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Sollen wir dem Mob die Strasse überlassen....?

Thementag zum Rechtsextremismus in Bergwitz




Bergwitz (Landkreis Wittenberg) am 14. September 2006: Die Szenerie ist skurril, beängstigend und verwirrend zugleich. Zwanzig Neonazis und rechtsextreme Jugendliche lungern vor dem Sport- und Gemeindezentrum herum, geben sich betont selbstbewusst und zeigen sich nach Außen ob der starken Polizeipräsenz unbeeindruckt. Während die einschlägig vorbestraften rechten Schläger aus der Gruppe forsch und souverän auftreten und die Besucher fotografieren, übt der Nachwuchs vor der versammelten Zivilgesellschaft das Vermummen. Alle haben das gleiche Problem, ihnen wird mit Verweis auf das Hausrecht der Zutritt zum Thementag "Wie ist eine nachhaltige Bekämpfung des Rechtsextremismus im Landkreis Wittenberg möglich?" verwehrt. Eine durchaus nicht unumstrittene Entscheidung, wie der weitere Verlauf der Veranstaltung zeigen sollte.


Rechtsextreme vor dem Sport- und Gemeindezentrum

Der Anlass des Thementages bot eine rechtsextreme Gewalttat vom 8. Juli auf dem Bergwitzer Bahnhof. Damals attackierten Neonazis völlig grundlos einen 22jährigen Jugendlichen. Die Täter schlugen ihm ins Gesicht und traten, als er schon am Boden lag, auf ihn ein. Doch damit nicht genug, beraubten sie ihn seiner Digitalkamera, seines Basecapes sowie seiner Sonnenbrille. Nach dem gewalttätigen Übergriff suchten die Rechtsextremisten offensichtlich nochmals nach ihrem Opfer. Laut Zeugenaussagen tauchte die Gruppe in einem Club in Bergwitz auf, beschrieb den dort anwesenden Jugendlichen den Geschädigten und fragte nach seinem Aufenthaltsort. Später marschierte die Gruppe rechte Parolen skandierend durch Bergwitz, um danach in einem Garten "Am Grubenweg" eine Party zu feiern (mehr dazu hier...).


Aufkleber der neonazistischen und militanten "Anti-Antifa" in Bergwitz

Es ist schon als Erfolg zu werten, dass das Hearing, angeregt von  Bergwitzer Jugendlicher, überhaupt stattfinden konnte. Dass fast 100 BürgerInnen und  Gäste aus der Kommunalpolitik, Kirche, von Verbänden und Vereinen gekommen waren, überraschte nicht nur die Organisatoren der Verwaltungsgemeinschaft Kemberg, den Ortsteil Bergwitz, die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus (Projekt gegenPart) und die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt.


viele Interessierte verfolgten die Veranstaltung

Die konzertierte Aktion wäre jedoch beinahe ins Wasser gefallen, die Durchführung war gefährdet. Doch nicht organisatorische Unwägbarkeiten sorgten im Vorfeld für Unsicherheit, sondern ein Bedrohungsszenario mit einer neuen Qualität. Am Rande eines Dorffestes in Bergwitz am 9. September 2006 gingen zwei junge Herren, die sich als Mitglieder "der rechten Szene Dessaus" vorstellten, auf die Ortbürgermeisterin und Mitveranstalterin Heidrun Weise (parteilos) zu, baten um ein Sechsaugengespräch und drohten der Kommunalpolitikerin unverhohlen damit, den Veranstaltungsort anzugreifen und zu beschädigen (mehr dazu hier...).

"Ganz ausdrücklich möchte ich mich daher noch einmal bei Heidrun Weise bedanken, die vor der Einschüchterung der Neonazis nicht kapituliert hat. Dies ist ein deutliches Zeichen an die Feinde einer offenen und liberalen Gesellschaft, das da lautet: „Wir haben keine Angst vor Neonazis", so Steffen Andersch, der Leiter des Projekts gegenPart, zu Beginn seines Vortrages. Der anhaltende Applaus im Saal bewies, dass die Mehrheit der Zuhörer dem zustimmte. Andersch würdigte auch den offensiven Umgang der Verantwortlichen mit rechtsextremen Strukturen und Gewalttaten und betonte, dass dies leider nicht der Normalfall sei: "Da haben wir schon ganz andere Sachen erlebt." Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass nur eine ernsthafte und manchmal auch schmerzliche Auseinandersetzung, die auch unbequeme Wahrheiten ans Licht bringen könne, effektiv und nachhaltig dazu beitragen könne, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entgegen zu treten. Ignorieren und Wegschauen würde niemandem helfen: "Ganz im Gegenteil, wer nichts tut, ermutigt die rechten Schläger noch, ihren rassistischen und antisemitischen Wahn auf der Strasse zu exekutieren", so der Projektleiter.


Die rechtsextremen Aktivitäten hätten in der Region seit der Neugründung der neonazistischen "Kameradschaft Landkreis Wittenberg" in Bergwitz im November 2004 merklich zugenommen, so informierte das Projekt gegenPart. Sie verfüge über zwanzig Mitglieder und habe darüber hinaus ein kurzfristiges Mobilisierungspotential von circa fünfzig Personen. Die Kameradschaft steht zudem in regionalem und zum Teil überregionalen Kontakt zu anderen rechtsextremen Gruppierungen.  
Regelmäßige Treffen, Partys und Feiern, erfuhren die Interessierten, würden u.a. in einem Geschäft in der Wittenberger Innenstadt (mehr dazu hier...) und in einem Bauwagen auf einem Bergwitzer Privatgrundstück stattfinden. "Christian Klimpel ist das personifizierte Bindeglied zwischen Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaften und parteipolitisch verfassten Mitgliedern der NPD", schätzt Andersch die Situation ein. Der rechtsextreme Liedermacher, so die Selbstbezeichnung Klimpels auf einer Homepage, und Geschäftsführer des NPD-Kreisverbandes Wittenberg sei "die Integrationsfigur vor Ort". Anderschs Fazit fällt für einige im Saal ernüchternd aus: "Es muss von einer organisierten Szene im Landkreis ausgegangen werden, die über eine entsprechende Infrastruktur verfügt und zu einem koordinierten Vorgehen in der Lage ist." Dies hätte nicht zuletzt der rechte Auflauf vor Beginn der Veranstaltung gezeigt.

Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt aus Dessau Untermauerte diese Analyse mit statistischen Material. So habe es im Landkreis im ersten Halbjahr 2006 sechs rechte Gewalttaten gegeben (mehr dazu hier...). Insgesamt weise die Landesregierung für den gleichen Zeitraum 47 rechts motivierte Delikte für Wittenberg aus. Dies sei die höchste Anzahl im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Dessau, die in Sachsen-Anhalt den traurigen Spitzenplatz hält (mehr dazu hier...). Im letzten Jahr registrierte Steckel insgesamt 14 rechtsextreme Gewaltdelikte im Landkreis Wittenberg. „Wir bewegen uns hier also auf einem gleich bleibend hohen Niveau“, so der Opferberater. Die offiziellen Zahlen für das Jahr 2005 wiesen für Wittenberg gar 70 rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Delikte aus. Damit lag der Landkreis zusammen mit dem Mansfelder Land auf Platz eins aller Flächenlandkreise Sachsen-Anhalts.

Die anschließende Diskussion mit erstaunlich vielen Wortmeldungen offenbarte die stark divergierenden Meinungen und Wahrnehmungen des Publikums, wie mit den Aktivitäten der rechtsextremen Kameradschaft umzugehen sei. Besonders an einer Frage kulminierte die Debatte: Soll man mit Rechtsextremen reden und sich auf sie einlassen? Der Ausschluss der Neonazis von der Veranstaltung bot dazu augenscheinlich den Anlass. Heidrun Weise konnte sich ein Gespräch durchaus vorstellen:„Gewalt ist aber nicht zu akzeptieren“, konkretisierte die Kommunalpolitikerin. "Ich halte es nicht für gut, diese Menschen zu stigmatisieren", sagte dazu Roland Kühn, Leiter des Präventionsdezernats der Polizeidirektion Dessau. Steffen Andersch und Marco Steckel sprachen sich wiederum aus der Sicht der Spezialisten klar gegen einen Dialog aus und warnten davor, „den Feinden der Demokratie ein Podium zu bieten.“ „Sie wollen ja gerade als normale Akteure wahrgenommen werden“, begründete Steckel seine ablehnende Haltung und fügte hinzu, dass „die Rechtsextremen sich selbst stigmatisieren“. Andersch hatte zu Beginn des Thementages den Ausschluss von der Veranstaltung unter anderem damit begründet, dass es potentiellen Opfern im Saal, als solche hatte er die anwesenden nichtrechten Jugendlichen ausgemacht, nicht zu zumuten wäre. „Es funktioniert nicht, sich über ein Problem und mögliche Lösungsstrategien zu unterhalten, wenn dieses mit am Tisch sitzt“, sagte der gegenPart-Leiter. Natürlich könne man versuchen, so genannte Mitläufer aus der Szene zu lösen,„doch das können nur Experten leisten“, ergänzte Marco Steckel. 

 
Ortsbürgermeisterin und Mitorganisatorin Heindrun Weise (parteilos)

Die Ursachen, die konkreten Erscheinungsweisen, der öffentliche Umgang und die pädagogischen Gegenkonzepte bezüglich des Rechtsextremismus in der Region kamen ebenfalls zur Sprache. Für viele korrelierte dabei die mangelhafte oder gar fehlende Jugendarbeit, aus der sich gerade kleine Gemeinden mangels Geld immer mehr zurückzögen, mit der zunehmenden Attraktivität rechtsextremer „Alternativangebote“. Der Bürgermeister der Stadt Kemberg, Rainer Schubert, warnte deshalb vor Kürzungen in diesem Bereich und brach eine Lanze für den Einsatz qualifizierten Personals. Die Stellen durch ABM oder Ein-Eurojobs auszufüllen, wäre der falsche Weg. Schubert forderte in diesem Sektor die Unterstützung des Landes ein. Ein anderer Zuschauer regte an, die rechten Aktivisten klar zu benennen und so aus der Anonymität zu holen. Auch die Rolle der Erwachsenen sei dabei nicht zu unterschätzen: „Wie manche älteren Bergwitzer den 2. Weltkrieg darstellen, ist beschämend“, äußerte sich der Diskutant zum Umgang mit der deutschen Geschichte durch einen Großteil der Kriegsgeneration. Jörg Schindler, Rechtsanwalt aus Wittenberg, mahnte die Notwendigkeit an, rechte Gewalttaten auch als solche zu benennen und konsequent zu verfolgen. Er plädierte dafür, sich mit den Opfern solidarisch zu erklären.


Kembergs Bürgermeister Rainer Schubert bringt sich in die Diskussion ein

Wie kann man konkret der rechtsextremen Ideologie und der daraus zwangsläufig resultierenden Gewalt entgegentreten? „Zivilcourage kann man schon zeigen, indem das Handy gezückt und die Polizei verständigt wird“, gab Marco Steckel als profane Antwort. Dass dies aber auch von staatlichen Stellen angemessen zu fördern sei, betonten einige Redner. Es sei mit der Zivilcourage offensichtlich nicht ganz so einfach, konstatierte der Ortspfarrer Berthold Hippe: „Jalousien runter, bissiger Hund am Gartentor, so kann man die Zeit auch überstehen. Wollen wir die Straße etwa dem Mob überlassen? Dann gnade uns Gott." Der Kirchenvertreter spielte damit auf die Ereignisse vom 8. Juli an, als Rechtsextremisten eine halbe Stunde lang völlig unbehelligt neonazistische Parolen rufend durch den Ort gezogen waren. Ein Handy zückte damals niemand.

Offene Diskussionsrunden sind im Allgemeinen nicht dazu geeignet, zielorientierte Handlungsansätze zu entwickeln. Dies war in Bergwitz nicht anders. Im Gespräch danach erfuhr der geneigte Besucher, dass es nun einen Arbeitskreis gibt, der sich mit dem Thema befassen soll. Es bleibt abzuwarten, wie und ob dieser nachhaltige Aktivitäten entfalten wird.

verantwortlich für den Artikel:
Carolin Doller

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