In Zerbst soll ein Bündnis gegen Rechts gegründet werden
Auslöser war eine vermutlich rechtsextreme Gewalttat in Strinum
Der Anlass für den „Runden Tisch für Toleranz und Friedfertigkeit“, zudem Fabian Groh (B´90/Die Grünen) am 15. Juni 2006 in die Zerbster Lokalität „Gilde-Haus“ einlud, war leider Teil einer ostdeutschen Normalität. Am 10. Juni hatten vermutlich Rechtsextremisten Ricco R. (17) und seinen Bruder Marek auf dem Dorfest in Strinum, nur wenige Kilometer von der Kreisstadt entfernt, tätlich angegriffen. Dabei erlitt der 17jährige (mehr dazu hier...) eine Rippenprellung und hatte einen abgebrochenen Zahn zu beklagen. Dass Unfassbare an der Tat ist jedoch, dass Ricco R. schon einmal das Opfer einer neonazistischen Gewalttat wurde. Auf dem Zerbster Heimatfest am 30. Juli 2005 schlug ihm der Rosslauer Rechtsextremist Nico K. mit einem Bierglas ein Auge aus (mehr dazu hier...). Seit dem muss er mit einer Prothese leben und ist immer noch traumatisiert. Später zogen Ricco und seine Familie aus Zerbst weg, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten.
Die zwanglose Runde, zu der sich insgesamt zwölf Interessierte zusammengefunden hatten, eröffnete Fabian Groh. „Mir geht es nicht um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart“, erläuterte der Theologe sein Kommen. Von dem Tisch müsse ein klares Signal zur Unterstützung von Toleranz ausgehen, um die Bewertung einzelner Vorfälle gehe es ihm nicht so sehr.
Der Leiter des Zerbster Polizeireviers, Norbert Biermann, äußerte hinsichtlich des kommenden Heimatfestes in Zerbst: „Wir sind mit einem veränderten Sicherheitskonzept gut vorbereitet, ich denke wir können einem friedlichen Fest entgegensehen.“ Der SPD-Stadtrat Detlef Schrickel äußerte sein Bedauern, dass nur so wenige Bürger ins Gilde-Haus gekommen wären: „Die Zukunft der Stadt müsste doch alle interessieren, wir müssen hier gemeinsam was auf den Weg bringen“. „Es ist für uns nicht auszuhalten, dass hier gezielt Leute attackiert werden”, machte sich Margitta Schildt (PDS.Die Linke) Luft.
Etwas polemisch gab sich der Zerbster Rechtsanwalt Klaus-Jürgen Dietrich: „Ich hatte eigentlich erwartet, dass hier eine kleine illegale Demo stattfindet.“ Ganz gezielt habe er im Rahmen der Fußball-WM in einem Rosslauer Partyzelt das Spiel Polen gegen Deutschland verfolgt und mit Freunden offensiv für den östlichen Nachbarn gehalten. „Die Jugendlichen haben aber die richtige Strophe der Nationalhymne gesungen“, verpackte er seine leichte Kritik an die aufgekommene Patriotismusdebatte. Zum aktuellen Rechtsextremismus fand Dietrich angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen klare Worte: „Ich bin nicht bereit in einer Gesellschaft zu leben, die den Mantel des Schweigens ausbreitet.“
Obwohl vom Initiator so nicht gewollt, ging es dann doch erst einmal um die Bewertung des Übergriffs in Strinum im Speziellen und die Beurteilung der regionalen rechtsextremen Szene im Allgemeinen. Steffen Andersch, der Leiter der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Dessau und Mitglied des Bündnisses gegen Rechtsextremismus, betonte dabei, dass Zerbst und Umgebung mitnichten als rechte Hochburg im Sinne der vieldiskutierten No-Go-Areas gelten könne. Eine verfasste, organisierte Szene gäbe es im Landkreis derzeit nicht, obwohl Einzelpersonen sehr wohl über informelle Kontakte zu neonazistischen Personenzusammenhängen, zum Beispiel in Dessau, verfügen würden. Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt bestätigte diese Einschätzung hinsichtlich der bekannten Delikte. „Im Bereich der Polizeidirektion Dessau liegt Anhalt-Zerbst in diesem Jahr bisher auf dem letzten Platz“, so die Opferberatung. Allerdings könne hier keine Entwarnung gegeben werden. Insbesondere im Umfeld von Festivitäten würde es immer wieder rechtsextrem motivierte Gewalttaten geben.
„Wir können doch nicht hinter die Bewertung der Staatsanwaltschaft und der Polizei zurückfallen“, sagte Steckel hinsichtlich der Motivlage der Tat in Strinum. Er hatte im Laufe des Gesprächs vorgeschlagen, dass sich der Runde Tisch, quasi als erste öffentliche Aktion, mit dem Opfer solidarisch erklären könnte. Doch obwohl die ermittelnden Behörden eine rechtsextremes Delikt nicht ausschließen und vieles darauf hindeutet, so zum Beispiel ist einer der mutmaßlichen Tatverdächtigen bereits einschlägig polizeibekannt, konnte sich die Beteiligten auf dieses Signal nicht einigen.
Abseits solcher Meinungsverschiedenheiten arbeitete der Tisch dennoch zielorientiert. Die Zerbster Akteure wollen noch vor dem Heimatfest ein Bündnis gegen Rechts aus der Taufe heben. Dabei war man sich einig, so viele Initiativen, Vereine und Verbände wie möglich ins Boot zu holen. Ein reines Verwaltungsbündnis, ausschließlich gestützt durch den Stadtrat und die politischen Parteien, will man jedenfalls nicht. Das Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus und der Verein Miteinander e. V. haben ihre konkrete Unterstützung zugesagt. Erste Kontakte sind bereits geknüpft.
Infos/Kontakt: Fabian Groh An der Nuthe 10 39264 Nutha/Niederlepte Tel/Fax: 03923-778327 Mobil: 0173-4941988
verantwortlich für den Artikel: Steffen Andersch Projekt gegenPart Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus Schlachthofstr. 25 06844 Dessau Tel./Fax: 0340/ 26 60 21 3 web: www.projektgegenpart.org
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