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„Es ist gerade so oft erwähnt worden, dass es nicht auffiel, dass es nicht erwähnt wird."

"Das hat`s bei uns nicht gegeben!" - Ausstellung zum Antisemitismus in der DDR wurde in Dessau gezeigt





Unter den Augen zahlreicher Stadträte und anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, fiel am 30. Mai 2007 im Dessauer Rathaussaal der Startschuss zur Eröffnung der Ausstellung „Das hat`s bei uns nicht gegeben! – Antisemitismus in der DDR“. Zum Beginn der feierlichen Veranstaltung, die vom Leiter der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Marco Steckel, moderiert wurde, überbrachte Burkhard Lischka das Grußwort der Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt. Prof. Dr. Angela Kolb hatte freundlicherweise die Schirmherrschaft für die Exposition übernommen hatte. Staatssekretär Lischka betonte in seiner äußerst substantiellen Rede, dass der Titel der Ausstellung wohl bewusst zweideutig gewählt wurde. Diese widerlege „schlicht aber wirkungsvoll“ die These, dass es in der DDR keinen Antisemitismus gegeben hätte.


Marco Steckel führte durch das Programm

Als eine Ursache für den virulenten Antisemitismus benennt Lischka das „dogmatische Selbstverständnis der DDR als antifaschistischer und sozialistischer Staat, der Rassismus und Fremdenfeindlichkeit insbesondere gegenüber den Juden ausgerottet habe“. Dieses zum Teil irrationale  Selbstverständnis habe „sowohl eine Auseinandersetzung mit antisemitistischen Vorfällen in der DDR als auch eine echte Aufarbeitung des Wesens des Antisemitismus von vornherein nicht zugelassen.“ Mit einem Problem, dass staatlich verordnet nicht bestand, brauchte und wollte man sich auch nicht auseinandersetzen. Die antisemitischen Tendenzen und rassistischen Übergriffe, wie sie in der Ausstellung dokumentiert sind, seien in der DDR eben nicht publiziert, sondern Tod geschwiegen worden. Viel zu oft wären diese Delikte  als „unpolitisches Rowdytum“ verharmlost und vom Staat nur „nachsichtig bestraft“ worden.


Staatssekretär Burkhard Lischka überbrachte das Grußwort der Landesregierung

Lischka hatte in seinem Vorab-Grußwort (mehr dazu hier...) für die Ausstellung bereits davon gesprochen, dass die Exposition noch bevor sie überhaupt erstmals gezeigt wurde, auf harsche Kritik stieß. Ganz konkret benennt der Staatssekretär dabei einen Artikel im „Neuen Deutschland“, den der Autor Prof. Kurt Pätzold unter der Schlagzeile „Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen“ in der Tageszeitung veröffentlich hatte. Lischka dazu: „Allein diese Kontroverse um die Ausstellung mit ihren beeindruckenden Zeugnissen zum Antisemitismus in der DDR zeigt ihren Wert und ist zugleich beredter Beleg für ihren zutreffenden Titel."

Der Landespolitiker spannte schließlich einen Bogen zur sachen-anhaltischen Gegenwart: „In der Negierung und deshalb fehlenden Aufarbeitung von Antisemitismus in der damaligen DDR ist auch eine wesentliche Ursache für die heute auch in Sachsen-Anhalt bestehenden antisemitistischen, rechtsextremistischen und rassistischen Tendenzen zu sehen. Antisemitismus ist auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsextremismus. Sachsen-Anhalts Staatsanwaltschaften verzeichneten im Jahr 2006 leider erneut einen Anstieg von rechtsextremen Gewalttaten. Waren 2005 1.492 Strafverfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund zu verzeichnen, so waren es im Jahre 2006 bereits 1.567 Verfahren.“

Zum Abschluss seiner Rede wünscht Lischka „dieser beeindruckenden Ausstellung einen großen Besucherzuspruch“ und sagt zudem: „Das Rahmenprogramm der Ausstellung insbesondere die angebotenen Führungen und Workshops für Schulklassen und Jugendgruppen hält meines Erachtens ein Angebot vor, das für die Erfüllung meines Wunsches sicher beste Voraussetzungen bietet.“

Für den lokalen Veranstalterkreis (Alternatives Jugendzentrum e. V.; Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt; Projekt gegenPart – Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus und Netzwerk Zivilgesellschaft Anhalt) spricht dann Steffen Andersch vom Projekt gegenPart.


Steffen Andersch sprach für den lokalen Veranstalterkreis

Zunächst einmal dankt er den MitarbeiterInnen der Berliner Amadeu Antonio Stiftung, die die Ausstellung „unter großem persönlichem Engagement überhaupt erst ermöglicht haben“. Andersch in seinem Statement weiter: „Wie nicht anders zu erwarten, gab es erhebliche politische Widerstände gegen das Projekt. Dass dabei der Gegenwind auch aus Richtungen kam, wo er so nicht zu vermuten war, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Erschwerend kam hinzu, dass die Stiftung und die Projektpartner sich mit diesem Vorhaben zum Teil auf wissenschaftliches Neuland begaben. Zusammenhängende Abhandlungen gibt es bisher kaum, es ist sicherlich nicht übertrieben, hier von einem weißen Fleck in der historischen Forschung zu sprechen.“

Der Projektleiter umreißt danach noch einmal die pädagogisch-inhaltliche Intention der Exposition: „76 Jugendliche, darunter einige aus Dessau, haben in acht ostdeutschen Städten geforscht. Sie haben Fragen gestellt und Fakten recherchiert: Wo befindet sich der jüdische Friedhof, und wo sind nach 1950 seine Grabsteine geblieben? Was wurde in der Regionalzeitung über Israel geschrieben? Und wie wurde öffentlich an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert?“

Auch der Leiter der Dessauer Netzwerkstelle ist sich bewusst, dass das Projekt nicht nur auf Gegenliebe stieß:
“Das hat`s bei uns nicht gegeben!, lautet das sinnige Label der Exposition. Dieser Titel wurde nicht einfach so ausgewählt. Ob in Hagenow, Eberswalde oder eben in Dessau, bei Gesprächen und in Interviews traf man immer wieder auf diese Haltung und Einstellung. Oftmals wurden dabei klassische Vermeidungsargumente nach dem Motto: „Was nicht sein darf, das nicht sein kann“ bemüht. Die DDR hatte ihre Einwohner per Verfassung zu einem Volk von Antifaschisten erklärt. Der Faschismus sei „mit Stumpf und Stiel“ oder wahlweise „an der Wurzel“ ausgerottet. Diese sicherlich gut gemeinte Deklaration entsprach jedoch nicht der gesellschaftlichen Realität. Auch wenn die Entnazifizierung im Osten Deutschlands wohl konsequenter erfolgte als im Westen, blieb die spätere DDR Teil des nationalsozialistischen Täterlandes. Dieser unbequemen Wahrheit hat sich die SED aber nie konsequent gestellt, sondern stattdessen mit dem erhobenen Zeigefinger auf den Westen verwiesen. Wenn es noch Nazis gab, so die Logik der Parteiführung, dann in der Bundesrepublik. Bis heute hält sich daher der Mythos, es hätte in der DDR keinen Antisemitismus gegeben.“

Nun tritt Anetta Kahane, die seit Jahren die Geschicke der Berliner Amadeu Antonio Stiftung leitet (mehr dazu hier...), ans Rednerpult. Für sie hat es das wirkliche „Tabu Antisemitismus“ nur in der DDR gegeben. Es habe nach dem 2. Weltkrieg in Westdeutschland eine Ächtung des Antisemitismus stattgefunden. In Osteuropa habe es später zwar auch offenen Antisemitismus gegeben, in der DDR jedoch hätte man über Juden schlichtweg nicht gesprochen: „Das Tabu bedeutet, dass etwas wesentliches verborgen wird, etwas was für die Gesellschaft von ganz zentraler Bedeutung ist und über das nicht gesprochen werden soll und das Wesen des Tabu ist, dass sein Gegenstand defacto verschwindet.“ Damit meint Kahane einerseits die aus ihrer Sicht spezielle Ausprägung des Nichtdiskurses über jüdisches Leben und die jüdische Kultur in der DDR. Auch über das jüdische Sterben, also den Holocaust, wäre lange geschwiegen worden: „Es ist gerade so oft erwähnt worden, dass es nicht auffiel, dass es nicht erwähnt wird. Es ist sozusagen unsichtbar gemacht worden.“ Auch die vielen jüdischen Kommunisten, die sich nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus ganz bewusst für eine Karriere in der DDR entschieden, wären von diesem Tabu ganz unmittelbar betroffen gewesen: „Und viele dieser Jüdischen Genossen haben das erlebt, das sie praktisch ihrer Geschichte beubt worden und ihre Geschichte so unsichtbar wurde, dass sie sicht nicht mehr frei dazu verhalten konnten.“


Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung

Als Höhepunkt der Ausstellungseröffnung referierte der Holocaustüberlebende und renommierte Historiker, Autor und Publizist, Arno Lustiger, zum Thema „Antisemitismus in der Sowjetunion und der SBZ“.

Arno Lustiger wurde 1924 in Bedzin, dem bedeutendsten jüdischen Zentrum  Westpolens, geboren. Es gelang seiner Familie zunächst der Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz zu entkommen. Im Zwangsarbeitslager Annaberg in Schlesien wurde die Familie getrennt. Die Mutter und die drei Schwestern kamen von dort nach Ludwigsdorf in Oberschlesien. Arno Lustiger wurde über Otmuth in das Auschwitzer Nebenlager Blechhammer verschleppt. Zwei Wochen vor seiner Ankunft war dort sein Vater als „arbeitsunfähig“ selektiert, nach Auschwitz transportiert und  ermordet worden.

Im Januar 1945 auf den Todesmarsch getrieben, waren die weiteren Konzentrationslager, die Arno Lustiger durchleiden musste, Groß-Rosen, Buchenwald und Langenstein-Zwieberge. Dort musste er mehrere Wochen im berüchtigten Stollen arbeiten, bevor er erneut Anfang April 1945 auf den Todesmarsch getrieben wurde. Mehr tot als lebendig befreiten ihn die Amerikaner und pflegten ihn in einem Lazarett in Hettstedt. Dort erlebte er die Kapitulation am 8.Mai 1945, einen Tag nach seinem 21.Geburtstag. Da er Englisch konnte, arbeitete er für die amerikanischen Befreier und gelangte nach Bergen-Belsen, wo er die Schwester seiner Mutter traf.

Arno Lustiger begab sich auf die Suche nach seiner Mutter und seinen Geschwistern, zunächst in Deutschland, dann durchquerte er die Tschechoslowakei, um nach Ludwigsdorf zu gelangen, wo er die Mutter und seine drei Schwestern in die Arme schließen konnte. Außer seinem Vater war auch der Bruder dem Holocaust zum Opfer gefallen.
Bis 1948 lebte Arno Lustiger mit den Überlebenden seiner Familie in einem DP-Lager in Zeilshein. Die angestrebte Auswanderung nach Amerika scheiterte an den gesundheitlichen Folgen der Zeit im Konzentrationslager, die eine Schwester und die Mutter davongetragen hatten. Die Familie blieb in Deutschland, in Frankfurt am Main, wo Arno Lustiger bis heute lebt und wirkt (mehr dazu hier...).

Er hat sein Leben der Erforschung und Publikation des jüdischen Widerstandes, der lange Zeit keinerlei Beachtung in der Holocausterforschung erhielt, gewidmet. So gelten seine Bücher „Zum Kampf auf leben und Tod! – vom Widerstand der Juden 1933-1945“ und „Rotbuch: Stalin und die Juden“ als Standardwerke.


renommierter Historiker und Holocaustüberlebender: Prof. Dr. Arno Lustiger

Die Ausstellung konnte bis zum 13. Juni 2007 im Dessauer Rathaus besichtigt werden. Mit fast 250 Menschen, die die Ausstellung oder eine der Begleitveranstaltungen besuchten, darunter etliche Schulklassen, stieß die Exposition angesichts von nur 10 Öffnungstagen auf ein nennenswertes Interesse. Schon jetzt haben sich die lokalen Veranstalter dafür entschieden, die aktualisierte und erweiterte Version der Exposition, die im kommenden Frühjahr vorliegen soll, erneut in Dessau zu zeigen.

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