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„Der Antisemitismus konnte und kann ohne Juden offensichtlich besonders stark auftrumpfen"

Aktionswochen gegen Antisemitismus in Dessau




Nicht nur die Verantstalter um den Vorbereitungskreis, dem Alternativen Jugendzentrum und der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus waren über die Resonanz, auf die die Eröffnung der Aktionswochen gegen Antisemitismus am 23. November 2006 stieß, überrascht. Insgesamt 100 Gäste hatten den Weg in den Dessauer Rathaussaal gefunden. Darunter zahlreiche lokale und regionale Honoratoren, so der amtierende Oberbürgermeister der Stadt Dessau Karl Gröger, die Landtagsabgeordneten Silke Schindler (SPD) und Gudrun Tiedge (PDS.Linkspartei), der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Dessaus, Dr. Alexander Wassermann, der Ausländerbeauftragte Sachsen-Anhalts, Achim Bürig, sowie zahlreiche Stadträte.

Besonders freuten sich die Organisatoren, Max Mannheimer als Ehrengast der Veranstaltung begrüßen zu dürfen. Der Holocaustüberlebenden und Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, stand den Gästen im Laufe des Abends für ein Zeitzeugengespräch zur Verfügung.

Die Aktionswochen fanden in Dessau bereits zum 3. Mal in Folge statt. Zahlreiche Akteure hatten sich erneut zusammengeschlossen, um "über historische und aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus zu informieren, aufzuklären und sich in die Debatte einzumischen". Dabei war das Programm in Dessau nur ein Teil eines großen Ganzen. In insgesamt 50 Städten beteiligten sich über 100 Initiativen an der bundesweiten Initiative."Der Antisemitismus hat Konjunktur", hieß es im Aufruf des Dessauer Aktionsbündnisses. Angesichts nicht abreißender antisemitischer Vorfälle und Tendtenzen sei es dringend angezeigt, hier koordiniert entgegenzuwirken. Insbesondere der israelische Kriegseinsatz im Libanon wurden in der deutschen Presse und auf Friedensdemonstrationen zum Anlass genommen,jahrhunderte alte antisemitische Stereotype neu aufzulegen: Es war vom israelischen Kindermord die Rede, vom Blutsauger und von dem hinterhältigen Überfall, den dieser Krieg dargestellt habe. Friedhofsschändungen, antisemitische Schmierereien an Hauswänden und Denkmälern, judenfeindliche Äußerungen auf Demonstrationen, „du Jude“ als Schimpfwort auf Schulhöfen und Übergriffe auf Personen, all dies gehöre zur deutschen Normalität.




Angesichts dieses antisemitischen Alltags in Deutschland war die Zusage der Justizministerin Sachsen-Anhalts, Prof. Dr. Angela Kolb, die Schirmherrschaft für die Aktionswochen zu übernehmen, nicht nur ein symbolisches Zeichen. Vielmehr scheint die dringend notwendige Sensibilität für das Thema, die Initiativen gegen Rechts seit Jahren mit mäßigem Erfolg einfordern, auch bei einem großen Teil der politischen Verantwortungsträgern angekommen zu sein.Dafür sprach auch die äußerst fundierte und analytische Rede, die die Ministerin hielt. Keine inhaltslosen Worthülsen und inkonsequenten Appelle, sondern ein Statement mit Substanz, wie viele Anwesende später meinten.


die Schirmherrin der Aktionswochen, Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb

So überraschte die Ministerin mit einem augenscheinlich antisemitischen Zitat aus der Geschichte "Plisch und Plum", verfasst von Wilhelm Busch: "Kurz die Hose, lang der Rock, Krumm die Nase und der Stock, Augen schwarz und Seele grau, Hut nach hinten, Miene schlau - So ist Schmulchen Schievelbeiner. Schöner ist doch Unsereiner". Die Analyse zu dieser Beschreibung eines Juden lieferte Kolb gleich mit: "Ein bekanntes Vorurteil wird in Reimform erzählt". Das Phänomen, das gruppenbezogene Menschnfeindlichkeit offensichtlich nicht einmal ein reell vorhandenen Feind braucht, sparte sie nicht aus: "Der Antisemitismus konnte und kann ohne Juden offensichtlich besonders stark auftrumpfen". Damit meinte sie den den Hass auf die Juden, der auch ohne oder nur mit wenigen jüdischen Mitbürgern fröhliche Urstände feiert. Kolb lobte ausdrücklich die Aktionswochen, die dazu beitragen würden, "die neuen Feuer des Antisemitismus in unserer Gesellschaft auszutreten". Der Antisemitismus sei eben nicht nur eine geschichtliche Wahrheit, sondern auch eine aktuelle Erscheinung. Dieser Fakt müsse als Erkenntnis endlich wahrgenommen werden und zu einer Handelungsmaxime aller Demokraten werden. "Wir müssen die eindeutige Botschaft vermitteln, das antisemitische Hassverbrechen genau dies sind: Verbrechen - und dass diese entschieden verfolgt werden", stellte Kolb ummissverständlich klar. Es sei eine Verharmlosung, wenn antisemitisch motivierte Gewalttaten und Propagandadelikte als unvermeindliches Nebenprodukt interethnischer Konflikte abgetan werden.

Für den Vorbereitungskreis fand danach Marco Steckel, der Leiter der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, klare und aufrüttelnde Worte. Der Vorfall in Pretzien, den die internationale Öffentlichkeit und die Weltpresse genau so hellhörig zur Kenntnis genommen hat, wie die Tat in Parey, hätte vorallem eins gezeigt: Die neue Qualität einer antisemitischen Praxis. "Da wird ganz bewusst das Tagebuch der Anne Frank verbrannt, weil sie Jüdin und Shoa-Opfer war. Da wird ganz bewusst das Sternenbanner, die USA-Fahne, verbrannt, weil die Vereinigten Staaten im Duktus der Rechtsextremisten – und nicht nur der - als Ausgeburt der modernen westlichen Demokratie gelten, hinter der die Juden stehen würden", beschrieb Steckel die erschreckende Motivation. Auch auf dem Schulhof in Parey, dort zwangen Jugendliche einen Mitschüler ein Schild mit der Aufschrift: „Ich bin am Ort das größte Schwein, ich lass mich mit Juden ein“ zu tragen, wäre ein Beweis für diese Entwicklung."Kein dummer Jungenstreich, sondern ein bewusster Rückgriff auf einen nationalsozialistischen Terminus aus der antisemitischen Klaviatur eines Julius Streicher", konstatierte der Redner. Auf eine andere besorgniserregende Tendenz machte der Opferberater ebenfalls aufmerksam. Antisemiten trauen sich in Deutschland immer offener, sozusagen mit Namen und Adresse, ihre judenfeindliche Gesinnung zur Schau zu stellen. Die gesellschaftliche Ächtung und das Tabu Antisemitismus, würden nicht mehr wirkungsvoll funktionieren. Genau dass fordert Steckel ein. Antisemitismus müsse ohne Abstriche als solcher benannt und kompromisslos verurteilt werden. Auch der Entlastungs- und Vermeidungsstrategie, dass Antisemitismus angeblich nur am rechten Rand der Gesellschaft wirkungsmächtig sei, verpasste er eine Abfuhr: "Antisemitismus manifestiert sich in der bürgerlichen Mitte ebenso, wie am linken Rand des politischen Spektrums.". Steckel wies auch auf eine gefährliche politische Kooperation hin, die von vielen immer noch unterschätzt werden würde: "Dass Neonazis und die NPD gerade ihre Liebe zum Iran, anderen staatsantisemitischen Regimen und islamistischen Gruppen entdecken, verwundert kaum. Was sie eint - und hin und wieder kampagnenartig zusammenarbeiten lässt - ist ihr krankhafter Hass auf die Juden und den Staat Israel." Abschließend forderte der Vertreter des Dessauer Vorbereitungskreises eine Bildungsoffensive an den Schulen Sachsen-Anhalts. Verpflichtend und abgedeckt durch externen Sachverstand, müssten auch Bildungsinhalte über aktuelle Erscheinungsweisen des Antisemitismus und des Rechtsextremismus vermittelt werden. Die richtigen Adressaten für seinen Appell dürften angesichts der anwesenden Landes- und KommunalpolitikerInnen im Saal gewesen sein. 

      Marco Steckel redete für den Vorbereitungskreis

Nach den Redebeiträgen warteten die Gäste gespannt auf die Premiere des Films "Der Tod kam aus Dessau - Die nationalsozialistische Zyklon B-Produktion in der öffentlichen Erinnerung". Die 30minütige Dokumentation hat das Alternative Jugendzentrum (AJZ) und die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus zusammen mit vier Dessauer Jugendlichen im Sommer diesen Jahres als Projekt des Förderprogramms "Zeitensprünge" produziert. Mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B ermordeten die Nationalsozialisten in den deutschen Vernichtungslagern Millionen von Menschen, vor allem europäische Juden. Dessau war der Hauptproduktionsstandort von Zyklon B. Bis 1945 wurde das Giftgas in der Zuckerraffinerie, im Volksmund "Fine" genannt, hergestellt. Der Film beleuchtet die lokalen Aspekte der Produktion und geht der Frage nach, ob und wie sich die Dessauer nach 1945 mit diesem historischen Fakt auseinandersetzten. Dabei brachte vor allem die Beschäftigung mit der Erinnerungskultur erstaunliches zu Tage. Um dieses Kapitel der Lokalgeschichte wurde auch zu DDR-Zeiten ein Mantel des Schweigens gehüllt. In der damaligen lokalen Öffentlichkeit war die Zyklon B-Produktion kein Thema und auch in den örtlichen Schulen spielte es im Unterricht keine Rolle. Auch nach der politischen Wende 1989 stellte sich die Stadt diesem Teil seiner Geschichte erst einmal nicht. Es blieb einer ehrenamtlich tätigen Forschungsgruppe vorbehalten, einen breiteren Diskurs anzuregen. Die Dokumentation zeigt auch, mit welchen politischen Widerständen diese Initiative jahrelang in der Stadt zu kämpfen hatte. Als besonders beeindruckend empfanden die Gäste die Passagen des Films, indem die KZ-Überlebenden Kazimierz Smolen und Henryk Mandelbaum als Zeitzeugen zu Wort kommen. Insbesondere die Ausführungen Henryk Mandelbaums, der im so genannten "Sonderkommando" in Auschwitz-Birkenau die Leichen der mit Zyklon B Ermordeten beseitigen musste, stellten den unmittelbaren Bezug Dessaus zu den deutschen Vernichtungslagern her. Der Einschätzung des Leiters des Stadtarchivs Dessau, Dr. Frank Kreißler, der in einem Brief an das AJZ den Film als "einen wichtigen und mit weitgehend objektivem Blick auf das Thema gestalteten Beitrag" bezeichnet, ist wohl nichts hinzuzufügen. Kreißlers Wunsch, dass "die Dessauer Schulen den Film fleißig für die Unterrichtsgestaltung nutzen werden", sollte daher unbedingt in Erfüllung gehen.

Als Höhepunkt und Abschluss des Abends berichtete der Holocaustüberlebende Max Manheimer über seinen Leidensweg in den deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslagern (mehr dazu hier...). Max Mannheimer wurde mit seiner Familie Anfang 1943 über Theresienstadt nach Auschwitz, wo seine junge Frau sowie seine Eltern sofort in den Gaskammern ermordet wurden, deportiert. Die weiteren Stationen seines Leidens waren die Konzentrationslager Warschau, Dachau und das Dachauer Außenlager Mühldorf. Außer ihm überlebte nur noch ein Bruder den Holocaust. Seit 1990 ist Max Mannheimer Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, seit 2002 Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees.

verantwortlich für den Artikel:
Steffen Andersch
Projekt gegenPart
Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus
Schlachthofstr. 25
06844 Dessau
Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3
projektgegenpart@gmx.net
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