//Vortrag und Diskussion: Vom jüdischen Kitsch zum antisemitischen Nippes. Populäre Judenbilder und aktuelle Verschwörungstheorien. Referent: Prof. Dr. Falk Wiesemann (Universität Düsseldorf)
Nach 1945 glaubten viele, die antijüdischen Traditionen Europas seien ein für allemal diskrediert. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Im Zeichen von Globalisierung, Einwanderung und der Suche nach festen, unverrückbaren Identitäten, ob in Europa oder dem so genannten „Orient“, in der christlichen wie in der islamischen Welt, erleben populäre Bilder des Jüdischen und wilde Verschwörungstheorien eine überraschende Renaissance, auch dort wo keine Juden leben.
Anlass dafür scheint immer wieder der Konflikt um Israel und Palästina zu sein. Doch vielleicht ist es umgekehrt: Negative wie positive Phantasien über „die Juden“ laden den Konflikt im Nahen Osten auf, als ginge es um das Schicksal der Welt.
Schauen wir uns diese Phantasien einmal genauer an.Während Islamisten versuchen, die Diskursführerschaft in der islamischen Welt und darüber hinaus zu erringen, indem sie sich zur Avantgarde einer Schlacht um Palästina und Jerusalem stilisieren, träumen christliche Fundamentalisten in Europa und den USA vom Heilsplan einer apokalyptischen Endzeit, in dem die „Rückkehr der Juden“ nach Jerusalem als Notwendigkeit erscheint. Und „linken“ Globalisierungskritikern verdichtet sich ihr Bild des Bösen immer mehr zum Zweigespann von Wallstreet und Zionismus, zu einer Melange von Antisemitismus und Antiamerikanismus.
So wandern stereotype Wahrnehmungen des „Jüdischen“ heute scheinbar ungebrochen in andere kulturelle, politische und geografische Kontexte ein und dienen in den unterschiedlichsten politischen Konflikten als Munition und „Orientierung”. Gleichzeitig lebt der Mainstream in Europa seine positive Faszination durch das „jüdische Erbe“ nun in Museen und Folklorisierungen, Klezmerkonzerten und Sammlungen jüdischer Souvenirs aus – und verabschiedet sich scheinbar vom alten Ressentiment, um es in Wirklichkeit mit den Chiffren „Israel“ und „Wallstreet“ (Zinsherrschaft, Börsenhaie...) lediglich neu nach außen zu projizieren.
Verdichtete sich der moderne Antisemitismus schließlich in der Parole, die eine Darstellung auf einem Bierhumpen bündig auf den Punkt bringt – die Juden zurück „nach dem Orient“, nach Palästina abzuschieben, sprich: zu vertreiben –, so gelten heute in der arabischen Welt die Juden in Form des Staates Israel als Eindringlinge aus dem Westen. Und Palästinas selbsternannte Freunde skandieren die Parole: „Juden raus aus Palästina“.
außerdem zur Eröffnung: # Redebeitrag der Lokalveranstalter # Live-Musik mit der Jazz-Band "Urban Jazz Section" (Leipzig)
zum Referenten: Prof. Dr. Falk Wiesemann (geb. 1944) lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und forscht zur Zeit zur Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Der Inhaber des Lehrstuhles für Neueste Geschichte und Landesgeschichte wirkte zudem an der Ausstellung „Antijüdischer Nippes, populäre Judenbilder und aktuelle Verschwörungstheorien“ mit.
Infos/Kontakt zum Veranstalter: Projekt gegenPart - Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt Steffen Andersch Schlachthofstr. 25 06844 Dessau-Roßlau Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3 steffen.andersch@projektgegenpart.org www.projektgegenpart.org
29. November 2007//19.30 Uhr//Gemeinde- und Diakoniezentrum St. Georg (Georgenstr. 14, Dessau)
Vortrag und Diskussion: Christlich-Jüdischer Dialog. Referent: Rabbiner Walter Rothschild (Berlin)
Der Dialog zwischen Christentum und Judentum ist seit Gründung der ersten christlichen Gemeinden ebenso lebendig wie spannungsreich geführt worden.
Die gemeinsame Grundlage, die im Glauben an den einen Gott Israels gelegt ist, bildet eine untrennbare Verbindung. Die Lichtseite dieser gemeinsamen Vergangenheit und Gegenwart bilden die vielen Zeugnisse gegenseitiger kultureller Bereicherung, die finstere Seite die antisemitischen Pogrome. Die Bedrohung des jüdischen Volkes im Land Israel und in unseren eigenen Städten und Dörfern zeigt, wie wichtig der Dialog und die gegenseitige Achtung sind.
zum Referenten: Seit 2001 arbeitet Walter Rothschild als freiberuflicher Rabbiner für liberale jüdische Gemeinden in Deutschland. Daneben ist er ein vielgefragter Gesprächspartner im christlich-jüdischen Dialog und ein häufiger Gast in evangelischen und katholischen Akademien.
November 2007//10.00 Uhr//Goethe-Gymnasium Roßlau (Goethestr. 1-5)
Vortrag und Projekttag: Juden in Dessau-Roßlau und ihr Beitrag zur Stadtgeschichte. Referent: Dr. Bernd Ulbrich(Lokalhistoriker; Dessau-Roßlau)
Der Vortrag thematisiert den Beitrag jüdischer Einwohner zur Stadtentwicklung seit dem 17. Jahrhundert in Wirtschaft, Kultur, gesellschaftlichem Leben. Er behandelt herausragende jüdische Persönlichkeiten und Leistungen, die Potentiale von Akkulturation und Emanzipation, macht Integrationstendenzen wie auch Konflikte zwischen jüdischer und nichtjüdischer Lebenswelt kenntlich. Betrachtet wird auch die lokale Dimension des Antisemitismus und der Durchsetzung nationalsozialistischer Judenpolitik.
zum Referenten: Dr. Bernd Ulbrich ist wissenschaftliche Mitarbeiter beim Bildungsträger Kolleg für Management und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung. Der Autor und Herausgeber von Sachbüchern zur Regionalgeschichte Sachsen-Anhalts hat zuletzt den virtuellen Stadtrundgang "Judentum und Antisemitismus in Anhalt" entwickelt.
Infos/Kontakt zum Veranstalter: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt im Multikulturellem Zentrum e. V. Marco Steckel Parkstr. 07 06847 Dessau-Roßlau Tel./Fax: 0340/ 66 12 39 5 opferberatung@datel-dessau.de
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